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Konjunktur 2008

Auf tönernen Füßen

Markus Lehner, Neue Internationale 126, Januar/Februar 2008

Nach den Stagnations-/Rezessionsjahren 2001-2005 befindet sich die Konjunkturbewegung in Deutschland seit 2006 in der Aufwärtsbewegung. Nachdem die Wachstumsrate des BIP 2005 noch bei 0,8% lag, schnellte sie 2006 auf 2,9% hoch. Für 2007 wird eine Abschwächung auf 2,6% abgeschätzt und für 2008 auf 1,9% vorausgesagt. Die Trendwende 2006 wurde nicht nur durch die übliche Konjunkturlokomotive Export (der für 45% des BIP verantwortlich ist), sondern auch durch den Anstieg des privaten Konsums und der Baukonjunktur verursacht, was zusammen auch zu einer Belebung der Investitionstätigkeit führte.

Inzwischen ist insbesondere die Baukonjunktur wieder abgeklungen und der private Konsum hat sich preisbereinigt in den ersten beiden Quartalen 2007 wieder auf Null-Wachstum reduziert. Dies wird nur teilweise durch einen leichten Anstieg öffentlicher Ausgaben kompensiert. Dagegen wachsen die Ausrüstungsinvestitionen weiter auf hohem Niveau (2006: +8,3%, 2.Quartal 2007: +8,8%).

Aufschwung für das Kapital

Die Resultate des „Aufschwungs“ kamen bekanntlich vor allem dem Kapital zu gute: Während noch 2006 die Reallöhne um 2% sanken, stiegen die Gewinn- und Vermögenseinkünfte um 6,9% (+38 Milliarden Euro). Damit landete fast Dreiviertel des zusätzlichen Wertprodukts in den Kassen der Kapitalisten. Am meisten profitierte das Großkapital: während im Zeitraum 2001-2006 die Gewinneinkommen insgesamt um 37,7% stiegen, waren es bei Kapitalgesellschaften im selben Zeitraum sogar 48,4%, bei den DAX-30-Unternehmen sogar 70%! 15 Großkonzerne konnten in dieser Zeit ihren Gewinn sogar verdoppeln.

„Reformpolitik“ und „Restrukturierung der Unternehmen“ führten insgesamt zu einer gewaltigen Umverteilung zugunsten des Kapitals. Im Jahr 2006 fiel die Brutto-Lohnquote auf 66,2% und damit unter den Wert von 1970. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte ist die Lohnquote seit 2000 jedes Jahr durchschnittlich um ein Prozent gefallen. Dies entspricht einer Umverteilung in der Größenordnung von 104 Milliarden Euro zugunsten des Kapitals.

Dahinter verbergen sich einerseits die Reduktionen von „Sozialleistungen“ (Hartz-Reformen, Gesundheitsreformen, Kürzungen bei Rente und Kindergeld,...). Zweitens, die massive Öffnung des Niedriglohnbereichs (Leiharbeit, Mini-Jobs,...). Drittens, der durch die ersten beiden Faktoren und die „Globalisierung“ bewirkte Druck auf die Tariflöhne (trotz der guten Konjunktur 2006 erhöhten sich die Bruttolöhne nur um 0,7%). Dazu kommen weitere negative Verteilungseffekte durch Preisentwicklung und Steuerpolitik (Energie- und Lebensmittelpreise, Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale,...).

Nach der offiziellen Statistik ging die Arbeitslosigkeit von 2005 mit 11,7% auf 10,8% im Jahr 2006 und 9,0% in 2007 (ca. 3,8 Millionen) zurück. Der Zuwachs an Beschäftigung findet dabei jedoch wesentlich im Niedriglohnbereich statt.

Von den 560.000 neuen sozialversicherungspflichtigen Jobs, die zwischen Mai 2006 und Mai 2007 entstanden, waren 60% Vollzeitjobs, von denen wiederum 76% (255.000) Leiharbeiter ausmachen. Insgesamt wuchs die Leiharbeit 2007 um 22% und es waren in diesem Jahr 1,4 Millionen Menschen wenigstens ein Mal in Zeitarbeit. Gleichzeitig steigt die Zahl der geringfügig, nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiter an. Insgesamt sind es mit 12,7 Millionen jetzt schon fast ein Drittel der Erwerbstätigen. Allein 2006 stieg die Zahl der Mini-Jobber um 300.000 an.

Gleichzeitig gibt es inzwischen 130 „Tarifverträge“ mit Einkommen unter 6 Euro. Über 500.000 Erwerbstätige beziehen ergänzende Sozialhilfe zum Erwerbseinkommen. Dazu kommt ein Anteil von 4 Millionen „Selbständigen“, die ohne weitere Beschäftigte sind - von denen also wohl ein großer Teil in prekären Arbeitsverhältnissen und in Scheinselbständigkeit arbeiten. Dazu kommt ein Anstieg von Teilzeitarbeit (4,5 Millionen) und befristeter Beschäftigung (rund ein Drittel aller neuen Jobs!), der auch für „Normalbeschäftigte“ größere Risiken und geringere soziale Sicherung bedeutet.

