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Widerstand

Wohin geht Occupy?

Tobi Hansen, Neue Internationale 165, Dezember 2011/Januar 2012

In unserer letzten Ausgabe der Neuen Internationale (Gegen die Macht der Banken!) analysierten wir die „Occupy“ Bewegung als internationale Anti-Krisen- Bewegung, welche die Möglichkeit in sich trägt, tatsächlichen Massenwiderstand international zu koordinieren und zu mobilisieren. Derzeit entwickelt sich diese Bewegung höchst vielfältig und unterschiedlich - von Aufrufen in den USA für einen Generalstreik, bis hin zu Neuauflagen libertärer unpolitischer Zirkel und der Gefahr, von rechten Populisten und Kleinbürgern vereinnahmt zu werden.

Der Fortgang der Krise

An den Rahmenbedingungen des Protestes hat sich nichts geändert. In der EU wird weiterhin ein Billionen schwerer Schutzschirm zusammen gebastelt. Auf Befehl der EU-Bürokratie und des dahinter stehenden deutschen Imperialismus wurden die Regierungen in Griechenland und in Italien  abgesetzt, in Griechenland drohte sogar eine Volksabstimmung, in Italien zerbrach die rechte Regierung aufgrund der Spardiktate.

Trotz der Zuspitzung der EU Schulden/Finanzkrise zeigte sich die EU Bürokratie handlungsfähig, die Einsetzung von technokratischen „Expertenregierungen“ war einmalig und zeigt die weitere Perspektive der politischen Entwicklung der EU.

Die parlamentarische Demokratie steckt in einer tiefen Legitimationskrise, zu offensichtlich wird die Machtfrage derzeit täglich beantwortet.

Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass vor allem die Illusion in eine „echte Demokratie“  Konjunktur hat. Hier droht die Gefahr, dass die „Demokratie“ unabhängig von der Wirtschaftskrise als echte Demokratie angesehen wird und nur durch die Krise ein „Ungleichgewicht“ entstanden sei.

In Wirklichkeit zeigen sich in der Krise die Widersprüche der kapitalistischen Demokratie, ihr Herrschaftscharakter besonders deutlich. Demokratie kann sich der Kapitalismus nur dann leisten, wenn davon nicht die Profitinteressen angetastet werden. Sobald es darum geht, werden Volksabstimmungen oder selbst gewählte Regierungen zum Hindernis, dann können Regierungen auch „willkürlich“ umbesetzt werden.

Deswegen müssen die demokratischen Forderungen dieser Bewegung stets mit der Frage der Klassenverhältnisse und der Klassenherrschaft in Verbindung gebracht werden, dann ergibt sich die Fragestellung, wie denn „echte“ Demokratie für die Mehrheit hergestellt werden kann.

Die Speerspitze der Occupy-Bewegung

In den USA gibt es eine Massenbewegung, die sich stärker mit der Repression des Staates auseinandersetzen musste und gleichzeitig eine tiefere politische Entwicklung durchgemacht hat. In den europäischen Staaten gibt sehr unterschiedliche Erfahrungen und Entwicklungen seit dem 15.10. Während in Paris und London größere Occupy-Zusammenhänge entstanden sind, können wir in Südeuropa nicht von einer „eigenen“ Occupy Bewegung sprechen - in Spanien ist es die Bewegung „Democracia now!“, in Griechenland wird der Protest eben nicht von Platzbesetzungen, sondern von Generalstreiks der Gewerkschaften bestimmt.

In der BRD haben wir es mit kleineren Occupy Gruppen (Berlin, Frankfurt, Hamburg) und einer gleichzeitigen Mobilisierung der verbliebenen Anti-Krisen-Bündnisse sowie von attac und Campact zu tun.

In den USA besteht weiter die Möglichkeit, dass eine größere, national ausgedehnte antikapitalistische Bewegung entsteht. Die Entwicklungen in Oakland, Chicago, New York oder Boston sprechen dafür. In diesen Occupy-Versammlungen hat sich einiges verändert. Die anfängliche Ablehnung politischer Gruppen und Gewerkschaften ist einer offenen Zusammenarbeit gewichen, Forderungen dieser Gruppen werden diskutiert und von den Versammlungen auch übernommen. Forciert wird diese Entwicklung auch deswegen, weil in den USA Occupy tatsächlich eine Bedrohung für das Establishment darstellt. Die Angriffe der Polizei, die martialischen Räumungen in Oakland oder New York stellte die AktivistInnen vor neue Herausforderungen. Diese brauchten als erstes die Solidarität der organisierten Arbeiterbewegung und diese praktizierte Solidarität ebnete den Weg für die weitere Zusammenarbeit. Ebenfalls gilt bei Occupy Chicago z.B.  derzeit eine 90/10 Abstimmungsverhalten - also wenn 90% dafür sind, ist es eine Forderung von allen - das Vetorecht und der verpflichtende Konsens als undemokratische Vorgehensweisen wurden abgeschafft.

