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Angriffe in Europa

Kämpfen wie in Frankreich!

Martin Suchanek, Neue Internationale 154, November 2010

Die französische Arbeiterklasse ist in den letzten Monaten als zentraler politischer Faktor auf die politische Bühne Europas, ja der Welt zurückgekehrt.

Sieben landesweite Aktionstage und unbefristete Streiks in zentralen Wirtschaftssektoren haben das Land paralysiert. Der Hass auf die Regierung Sarkozy und ihre „Reformen“ ist ebenso groß wie die Unterstützung der Aktionen durch die Bevölkerung.

Anders als es deutsche Bürokratengehirne aus den DGB-Vorständen wahrhaben wollen, zeigen die Streiks in Frankreich, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse, dass sich „Stimmungen“ durch die Aktion der Arbeiterklasse formen und verändern lassen, dass die Lohnabhängigen zur führenden Kraft der Gesellschaft werden können.

Sie zeigen, dass nicht vorher „der Erfolg geplant“, geschweige denn garantiert sein kann.

Rolle der Bürokratie

Wenn die französischen ArbeiterInnen so an Auseinandersetzungen herangegangen wären, wie dies deutsche Gewerkschaftsführer tun - also möglichst nur dort zu „mobilisieren“, wo der „Erfolg“, also der Organisationsgrad und eine gewisse Mindestgröße sicher sind -, hätten die Streikenden in Frankreich mit ihrem Kampf erst gar nicht beginnen dürfen.

Frankreich zeigt, dass die kapitalistische Gesellschaft in eine langfristige, strukturelle Krisenperiode eingetreten ist, die den „partnerschaftlichen“ Spielraum zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Staat, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften massiv einschränkt.

Schließlich wollten und wollen auch französische Gewerkschaftsbürokraten lieber über einen „Rentenkompromiss“ und eine „vernünftige Lösung“ verhandeln als zu kämpfen. Allein, angesichts verschärfter globaler Konkurrenz, massiver Staatsverschuldung und einer verschlechterten Konkurrenzfähigkeit des französischen Kapitals gibt es für die herrschende Klasse Frankreichs (wie in den meisten europäischen Staaten) nichts mehr zu verteilen, erweist sich der Spielraum für einen Kompromiss mit den Reformisten als zu klein. Daher ist Sarkozy so unnachgiebig, daher kommen zu den Raffinieren Bullen und keine Schlichter. Daher steht vor den Schulen und Unis die paramilitärisch gerüstete Bundespolizei CRS, und kein Vertrauenslehrer, der Jugendliche von der Straße ins marode Klassenzimmer treibt.

Wenn hierzulande die Verhältnisse anders sind, so hat das mehrere Ursachen: Erstens hat das deutsche Monopolkapital in der Krise seine Konkurrenzfähigkeit gesteigert, daher der „Aufschwung“ der Exporte. Mit dem Euro kann Deutschland anderen europäischen Staaten seine Bedingungen im Wettbewerb der Kapitale und Standorte diktieren und kann es als gut verdienender Gläubiger verstärkt tun.

Auf der Basis der Stärke der deutschen Monopole funktioniert auch die Partnerschaft mit den Gewerkschaften und Konzernbetriebsräten, genauer deren Spitzen und Apparaten. Es ist eine bittere Wahrheit, dass die deutschen Gewerkschaften mit Partnerschaft und Verzicht einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg des Standorts geleistet haben - und weiter leisten wollen. Deutsche Gewerkschaftsführer schreiben keine mehr oder weniger hoffnungsfrohen Büchlein über reformistische Patentrezepte - das überlassen sie linken SPDlern, attac und Linkspartei. Sie schreiben vielmehr Handbücher für die Herrschenden, wie „Deutschland“ voran kommen kann.

Ihr gesamtes „Gedeih“ beruht somit aber auf der Konjunktur „ihres“ Kapitals. Doch auch der klügste Schlachtplan im Wirtschaftswettbewerb, von Huber o.a. Gewerkschaftsgranden ersonnen, vermag die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht aus der Welt zu schaffen. Als Sozialpartner und Standort-Nationalisten sind sie unschlagbar. Als Vertreter der Lohnabhängigen sind sie Verräter. Doch selbst als „reine“ Gewerkschafter sind sie die schlechteren Gewerkschafter.