Schließlich kommen die Maßnahmen, die Arbeitslosigkeit im Wesentlichen verdecken, bzw. Schikanen für die davon betroffenen darstellen: 1-Euro-Jobs (über 300.000 Hartz-IV-Empfänger), 130.000 in diversen „Maßnahmen“, 200.000 in Scheinselbständigkeit gedrängte, 287.000 über die 58er-Regelung aus dem ALG II Ausgesteuerte,... Wesentlich sind dabei natürlich noch die regionalen Unterschiede zu beachten: so steigt z.B. die Leiharbeit im Osten um ein vielfaches schneller als im Westen (Beispiel Metall- und Elektroindustrie Berlin-Brandenburg seit 2000 um 200%!).

Kräfteverhältnis

Insgesamt muss der Ausgang der Phase 2001-2005 als Niederlage der Arbeiterklasse eingeschätzt werden, mit der Folge einer starken Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten des Kapitals. Mit dem Misserfolg der Protestbewegung gegen die „Reformpolitik“, Streikniederlagen wie 2003 bei der Ost-IGM, dem weiteren Ausverkauf gewerkschaftlicher Positionen (siehe Ergänzungstarifverträge,...) hat sich nicht nur die beschriebene massive Umverteilung ergeben. Es hat auch zu der beschriebenen Ausdehnung von Niedriglohn- und ungesicherter Beschäftigung geführt.

Und schließlich zur Schwächung gewerkschaftlicher Organisation und Streikfähigkeit, insbesondere, aber nicht nur im Osten. Daher konnte die Aufschwungsphase seit 2006 vor allem zu einer weiteren Ausdehnung der Profite führen. Selbst die Tariferhöhungen 2007 können nicht mehr erreichen, als weiteren Reallohnverlust zu vermeiden.

Letztlich muss aber bemerkt werden, dass auch dieser Erfolg des Kapitals dessen grundlegende Probleme nicht löst. Die großen Gewinnsteigerungen müssen immer gegenüber dem enormen akkumulierten Kapitalstock von über 11 Billionen Euro gesehen werden, die in fixen Anlagen gebunden sind, und sich für das Kapital verwerten müssen.

Dazu muss  auch weiterhin ein variables Kapital um die 1,1 Billionen eingesetzt werden. Damit ergeben sich gesamtwirtschaftliche Profitraten, die weit unter dem Niveau des Nachkriegsbooms sind. Die grobe Gegenüberstellung von „Betriebsüberschuss“ einerseits  zu Nettoanlagevermögen und Bruttolohnsumme andererseits, ergibt, als Orientierungswert, einen Anstieg der entsprechenden Rate seit 2005 um etwa 0,5% - was in etwa dem Anstieg der Profitrate entsprechen wird.

Überakkumulation

Also selbst die großen Erfolge von 2001-2005 konnten dem Kapital gerade mal eine leichte Erholung der Profitrate, nach einer längeren Phase des Falls bescheren. Dem entspricht ein relativ geringes Wachstum des Nettokapitalstocks (um 1,2% im letzten Jahr, gegenüber 0,8% davor), was weiterhin auf die stagnative Grundtendenz hindeutet. So müssen die 412 Milliarden Neuinvestitionen des Jahres 2006 mit den gleichzeitig 339 Milliarden Abschreibungen desselben Jahres bewertet werden.

Insgesamt setzt sich der Trend zu immer geringer werdenden wirklichen Neu-Investitionen fort: war 1990 der Anteil der Nettoanlageinvestitionen noch bei 10% des BIP, so ist er heute nur bei etwas über 3%! Trotz des gering wachsenden Kapitalstocks wächst jedoch aufgrund des Schrumpfens der Beschäftigung in den produktiven Sektoren die organische Zusammensetzung des Kapitals weiterhin an (die Kapitalintensität des verarbeitenden Gewerbes wuchs seit 1991 um fast 50%!).

Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass in der bürgerlichen Statistik auch der Kauf von Immobilien zu „Anlageinvestitionen“ zählt. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Zuwachsraten bei den Nettoanlageinvestitionen im produzierenden Gewerbe seit Ende 2006 wieder rückläufig sind, während ein Großteil des Wachstums derselben in der Statistik auf Immobilienkäufe zurück gehen. Dies hängt damit zusammen, dass aufgrund des stärkeren (gegenüber imperialistischen Konkurrenten verspäteten) strukturellen Wandels in Deutschland Richtung „Dienstleistungssektor, derzeit besonders Büro u.ä. Immobilien einer starken Nachfrage unterliegen, und viele internationale Fondsgesellschaften damit den deutschen Immobilienmarkt entdeckt haben (25% der Immobilienkäufe in der EU waren 2006 auf Deutschland konzentriert, mit steigendem Trend 2007).