Diese Gruppen haben sehr viel Aktivität an den Tag gelegt, derzeit stellen sie eine Art „Auffangbecken“ für den sozialen Protest und Widerstand in den USA dar. Occupy New York (Wall Street) hat inzwischen so viele Untergruppen und Themengruppen gebildet, dass man den Eindruck von einer besetzten Uni 2009 haben könnte, nur mit der Ausnahme, dass wir bei Occupy New York kaum irrelevante Themengruppen finden.

Hier verbinden sich KritikerInnen der 1%, die gegen die Macht der Banken demonstrieren wollen, mit gewerkschaftlichen und studentischen Protesten gegen die Sparpakete in den Bundesstaaten. Genau diese Mixtur macht es für das Establishment auch gefährlich - in allen Bundesstaaten werden derzeit Sparpakete durchgepeitscht, welche auf Bundesebene gerade gescheitert sind - sozialer Sprengstoff ist genügend vorhanden.

Auch wenn Teile der Demokraten sich anfangs wohlwollend und verständnisvoll gegenüber den AktivistInnen verhielten, überwiegt jetzt doch der Wille, diese Bewegung möglichst durch die Polizei zu beenden. Bei der Räumung in Los Angeles verwies eine zuständige Demokratin darauf, dass es ja „gar nicht erlaubt sei, draußen zu schlafen“ und „irgendwann müsse auch mal Schluß sein“. Genau dieses Demokratieverständnis verbietet auch den Armen zu stehlen und den Bettlern zu betteln - warum also sollten Leute dann draußen schlafen dürfen?

Zum einen gibt es also die Perspektive eines gemeinsamen sozialen Widerstands in den USA, von den Gewerkschaften bis zu den 99%-AktivistInnen, die ihren Kampf und ihre Forderungen gegen die Sparpakete erheben.

Zum anderen hat diese Bewegung aber auch mit einigen Mythen und „hausgemachten“ politischen Problemen zu tun.

Mythen

Innerhalb der verschiedenen Occupy-Gruppen gelten die arabischen Aufstände und Revolutionen als Vorbild, die Platzbesetzungen des Tahir-Platzes von Kairo gelten als Sinnbild für den gemeinsamen Widerstand. Als Mythos wird der „gewaltfreie“ Widerstand dieser Bewegungen und deren Erfolg gesetzt - ein irreführender und gefährlicher Mythos.

Gerade die arabischen Aufstände, die erfolgreichen Revolten in Tunesien, Ägypten, Jemen und Libyen sind eben kein Beispiel für gewaltfreien Widerstand! Die Platzbesetzungen von Kairo oder die Parlamentsbelagerungen von Tunis waren eben nicht pazifistisch organisiert, sondern dort wurde schnell die Frage von Selbstverteidigung und Organisierung gestellt - und beantwortet.

Die Bilder von toten DemonstrantInnen und Straßenblockaden am Tahir-Platz sind auch derzeit wieder aktuell - dieser Aufstand war niemals gewaltfrei, sondern stets auch vom Willen geprägt, sich selbst zu verteidigen!

Ebenso waren auch die Besetzungen nicht ausschlaggebend für das Ende der Diktaturen, sondern  nur ein Teil der gesamten Bewegung. In Ägypten und Tunesien waren es Generalstreiks, die die Industrieproduktion der Staaten lahm legten, speziell in Ägypten entfachte dies einen ökonomischen Druck auf die alte Elite.

Ebenfalls nötig ist eine Zuspitzung, wenn die Kapitalismuskritik verkürzt ist bzw. in abstruse Verschwörungstheorien abgleitet und dadurch angreifbar und v.a. weniger attraktiv für die Massen wird. Es sind eben nicht die Banken oder deren Manager, die diese Krise verursacht haben, sie sind nur Ausdruck der inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Aneignung des Profits durch die Mehrarbeit in der Produktion ist der Schlüssel zu der aktuellen Krise, die immer schlechter werdenden Profitraten in der Produktion zwingen das Kapital zu spekulativen Anlagen, um die Profitrate zu halten oder zu erhöhen.

