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WASG: Netzwerk Linke Opposition

Ein Schritt vorwärts

Hannes Hohn, Neue Internationale 115, November 2006

Die Situation in der WASG spitzt sich zu. Einerseits hat die WASG einen Großteil ihrer Dynamik aus den Anfangsmonaten eingebüßt, viele Mitglieder haben ihr enttäuscht den Rücken zugewandt oder sind passiv. Die Positionierung in der Öffentlichkeit ist mangelhaft, eine engagiert geführte politische Kampagne gibt es nicht.

Viele, die die Erwartung hatten, dass aus WASG und PDS eine starke neue linke Partei entsteht, die mehr ist als WASG und PDS zusammen, die mehr ist als nur ein Neuaufguss von PDS oder gar SPD sind enttäuscht.

Es wird immer offensichtlicher, was die Führungen von PDS und WASG sowie die Linksfraktion im Bundestag wollen: eine fusionierte Partei auf rein reformistischem Programm, einen Wahlkampfverein, der den BürokratInnen gut dotierte Posten und Einfluss garantiert.

Diese „neue Linke“ soll dann als Partner der SPD auch auf Bundesebene dieselbe Rolle spielen, wie derzeit die PDS in Schwerin und Berlin: als Krisenverwalter des Kapitalismus mit linkem Outfit. Dass diesem Projekt in der PDS selbst wenig bis keine Opposition entgegensteht, wurde zuletzt daran deutlich, dass es den in der Berliner Wahl abgestraften PDS-LandespolitkerInnen fast problemlos möglich war, ihre Regierungsbeteiligung weiter zu führen.

Entgegen dem WASG-Mainstream hat sich mit dem eigenständigen Wahlantritt in Berlin aber auch eine andere, hoffnungsvolle Entwicklung ergeben und die politische Polarisierung in der WASG verstärkt. Immer mehr Mitglieder lehnen die Politik der PDS ab und wollen keine Fusion mit ihr zu deren Bedingungen, die einer Beerdigung erster Klasse gleichkommt.

Ausdruck dieses Trends ist auch das Entstehen verschiedener Oppositionsgruppierungen. Diese sind jedoch sehr verschieden. „KritikerInnen“ wie Sarah Wagenknecht (Kommunistische Plattform in der PDS), Thiess Gleiss (isl) oder andere haben den eigenständigen Wahlantritt der Berliner WASG abgelehnt. Ihre Kritik ist mehr als halbseiden und stellt letztlich nur eine linke Flankendeckung der Linie der Führungen dar.

Anders dagegen das Netzwerk Linke Opposition“ (NLO). In ihm arbeiten verschiedene Kräfte und Organisationen (u.a. arbeitermacht, SAV, isl), die - bei aller Unterschiedlichkeit - eine Ablehnung der Politik des WASG-Vorstands und der PDS und einer „Fusion auf Vorstandslinie“ eint, und die eine eigenständige Organisationsperspektive zumindest nicht ausschließen. Das NLO bietet somit einen realen Ansatz dafür, jene Kräfte innerhalb und außerhalb der WASG zu formieren, die an am Aufbau einer klassenkämpferischen, antikapitalistischen Perspektive und Organisation festhalten und dieses Ziel nicht einer illusorischen Neuauflage der SPD opfern wollen.

Kassel II

Anfang Oktober trafen sich rund 100 GenossInnen in Felsberg(bei Kassel) zum zweiten bundesweiten Treffen des Netzwerks. Im Mittelpunkt stand die Frage der weiteren Perspektive ihrer Arbeit in der WASG vor dem Hintergrund des bürokratischen Zusammenschlusses von PDS.Linkspartei und WASG auf einer reformistischen, keynesianischen Grundlage.

Einigkeit gab es darüber, dass es richtig war, in Berlin gegen diese Politik anzutreten und auch darüber, als NLO nicht nur dem bürokratischen Fusionsprozess entgegentreten, sondern selbst bei der Organisierung von Widerstand sichtbar aktiv zu werden. Dazu soll auch die Erarbeitung einer politischen und programmatischen Alternative, einer „sozialistischen Perspektive“ zum Reformismus des Bundesvorstandes organisiert werden. Bezüglich der Linkspartei-Fusion wurden fünf Mindestbedingungen (Rote Linien) angenommen:

„1. Die neue Partei entsteht durch eine Neugründung, nicht durch eine Fusion, in der die Mitgliederbestände automatisch übernommen werden und schon gar nicht, indem die WASG-Mitglieder der Linkspaprtei.PDS beitreten. Jedes Mitglied soll sich durch Beitritt für die neue Partei entscheiden, alle Ämter sind neu zu wählen.

