Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

G 20-GiPFEL in Cannes

Im Schatten der Krise

Tobi Hansen, Neue Internationale 164, November 2011

Unter französischem Vorsitz beginnen die Vorbereitungen für den G20-Gipfel Anfang November in Cannes. Er ist geprägt von der europäischen Schuldenkrise und einer nahenden globalen Rezession.

Seit mehreren Monaten spitzt sich die Schuldenkrise der EU zu, aber auch jene der USA und Japans. In den USA erfolgte die Erhöhung der Schuldenobergrenze im letzten Moment - die Regierung kann 2,6 Billionen Dollar neue Schulden machen. Trotz dieser Erhöhung folgte eine Abstrafung der Ratingagenturen, die Kreditwürdigkeit der USA wurde auf AA+ gesenkt und die internationalen Börsen verloren Anfang August ca. 25%.

Zeitgleich verschärfte sich die Schuldenkrise der EU-Staaten. Die vom Finanzmarkt als „PIIGS“-Staaten bezeichneten Länder Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien wurden weiter abgewertet, gleichzeitig herrscht in allen diesen Staaten Rezession bzw. Stagnation. Die Frage nach der ökonomischen und politischen Zukunft der EU und des Euro stellt sich mit aller Schärfe.

Diese Entwicklung auf den Finanzmärkten verläuft synchron mit sinkenden industriellen Indikatoren. Nur wenige Nationalökonomien sind Gewinner der Krise, die meisten haben das Vor-Krisen-Niveau noch nicht erreicht. Krisengewinner China ist derzeit gezwungen, das Wachstum zu drosseln, überhitzende Immobilienmärkte und eine stark steigende Inflation sollen reguliert werden. Aktuell ist Südamerika die Boom-Region, viele hunderte Milliarden Kapital strömen nach Brasilien (Fußball WM 2014, Olympia 2016), Argentinien und Chile - dort gibt es aktuell die höchsten Renditen.

Von fast allen Instituten und Organisationen wird zumindest eine „Abkühlung“ der globalen Konjunktur erwartet. Zoellick von der Weltbank sprach offen von einer Rezession 2012. Zugespitzt wird die Schuldenkrise in der EU, da bei diesem Staatenbund auch grundsätzliche politische und ökonomische Entscheidungen anstehen. Seit den Krediten für Griechenland, Portugal und Irland durch die EU forderten der Finanzmarkt und immer wieder die USA ganz direkt, umfassende Lösungen für den Euro-Raum.

Der Markt für Staatsanleihen steht heute im Mittelpunkt der Spekulationen, gerade die imperialistischen Zentren sind davon betroffen. Dies sind die Rahmenbedingungen, unter denen der Gipfel stattfindet.

Die EU-Krise

Durch die Verabschiedung des Europäischen Finanzaufsichtssytems ESFS (European System of Financial Supervision) und des „Euro-Rettungsschirms“ ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), inklusive der „Hebelung“, also der Möglichkeit, die Finanzmittel zu erhöhen, hat sich der Euroraum erst mal Zeit gekauft. Der gleichzeitige Schuldenschnitt entschärft die Pleite von Griechenland, von anderen Risiko-Staaten wie Italien werden weitere Einsparungen verlangt. Seit dem Ausbruch der Krise 2008 ist die EU nicht in der Lage, die USA auf globaler Ebene herauszufordern, stattdessen steckt sie tief in eigenen Widersprüchen.

In den letzten Monaten sahen wir, wie wichtig die Ablehnung der EU-Verfassung durch Frankreich und die Niederlande in den jeweiligen Volksabstimmungen 2005 war. Dadurch blieb das „Konsensprinzip“ im Ministerrat die höchste Instanz, die Einführung des „Mehrheitsprinzips“ (nach Einwohnern) war gescheitert; ein wichtiger Schritt in der politischen Transformation der EU blieb unvollendet.

Letztlich muss die EU von der stärksten imperialistischen Macht bestimmt werden oder sie zerfällt in konkurrierende Lager. Diese mögliche Zuspitzung, inklusive einer Spaltung ist auch trotz der letzten Entscheidungen nicht vom Tisch.

In der Krise hat die BRD als der ökonomische Hegemon der EU ihre Stellung behauptet und ausgebaut. Speziell gegenüber dem Euro-Konkurrenten Frankreich wurde der Abstand vergrößert, wie auch andererseits die Abhängigkeit des deutschen Kapitals von der EU - in dieser Situation muss die BRD-Regierung auch politisch führen. Dies muss Merkel dann aber gegen andere, formal gleichberechtigte Regierungschefs machen - manchmal auch gegen Parlamente und Regierungen, wie die wiederholte Abstimmung in der Slowakei zeigte. Daher ist die EU in der globalen imperialistischen Konkurrenz meistens der langsamste Akteur, hier müssen alle zustimmen, alle nationalen Kapitalinteressen vorerst geschlagen werden - erst dann kann die EU als „Suprastaat“ auf Augenhöhe mit USA und China agieren, vorher nicht.

