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Nach den DGB-Aktionstagen

Wie weiter?

Rex Rotmann, Neue Internationale 115, November 2006

Dem Aufruf des DGB am 21. 10. folgten in fünf Städten ca. 250.000, davon in Berlin 80.000. Berlin, München und Stuttgart lagen bei oder sogar über den Erwartungen, Frankfurt und Dortmund darunter. Die Beteiligung zeigt, dass es durchaus Bereitschaft zu Protest gibt, diese aber nicht spontan über den „normalen“ Rahmen einer Mobilisierung durch den gewerkschaftlichen Apparat hinausging.

Der Aufruf des DGB „Das geht besser“ war bewusst zahm und zielte einerseits darauf, Druck auf die Regierung und deren Gesetzgebung auszuüben. Andererseits sollten die Proteste zeigen, dass die Gewerkschaftsbürokratie in der Lage ist zu mobilisieren - und die Bewegung zu kontrollieren und zu befrieden. Dazu passten auch die Reden, die bei allem Verbalradikalismus jede Aktionsorientierung und weiterführende politische Perspektive vermissen ließen und sich in langen Klagen über die Folgen der Regierungspolitik ergingen.

Der 21.Oktober markiert einen erneuten Aufschwung der Bewegung - anders als der 3.4.04, der einen Endpunkt darstellte. Die Stimmung war weniger kämpferisch als z.B. im November 2003 oder bei den Montagsdemos 2004. Aber auch die Hoffnungen und Illusionen der Massen in die Gewerkschaftsbürokratie haben abgenommen. Viele gingen auf die Straße, weil sie die Notwendigkeit sehen, aktiv zu werden, auch wenn sie wenig Vertrauen in die Bürokratie haben. Eine Minderheit sympathisierte mit Losungen, die sich direkt gegen Sommer und Co. richteten, und war kritisch gegenüber der Linie der Bürokratie. Stark vertreten waren Transparente mit Äußerungen zur sozialen Lage, aber auch für Mindestlohn, Grundeinkommen sowie zu betrieblichen Problemen und Angriffen.

In Frankfurt und Stuttgart gab es auch stärkere Mobilisierungen von Jugendlichen, die nicht in der Gewerkschaft sind. Auch wenn Jugendliche am 21.10. insgesamt schwach vertreten waren, gab es in den letzten Monaten doch einen Aufschwung von Aktionen der SchülerInnen und Studierenden.

Der 21.10. machte zwei Fakten deutlich: 1. dass der DGB nach wie vor in der Lage ist, Massen zu mobilisieren; 2. dass es fast keine alternativen, klassenkämpferischen Strukturen gibt, die politisch wie organisatorisch eigenständig mobilisieren oder als relevante Kraft auftreten können.

Doch der 21.10. war immerhin die erste bundesweite Mobilisierung der DGB-Gewerkschaften seit Amtsantritt der Großen Koalition. Davor gab es nur die kleineren Demos vom 3. Juni und die von der MLPD initiierte am 16. September.

Die Äußerungen von DGB-Chef Sommer deuten darauf hin, dass der DGB wahrscheinlich demnächst weitere, wenn auch symbolische Massenproteste, gegen die Merkel-Regierung plant.

Die politische Situation

Unter der Großen Koalition wird der Generalangriff auf Beschäftigte, Arbeitslose und soziale Errungenschaften weitergeführt (Gesundheitsreform, Mehrwertsteuer, geplante Einschränkungen bei Hartz IV, Privatisierungen usw.). Parallel dazu wird die interventionistische Außenpolitik fortgesetzt (Libanon, Kongo, Afghanistan) und der Abbau demokratischer Rechte - verbunden mit rassistischen, „antiislamistischen“ Vorstößen (Antiterrordatei, Sonder-Kontrollen für ausländische Studierende) - forciert.

Auch die aktuell leichte konjunkturelle Erholung und die damit verbundene positive Entwicklung der Steuereinnahmen sowie ein sehr leichter Positivtrend auf dem Arbeitsmarkt (der öffentlich verkündete Rückgang der Arbeitslosenquote dürfte aber eher den „hartzigen“ Statistiktricks geschuldet sein) ändern nichts daran, dass die Angriffe des Staates weitergehen und das Kapital weiter massiv versucht, durch Druck auf den „Faktor Arbeit“, die Gewinne hochzuschrauben und Konkurrenzvorteile zu erlangen.

