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US-Fiskalklippe und Weltwirtschaft

Vor der nächsten Schuldenkrise?

Markus Lehner, Neue Internationale 176, Februar 2013

Die meisten Finanzanalysten und bürgerlichen Ökonomen sahen recht optimistisch auf das Jahr 2013. Sie erwarteten, dass sich nach einer Fortsetzung der 2012er-Stagnation in den ersten beiden Quartalen 2013 der lang erhoffte zyklische Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte materialisieren würde. Ein Blick auf stagnierende Wachstumsraten, fallende Einkaufsindizes und Auftragsentwicklungen, hohe Arbeitslosenzahlen usw. zeigt allerdings, dass dieser Optimismus ungefähr genauso so begründet ist, wie die Vorhersage der Mayas für den Weltuntergang.

Der Optimismus geht auch davon aus, dass die Eurokrise dank der EZB gelöst wäre, dass China wieder expansives Wachstum aufweisen würde und dass die USA ihre Probleme mit der Fiskalklippe lösen könnten. Auch wenn die EZB jetzt gewichtige Mittel zur Stabilisierung der Euro-Staatsanleihen-Märkte hat, sind die Konjunkturaussichten in der EU derart schlecht, dass nun die Krisendynamik in Europa von der „Realwirtschaft“ her zu wirken beginnt. Ganz abgesehen davon ist Anfang 2013 aber besonders der Optimismus in Bezug auf die USA mehr als fragwürdig geworden.

Was ist die Fiskalklippe?

Die sogenannte Fiskalklippe umschreibt gleichzeitige Steuererhöhungen und drastische Kürzungen bei den Staatsausgaben der USA, die automatisch mit dem Jahreswechsel in Kraft getreten wären - ironischerweise aufgrund vorheriger Beschlüsse des von den Republikanern dominierten Kongresses.

Die möglichen Steuererhöhungen bezogen sich auf das Ende von Steuervergünstigungen v.a. für Reiche, die einst von George W. Bush eingeführt worden waren. Sie wurden damals damit begründet, dass die Ausgaben nach der im März 2000 geplatzten Internet-Spekulationsblase und dem Angriff auf das World Trade Center angekurbelt werden sollten. Da Bush damals bereits die Mehrheit im Kongress fehlte, wurden diese Steuererleichterungen nur als befristete präsidiale Verordnungen in Kraft gesetzt. Trotz seines Programms eines „Politikwechsels“ stimmte Obama als Nachfolger Bushs einer Verlängerung dieser Steuererleichterungen in Höhe von 1,7 Billionen US-Dollar bis Ende 2012 zu. Eine Rückkehr zur alten Besteuerungspolitik hätte nun bedeutet, dass die Superreichen mit 39,6% statt 35% veranlagt worden wären, durchschnittlich etwa 90.000 Dollar mehr pro Jahr.

Die angedrohten Ausgabenkürzungen dagegen waren das Resultat eines Kompromisses zwischen Obama und dem Kongress, der es dem Präsidenten erlaubte, 2011 die Ausgaben um 2 Billionen Dollar über den damals gesetzlichen Haushaltsrahmen von 14,6 Billionen aufzustocken - im Gegenzug zur Verlängerung der Steuererleichterungen. Das Abkommen sah vor, dass ein Programm von Haushaltskürzungen und Steuerreformen bis Ende 2012 vereinbart werden sollte, ansonsten träten mit Beginn 2013 automatisch Kürzungen im Rasenmäher-Stil in Kraft und die Steuererleichterungen der Bush-Ära wären ausgelaufen. Die Festsetzung eines gekoppelten Endtermins für die Steuererleichterungen und die Ausgabensteigerungen sollte die Notwendigkeit eines neuen Ausgaben- und Steuerpakets erzwingen. Die Zuhilfenahme einer solchen Selbstfesselung und die folgende Untätigkeit zeigen, wie politisch gelähmt die US-Regierung ist.