Die Bilanz ihre Politik und Strategie lässt sich eben nicht nur am vergleichsweise geringeren Personalabbau in der Großindustrie ablesen. Ohne ihre Partnerschaft mit dem Kapital wäre das vergleichsweise widerstandlose Anwachsen von Millionen prekären und Unterbeschäftigen, in Mini-, Midi- und anderen Shity-Jobs unmöglich gewesen. Die Bilanz ihre Politik heißt Hartz IV, heißt Streichung von Kindergeld, Chip-Kartensystem und Entmündigung für die Ärmsten.

Der Gipfel der reaktionären Logik der Gewerkschaftsvertreter samt ihrem „intellektuellen“ Unterbau liegt aber darin, wenn sie darauf verweisen, dass „ihr Verhandlungsweg“, dass die vernünftige Partnerschaft doch mehr materielle Resultate brächte.

Dies ist die Logik des domestizierten Haussklaven, der dem Galeerensträfling erklärt, dass es sich doch viel besser rudern ließe, wenn er nicht ständig mit den Knöcheln an den Ketten scheuern würde.

Die Logik der Gewerkschaftsbürokraten ist nicht nur entwürdigend, v.a. ist sie falsch. Selbst alle großen gewerkschaftlichen, geschweige denn politischen Errungenschaften wurden gegen die herrschende Klasse erkämpft oder als Resultat noch größerer, drohender Klassenkämpfe zugestanden.

Der Ausgang des Kampfes um die Rentenreform in Frankreich ist ungewiss, er steht zur Zeit an einem Wendepunkt. Klar ist aber, dass wir jetzt schon von der nächsten „Reform“ des Kabinetts sprechen würden, hätte die französische Arbeiterklasse, hätte die Jugend den Kampf erst gar nicht aufgenommen.

Sicher sind die französischen Bürokraten, Sozialdemokraten und Linksparteiler nicht viel anders als die deutschen. Akuter ist sicherlich die prekäre Lage des französischen Kapitals. Aber in Frankreich hat sich auch eine große Schicht militanter ArbeiterInnen und Jugendlicher herausgebildet, die eine enorme Rolle in den Kämpfen, v.a. bei deren Ausweitung spielt.

Das ist anders als in Deutschland, wo es diese Schicht in viel geringerem Maße gibt, diese zersplitterter ist und weniger Erfahrung hat, selbstständig Kämpfe zu führen oder gegen die Bürokratie durchzusetzen.

Revolutionäre Organisation

Aber ein Grundproblem ist gleich. Jenes der Führung in den Gewerkschaften, in den Betrieben, auf politischer Ebene. Das Problem der Führung der Arbeiterklasse ist nicht deshalb so wesentlich, weil es keine anderen Hindernisse gäbe - allen voran die herrschenden Ideen und Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft, die in einem System der Warenproduktion immer wieder hervorgebracht werden.

Es ist so wesentlich, weil es nicht nur im die Bekämpfung rückständiger Ideen der Klasse, mangelnder Bewusstheit usw. geht. Es geht auch darum, die großen, institutionellen, zu einem Apparat, zu einem sozialen Organismus gewordenen konservativen Hindernisse in der Arbeiterklasse zu bekämpfen, die heute die Führung der Klasse stellen: die reformistische Arbeiterbürokratie.

Kämpfe wie in Frankreich erschüttern deren Rolle, deren Dominanz - aber sie zerstören sie nicht von selbst. Dazu ist die politisch bewusste Organisierung der kämpferischsten ArbeiterInnen, der Jugendlichen auf Grundlage eines revolutionären Programms notwendig, die Schaffung einer oppositionellen, klassenkämpferischen Bewegung in den Gewerkschaften, die Schaffung einer neuen revolutionären Arbeiterpartei und Internationale!

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Nr. 154, Nov. 2010
*  Angriffe in Europa: Kämpfen wie in Frankreich!
*  Heile Welt
*  Massenbewegung am Scheideweg: Verhandeln oder Besetzen?
*  Stuttgart 21: Wie kann die Bewegung siegen?
*  Stuttgart 21: Bullen knüppeln, Regierung lügt
*  Gewerkschaftliche Aktionswochen: Kühler Herbst
*  Behr Werk 8: Der Kampf geht weiter
*  Aktionstag Esslingen: Weg mit der Agenda!
*  Autoindustrie: Kapitalistische Wunder?
*  Die Grünen: Bald stärkste Opposition?
*  Integrationsdebatte: Christdemokratische Hassprediger
*  Frankreich: Bewegung am Scheideweg
*  Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Zwischen Boom und Massenelend
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*  Pakistan: Widerstand gegen Privatisierung
*  Anti-Atom-Bewegung: Castor blockieren, Regierung atomisieren!