Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Bundeswehreinsatz im Inneren

Für den Ernstfall

Rex Rotmann, Neue Internationale 172, September 2012

In einer bürgerlichen Demokratie sollen eigentlich die gewählten „Volksvertreter“, also das Parlament, entscheiden. Wenn es aber um politisch besonders heikle Probleme geht, dann ist das Bundesverfassungsgericht (BVG) nach seinem weisen Urteil gefragt. An sich ist schon das undemokratisch, da das Bundesverfassungsgericht kein demokratisch gewähltes Gremium ist. Es mag zwar überparteilich urteilen, aber natürlich urteilt es nie entgegen den grundsätzlichen Interessen des Kapitals und seines Staates.

In den vergangenen Jahren segnete das BVG z.B. Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland, u.a.  im Kosovo und in Afghanistan, ab - obwohl das klar gegen „Buchstaben und Geist“ des Grundgesetzes verstößt. Natürlich war für diese Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr im Interesse der deutschen Bourgeoisie nicht das BVG-Urteil entscheidend. Doch das BVG gab diesen Entscheidungen eine Art juristische und  moralische Legitimierung.

Nun hat sich das BVG erneut als zuverlässige Institution im Dienste des deutschen Imperialismus erwiesen, indem es die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Inland befürwortet  hat. Nahezu alle Kommentatoren betonen völlig zu Recht, dass diese Auslegung des Grundgesetzes mit dessen Inhalt nichts gemein hat und einen klaren Bruch damit darstellt. Um diesen offensichtlichen Skandal des Verfassungsbruchs durch die Verfassungsrichter zu entschärfen, enthält ihr Urteil einige „Einschränkungen“. So sei ein Einsatz nur in „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ erlaubt. Auch bedarf ein Einsatz immer der Zustimmung des Parlaments. Doch diese, durchaus schwammigen, Kriterien können natürlich immer so ausgelegt werden, wie es den Herrschenden zum Erhalt ihrer Ordnung und zur Niederhaltung von Opposition und Widerstand nötig erscheint.

Sollten Massenstreiks, Besetzungen oder gar eine Revolution und ein Bürgerkrieg das Land erschüttern, so braucht man wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass all das für Staat und Kapital durchaus als „katastrophisch“ empfunden würde.

Die Geschichte ist gerade in Deutschland reich an Beispielen, dass keine Verfassung, keine Verfassungsschützer oder demokratischen Parteien bereit oder in der Lage waren, auch nur einen einzigen imperialistischen Raubkrieg oder den Faschismus zu verhindern. Demokratische Errungenschaften wurden fast immer in Revolutionen oder großen Klassenkämpfen des Proletariats erkämpft oder verteidigt. Auch heute kann die Demokratie und die „Einhaltung“ des an sich natürlich reaktionären, bürgerlichen Grundgesetzes - freilich nur in dem Sinn, dass Verschlechterungen und reaktionäre Auslegungen verhindert werden - nicht von Gerichten oder dem bürgerlichen Parlament gesichert werden, sondern nur von der Arbeiterklasse. Inwieweit der Staat dafür geeignet ist, konnten wir am Versagen des Verfassungsschutzes im Fall der NSU beobachten.

Warum jetzt?

Da der Klassenkampf in Deutschland derzeit keine besonders hohen Wellen schlägt, verwundert es auf den ersten Blick, dass das BVG sich zu einer solch heiklen Frage geäußert und geurteilt hat - zudem sein jetziges Urteil eine anderslautende Entscheidung des BVG von 2006 kippt.

Als Grund oder Anlass für das Urteil dient natürlich - Wen wundert es? - die Gefahr des Terrorismus. Zwar hat der Staat gerade das, was er als Gefahrenvorbeugung wirklich tun könnte,  z.B. einen effektiven Schutz von Atomkraftwerken gegen Luftanschläge sicherzustellen, nicht getan, doch der Popanz des Terrorismus hat sich noch allemal als geeignet erwiesen, um Demokratie auszuhebeln und die Möglichkeiten für Repression auszuweiten.

Wenn kein direkt innenpolitischer Grund vorliegt, so gibt es doch gewichtige „äußere“ Gründe für den Staat, sich gegen mögliche Gefahren zu wappnen. Die latente Krise der Weltwirtschaft und besonders der EU/Euro-Zone wird früher oder später auch Deutschland, dessen Bourgeoisie bisher gut davon profitiert hat, in den Abwärtsstrudel reißen. Die Massenproteste und Kampfaktionen der Massen etwa in Griechenland oder Spanien sind ein Szenario, das sich demnächst auch im „ruhigen“ Deutschland abspielen könnte. Dann würde sich eventuell erweisen, dass das Parlament, dass die Spitzen von SPD und DGB oder die Polizei allein nicht mehr Herr der (Klassenkampf)Lage sind und die Bundeswehr als Joker ins Spiel eingreifen muss.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir daran erinnern, dass auch die Notstandsgesetze jederzeit wieder in Kraft gesetzt werden können, falls sich zu viel Opposition und Widerstand regt. Wie so oft zeigt die Sache jedenfalls, dass die Bourgeoisie und ihr Staat sich möglicher Gefahren für ihre Herrschaft bewusster sind als die reformistischen Führungen der Arbeiterorganisationen.

Schlussfolgerungen

Was muss aus dem BVG-Urteil für die politische Praxis der Linken und der Arbeiterbewegung folgen? Erstens die Einsicht, dass der Klassengegner in Zukunft offenbar mit Feuer unterm Dach seiner Herrschaftshäuser rechnet. So sollten auch wir uns auf eine solche Situation größerer Klassenkonflikte - bis hin zu (vor)revolutionären Situationen - vorbereiten. Zweitens müssen wir  uns aktiv gegen jede Einschränkung bürgerlich demokratischer Rechte und gegen jeden Versuch, autoritär-repressive Maßnahmen auszuweiten, zur Wehr setzen. Drittens gilt es allen Formen des Militarismus und imperialistischer Außenpolitik - von der „Umstrukturierung der Bundeswehr bis zu allen Auslandseinsätzen - sowie ihre ideologischer Rechtfertigung entschieden entgegenzutreten.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 172, September 2012
*  Ratschlag der Gewerkschaftslinken: Kampflos weiter zahlen für die Krise?
*  Heile Welt
*  Verdi-Aufruf: Welche Perspektive?
*  Sozialer Protest: Aktionstag UmFAIRteilen
*  Öffentlicher Dienst in Berlin: Stopp den Stellenstreichungen
*  Linkspartei: Neuer Vorstand - alte Politik
*  Bundeswehreinsatz im Inneren: Für den Ernstfall
*  Wirtschaftliche Entwicklung in Europa: Rezession, Krise, Arbeitslosigkeit
*  Klassenkampf: Wie europaweiten Widerstand organisieren?
*  Perspektive: Wer kann Europa vereinen?
*  Syrien: Revolution in einem entscheidenden Stadium
*  Südafrika: Massaker an Streikenden
*  Russland: Pussy Riot fucks Putin