2. In der neuen Partei gilt die Trennung von Amt und Mandat und von Amt und Beschäftigungsverhältnis bei der Partei, den Fraktionen, einzelnen Abgeordneten oder Tendenzbetrieben. Einzubeziehen in dieses Verbot sind nicht nur Vorstandsämter auf Landes- und Bundesebene sondern auch Delegiertenämter zu Parteitagen.

3. Die neue Partei verneint Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht nur in ihren Programmen, sondern beteiligt sich auch in der Praxis weder auf Landes- und Bundesebene noch in den Kommunen daran.

4. Die neue Partei tritt nicht in Regierungen ein, die Sozialabbau betreiben, tarifliche Standards oder Löhne im Öffentlichen Dienst absenken bzw. die Arbeitszeit der Beschäftigten erhöhen.

5. Die neue Partei stimmt Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zu. Sie wendet sich auch strikt gegen Einsätze der Bundeswehr  im Rahmen der inneren Sicherheit.“

Differenzen

Die Probleme begannen jedoch bei der Diskussion der Konsequenzen dieser Forderungen für den Fall, dass sie nicht angenommen und die WASG aufgelöst würde.

Hier standen sich zwei Linien gegenüber. Die eine wurde von SAV und isl vertreten, die meinten, die möglichen Konsequenzen einer solchen Entwicklung jetzt nicht genauer zu diskutieren und die Entscheidung darüber „offen zu lassen“ - um sich gegebenenfalls die Möglichkeit des Eintritt in die Vereinigte Linkspartei samt Regionallösung in Berlin zu erhalten.

Während die isl aber alle möglichen, z.T. gegensätzlichen Richtungen und Meinungen in sich „vereint,“ tritt die SAV geschlossener auf. Doch diese „Geschlossenheit“ basiert auf einer politisch sehr inkonsequenten, verschwommenen Grundlage. Einerseits gibt sich die SAV „offen“ für eine bundesweite Vernetzung der Opposition - ohne jedoch konsequent die dafür nötigen politischen und organisatorischen Schritte zu gehen (Programmdiskussion, Aufbau örtlicher Strukturen, Etablierung einer NLO-Koordination). In der SAV werden immer wieder auch Ideen von einer „Berliner Regionallösung“ oder vom „Überwintern“ vertreten. Dort, wo die SAV vor Ort Gruppen hat, ist wenig davon zu spüren, eine bundesweite Oppositionsgruppierung aufzubauen.

Eine klare Antwort auf die Frage, was im Fall des Falles einer Verletzung der Roten Linien zu tun wäre, solle das Netzwerk nach SAV- und isl-Vorstellung nicht beziehen.

Der andere Pol des Netzwerks, der auch von arbeitermacht unterstützt wurde, sprach sich dafür aus, in diesem Fall auf den Aufbau einer eigenständigen politischen Kraft zu orientieren.

Diese Perspektive wurde u.a. von der SAV als „Proklamation“ einer weiteren, „sechsten Partei“ attackiert - als ob eine klassenkämpferische Arbeiterpartei einfach eine „sechste Partei“ neben anderen wäre! Im Gegenteil: sie wäre in ihrer Art die einzige!

Die UnterstützerInnen des Antrags stellten auch klar, dass es nicht einfach um die Proklamierung einer neuen Partei ginge. Sie machten deutlich, dass es jetzt darum geht, in der WASG das NLO als sichtbare, handlungsfähige Gruppierung aufzubauen.

Das wurde auch beim zweiten politischen Konflikt deutlich. Soll - wie SAV und isl meinten - die Opposition nur eine lose Koordinierung haben, die einen monatlichen Rundbrief herausgibt oder soll sie von unten, von Basisstrukturen her aufgebaut werden, die eine reale Organisierung der Opposition vor Ort erlauben. Die GenossInnen von arbeitermacht haben auch diesen Antrag unterstützt.