Allerdings gibt es innerhalb der EU auch Fortschritte zugunsten Deutschlands. Die Quasi-Kolonialisierung Griechenlands durch Kapitaltechnokraten, von denen zwei auch aus Deutschland kommen, ist sicher wegweisend für die weitere Entwicklung der EU. Obwohl die deutsche Regierung nach außen eher einen tölpelhaften Eindruck hinterließ (z.B. Rösler), konnte sie nach innen einige entscheidende Punkte durchsetzen.

Schäuble agiert quasi schon wie ein EU-Finanzminister und die Ziele Deutschlands werden größtenteils umgesetzt. Die EZB wird nicht zu „Quantitative Easying“-Verfahren greifen wie die US-Zentralbank FED, wodurch die Zentralbank quasi die US-Staatsanleihen einkaufte, der Staat „entschuldet“ wird und frisches Geld hat. Diese Idee stand bei Sarkozy hoch im Kurs, er hoffte aus solchen Verfahren die französischen Banken vor einer griechischen Pleite zu bewahren, schließlich besitzen sie noch griechische Anleihen für knapp 10 Mrd. Euro.

Gleichzeitig wird festgeschrieben, dass die deutschen Sozialkürzungen der letzten 10 Jahre auch in anderen Ländern umgesetzt werden, wie die sog. Schuldenbremse. Somit hat das deutsche Kapital jetzt die Zügel in der Hand, was v.a. daran liegt dass es keine realen Herausforderer gibt. Nach den Verhandlungen von Merkel und Sarkozy musste dieser am Ende die Politik Merkels übernehmen. Nur durch die Unterordnung Frankreichs kann die EU funktionieren, nur durch die EU bleibt Frankreich eine imperialistische Macht - so „tragisch“ kann eine imperialistische Krise für manche Länder sein.

So wird dieser G20-Gipfel nicht die dringenden globalen Fragen bearbeiten. Er wird sich einen Dreck scheren um Klima, Ernährung, Umwelt und Gesundheit. Er wird nur ein Geschacher um Profite, Investitionen und neue Bündnisse. Die EU wird die „Schwellenländer“ drängen, doch in Euro-Anleihen zu investieren, wird um die Devisenreserven von China buhlen, um die Aufträge aus Lateinamerika. Gleichzeitig soll gemeinsam mit den USA genügend Druck aufgebaut werden, um  aufstrebende kapitalistische Mächte wie China, Indien, Brasilien für ihre Waren zu öffnen und ihre Investitionen in Staatsanleihen aus USA und EU zu erhöhen.

Die G20 oder G8-Gipfel sind die Verhandlungsrunden der imperialistischen Konkurrenz, hier kommen die realen ökonomischen Kräfteverhältnisse zum Zug. Es gibt eine Zuspitzung zwischen den aufstrebenden Mächten mit China an der Spitze und den alten imperialistischen Mächten mit den USA an der Spitze - mit allen denkbaren Variationen. Klar ist bei allen Beschlüssen, die dort gefällt werden: sie richten sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der Jugend, sie werden keine Krise beenden oder Probleme lösen - sie sind das Problem!

Wir unterstützen daher die Proteste in Frankreich gegen den Gipfel, wie auch die Großdemo in Freiburg am 5.11.

Gegen die Diktatur des Kapitals und ihrer politischen Marionetten brauchen wir eine internationale Organisation, die unsere Kräfte vereint - eine neue, Fünfte Internationale!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 164, November 2011
*  Occupy-Bewegung: Gegen die Macht der Banken!
*  Wie kann unsere Bewegung siegen?
*  Interview: Leiharbeit verbieten!
*  Solidarität: Rücknahme der Kündigung von Mehmet Sahin!
*  Stuttgart 21: Kämpfen statt (aus)verkaufen
*  Alpenland/CMF-Streiks: Wo bleibt ver.di?
*  Heile Welt
*  Berlin: Arm, aber "sicher"
*  Griechenland: Die Revolution und ihre Perspektiven
*  G20-Gipfel in Cannes: Im Schatten der Krise
*  Pakistan: Arbeiterinnen kämpfen um ihre Rechte
*  Brasilien: Gewerkschaftskämpfe weiten sich aus
*  Konflikt bei SMA: Kein New Deal für ZeitarbeiterInnen
*  Gorleben: Castor stoppen - Kapital schottern!