Gleichzeitig wurde mit der Einführung börsennotierter Immobilienfonds (sog. REITs, praktisch steuerfrei) ein Anreiz für die Großkonzerne geschaffen, ihren immer noch großen Immobilienbesitz (Fabrikgelände etc.) im großen Stil in eigene Gesellschaften out-zu-sourcen, und so weiter den Run auf Immobilieninvestitionen anzuheizen. Insgesamt kommt es so zu einer Überbewertung von Kapitalanlagen besonders im Immobilienbereich, der an die Blasen anderer imperialistischer Länder erinnert.

Zu den inneren Problemen (geringe Investitionsquote, schwache Profitrate, schwacher privater Konsum, Immobilienblase) kommen verstärkt die drohenden weltwirtschaftlichen Probleme. Die negativen Konsequenzen der „Sub-prime“-Krise des US-Immobilienmarktes sind noch längst nicht ausgestanden. Von den weltweit 100 Milliarden notwendigen Abschreibungen auf Finanzinvestitionen sollen gerade einmal 40 Milliarden getätigt worden sein.

Das deutsche Finanzkapital hat hier schwere Verluste hinnehmen müssen. Nicht nur die IKB musste vor dem Zusammenbruch gerettet werden, selbst Marktgrößen wie Allianz und Deutsche Bank mussten Milliarden abschreiben. Zu den unmittelbaren Verlusten kommen Investitionszurückhaltung und die negativen Konjunkturfolgen einer restriktiven Kreditvergabe.

Insbesondere ein Einbrechen der US-Konjunktur (2007 noch über 3% BIP-Wachstum!) hätte unabsehbare Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Da aufgrund der kommenden Präsidentschaftswahlen eine Politik der „weichen Landung“ unwahrscheinlich ist (siehe die derzeitige inflationstreibende Zins- und Defizitpolitik), sind schwere Turbulenzen im Verlauf von 2008 sehr wahrscheinlich.

Auch wenn ein Groteil der deutschen Exporte in die EU geht, würde ein Einbruch der Exporte in die USA bzw. ein Rückgang des Außenhandels mit China (als Folge einer US-Krise, bzw. der Politik der „Wachstumsabkühlung“ in China) wahrscheinlich das Ende des „Aufschwungs“ bedeuten. Die US-Rezession könnte zum Ausgang einer tiefen, synchronisierten Weltmarktkrise werden.

Schon jetzt ergeben sich sowohl aus der Dollarschwäche (Euro bewegt sich auf 1,5 Dollar zu) als auch der historische Höchststand der Energie-Rohstoffpreise (1 Barrel erreicht die 100 Dollar-Marke) abschwächende Wirkung auf Export und Konjunktur insgesamt. Zu dieser Situation muss noch beachtet werden, dass die ökonomischen Hauptpartner Deutschlands in der EU, Italien und Frankreich (mit der Einschränkung der nachholenden Entwicklung auch Spanien) gegenüber Deutschland in der Phase 2001-2005 weit zurück geblieben sind (was sich in geringen Wachstumsraten ausdrückt). Hier stehen größere Klassenauseinandersetzungen bevor, die auch ihre Auswirkungen auf die deutsche Ökonomie und ihre Klassenkämpfe haben werden.

Keine Atempause!

All diese Bedingungen lassen keine „Atempause“ der Angriffe auf die Arbeiterklasse erwarten. Dies wird sowohl auf der politischen Ebene zu erwarten sein: weitere „Deregulierung“ des Arbeitsmarktes (z.B. Kündigungsschutz), restriktive Haushaltspolitik (Plan des „ausgeglichenen Haushalts“), Unternehmenssteuerreform, weitere Privatisierungen, etc. Andererseits sind auch weitere Angriffe auf betrieblicher Ebene zur Erhöhung der Ausbeutungsraten, bzw. zur Abfederung der internationalen Krisenszenarien zu erwarten. Gleichzeitig wird eine sich abschwächende Konjunkturbewegung und die wachsenden sozialen Spannungen auch zu politischen Spannungen führen müssen. In der Regierung werden Themen wie Steuerreform, Föderalismusreform, Bahnprivatisierung, ALG-I, weitere Rentenreformschritte, Erbschaftssteuer, Pflegeversicherung, Mindestlohn, etc. jede Menge Sprengstoff liefern.

Angesichts dessen wird die Periode 2008/2009 eine neue Runde zugespitzter Klassenkämpfe sehen - deren Intensität insbesondere von den internationalen Entwicklungen abhängen wird.

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Nr. 126, Jan./Feb. 2008
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