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Kampf bei BSH Berlin

Schwerzhafte Lehren

Markus Lehner, Neue Internationale 2006, November 2006

Am 20.10. erklärte die IG Metall nach einer Urabstimmung den Streik im Berliner Bosch/Siemens Hausgerätewerk (BSH) für beendet. Dabei hatten sich mehr als 2/3 der Streikenden gegen die Annahme des von der IG Metall ausgehandelten Ergebnisses ausgesprochen. Mit Berufung auf die IGM-Satzung, nach der 25% Zustimmung ausreichen, ignorierte die IGM-Führung jedoch dieses klare Votum und schaffte es schließlich - nach einigen dramatischen Stunden -, den Streik abzuwürgen.

Bei diesem Streik ging es um etwa 600 KollegInnen in der Produktion des Berliner BSH-Werkes.

Gleichzeitig bündeln sich in diesem Konflikt zentrale Widersprüche im aktuellen betrieblichen Abwehrkampf und den innergewerkschaftlichen Antworten darauf. Daher ist es über den aktuellen Anlass hinaus für alle klassenkämpferischen KollegInnen von großer Wichtigkeit, diese Vorgänge zu verstehen. Sie müssen v.a. verstehen, wie es 1. einerseits gelingen konnte, in einem scheinbar aussichtslosen Kampf wieder in die Offensive zu kommen; wie es dann 2. dazu kommen konnte, dass die IGM-Führung (und noch dazu deren „linker Flügel“ diesen Kampf ausverkaufen konnte; und 3. wieso es trotz einer eindrucksvollen Revolte großer Teile der aktiven Streikenden, schließlich nicht gelang, diesen Ausverkauf zu verhindern.

Ein aussichtloser Kampf?

Als 2005 nach schon damals heftiger Auseinandersetzung die BSH-Leitung den Schließungsbeschluss für das Berliner Werk zurück gezogen hatte, wussten alle Beteiligten in der Belegschaft, dass dies nur ein Aufschub sein konnte. Seit Jahren hatte der Konzern kaum mehr in das Berliner Werk investiert und systematisch neue Produktlinien an andere Standorte vergeben. Bekanntlich wurde im 35 Km entfernten Nauen eine tarifvertragsfreie Fabrik unter übelsten Bedingungen hochgezogen, die heute die Nachfolgeprodukte des Berliner Werks fertigt.

Gerade von Siemens- und BSH-Betriebsräten anderer Bereiche war immer wieder viel Häme über die „selbstverschuldete“ Lage der Berliner KollegInnen zu hören, die nicht „kompromissbereit“ und „flexibel“ genug waren, um ihren „Standort zu halten“. Diese Co-Manager in den Betriebsratsgremien sahen und sehen ihre „erfolgreiche Standortpolitik“, die zehntausende Arbeitsplätze geräuschlos abgewickelt und für den Rest die Arbeitsbedingungen verschlechtert hat, immer schon durch die aktive Gegenwehr der Berliner BSH-KollegInnen bedroht. Von dieser Seite war im aktuellen Konflikt also kaum Solidarität zu erwarten - eher das Gegenteil.

Als die BSH-Leitung im Sommer dieses Jahres der Berliner IG-Metall und dem BSH-Betriebsrat ihre Bedingungen für die Fortführung der Produktion übermittelten, schien jeder Widerstand vollkommen aussichtslos: durch De-Investition und Produktionsverlagerungen war so gut wie jedes ernsthafte ökonomische Druckmittel dahin, andererseits war von den anderen Siemens- und BSH-Betrieben kaum wirkungsvolle Solidarisierung zu erwarten.

Die Forderungen der BSH-Leitung liefen auf massiven Personalabbau bei gleichzeitigem Lohnverzicht ohne jegliche längerfristige Beschäftigungssicherung hinaus.

