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Bau-Skandale

Masters of desasters

Hannes Hohn, Neue Internationale 176, Februar 2013

Der Skandal um den Berlin/Brandenburgischen Groß-Flughafens BER ist die Spitze eines Eisberges von Milliarden-Projekten, die in letzter Zeit in die Schlagzeilen geraten sind: S21 in Stuttgart, die Elbphilharmonie in Hamburg und nun eben die Bruchlandebahn BER.

Diese prestigeträchtigen Mega-Bauten verschlingen nicht nur viele Milliarden mehr als ursprünglich veranschlagt und machen regelmäßig alle Fertigstellungstermine zu Makulatur. So stiegen die Kosten von S21 von ursprünglich geplanten ca. 2,5 Mrd. Euro auf zuletzt geschätzte ca. 6 Milliarden!

In Berlin/Brandenburg und Stuttgart gab es zudem auch Massenproteste gegen die Projekte; beim Flughafen BER richteten sie sich v.a. gegen geplante Nachtflüge bzw. gegen Flugrouten über dicht besiedelten Gebieten, bei S21 gab es Proteste gegen die geheime Klüngelei von Politik, Bau-Investoren und Bahn AG sowie gegen das Projekt insgesamt, weil es für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur nicht taugt und zahlreiche bautechnische und Umweltrisiken birgt.

All diese Projekte verbindet, dass sie mit mehr oder weniger öffentlichen Geldern finanziert werden und die „öffentliche Hand“ in den verantwortlichen Gremien vertreten ist, bei BER z.B. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Platzeck und sein Berliner Parteigenosse Wowereit. Diese Umstände lassen vermuten, dass Projekte, die (auch) öffentlich finanziert und gemanagt werden, schlechter funktionieren als rein private. Doch das ist eine oberflächliche Sicht. Investitionen von privaten Firmen - und umso mehr von Konzernen - werden heute fast immer direkt oder indirekt vom Staat unterstützt: steuerlich, durch Aufweichung von Genehmigungen oder mit Zuschüssen. In Zeiten der allgemeinen Krise und stärkerer Konkurrenz ist der Zwang zu einer solch engen Kooperation zwischen Kapital und Staat sogar noch höher als früher.

Dass Milliarden-Investitionen in den Sand gesetzt oder durch Pleiten entwertet werden, ist jedoch durchaus ein Merkmal kapitalistischen Wirtschaftens an sich, denken wir nur an NOKIA in Bochum o.a. Schließungen, wo oft Millionen teure Anlagen und Ausrüstungen brach liegen oder verramscht werden. Von den Entlassenen, den „Kollateralschäden“ der kapitalistischen Konkurrenz, ganz abgesehen.

Gigantismus

Warum lassen sich der bekanntlich stets klamme Staat oder hochverschuldete Länder und Kommunen trotzdem auf solche Mega-Projekte ein?

Dafür gibt es durchaus handfeste Gründe. Die Standortkonkurrenz erzwingt geradezu Investitionen, um die eigene Stadt oder Region attraktiv zu machen, also weitere Investoren, Firmenansiedlungen und Touristen anzuziehen. Gerade in der Krise bescheren solche Großinvestitionen - und der Zufluss öffentlicher Mittel - dem Kapital sichere Aufträge und Profite. Die erlahmende Dynamik des Kapitalismus kann durch Prestige-Projekte punktuell genauso „geschönt“ werden wie das Image der verantwortlichen PolitikerInnen.

Natürlich hat niemand der an den Projekten Beteiligten ein Interesse daran, dass statt eines vorzeigbaren Bauwerkes ein Skandal oder gar eine Investmentruine entstehen. Nicht zuletzt kann nur ein intaktes Opernhaus oder ein benutzbarer Flughafen Geld einspielen oder Arbeitsplätze sichern usw. usf.

Warum gibt es aber trotzdem so viele Pannen? Handelt es sich dabei um ein spezifisches Problem einzelner Länder? Wohl nicht.

