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Tarifabschluss der Landesangestellten

LehrerInnen dürfen kein Bauernopfer sein

Martin Suchanek, Infomail 671, 11. März 2013

Die SchönrednerInnen in den Gewerkschaftsvorständen haben wieder einmal Hochbetrieb. Ver.di gibt sich verhalten zufrieden ob des Verhandlungsergebnisses für die Tarifrunde der Angestellten der Länder.

Dabei ist der Abschluss - gemessen an den Forderungen von 6,5 Prozent mehr Entgelt und einer Laufzeit von einem Jahr - bescheiden. Am Ende kam eine zweijährige Laufzeit raus plus eine Erhöhung der Einkommen um 2,65 Prozent für 2013 und eine weitere um 2,95 Prozent für 2014. Außerdem erhalten die Azubis eine Übernahmegarantie von einem Jahr nach Abschluss ihrer Ausbildung. Außerdem sollen alle regulär Beschäftigten künftig 30 Tage Urlaub haben - entgegen der ursprünglichen Regelung, die jüngere Beschäftigte benachteiligte, die jedoch vom Verfassungsgericht ohnedies für rechtswidrig erklärt worden war.

Ver.di-Führung wollte faulen Kompromiss

Insgesamt stellt der Abschluss keine große Überraschung dar. Die Spitze der größten Gewerkschaft im Öffentlichen Dienst, ver.di, hatte von Beginn an auf eine solche Verhandlungslösung hingearbeitet, die jetzt schöngeredet wird. Es gebe einen Reallohnzuwachs, weil der Abschluss knapp an der Inflationsrate liege.

Damit wird erstens kaschiert, dass die Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten der Lohnabhängigen real über der Inflationsrate liegt. Zweitens werden die realen Verluste gerade in den unteren Einkommensgruppen wie selbstverständlich hingenommen.

Drittens bleiben „natürlich“ bei dieser Gewerkschaftstaktik grundlegende Fragen wie der fortschreitende Personalabbau im Öffentlichen Dienst, Privatisierungen usw. angesichts der „Schuldenbremse“ überhaupt außen vor.

Dass die Gewerkschaftsführungen von ver.di und der reaktionären GdP (Gewerkschaft der Polizei), die im DGB überhaupt nichts verloren hat, wie auch der Beamtenbund keinen Kampf wollten, zeigten auch die Warnstreiks zur Tarifrunde.

Die Mobilisierung war keineswegs angelegt auf eine längere Kraftprobe, sondern sie war eine mehr oder weniger laue ritualisierte Form - eben Tarifrundenritual auf niedrigem Niveau.

Zweifellos ist es richtig, dass die Beschäftigten bei den Ländern über keine allzu große Kampfkraft verfügen - verglichen mit den KollegInnen bei den Kommunen. Die Ausgliederung einzelne Bereiche, z.B. von Landeskrankenhäusern, in eigene Tarife hat dem ebenso Vorschub geleistet wie die Asynchronität der Auseinandersetzungen bei Bund/Kommunen einerseits und bei den Ländern andererseits. Doch gerade dieser Fakt, der die Kampfkraft schwächt, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von den Gewerkschaften billigend in Kauf genommen.

Die problematische Konstruktion der „Tarifgemeinschaft“ mit dem Beamtenbund, von ver.di, GdP und GEW tut in mehrfacher Hinsicht noch ihr übriges, Druck von unten auszubremsen und die Sache nach rechts zu verschieben. Erstens sollten die GdP wie die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG; Teil des Beamtenbundes) als Interessenvertretungsorgane des Repressionsapparates erst gar nicht Teil einer Tarifgemeinschaft mit den anderen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sein. Zweitens ist natürlich nichts gegen gemeinsame Tarifrunden aller anderen Gewerkschaften einzuwenden - allerdings findet das Gemeinsame praktisch nur als Absprache der Spitzen und Verhandlungsführungen statt. Verhandlungsführung und Abschlüsse werden so noch mehr jeder Mitsprache und Kontrolle durch die Basis entzogen.

Rolle der LehrerInnen

Das trifft dann naturgemäß immer jene am meisten, die eigentlich für mehr kämpfen wollten, z.B. die angestellten LehrerInnen in Öffentlichen Dienst. Anders als ver.di und GdP hatte die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), die LehrerInnen und in etlichen Bundesländern auch ErzieherInnen vertritt, ein weiteres wichtiges Anliegen in der Tarifrunde: eine bundeseinheitliche Bezahlung und Eingruppierung der Lehrkräfte.

Gerade im Osten liegen deren Gehälter weit unter Westniveau. Das wird durch zwei Faktoren bedingt und weiter verstärkt: a) das Recht der Länder, Lehrkräfte in je nach Bundesland in unterschiedlichen Lohngruppen einzugruppieren, b) die niedrigeren Gehälter von Angestellten im Vergleich zu Beamten.

In etlichen Bundesländern gibt es mittlerweile mehr und mehr angestellte LehrerInnen, in den neuen Bundesländern finden praktisch keine Verbeamtungen mehr statt. Spitzenreiter ist hier Sachsen, wo es kaum Beamte unter den Lehrkräften gibt - und zugleich auch das schlechteste Lohnniveau.