Als IG-Metall und Betriebsrat diese Forderungen abgelehnt hatten, folgte die Ankündigung der Werkschließung auf dem Fuße. Schon damals drängten Teile des Vertrauenskörpers auf sofortige Aktion. Tatsächlich wurden von der IG Metall nochmals langwierige Verhandlungen um die Rücknahme des Schließungs-Beschlusses begonnen. Damit wurde die Gelegenheit verpasst, in den Berliner Wahlkampf mit einer öffentlich wirksamen Arbeitskampfaktion zu platzen. Tatsächlich aber war der Konflikt bereits zwei Wochen vor dem offiziellen Streikbeginn in einen „kalten“ Streik übergegangen. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ruhte die Arbeit durch „ununterbrochene Betriebsversammlungen.“

Tatsächlich war es lange nicht klar, ob die IGM überhaupt einen Streik zulassen würde! Immerhin sah man in der Frankfurter Führung einen Arbeitskampf sowieso für aussichtslos an O-Ton IGM-Vize Berthold Huber: „Weiße Ware hat in Deutschland keine Zukunft - dafür ruiniere ich keine Tarifverträge.“

Andererseits waren auch die mächtigen Betriebsrats“fürsten“ im Konzern aus den schon genannten Gründen dagegen. Hier erwies sich der Druck der Belegschaft - einerseits durch die permanenten Betriebsversammlungen mit großartiger Beteiligung, andererseits die immer größere Wahrscheinlichkeit, dass sich dies in eine Besetzung umwandelt (auch hier wurden Gelegenheiten verpasst, als man sich auf „Werktorbesetzungen“ beschränkte) - als entscheidend.

Bürokratentaktik

Mit diesem Druck im Hintergrund konnten die dem „linken“ IGM-Flügel zugerechneten Funktionäre Luis Sergio (der zuständige Gewerkschaftssekretär) und Olivier Höbel (IGM-Bezirksleiter) nach dem Scheitern der Verhandlungen die Urabstimmung über einen Streik einleiten.

Nach einem Ergebnis von über 97% begann am 25. September der Streik um einen „Sozial-Tarifvertrag“. Dies ist die neue „Wunderwaffe“ der „linken“ Gewerkschaftsführer im Kampf gegen Werkschließungen - als Alternative zu der geräuschlosen Abwicklungspolitik über Sozialpläne durch die rechten Co-Management-Bürokraten.

Unter Umgehung des restriktiven deutschen Streikrechts soll ein Streik um Werkerhalt indirekt über unrealistisch hohe Abfindungsforderungen, welche in die Form eines Tarifvertrags gegossen werden, als normale Tarifauseinandersetzung legalisiert werden. Wie bei Heidelberger-Druck, Otis, CNH, AEG gesehen, endeten aber auch diese Streiks bisher nicht mit Werkserhalt, sondern mit mehr oder weniger verbesserten Sozialplänen.

Außerdem bleibt den Unternehmern immer noch das Mittel - wie auch bei BSH schon vorbereitet - über eine Einigungsstelle (also die bürgerliche Justiz) letztlich doch einen Sozialplan zu erzwingen. Auch dieses Mittel dient also vor allem dazu, Dampf und Wut der Beschäftigten abzulassen. Die Gewerkschaftsbürokratie demonstriert ihren Mitgliedern, dass sie gegen die Schließungen doch „was macht“.

Dass es bei BSH anders kam, liegt einerseits an der besonderen Geschlossenheit der Belegschaft und der gelungenen Hauptaktion „Marsch der Solidarität“, andererseits an der kritischen Situation, in die der Siemens-Vorstand Ende September bundesweit geschlittert war. Nach zahlreichen Ausgliederungen und Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen für zehntausende von KollegInnen (Com, SBS, Fujitsu-Siemens usw.) und trotz Milliarden-Gewinnen beging der Siemens-Aufsichtsrat dann auch noch die Dummheit, eine 30%ige  Erhöhung der Top-Managergehälter öffentlich werden zu lassen. In die Empörung darüber platzte dann noch die BenQ-Pleite - also das Offenbarwerden, dass die „Rettung“ der Mobiltelefonie-Fertigung durch Lohnverzicht und anschließenden Verkauf eine gewaltige Betrugsaktion war, um tausende KollegInnen kostengünstig abwickeln zu können.

In dieser Situation der allgemeinen öffentlichen Empörung über Kleinfeld & Co. drohte der „Marsch der Solidarität“ der BSH-KollegInnen zu einer bundesweiten Protestbewegung gegen die „Killerkapitalisten“ in den Vorständen - nichts nur von Siemens - zu werden.

