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Bericht

Zur politischen Lage im Libanon

Interview mit einem libanesischen Genossen, Neue Internationale 126, Januar/Februar 2008

Im Juli 2006 griff die israelische Armee den Libanon an. Der barbarische Angriffskrieg Israels gegen das palästinensische und libanesische Volk war eines der einschneidenden Klassenkampfereignisse jenes Jahres.

Die  Folgen waren verheerend. Tausende tote ZivilistInnen, 800.000 Flüchtlinge, massive Zerstörung großer Teile der libanesischen Infrastruktur. Das politische Ziel, die Hisbollah und damit den bewaffneten Widerstand völlig lahm zu legen, wurde aber nicht erreicht.

Das folgende Interview führten wir mit Genossen T., einem aus dem Libanon stammenden Kommunisten. Er war im Juli 2006 und im September 2007 im Land und hatte die Möglichkeit mit Aktivisten der Hisbollah und mit einem Vertreter der Kommunistischen Partei Libanon zu sprechen. Von Beirut aus bereiste er den Süden des Landes.

Neue Internationale (NI): Das erklärte Ziel der israelischen Regierung für ihren Angriffskrieg auf Libanon war die Zerschlagung der Hisbollah, die politische Isolierung  des libanesischen Widerstands und die libanesische Bevölkerung gegen diesen Widerstand aufzuwiegeln, um eine pro-imperialistische Regierung im Libanon stärken zu können. Du warst im Sommer 2006 und 2007 im Libanon. Hat die israelische Regierung ihr Ziel erreicht?

Antwort: Der Angriffskrieg im Juni 2006 war ein bestialischer Schlag auf überwiegend unschuldige und friedliche Menschen. So ein Schlag ist mit nichts zu rechtfertigen, schon gar nicht mit scheinheiliger Empörung über die Entführung von Soldaten.

Aber die Bevölkerung hat nicht ihren eigenen Leuten aus dem Widerstand den Rücken gekehrt, sondern erkannt, dass die Hisbollah und andere anti-imperialistischen Kräfte die libanesische Bevölkerung gegen die israelischen Angreifer schützen.

Die Ziele der Imperialisten wurden nicht erreicht. Heute steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Hisbollah und der Al Tayar Partei von Michel Aoun. Der politische Einfluss der Hisbollah ist größer als je zuvor und auch der bewaffnete Widerstand steht gut vorbereitet und keinesfalls isoliert da.

Die Regierung in Israel hatte Probleme diesen Angriff auf Libanon zu rechtfertigen, auch im eigenen Land gibt es vermehrt Kritik über die Regierungspolitik, der Verletzung der Menschenrechte z.B. durch den Einsatz von Splitterbomben. Ich konnte im September 2007 mit Maurice Nouhra, Mitglied der nationalen Leitung der Kommunistischen Partei Libanon, sprechen und er bestätigte die Solidarität seiner  Partei, trotz aller Kritik, mit der Hisbollah im Befreiungskampf.

NI: Du warst im Südlibanon. Das Grenzgebiet ist nach dem Angriffskrieg zum Kriegsgebiet geworden. Es wird von libanesischem Militär und von Soldaten der UNO und UNIFIL kontrolliert. Was hast du dort erlebt?

Antwort: Die Soldaten der UN und UNIFIL sind als Beobachter dort. Die libanesische Armee hat die Hisbollah in diesem Gebiet abgelöst. Die israelische Armee kontrolliert die israelische Grenze. Als ich dort war,im September 2007,  herrschte Waffenstillstand, der bis heute anhält. Die libanesischen Soldaten halten es für überflüssig, dass UN-Soldaten da sind, es gibt praktisch keine Kooperation. Das Gebiet, das jetzt als Kriegsgebiet gilt, ist stark vermint, besonders gefürchtet sind die Splitterbomben. Das bedeutet für die Bewohner im Grenzgebiet, dass sie nicht auf ihr Land können, um Landwirtschaft zu betreiben. Viele Menschen können nicht zurück auf ihren Grund und Boden und in ihre Häuser.