Baustoff Filz

Sicher sind die politischen Strukturen etwa in China oder in den arabischen Öl-Staaten anders als hier. In den dort herrschenden Diktaturen wird eher „durchregiert“, auf die öffentliche Meinung oder die politische Opposition muss weniger Rücksicht genommen werden. Unter Bedingungen der bürgerlichen Demokratie gehören zwar Korruption und Klüngelei ebenfalls zum täglichen Geschäft, aber es muss zumindest der Schein gewahrt und ein gewisser Ausgleich zwischen den Interessen  verschiedener Sektoren von Politik und Wirtschaft hergestellt werden.

Letztlich beruht dieser Filz aus politischen Entscheidungen, Gutachtern, Projektträgern, Banken und Investoren darauf, dass es eine transparente, einer strengen unabhängigen Aufsicht unterliegende, Planung und Durchführung nicht gibt. Schon die Projekterstellung wird durch die verschiedenen Klientel-Gruppen beeinflusst, die dafür sorgen, dass sie nicht zu kurz kommen.

Es ist natürlich klar, dass die „Geschäftsgeheimnisse“ privater Firmen im Kapitalismus nicht Gegenstand öffentlicher Kontrolle sind. Hier findet die Demokratie ihre Grenze am Privateigentum. Auch die „unabhängigen“ Gutachter sind oft genug dem einen oder anderen Investor mehr zugeneigt als der Wahrheit.

Beispiel Stuttgart 21

Das Bahnprojekt S21 offenbart recht gut, wie ein solches Vorhaben funktioniert. Der geplante Börsengang der Bahn erfordert durchaus Prestige-Projekte, welche das Image und die Aktien-Kurse verbessern. Um die kommunalen und Landtagsabgeordneten zur Zustimmung zu bewegen, wurden sie bewusst über die Kosten und Risiken getäuscht und unter Zeitdruck gesetzt; die Mandatsträger von CDU und FDP brauchte man ohnehin nicht lange zu bitten, da diese sowieso besonders eng mit der Immobilien- und Baubranche verbunden sind. So erklärt sich auch, dass in einer reichen Stadt wie Stuttgart zwar Kita-Plätze fehlen, aber das Geld trotzdem in ein überflüssiges Bahnhofsprojekt fließt.

Dabei geht es bei S21 nur am Rande um die Verbesserung der Verkehrssituation, sondern darum, Stuttgart zu einem internationalen Bahn- und Luft-Verkehrskreuz in Konkurrenz zu Frankfurt und München (Bahn und Flughafen) auszubauen.

Letztlich zeigte sich in Stuttgart auch überdeutlich, auf wessen Seite die bürgerlichen Parteien und der Staat stehen, als sie mit brutaler Gewalt gegen friedliche DemonstrantInnen der S21-Bewegung vorgingen.

Alternative

Was ist also nötig, um Fehlplanungen, Missmanagement und Korruption zu verhindern oder wenigstens zu minimieren? Es ist eine permanente Kontrolle durch jene nötig, die kein Interesse an „krummen“ Geschäften haben, weil letztlich sie diejenigen sind, die am Ende draufzahlen müssen:  die Lohnabhängigen. Sie müssen von Anfang an direkt die Kontrolle über alles haben, was mit einem Projekt zusammenhängt. Das, was in Stuttgart erst durch die Massenproteste erzwungen wurde - eine öffentliche Diskussion und tw. die Offenlegung relevanter Daten - muss natürlich schon zu Beginn der Projektplanung erfolgen.

Was im „Großen“ für Schlagzeilen sorgt, findet jedoch ganz unspektakulär auch alltäglich im „Kleinen“ statt. Schon die gängige Praxis der Ausschreibung kommunaler Aufträge bedeutet, dass die Unternehmen sich gegenseitig unterbieten müssen, um den Auftrag zu erhalten. Dazu werden Löhne, tarifliche und Arbeitszeitregelungen gedrückt, um einen Kostenvorteil zu haben. So fährt also dann die Installationsfirma Müller aus Schwerin nach Berlin zur Arbeit und die Berliner Firma Meier fährt den umgedrehten Weg für die gleiche Arbeit. Das ist der alltägliche Wahnsinn des Kapitalismus.