Die Aktionsform des „Marsches der Solidarität“ wurde nicht zufällig in einem Werk mit hohem Anteil von KollegInnen türkisch/kurdischer Herkunft entwickelt. Sie wurde einem Marsch von Bergarbeitern abgeschaut, der vor einigen Jahren in der Türkei von einem kleinen Protestzug zu einer wahren Massenbewegung gegen die Arbeitsgesetzgebung der türkischen Regierung angewachsen war.

Auch die BSH-KollegInnen bereisten in kurzer Zeit eine Reihe wichtiger betrieblicher Brennpunkte und nahmen vor Ort Kontakt mit den KollegInnen auf. Insbesondere der Besuch in Kamp-Lintfort, dem von der Schließung bedrohten BenQ-Werk, wurde in dieser Stadt zu einer riesigen Veranstaltung. Es zeichnete sich klar ab, dass die KollegInnen dort sich dem Marsch der BSH-KollegInnen auf München, der für den 19.10. geplant war, anschließen würden. Ebenso eindrucksvoll zeichnete sich die Unterstützung durch die KollegInnen von AEG-Nürnberg ab. Schließlich konnten die BSH-Betriebsratsfürsten auch nicht verhindern, dass es zu einer massiven Unterstützung der Berliner aus den anderen BSH-Werken (Dillingen, Giengen, Traunreuth) kommen würde.

Sowohl für die Bürokratie als auch für den Siemens-Vorstand kündigte sich ein Super-GAU an: kämpfende Belegschaften, die ihre Aktionen spontan verbinden und eine Dynamik auslösen, die von der Bürokratie schwer kontrollierbar ist. Das wäre auch deshalb besonders brisant gewesen, weil es kurz vor den bundesweiten DGB-Demonstrationen eine massive Anti-Siemens-Aktion direkt im Herzen der Bestie (vor der Konzernzentrale) gegeben hätte. So hätten auch aus den Protesten am 21.10. vielleicht mehr werden können, als nur eine symbolische Heerschau der Kräfte …

Es ist kein Wunder, dass sowohl IGM-Führung, als auch Siemens/BSH-Leitung in dieser Situation „Verhandlungsbereitschaft“ signalisierten.

Der scheinbar aussichtslose Kampf war durch die mögliche Verbindung mit anderen Kämpfen und die allgemeine Situation des Siemens-Konzerns zu einer Bedrohung für das Kapital geworden. Eine erste wichtige Lehre!

Der Ausverkauf des Kampfes

Statt die Defensive des Siemens-Konzerns zu nutzen und den anschwellenden „Marsch der Solidarität“ tatsächlich zu einer Vernetzung verschiedener betrieblicher und gesellschaftlicher Kämpfe zu machen, wurde diese Situation von der Bürokratie bloß als kleine Münze für bescheidene Verhandlungsergebnisse sowohl bei BSH als auch bei BenQ eingesetzt.

Schon während des „Marsches“ wurde deutlich, dass die Bürokratie - speziell die Funktionsträger im Siemens-Konzern -, diesen so gut es ging, zu ignorieren versuchten. Die Münchner IGM tat so gut wie nichts für eine Mobilisierung für den 19.10.

Statt die Defensive des Siemens-Konzerns zu nutzen, kam aus den IGM-Organisationen dieses Konzerns so gut wie nichts an Unterstützung für den „Marsch“. Trotz aufgeheizter Stimmung der Belegschaften des Konzerns angesichts der beschriebenen Situation Ende September wurde dies von den Betriebsratsspitzen so gut sie es konnten beruhigt und klein gehalten, statt sich dem „Marsch“ anzuschließen, um gegen die massiven Verschlechterungen der letzten Jahre in die Offensive zu kommen. Es war die Gelegenheit - wie es ein BSH-Kollege in einer Streikversammlung treffend ausdrückte -, die Hand an die Gurgel des Siemens-Konzerns zu legen.