Kleinbürgerliche Tendenzen

Daher sind auch kleinbürgerliche Forderungen und „Lösungen“ in dieser Bewegung eine Gefahr für deren weitere Entwicklung. Wenn attac „Banken in die Schranken“ und die Zerschlagung des Finanzmarktes fordert, dann wirkt da die Illusion einer gerechten Marktwirtschaft - dann ist es eine verkürzte Kritik der Krise, die eben nicht die Ursachen, sondern nur die Ausprägungen der Krise an den Pranger stellt. Kleinbürgerliche Kritik ist auch von rechter Seite schnell parat, seien es die „Wahren Finnen“ o.a. national-kapitalistische Gruppierungen, die auch gegen den Euro und den Finanzmarkt hetzen. So waren in der BRD auch Pro DM-Gruppen oder neoliberale Versatzstücke wie die „Partei der Vernunft“ bei Demos anwesend, wie auch verschiedenste andere kleinbürgerliche Währungskritiker, die Illusion in „Regionalblüten“ u.a. Währungen setzen, nur um der aktuellen Konkurrenz zu entkommen.

Der „Guy Fawkes“-Mythos, welcher anfangs besonders medial in den Vordergrund gestellt wurde, bestimmt höchstens am Rande die politische Szenerie - die einfachen Schritte zur Weltrevolution werden zumindest wenig propagiert. Ein anderer Teil des Mythos ist teilweise präsent, der der Individuen, die viel erreichen könnten, ohne mit Organisationen zusammen zu arbeiten. Diese Strömung wird automatisch dann auf die Probe gestellt, wenn eben die Individuen nicht reichen und Unterstützung und Solidarität nötig ist, wenn gemeinsam gekämpft werden soll. Nur wenn solche Zirkel anschlussfähig werden, können sie für ihre Ideen kämpfen; wenn nicht, werden ihre Ideen und Wünsche von niemandem gehört - das ist leider die politische Wahrheit, dass individuelle Wahrheiten allein nichts bewegen und verändern können, dazu braucht es die politische Masse die für etwas eintritt.

Kampf um Ausrichtung

Verschiedene politische Strömungen kursieren derzeit in dieser Bewegung mit verschiedenen Klassenstandpunkten und Forderungen, dies ist normal für neue Bewegungen. Daher ist eine politisch Debatte um die weitere Ausrichtung unbedingt notwendig.

Die Occupy-AktivistInnen, die Indignados (Die Empörten) in Spanien oder die Anti-Krisen-Bewegung in der BRD dürfen sich nicht zum Spielball kleinbürgerlicher oder reformistischer Strömungen werden. Und es gibt ermutigende Zeichen dafür, dass die Bewegung an politische Reife und Schlagkraft gewinnt.

Die Indignados planen jetzt einen Generalstreik gegen die neue konservative Regierung. Dies zeigt den richtigen Weg: von Besetzungen und Demos hin zum Generalstreik und dem Aufbau von Rätestrukturen - so können wir eine internationale Bewegung gegen die Krise aufbauen.

Dazu wird in den nächsten Monaten entscheidend sein, dass es gemeinsame nationale und internationale Konferenzen gibt, wo diskutiert wird, wie wir gemeinsam den Widerstand gegen die Krise organisieren können. Wie können wir den arabischen Völkern in ihrem Kampf gegen die Despoten helfen und wie kämpfen wir in Griechenland und Italien gegen die eingesetzten Technokratenregime - das sind unsere nächsten Aufgaben, daran wird diese Bewegung auch gemessen werden.

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Nr. 165, Dez. 2011/Jan. 2012
*  Italien und die Eurozone am Abgrund
*  Widerstand: Wohin geht Occupy?
*  CDU-Mindestlohndebatte: Mogelpackung
*  Bildungsstreikbewegung: Bildung in der Krise
*  DIE LINKE: Frauenbefreiung light
*  S21 nach der Volksabstimmung: Die Bewegung braucht eine neu Strategie
*  Berlin S-Bahn-Krise: Das nächste Desaster
*  Öl-Unfall in Brasilien: Tiefes Leck, hohe Profite
*  Syrien: Imperialistische Konkurrenz und revolutionäre Perspektive
*  Pakistan: Repression gegen ArbeiterInnen
*  Kriegsdrohungen: Hände weg vom Iran!
*  Rechter Terror, Staat und Gegenwehr