US-Staatsschulden und globale Konjunktur

Nicht nur eine griffige Übereinkunft liegt in weiter Ferne, auch die Ausgaben sind mittlerweile gefährlich nahe an die neue Obergrenze von 16,4 Billionen US-Dollar herangerückt. Der noch amtierende Finanzminister Tim Geithner verkündete, dass mit der Insolvenz der Staatsfinanzen Ende Februar 2013 zu rechnen sei. Die Fiskalklippe mit ihrer Bedrohung durch Einschnitte von jährlich 109 Milliarden auf 10 Jahre berechnet, die Gefahr der Staatspleite sowie die Lähmung der Gesetzgebung - all dies verspricht ein dramatisches Szenario für die nächsten Monate mit unabsehbaren Folgen für die USA und die Weltwirtschaft.

Die defizitäre Ausgabenpolitik der USA war zusammen mit der Lockerung der Geldmittel durch die Zentralbank (FED) für die leichte Erholung nach der weltweiten Rezession 2009 wesentlich mit verantwortlich. Das Verhältnis von Haushaltsdefizit zum Bruttosozialprodukt (BSP) betrug in diesen Jahren jährlich -11,2%, -10%, -8,7%, während die Schulden jeweils etwa 100% über den BSP-Werten lagen. Wären die USA Mitgliedstaat der Eurozone, würden sie in die Kategorie der „Schuldensünder“ Spanien oder Griechenland fallen. Andererseits war die Schuldenpolitik wichtig für das Wachsen des Welthandels und des Wiederanlaufens der Konjunktur in der US-Industrie und im Dienstleistungsbereich.

Im Weltmaßstab brachte der US-Steuer- und Haushaltskompromiss zwischen Kongress und Präsident von 2011 eine Wende von der Rezession in der zweiten Jahreshälfte zu einem steilen, aber kurzlebigen Aufschwung Anfang 2012. Obwohl dieser kaum 6 Monate anhielt, konnte er immerhin die befürchtete „Double-Dip“-Rezession verhindern. Einer der zentralen Aspekte der finanzmarktfreundlichen Politik der Geringbesteuerung der Superreichen - verbunden mit Niedrigzinsen und lockeren Krediten - ist die Erhaltung des gewaltigen Umfangs von Liquidität, die für Investitionen in jedem Erdwinkel verfügbar ist und damit die Finanzmärkte stützt.

Angesichts des Problems mit der Fiskalklippe gab es offensichtlich keinen Weg für die US-Politik, die Ausweitung der Verschuldungspolitik fortzusetzen. Wenn all die steuerlichen und Ausgaben sparenden Maßnahmen der Fiskalklippe eingesetzt würden, stünden 600 Milliarden US-Dollar den US-BürgerInnen und öffentlichen Einrichtungen nicht mehr zur Verfügung. Die geschätzte Auswirkung auf die Wachstumsrate der US-Wirtschaft beträgt -4%, was eine schwere Rezession bedeuten würde. Da die USA immer noch einen Anteil von 20% am weltweiten Bruttosozialprodukt erwirtschaften, würde ein dort zu erwartender und in der Eurozone schon eingetretener ökonomischer Rückgang die gesamte Weltwirtschaft in eine Rezession treiben.

Diese Gefahr und die unmittelbare Aussicht auf nachteilige Wirkungen für die Weltfinanzmärkte bewirkten, dass schließlich die Republikaner im US-Senat einen Kompromiss am frühen Morgen des Neujahrstages 2013 billigten, als die USA bereits „technisch“ über die Klippe gefallen waren. Was die politischen Repräsentanten trotz allen Getöses zum Bruch mit den eigenen Beschlüssen wirklich antrieb, war die Angst, rechtzeitig vor Öffnung der Finanzmärkte keinen Deal mehr hinzubekommen.

Was wurde tatsächlich erreicht?

Keines der grundlegenden Probleme ist auch nur annähernd angepackt worden, die wichtigsten wurden lediglich auf zwei Monate vertagt. Die Zeitbombe Staatspleite tickt also weiter.

Sicher ist nur eine Erhöhung des Steuersatzes von 35% auf 39,6% für Verdiener mit Jahreseinkommen über 400.000 US-Dollar oder Privathaushalte mit mehreren Personen über 450.000 Dollar. Hier hat Obama einen Rückzieher von seinem Wahlversprechen der Steueranhebung für Einkünfte über 250.000 Dollar gemacht. Alle anderen Steuervergünstigungen der Bush-Ära bestehen fort und sind  jetzt sogar unbefristet gesetzeswirksam. Da Steuern aber nicht vor Ende des Jahres anfallen, wird diese Maßnahme den Schwelbrand der Staatsfinanzkrise nicht löschen.