Bei aller Kritik an den örtlichen Exekutoren des BSH-Ausverkaufs müssen aber v.a. die wahren Schuldigen klar benannt werden: Es sind die Co-Manager-Betriebsräte im Siemens-Konzern und ihre IGM-Handlanger bis hinauf in den IGM-Vorstand, die in den BSH-Aktionen letztlich nichts als eine Bedrohung ihrer versöhnlerischen Politik gesehen haben, und die letztlich - sicher nach Geheimverhandlungen mit dem Siemens-Vorstand - das rasche Ende der Auseinandersetzung eingeleitet und erzwungen haben.

Anders ist es auch nicht zu erklären, wieso der „Weiße-Ware“-Fan Huber plötzlich doch einer erneuten massiven Durchlöcherung des Flächentarifvertrags beim BSH-Abschluss zustimmen konnte. Denn das Verhandlungsergebnis, das am 17.10. nachts erzielt wurde, liest sich tatsächlich wie ein Who-is-Who der möglichen TV-Verschlechterungen: Kürzungen bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, Verzicht auf den ERA-Fonds (unter Inkaufnahme von Abgruppierungen), Arbeitszeitverlängerungen (40-Stundenwoche bei der gar nicht zur Abwicklung vorgesehenen Entwicklungsabteilung, 36-Stunden im Rest), Verzicht auf Überstunden- und Schichtzuschläge, auf betriebsspezifische Zulagen etc. etc.

Alles in allem gerade auch für die Niedriglohngruppen teilweise bis zu 300 Euro Verlust. Und dazu noch der Abbau von 216 Arbeitsplätzen (2/3 der Produktion). Dies im Gegenzug zu einer Rücknahme des Werkschließungsbeschlusses mit Beschäftigungsgarantie bis 2010.

Die “linken” Funktionäre

Die Exekutoren dieses Ergebnisses, die „linken“ Funktionäre Höbel und Sergio, sehen dieses bis heute tatsächlich als „Erfolg“. Zum ersten Mal sei es gelungen, mit Hilfe eines Streiks einen Werkschließungsbeschluss rückgängig zu machen. Ein weitergehendes Ergebnis sei angesichts des Kräfteverhältnisses (dabei anspielend auf die gewerkschaftliche Situation innerhalb des Siemenskonzerns) utopisch gewesen.

Der heftigen Ablehnung des Ergebnisses durch einen großen Teil der Streikenden und der folgenden Anfeindung, der gerade diese beiden Funktionäre ausgesetzt waren, begegnen Sergio und Höbel mit völligem Unverständnis. Teilweise verfallen sie dabei nun in Verschwörungstheorien, die „linke Sektierer“ und den opponierenden Vertrauenskörperleiter Hüsseyin Aykurt als jene ausmachen, die diesen „Erfolg“ gegenüber der Belegschaft madig gemacht hätten.

Ein Musterbeispiel für die Rolle, Funktion und Denkweise der „linken“ Gewerkschaftsbürokratie: die gesellschaftliche Dimension, die der Kampf angenommen hat, wird ignoriert, man bleibt in der kleinlichen Auseinandersetzung der Bürokratie-Flügel befangen, sieht diese fälschlich als „gesellschaftliches Kräfteverhältnis“.

Statt also die Blockaden, Sabotagen und sich abzeichnenden Deals der rechten Bürokraten aufzudecken und sich auf die Seite einer anschwellenden Bewegung aus der Basis heraus zu stellen, bleibt man doch lieber im Rahmen des Apparats, hält sich an seine Regeln - und wird schließlich zum Instrument, um die überbordende Basis wieder zu zügeln.

Im Wechselspiel der Bürokratie-Flügel dient die „Linke“ dazu, den Druck der Basis, wenn es sein muss, aufzunehmen; ja eigentlich sogar die Kämpfe zu führen, denen sich die Verhandlungsposition der Bürokratie insgesamt verdankt; letztlich aber auch dafür zu sorgen, dass die Kämpfe unter Kontrolle der Bürokratie bleiben und abgewürgt werden.

Auch bei BSH haben die „Linken“ wieder einen Brosamen errungen, indem erstmals mit ihrer Methode eine Werkschließung verhindert wurde - ein zweifelhafter „Erfolg“ angesichts des bekannten Wertes von „Beschäftigungsgarantien“ und der fehlenden konkreten Investitionszusagen für das verbliebene Werk.