Ich habe versucht, ein Interview mit einem UN- Soldaten zu führen. Ich habe mehrere Anträge auf Genehmigung gestellt, aber sie sind alle abgelehnt worden. Obwohl sie öffentlich behaupten, dass jeder hat ein Recht auf Transparenz habe, hüllen sie sich in Schweigen und niemand weiß, wie stark das Gebiet mit Minen belegt ist. Genauso sind meine Versuche bei spanischen Soldaten der UNIFIL gescheitert.

Die libanesische Bevölkerung und auch die libanesische Armee sehen durch die Anwesenheit der UN- Soldaten und UNIFIL mehr Schwierigkeiten als ohne sie. Sie haben im Land nichts verloren.

NI: Du hast bei Deinem Aufenthalt mit Maurice Nouhra von der KPL gesprochen. Wie steht sie zur Hisbollah?

Antwort: Die KPL respektiert, dass die Hisbollah von ihrem Recht Gebrauch macht, mit Waffen zu kämpfen, um sich zu verteidigen. Sie haben den Süden Libanons von der israelischen Besatzung befreit. Dieser Befreiungsschlag wurde von der KPL anerkannt und es gibt Solidarität mit der erfolgreichen Widerstandsbewegung.

Eine wichtige Aufgabe sieht die KPL in der Bündnispolitik  mit Hisbollah und der FPM (Free Patriotic Movement von Aoun) gegen Imperialismus, für einen gemeinsamen Widerstand im Libanon und Stärkung der sozialen Strukturen im eigenen Land, für die Unabhängigkeit und freie Wahlen.

Es gibt starke Bestrebungen der jetzigen Regierung zu Privatisierungen und Neoliberalismus, was wie überall nur zu mehr Abhängigkeit und Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen führt. Dagegen Widerstand zu leisten, ist eine vorrangige Aufgabe.

Aber es gibt programmatische Differenzen mit der Hisbollah: Die KPL kritisiert die starke Neigung zum Islam innerhalb der Hisbollah.

NI: Welche Rolle spielt die „Freie Patriotische Bewegung“?

Antwort: Die Freie Patriotische Bewegung, Free Patriotic Movement (FPM), auch als Aounistische Strömung bekannt, ist eine politische Partei im Libanon, die von General Michael Aoun geführt wird. Aoun war Kommandeur der Streitkräfte des Libanon. Während der Jahre 1988-1990 war er  Ministerpräsidenten und dann 15 Jahre im Exil.  Entstanden aus einer christlichen Strömung, steht die FPM für Säkularisierung, also die Trennung von Staat und Kirche. Sie ist für die Befreiung des Libanon vom Einfluss Israels und der westlichen Besatzer, sowie gegen den Einfluss von Syrien im Libanon.

Die FPM ist so populär wie die Hisbollah und hat ein Bündnis mit Hisbollah, den Maroniten, der Syrischen Sozialen Nationalen Partei und anderen gebildet.

Aoun kandidierte jetzt als Präsident und bekam 40% der Stimmen und hatte damit auch die Wahl gewonnen. Wegen seiner Unterstützung der Hisbollah wurde er aber von den imperialistischen Besatzern abgelehnt, bzw. so unter Druck gesetzt, dass er die Präsidentschaft ablehnte. Es kam zu einer sehr angespannten Situation bis kurz vor einem Bürgerkrieg. Nur mit knapper Not wurde dieser verhindert.

Ein Bürgerkrieg würde die jetzt schon Not leidende Bevölkerung noch mehr in Elend und Hunger treiben und noch mehr Menschen zu Flüchtlingen machen. Und es wäre ein möglicher Vorwand für Israel und seine Unterstützer wieder militärisch im Libanon einzugreifen.

NI: Im September 2006 sollten Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bis heute gibt es keinen Nachfolger für Präsident Lahoud, dessen Amtszeit am 24.11.2006 endete. Welche Bedeutung hat das?