Eine unmittelbare Wirkung wird von der Anhebung der Lohnsteuer um 2% ausgehen. Das bedeutet eine zusätzliche Steuerlast von etwa 1.000 Dollar im Jahr für Arbeiterfamilien mit einem Einkommen von 50.000 US-Dollar. Das einzige Zugeständnis an die Millionen ArbeiterInnenwähler für Obama bleibt die Fortsetzung der staatlichen Arbeitslosenunterstützung, die jedoch auf 12 Monate befristet ist und damit im nächsten Jahr erneut von der Kürzung bedroht sein wird.

Alle anderen Probleme, v.a. die Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, sind um zwei Monate verschoben worden. Das wird nicht nur eine Wiederholung des Neujahrs-Dramas im US-Kongress zur Folge haben, sondern eine weit ernstere Krise, weil dann die Staatsschulden die vom Gesetz vorgegebene Obergrenze erreicht haben werden und die größte Wirtschaft der Welt vor der Pleite steht. Dazu kommt, dass inzwischen die Mehrheit im FED-Board für die Fortsetzung der expansiven Geldpolitik („quantitative easing“, kurz QE) zu bröckeln beginnt. Auch hier scheint sich eine Fraktion durchzusetzen, die das „Durchwurschteln durch die Krise“ beenden will, und zum ökonomischen Show-down schreiten will (ganz im Sinne der „Krisenbereinigung“ in der Reagan-Ära).

Eine gewichtige Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei ist prinzipiell gegen jede Steuererhöhung und Anhebung der Schuldenobergrenze, was weitere durchgreifende Kompromisse fast unmöglich macht. Zwar wohnt der „Tea Party“-Bewegung eine fundamentalistische Irrationalität inne, andererseits ist ihr Programm Ausdruck der Dominanz des Finanzkapitals im US-Imperialismus. Nach Verlusten während der Krise von 2008/09 war die US-Politik im Kern von der Rettung großer Finanzvermögen und deren mächtiger Rolle auf den Weltfinanzmärkten geprägt.

Solange Anstöße von der Industrie und den Dienstleistungen ausgingen und den Verbrauch förderten, konnte all dies noch unter den Schirm einer expansiven Fiskal- und Geldpolitik gebracht werden. Nun aber kommen mit der Fiskalklippe, der drohenden Staatsinsolvenz und dem möglichen Ende von QE die inneren Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen der US-Bourgeoisie zum Vorschein und drücken sich in einer Lähmung durch die Tea Party-Fundamentalisten auf der einen und den Obama-Pragmatismus auf der anderen Seite aus. Am Ende wird klar, dass die Arbeiterklasse und die Armut diejenigen sind, die in keinem Kompromisskonzept eine Rolle spielen.

US-Arbeiterklasse

In dieser Lage ist es für die US-Arbeiterklasse, die Jugend und die Armen bedeutsamer denn je, ihre  Stellung gegen die Obama-Demokraten zu stärken. Abseits des Fiskalklippen-Dramas hat der Arbeitskampf der Hafenarbeiter (International Lonshoremen Association) mit der Drohung eines umfassenden Streiks in allen Ostküstenhäfen der USA und das Einknicken von Regierung und Unternehmern gezeigt, dass die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse immer noch immense Stärke besitzt, um gegen die US-Bourgeoisie zurückzuschlagen.

Dennoch ist klar, dass die Gewerkschaftsbürokraten Obamas Politik unterstützen. Dies muss durch eine klassenkämpferische Gewerkschaftsopposition bekämpft werden. Der Protest gegen den Sozialabbau, die Anhebung der Massensteuern und die gewerkschaftsfeindliche Politik des politischen Establishments in den USA muss nicht nur der Ausgangspunkt einer neuen Protestwelle sein, sondern muss auch alle auf Klassenkampf orientierten Kräfte anspornen, sich für den Aufbau einer neuen politischen Partei der Arbeiterklasse und des Jugendwiderstands gegen das kapitalistische System in den USA einzusetzen.

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Nr. 176, Februar 2013
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