Worum es bei dem Deal jedoch sowohl der IGM-Führung als auch den Konzernchefs vor allem ging, zeigt sich im Punkt 9 der Vereinbarung: hier wurde noch in der Verhandlungsnacht die sofortige Absage der Protestaktion in München am 19.10. vereinbart. Dies wurde von der IGM-Führung auch in einer für diese schwerfällige Bürokratie einmaligen Geschwindigkeit sofort umgesetzt. Und dies, ohne die Diskussion oder gar eine Abstimmung der streikenden KollegInnen auch nur abzuwarten!

Stattdessen wurden die im Bus befindlichen KollegInnen (die gerade auf dem Weg zu einem bayrischen BSH-Werk waren, um mit ihnen nach München aufzubrechen), wenige Kilometer vor München plötzlich zurückgerufen - bevor sie in Berlin waren, hielt es die IGM nicht mal für nötig, den KollegInnen den Grund für die Umkehr mitzuteilen! Die Bürokraten wussten offenbar recht genau, welches Bewusstsein die Mehrheit der Streikenden inzwischen mit den Solidaritätsaktionen entwickelt hatte.

Revolte ohne Perspektive?

Für die Bürokraten überraschend wurden die Streikversammlungen vom 18.-20.10. zu einem wahren Scherbengericht über ihre Politik. Weder die Einkommensverzichte noch die Entlassungen waren für die Mehrheit der sich zu Wort Meldenden akzeptabel („Entweder wir bleiben alle, oder wir gehen alle“). Dem vorher in der Belegschaft überaus beliebten Luis Sergio wurde am Ende in Zwischenrufen nicht mal mehr das „Kollege“ zugestanden, Olivier Höbel kam fast gar nicht mehr zu Wort. Die Stimmung wurde so explosiv, dass der Betriebsratsvorsitzende, Güngör Demirci, der vorher das Ergebnis mit ausgehandelt hatte, am 19.10. plötzlich Verständnis für die Ablehnung äußerte, und eine Fortführung des Streiks zusagte, falls die KollegInnen dies entscheiden würden.

Auf diese Weise konnte er weiterhin Einfluss auf den Verlauf der Entwicklung nehmen. Ansonsten wäre die Führung der weiteren Entwicklung dem VK-Leiter Hüsseyin Aykurt zugefallen, dem einzigen Funktionär, der noch breites Vertrauen der KollegInnen besaß. So gelang es schließlich auch, statt die Richtung durch eine sofortige Abstimmung im Streikzelt vorzugeben, auf das Ergebnis der Urabstimmung zu warten.

In der Urabstimmung gelang es, genügend Unentschlossene und am Streik gar nicht Beteiligte zu finden, um die 75%-Mehrheit für den Streik noch zu verhindern. Trotzdem war das Ergebnis von über 2/3-Ablehnung des Ergebnisses derart klar, dass Aykurt zu Recht in der Versammlung erklärte: „Das Ergebnis ist eindeutig: Wir setzen den Streik fort!“

Der Versuch des Bezirksleiters, zur Versammlung zu sprechen, führte zum fast geschlossenen Auszug der KollegInnen aus dem Streikzelt. Nachträglich betrachtet war dies der Moment, in dem eine Besetzung des Werkes die notwendige Steigerung der Aktionsdynamik gewesen wäre. Sie hätte eindeutige Fakten geschaffen und eine Neuorganisierung von Aktionsleitung und Beteiligung der BasiskollegInnen erzwungen.

Da es in dieser Situation von keiner Seite eine klare Ansage gab, kehrten die KollegInnen schließlich ins Streikzelt zurück, wo ihnen der Betriebsratsvorsitzende abrang, dass sie abwarten sollten: er werde mit dem VK-Leiter zusammen noch mal mit der IGM wegen der Fortführung des Streiks verhandeln, speziell um die Forderung des Ausschlusses aller Kündigungen. Auf diese Weise für Stunden ruhig gestellt, blieben die KollegInnen ratlos zurück und die Stimmung kühlte immer mehr ab.

