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Prekäre Arbeit und industrielle Reservearmee

Arm trotz Arbeit

Peter Lenz, Neue Internationale 104, Oktober 2005

Die Zahl der Erwerbslosen, die als "Leistungsempfänger" statistisch geführt werden, sowie derer, die in Maßnahmen, Ein-Euro-Jobs usw. stecken, wird wohl bei acht Millionen liegen.

Hinzu kommt die Demontage der "Normalarbeitsverhältnisse“, was in zunehmendem Maße zu prekären Beschäftigungsverhältnissen führt, d.h. Teilzeitjobs, geringfügige Beschäftigung, Niedriglohnjobs, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit usw.

"Normalarbeitsverhältnisse"

Das „Normalarbeitsverhältnis“ ist keine für den Kapitalismus von Anfang an typische Form von Lohnarbeit und auch nicht weltweit die Regel. Es ist Ergebnis gewerkschaftlicher Kämpfe, es setzt zudem einen gewissen Spielraum des Kapitals voraus und ist unter kapitalistischen Verhältnissen eher typisch für imperialistische Länder. Doch die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Produktion laufen dem "Normalarbeitsverhältnis" als Regel für alle Beschäftigungsverhältnisse entgegen, versuchen es tendenziell aufzuheben. Wenn die Neoliberalen von "Überregulierung" des Arbeitsmarktes reden und diesen "deregulieren" wollen, so drücken sie diese im Kapitalismus wirkende Tendenz politisch nur offen aus.

Aktuell sind die Kapitalisten mit ihren Angriffen auf Tarif- und Arbeitsmarktregelungen schon in vielen Bereichen voran gekommen. Tariflose Bereiche, Niedriglohnsektor, Lockerung des Kündigungsschutzes und schrittweise Aufweichung von tariflichen Leistungen sind kennzeichnend dafür. Flexibilisierung der Arbeitszeit nach oben und nach unten zeigt die Bemühungen, volle Souveränität über die vertraglich gebundene Arbeitskraft zu bekommen und sie der jeweiligen Auftragslage optimal anzupassen. Dahinter steht die sich mit der „Globalisierung“ immer weiter verschärfende Konkurrenz und die immer hektischere Suche nach „billigeren“ Standorten und Absatzmärkten.

Vollbeschäftigung ist auf dem Boden der Kapitalverwertung weder möglich noch gewollt, es sei denn vorübergehend in einzelnen Ländern unter besonderen Bedingungen, z.B. in der BRD in den 1960er Jahren. Doch seitdem hat sich in der BRD eine beständig größer werdende industrielle Reservearmee gebildet. Diese  Entwicklung wird weitergehen, da es sich um einen internationalen Prozess handelt, der durch die Konkurrenz der international agierenden Kapitale erzwungen wird. So dreht sich die Schraube permanent weiter nach unten.

Völlig neu sind diese Tendenzen allerdings nicht. Karl Marx zitierte schon 1867 im Ersten Band des „Kapitals“ einen englischen Kolonialbeamten:

"Nun hängen die Profite unsrer Fabrikanten hauptsächlich von der Macht ab, den günstigen Moment lebhafter Nachfrage zu exploitieren und sich so für die Periode der Erlahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist ihnen nur gesichert durch Kommando über Maschinerie und Handarbeit. Sie müssen disponible Hände vorfinden; sie müssen fähig sein, die Aktivität ihrer Operationen wenn nötig höher zu spannen oder abzuspannen, je nach dem Stand des Markts, oder sie können platterdings nicht in der Hetzjagd der Konkurrenz das Übergewicht behaupten, auf das der Reichtum dieses Landes gegründet ist." (MEW, Bd. 23, S. 663)

Weiter heißt es dort:

„Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachstum der Bevölkerung unabhängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch den einfachen Prozess, der einen Teil der Arbeiter beständig "freisetzt", durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhältnis zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung eines Teils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäftigte Hände." (MEW, Bd. 23, S. 661)

An dieser Analyse gibt es auch nach über 140 Jahren nichts zu deuteln, was neuerdings sogar bürgerliche "Wirtschaftsexperten" manchmal bereit sind zuzugeben.

Von 1991-99 ist der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse in Deutschland von 68,4 auf 58,6 % zurückgegangen, bei gleichzeitigem Anwachsen der Quote prekärer Arbeitsverhältnisse. Von 1991 bis 2004 sind 5,5 Millionen Vollzeitarbeitsplätze vernichtet worden.