Eine effektive Kontrolle kann natürlich - wie S21 in Ansätzen gezeigt hat - nur durch Kampf erreicht werden, die „normale“ bürgerliche Demokratie hat dafür keine oder nur ungenügende Mechanismen. Das ist kein Zufall: denn diese Demokratie besteht gerade darin, dass die wesentlichen Entscheidungen und der Staatsapparat eben nicht kontrollierbar, wählbar, geschweige denn abwählbar sind.

Wer ernsthaft will, dass die unsinnige Vergeudung von Milliarden öffentlicher Gelder (oder deren Umleitung auf die Konten der Reichen) aufhört, der bzw. die muss die Normalität des Kapitalismus in Frage stellen!

Unter dem Druck von Gewinnstreben und Konkurrenz wird es immer so sein, dass die Jagd nach Profit über den Lebensinteressen der Masse der Bevölkerung steht. Solange keine gesamtgesellschaftliche Planung unter der direkten Kontrolle von ProduzentInnen (wohlgemerkt; hier sind die ArbeiterInnen gemeint, nicht „die Firmen“) und KonsumentInnen Investitionen und die gesamte Wirtschaftstätigkeit lenkt, werden die mehr oder weniger bornierten Interessen bestimmter Kapitalgruppen oder politischer Gruppierungen bestimmen. Nicht die Verbesserung der Infrastruktur, der Bildung, des Sozialwesens oder des Verkehrswesens im Sinne der gesamten Gesellschaft sind das Ziel, sondern konkurrierende Einzelinteressen. Nicht die optimale Lösung wird gesucht, sondern die, welche den meisten Profit abwirft und die eigenen Position in der Konkurrenz verbessert.

Widerstand

Es ist kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren Empörung und Widerstand gegen   desaströse Mega-Projekte verstärkt haben. Das erklärt sich allein schon aus der sich verschlechternden Finanzlage der Kommunen und der Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung.

Stuttgart oder Berlin sind nicht die einzigen Städte, wo Milliarden verbrannt und Zehntausende mobilisiert wurden. Deshalb müssen die richtigen Lehren aus den dortigen Protestbewegungen gezogen werden.

Doch gerade die Stuttgarter Erfahrung zeigt auch, was eine große, Monate andauernde Massenbewegung vermochte. Einerseits erzwang sie eine öffentliche Debatte, den „Stress-Test“ und eine Volksabstimmung, ja sie führte sogar zur Abwahl von Schwarz/Gelb. Doch andererseits war sie nicht imstande, das Milliardengrab S21 zu stoppen. Warum?

Dafür gab es drei Hauptgründe:

Die Führung der Bewegung lag in den Händen der Grünen und politisch ähnlichen Gruppierungen. Sie orientierten auf einen Kompromiss (Schlichtung), blockierten die Bildung von verbindlichen und demokratischen Aktionsstrukturen und wandten sich gegen wirksame Aktionen wie z.B. Blockaden oder Besetzungen, v.a. aber gegen eine Ausrichtung auf die Arbeiterbewegung.

Die Bewegung wurde umgekehrt von den Gewerkschaften - auf Betreib ihrer Führungen - nicht oder nur halbherzig unterstützt. So fehlten ihr wichtige politische Unterstützung und wirklicher ökonomischer Druck, den nur Streiks ausüben können. Der politische Streik wäre ein entscheidendes Mittel gewesen, um ein Projekt wie S21 tatsächlich zu Fall zu bringen.

Die S21-Bewegung wurde nicht oder kaum zu einer bundesweiten Bewegung und verband sich nicht mit anderen Bewegungen und Kämpfen. Der Kampf gegen S21 wurde nicht mit zentralen Forderungen der Beschäftigten bei der Bahn, dem Kampf gegen Privatisierung und für einen kostenlosen Nahverkehr - alles zentrale Fragen für die große Masse der Lohnabhängigen -  verbunden. Die Hauptverantwortung für dieses Dilemma tragen auch hier die reformistischen Gewerkschaftsapparate und die Linkspartei.

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Nr. 176, Februar 2013
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