Schließlich wurden sie auch noch mit Besuchen von Gysi und Wowereit beglückt, die ihnen zu dem „hervorragenden Ergebnis“ gratulierten. Als dann die entscheidende Streikversammlung spätabends begann, war die Luft schon raus, so dass Ratlosigkeit und das Bewusstsein von einer immer mehr schwindenden Einheit in den eigenen Reihen um sich griffen. Als sich die Versammlung ohne Ergebnis auflöste, war klar, dass die Resignation gesiegt hatte.

Am nächsten Tag kam nur noch ein harter Kern, mit dem eine Fortführung des Streiks nicht mehr möglich gewesen wäre.

Ob eine Besetzung unmittelbar nach der Urabstimmung und ein folgender „wilder“ Streik tatsächlich möglich gewesen wären, lässt sich nachträglich schwer beurteilen. Es wäre jedoch falsch, hier einfach Hüsseyin Aykurt die „Verantwortung“ zuzuschieben. Ob im harten Kern der AktivistInnen genügend Kräfte für die schwierige Organisierung einer solchen Mammutaufgabe vorhanden waren, lässt sich ohne Verankerung unter den KollegInnen und genauere Kenntnis der AktivistInnen schwer beurteilen.

Sicher aber lassen sich insgesamt aus der Entwicklung wichtige Lehren ziehen: In solch entscheidenden Klassenkampf-Situationen erweist es sich als verhängnisvoll, wenn gegenüber der bürokratischen Führung (speziell wenn sie auch noch dem „linken“, „kämpferischen“ Flügel angehört) vorher keine Basisstrukturen des Kampfes aufgebaut, keine alternativen Führungskerne gebildet wurden, die von den Interessenlagen der Bürokratie und ihren Ideologien unabhängig sind, sich wesentlich der Entscheidungen der Basisorgane verpflichtet fühlen und zur Zuspitzung der Klassenauseinandersetzung entschlossen sind.

Letztlich ist dies ein politisches Problem. Was entscheidend ist, ist eine kommunistische Basisorganisation im Betrieb, die über die aktuellen Stimmungen, Schwankungen und bürokratischen Richtungsausschläge hinaus zu denken in der Lage ist und den Kern einer klassenkämpferischen Opposition im Betrieb und darüber hinaus bildet.

Auch die Notwendigkeit einer überbetrieblichen klassenkämpferischen Basisbewegung wird in dem aktuellen Kampf wieder klar sichtbar: Nur eine vernetzte Opposition in den Siemens-Betrieben hätte letztlich die entscheidende Blockade, die es für die Ausweitung des Kampfes der BSH-KollegInnen gab, durchbrechen können. Die verstärkte Arbeit an einem solchen Oppositionsnetzwerk ist die richtige Antwort, damit der Kampf der BSH-KollegInnen nicht ganz umsonst war. Gerade der Protest gegen den Ausverkauf des Kampfes, das Verhalten der IGM-Funktionäre im Siemens-Konzern, die möglichen Repressionen gegen die BSH-„Rebellen“ durch den Gewerkschaftsapparat, etc. stellen dabei ebenso Ansatzpunkte für diese Opposition dar, wie die Kampagne gegen die bürokratische Gängelung der „Alternative“-KollegInnen bei Daimler-Chrysler.

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Nr. 115, November 2006

*  Nach dem DGB-Aktionstag: Wie weiter?
*  Netzwerk Linke Opposition: Ein Schritt vorwärts
*  Anti-G8-Aktionskonferenz: Antiimperialistische Mobilisierung!
*  16. November: Auch Innenminister sind Kriegsminister
*  1000 Tage Stellenpool Berlin: Öffentliche Leiharbeit
*  Kampf bei BSH: Schmerzhafte Lehren
*  Heile Welt
*  Bedingungsloses Grundeinkommen: Weg aus der Lohnarbeit?
*  Was will REVOLUTION: Kommunistische oder kleinbürgerliche Jugendorganisation?
*  Vor 50 Jahren: Arbeiteraufstand in Ungarn
*  Nordkorea: Imperialisten machen Front
*  Bolivien: Vor dem Bürgerkrieg?