Antwort: Die Wahlen wurden seit September bis heute elf Mal verschoben. Da werden Fäden gezogen und Druck ausgeübt von den Besatzungsmächten, um doch noch einen Kandidaten zu finden, der nach ihrer Pfeife tanzt.

Seit dem 24.11. hat das Land keinen Präsidenten mehr, denn da endete die Amtszeit von Emile Lahoud. Das Parlament ist zerstritten. Nachdem Aoun unter massiven Druck das Amt des Präsidenten abgelehnt hat, spitzt sich die Lage zu. Von den offen pro-imperialistischen Kräften wird weiterhin die Entwaffnung der Hisbollah gefordert und man versucht sie politisch zu isolieren.

Der jetzt eingesetzte Kandidat Michael Suleiman wurde von der Mehrheit im Parlament nominiert. Aber das ist nicht verfassungskonform, weil er der amtierende Militärchef ist.

Es sollen am 12.01.08 neue Wahlen stattfinden und mit Hilfe einer Verfassungsänderung soll Suleiman als Kandidat legalisiert werden. Die ganze Situation neigt weiter zur Instabilität und es kann jederzeit zu einem Bürgerkrieg kommen.

Dadurch sehen sich die anti-imperialistischen Kräfte gezwungen, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Alle, die ernsthaft im Bündnis mitarbeiten, sind sich der Wichtigkeit einer starken anti-imperialistischen Front bewusst und arbeiten trotz großer politischer Differenzen für die Unabhängigkeit und gegen die Besatzer zusammen.

Die anti-imperialistischen Kräfte, das Bündnis um die FPM unterstützt Suleiman, weil er nicht offen prowestliche Interessen vertritt, weil auch das libanesische Militär zum Teil mit der Hisbollah kooperiert und es gemeinsame Forderungen gibt: „Stopp der israelischen Aggression gegen den Libanon“, „Aufbau einer gemeinsamen Armee mit der Hisbollah“, „Stopp der israelischen Aggression gegen Palästina“. Als ersten Schritt zum Frieden zwischen Palästina und Israel. „Für die Wiederherstellung der Grenzen von 1967 und Anerkennung eines eigenen palästinensischen Staates, Solidarität mit dem Widerstand in Libanon, Palästina, Irak und Afghanistan, Aufbau von internationaler Solidarität, keine Entwaffnung der Hisbollah“.

NI: Vielen Dank.

Das Interview ist nicht nur hinsichtlich der Lage im Libanon interessant, es zeigt auch, die Problematik, in der sich die libanesische Linke befindet.

So war es zweifellos richtig, im Kampf gegen den israelischen Angriffskrieg 2006 mit der Hisbollah und allen anderen Kräften, die Widerstand leisteten, ein Bündnis zu schließen und gegen die israelische Armee zu kooperieren.

Doch seither ging die KP Libanons (und andere linke Kräfte) ein strategisches Bündnis mit Aoun, Hisbollah, also mit bürgerlichen oder klein-bürgerlich nationalistischen und islamistischen Kräften, ein, das nicht nur auf ein taktisches Abkommen im Kampf gegen imperialistische Besatzung oder zionistische Angriffe beschränkt ist, sondern strategischen Charakter hat.

Ein gemeinsamer Block mit Hisbollah und FPM  ist unwillkürlich auch eine politische Unterordnung unter deren nationalistisches, bürgerliches Programm zur Verteidigung des Privateigentums und eines unabhängigen, kapitalistischen Libanon. Eine solche Politik der Volksfront hat die arabische Linke, wie jede linke Bewegung und wie jede Gruppierung, die vorgibt, die Arbeiterinteressen zu vertreten, immer nur in die Unterordnung unter bürgerliche Interessen und zur Aufgabe des eigenen Klassenstandpunkts und letztlich in die Niederlage geführt. Eine weitere Diskussion über programmatische und strategische Notwendigkeit mit den libanesischen Genossen halten wir für unbedingt notwendig, um die Fehler der Linken im Nahen Osten zu überwinden, die sie in ihre heutige Situation der Schwäche gebracht haben.

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Nr. 126, Jan./Feb. 2008
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