Neue Jobs entstanden fast nur im prekären Sektor, während weiter massiv Arbeitsplätze in den Großkonzernen und im Öffentlichen Dienst vernichtet werden.

Die Große Koalition ist derzeit eher schwach, hat wenig Rückhalt, genießt wenig Popularität und ist in den meisten Fragen zerstritten - nicht über die Strategie, d.h. die Notwendigkeit der Weiterführung des Generalangriffs, jedoch über deren Tempo und Taktiken. Besonders die Union ist dabei doppelt zerrissen: einerseits zwischen Regierung und Unions-Länderfürsten, andererseits zwischen CDU und CSU. Die SPD hat sich dagegen bei Wahlen und in den Umfragen etwas stabilisiert, verliert aber weiter massiv an Mitgliedern.

Die leichte wirtschaftliche Entspannung kommt der Regierung unverhofft zu Hilfe. Aber: Die Große Koalition hält sich im Moment vor allem deshalb, weil Kapital und Spitzen von Union und SPD wenig Alternativen zur Fortführung der Koalition haben und vor allem, weil der Unmut der Bevölkerung durch die reformistische Bürokratie und aufgrund des Fehlens einer organisierten Oppositionsbewegung in Betrieben und sozialen Bewegungen zur Zeit kanalisiert wird.

Bei Teilen der Arbeiterbasis gibt es größeren Unmut mit den Gewerkschaftsführungen (BSH, Daimler Mettingen). Aber es den Bürokraten immer noch, sich an die Spitze von Kämpfen zu stellen, diese zu kontrollieren und letztlich abzuwürgen. BSH Berlin zeigt aber auch, dass ihr das zunehmend schwerer gemacht wird - vom Kapital wie von den Beschäftigten.

Die letzten Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zeigten, dass die Enttäuschung immer größerer Teile der Massen von den „Volksparteien“ und der „Demokratie“ zunimmt. Das drückt sich in einem fast kontinuierlichen Rückgang von CDU und SPD bei Mitgliedern und Wählern aus. Parallel dazu findet eine politische Polarisierung zu kleineren Oppositionsparteien nach links (WASG), aber auch nach ganz rechts (NPD) statt.

Bezeichnenderweise profitiert die PDS als „linke“ Partei nicht davon. Sie verliert weiter, wo sie an der Regierung beteiligt ist, zuletzt in Berlin erdrutschartig. Ursächlich dafür sind nicht nur ihre Regierungsbeteiligungen, sondern auch ihre völlige Unfähigkeit, eine grundsätzliche gesellschaftliche Perspektive zu weisen, die über den Rahmen bürgerlicher Politik hinausgeht, geschweige denn, dafür aktiv zu werden und zu mobilisieren. Trotzdem kann die L.PDS für Teile der Arbeiterklasse als zeitweiliger elektoraler Ausdruck ihrer politischen Unzufriedenheit dienen und könnte bei zukünftigen Wahlen auch wieder dazugewinnen.

Die WASG

Die Krise in der WASG spitzt sich zu. Einerseits hat der Kurs der WASG-Führung (sowie der PDS-Spitze und der Bundestagsfraktion) dazu geführt, dass von der anfänglichen Dynamik der WASG wenig übrig ist. Frustration und Austritte sind die Folge des Fehlens zentraler Mobilisierungsschwerpunkte sowie einer überzeugenden politischen Alternative zu SPD/PDS und dem Reformismus des DGB. Von der „Wahlalternative“ bleibt nur das „Wählen“ übrig.

Der forcierte Kurs der Vorstände auf die „Fusion“ zur Schaffung einer neuen Sozialdemokratie wird von Vielen richtig als bloßer Anschluss und Aufgabe jeden ernsthaften Bemühens um eine Alternative zur SPD gesehen.

Entgegen diesem ernüchternden reformistischen Mainstream in der WASG hat sich (v.a. in Berlin im Zusammenhang mit der eigenständigen WASG-Kandidatur) zugleich eine politische Polarisierung und Radikalisierung gezeigt, die sich u.a. in der Formierung des Netzwerks Linke Opposition (NLO) äußert.