Doch diese Entwicklung hat auch eine wichtige, positive Seite, die in den Warnstreiks und Demonstrationen deutlich sichtbar wurde. Die Angestellten haben Streikrecht. Sie können in etlichen Bundesländern mittlerweile den Schulbetrieb lahm legen und werden, jedenfalls potentiell, zu einer kampfstarken Beschäftigtengruppe.

Es ist daher auch kein Wunder, dass die LehrerInnen und von der GEW vertretene ErzieherInnen einen überdurchschnittlich großen Teil der Kämpfenden stellten. Die zentralen Warnstreiks und Demonstrationen am 6. März in Berlin und Potsdam mit jeweils deutlich mehr als 10.000 TeilnehmerInnen waren überwiegend von streikenden GEW-Mitgliedern geprägt. Sie waren auch von ihrer Erscheinung her weit dynamischer als die vergleichsweise kleinen Kontingente der „großen“ ver.di.

Skandalös

Umso skandalöser ist die Tatsache, dass gerade diese kampfwilligen KollegInnen ohne viel Aufhebens wieder einmal auf zwei Jahre vertröstet werden sollen. Ihre Interessen waren den ve.di-Spitzen offenkundig keinen gemeinsamen Kampf wert. Dabei haben gerade die LehrerInnen bewiesen, dass sie mobilisierungsfähig und kämpferisch sind.

Wie die Reaktionen von KollegInnen zeigen, sind sie auch nicht bereit, dieses üble Spiel weiter mitzumachen. Das spiegelt sich in Wut, Empörung auch auf der Website der GEW wider.

Viele fordern, dass die GEW auch ohne ver.di den Kampf um diese Forderungen weiterführt und die Tarifpartnerschaft mit den anderen Gewerkschaften überdenken solle. Ansonsten drohen viele mit ihrem Austritt, sollte die GEW weiter hinnehmen, dass sie von den „Arbeitergebern“, aber auch von den VerhandlungsführerInnen der anderen Gewerkschaften vorgeführt wird.

Offenkundig bringt dieser Druck auch die GEW-Vorsitzende Schaad dazu, sich „alle Optionen offenzuhalten. Dazu gehören natürlich auch Streiks.“

Gut gebrüllt, Löwin! Die GEW-Mitglieder sollten ihre Vorsitzende beim Wort nehmen. Auf Dienststellenversammlungen muss die Empörung über den Abschluss und den Ausverkauf ihrer Interessen in eine konkrete Aktionsplanung umgesetzt werden, um möglichst rasch einen LehrerInnenstreik zur Erzwingung der tariflichen Gleichstellung zu organisieren. Die GEW selbst spricht davon, dass ein solcher nach Ostern - jedenfalls in den streikstarken östlichen Bundesländern - gestartet werden könnte.

Dazu sollten jetzt Streikvorbereitungen in Gang gesetzt und Streikleitungen gewählt werden. Zweifellos hat sich auch die GEW-Führung deutlich links von ver.di - von der unsäglichen GdP ganz zu schweigen - positioniert. Aber die Erfahrungen vieler Jahre zeigen auch, dass eine Streikführung - und erst recht jede Tarifkommission - dann am effektivsten ist, wenn sie von unten, von den Streikenden selbst gewählt, kontrolliert und abwählbar ist.

Zweifellos stellen sich für einen LehrerInnenstreik wichtige politische Probleme. Er würde sofort mit einer unverschämten Hetze nicht nur der Landesregierungen und der „Politik“ rechnen müssen. Hier werden alle Länder, ob nun von CDU oder SPD geführt, Zeter und Mordio schreien angesichts der „Kostenexplosion“. Auch auf die Linkspartei sollte sich hier niemand verlassen. Wo sie, wie in Brandenburg, selbst in der Regierung und im Bildungsministerium sitzt, gilt ihre Sorge der „Haushaltskonsolidierung“ und nicht den Interessen der LehrerInnen.

Die Hetze gegen einen solchen LehrerInnenstreik würde natürlich auch von den bürgerlichen Medien rund um die Uhr abgespult werden.

Schließlich würden die beamteten LehrerInnen als Streikbrecher eingesetzt werden und die Keule des Beamtenrechts zur Dienstverpflichtung eingesetzt werden, um streikende Angestellte zu schwächen.

All das zeigt, ein LehrerInnenstreik hätte unmittelbar auch eine politische Dimension. Es wären dazu mehrere Maßnahmen nötig, um diesen Kampf aufzugreifen, um ihn nicht nur auf tariflicher Ebene, sondern als politischen Kampf zu führen:

a) Organisierung von Solidarität durch andere Gewerkschaften, v.a. im Öffentlichen Dienst, durch Protestmaßnahmen bis hin zu Solidaritätsstreiks;

b) Infragestellung der reaktionären Einschränkungen der gewerkschaftlichen Rechte ganzer Beschäftigtengruppen, sprich der beamteten LehrerInnen;

c) Einbeziehung anderer „Schulangehöriger“ in den Kampf durch Aufbau von Solidaritätskomitees, in die v.a. die Eltern und SchülerInnen einbezogen werden müssen, die ihrerseits einen breiten Bildungsstreik organisieren.

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