Die Konferenz unterstützte mit deutlicher Mehrheit, dass mit den Mindestbedingungen (Rote Linien) Konsequenzen verbunden sein müssen. Sie beschloss, Basisstrukturen der Opposition auf lokaler und regionaler Ebene aufzubauen und diese in einer Delegiertenstruktur zu vernetzen. (Beschlüsse der Konferenz siehe: auch auf www.linkezeitung.de)

Es ist klar, dass die Führungen von WASG und PDS - die jede Chance, Widerstand zu formieren und den Prozess zur Fusion einer Linkspartei zu einem Attraktionspool für Proteste und Kämpfe (z.B. zuletzt bei BSH in Berlin) zu machen, verschenkt haben - das NLO als „Spalter“ diffamieren.

Von ihrem Standpunkt macht das auch Sinn, denn die Spitzen von WASG und PDS streben nicht mehr und nicht weniger an, als ihr „Reformprogramm“ gemeinsam mit SPD und Grünen im Bund umzusetzen - eine Reformpolitik, die in der gegenwärtigen Periode nur als neo-liberaler Angriff exekutiert werden kann. Dabei stört eine linke Opposition natürlich.

Perspektive

Das Netzwerk Linke Opposition muss diesen Fehdehandschuh seinerseits aufgreifen und den Kampf zuspitzen - nicht nur für den Erhalt der WASG, sondern vor allem dafür, die Grundlagen, einen Ausgangspunkt dafür zu schaffen, um eine neue kämpferische Arbeiterpartei aufzubauen.

Mit den Beschlüssen von Kassel hat sie durchaus einen Schritt in diese Richtung getan. Nun geht es v.a. darum,

alle Kräfte, die gegen die Angriffe Widerstand leisten - in Gewerkschaft, im Betrieb, Linke, Jugendliche, Arbeitslose, soziale Bewegungen, ImmigrantInnen usw. - für den Aufbau einer bundesweiten, in der Basis verankerten Opposition zu gewinnen;

ein Aktionsprogramm zu erarbeiten, das Ziele, Mittel und Wege angibt, wie in vorhandene Kämpfe und Bewegungen eingegriffen und der Widerstand voran gebracht werden kann; ein Aktionsprogramm, das die Ausverkaufspolitik von SPD, PDS und Gewerkschaftsführungen anprangert und Alternativen für die Organisierung und Führung des Kampfes aufzeigt;

die programmatische Debatte weiterzuführen.

Als arbeitermacht haben wir dazu einen Programmvorschlag erarbeitet und aktiv am Aufbau der WASG bzw. des NLO mitgewirkt. Wenn - und darauf deutet alles hin - die WASG und mit ihr ein erster Anlauf für eine neue Arbeiterpartei in einer „neuen“, in Wahrheit steinalten reformistischen Linkspartei „entsorgt“ wird, ist das nur eine Momentaufnahme.

Die Krise des Kapitalismus und die daraus resultierenden Angriffe von Kapital und Regierung werden neuen Widerstand provozieren und im Bewusstsein der Massen das Fehlen einer Arbeiterpartei als Kampfführung noch brennender zu Tage treten lassen. Zu deren Schaffung schon jetzt Potential zu sammeln und zum Kampf zu formieren, um zur gegeben Zeit nicht wieder Ernst und Co. die Initiative überlassen zu müssen, ist eine große Chance - eine Chance, hierzulande die erste revolutionäre Arbeiterpartei nach 1945 aufzubauen, statt einer dritten Sozialdemokratie!

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Nr. 115, November 2006

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*  Netzwerk Linke Opposition: Ein Schritt vorwärts
*  Anti-G8-Aktionskonferenz: Antiimperialistische Mobilisierung!
*  16. November: Auch Innenminister sind Kriegsminister
*  1000 Tage Stellenpool Berlin: Öffentliche Leiharbeit
*  Kampf bei BSH: Schmerzhafte Lehren
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*  Bedingungsloses Grundeinkommen: Weg aus der Lohnarbeit?
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*  Vor 50 Jahren: Arbeiteraufstand in Ungarn
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