Trotz der heterogenen Kräfte darin hat sie sich mehrheitlich hinter die Position der „Roten Linien“ und sich damit insgesamt gegen die Fusion und die damit verbundene Politik gestellt, wodurch sich das NLO deutlich von anderen „Feigenblatt-Oppositionen“ unterscheidet.

Das NLO verfügt zwar über politisches Potential, aber sie hat auch entscheidende Schwächen, die überwunden werden müssen, soll es eine Zukunft haben. Sie hat bisher weder ein Programm, noch ist es eine organisierte, kämpfende Struktur.

Mit dem NLO (und der Kräfte um sie herum) existiert aber ein Ansatz, der - bei allen organisatorischen und politischen Schwächen - zu einem Pol werden könnte, der antikapitalistische Kräfte zum Aufbau einer neuen Arbeiterpartei anzieht.

Aufgaben und Chancen

Was ist in dieser Situation für RevolutionärInnen und klassenkämpferische ArbeiterInnen zu tun? Die Ankündigung des DGB, weiter und stärker zu mobilisieren und „betriebliche Aktionen“ durchzuführen, muss aufgegriffen werden. In Gewerkschaft und Betrieb, in der WASG, in Bündnissen, in der Gewerkschaftslinken usw. muss Druck gemacht werden, um die Gewerkschaften zu zwingen, in den nächsten Monaten alle konkreten Kämpfe konsequent zu unterstützen und eine bundesweite Demo gegen die Große Koalition zu organisieren, der mit bundesweiten Warnstreiks verbunden ist - als erstem Schritt zu politischen Massenstreiks bzw. einem Generalstreik.

Wir müssen als zentrales Problem des Widerstandes die Dominanz der Reformisten (v.a. der Gewerkschaftsbürokratie) über die Bewegung und das Fehlen einer alternativen Klassenkampfführung (Arbeiterpartei) benennen. Deshalb ist der Aufbau des NLO und dessen Verbindung mit kritischen und kämpferischen Milieus auch außerhalb der WASG zentral.

Damit verbunden ist der Kampf für eine klassenkämpferische Basisbewegung und praktische Initiativen zum Ausbau einer, wenn auch kleinen betrieblichen Basis.

Der Kampf für eine Arbeiterpartei und deren revolutionäre Ausrichtung bedeutet aber nicht, dass wir uns nur auf das NLO konzentrieren sollten. Die jüngsten Aktionen von Studierenden und SchülerInnen (Schülerstreik in Berlin) haben einerseits gezeigt, welch kämpferisches Potential dort vorhanden ist; andererseits fehlt es aber auch dort an organisierten, handlungsfähigen Strukturen. Deshalb unterstützt arbeitermacht auch den Aufbau der Jugendorganisation REVOLUTION und die Schaffung einer revolutionären Jugendbewegung.

Die zunehmenden Angriffe und Abwehrkämpfe sowie die Mobilisierung gegen den G 8-Gipfel 2007 werden mehr Möglichkeiten und Herausforderungen für den Widerstand bringen. Um diese zu nutzen, müssen kampf- und mobilisierungsfähige Strukturen geschaffen werden. Dazu muss letztlich die - national wie international bestehende - Führungskrise der Arbeiterbewegung überwunden werden. Das erfordert einen konsequenten - d.h. politischen wie auch organisierten - Kampf gegen die Dominanz des Reformismus, das erfordert gleichzeitig eine ernsthafte Diskussion über Strategie und Taktik unseres Kampfes, das erfordert eine neue revolutionäre Arbeiterpartei und eine neue, die Fünfte Internationale!

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Nr. 115, November 2006

*  Nach dem DGB-Aktionstag: Wie weiter?
*  Netzwerk Linke Opposition: Ein Schritt vorwärts
*  Anti-G8-Aktionskonferenz: Antiimperialistische Mobilisierung!
*  16. November: Auch Innenminister sind Kriegsminister
*  1000 Tage Stellenpool Berlin: Öffentliche Leiharbeit
*  Kampf bei BSH: Schmerzhafte Lehren
*  Heile Welt
*  Bedingungsloses Grundeinkommen: Weg aus der Lohnarbeit?
*  Was will REVOLUTION: Kommunistische oder kleinbürgerliche Jugendorganisation?
*  Vor 50 Jahren: Arbeiteraufstand in Ungarn
*  Nordkorea: Imperialisten machen Front
*  Bolivien: Vor dem Bürgerkrieg?