"2003 waren 12 Mio. Arbeitskräfte dauernd oder zeitweise arbeitslos gemeldet (4,4 Mio. am Ende des Jahres plus 7,6 Mio. im Laufe des Jahres). Dazu kommen 1,4 Mio. arbeitsunfähige Arbeitslose, die ständig aus der Statistik herausfallen, weil sie während ihrer Krankheit nicht vermittelbar sind, plus 2,7 Mio. Arbeitslose in der sogenannten Stillen Reserve. Alles zusammen ergibt 16 Mio. Personen, die 2003 arbeitslos waren" (Rainer Roth, „Working Poor“ - arm trotz Arbeit, 2005)

Jugend und Alter

Hunderttausende Jugendliche kommen erst gar nicht in das sog. Normalarbeitsverhältnis. Durch die Verweigerung einer Ausbildung werden sie gleich auf eine prekäre Tätigkeit oder die Eingliederung in die industrielle Reservearmee "vorbereitet". Denjenigen, die eine Ausbildung, gleich welcher Qualität, bekommen, wird die Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis oft verwehrt. Bei VW wollen die Kapitalisten jetzt z.B. die Ausbildung ausgliedern in einen nicht tarifgebundenen Bereich, um die Jugendlichen nach der Prüfung nicht übernehmen zu müssen, wie es in den Tarifverträgen mit der IGM vorgesehen ist. Aber selbst eine Hochschulausbildung bewahrt Jugendliche nicht mehr vor Arbeitslosigkeit. Vermehrt müssen sie ihre Arbeitskraft umsonst oder zu Schleuderpreisen den Kapitalisten anbieten, um dann doch wieder mit leeren Händen dazustehen.

Schlimmer noch die Lage derjenigen, die zunehmend durch Studiengebühren usw. zum Abbruch der Ausbildung gezwungen werden, sie landen gleich in den durch Hartz IV geprägten Armutsverhältnissen. Neben den prekären Arbeitsverhältnissen tauchen vermehrt Arbeitsverhältnisse mit direktem Zwangsarbeitscharakter auf: Ein-Euro-Jobs für Hartz-IV-EmpfängerInnen, für Jugendliche teilweise Zwangs"praktika" direkt nach der Hauptschule heraus.

Gleichzeitig werden immer mehr ältere ArbeiterInnen vorzeitig aus dem Arbeitsprozess verdrängt (Vorruhestand, Invalidität usw.) - entgegen der Propaganda von längerer Lebensarbeitszeit. In ganzen werden Arbeitskräfte über 40 Jahre nicht mehr in feste Arbeitsverhältnisse übernommen.

Die eventuelle Einführung von Regelungen zur Verlängerung des Arbeitsalters dienen allenfalls dazu, den kaum in Arbeit stehenden und auch Berufsfeldern kaum noch vermittelbaren älteren ArbeiterInnen anstatt einer einigermaßen auskömmlichen Rente nur Ein-Euro-Jobs oder Hartz IV zuzugestehen. Auch der Anteil von Frauen und MigrantInnen an prekären Arbeitsformen ist überdurchschnittlich.

Sozialabbau

Eine besondere Qualität gewinnt der Absturz in die Erwerbslosigkeit in den Industrieländern unter den Bedingungen des beschleunigten Abbaus sozialer Leistungen. Die Arbeitskraft im Normalarbeitsverhältnis ist durch eine Vielzahl von Verpflichtungen gebunden, in Verträgen "privater Vorsorge", in Leasingverträgen für KFZ zur Erhaltung der notwendigen Mobilität, um zum Arbeitsplatz zu gelangen usw.  Der  Absturz auf das  Einkommensniveau von ALG II vollzieht sich oft schneller, als ein Herauskommen aus den Verträgen des bürgerlichen Rechts möglich ist. Die rasant wachsende Zahl der "Privatinsolvenzen" dokumentiert dies eindrucksvoll.

Aus dem Normalarbeitsverhältnis werden Hunderttausende in fragliche Formen von "Selbstständigkeit" gedrängt, die aber meist durch hohe Abhängigkeit und von hoher Unsicherheit des Einkommens und damit der Existenz geprägt ist. Ständig am Rand des völligen Ruins und Absturzes, ständig im Zustand einer Überausnutzung der eigenen Arbeitskraft, oft ohne Krankenversicherung und Altersabsicherung.

Erhöhung der Arbeitsintensität

"Das Kapital agiert auf beiden Seiten zugleich. Wenn seine Akkumulation einerseits die Nachfrage nach Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrerseits die Zufuhr von Arbeitern durch deren "Freisetzung", während zugleich der Druck der Unbeschäftigten die Beschäftigten zur Flüssigmachung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von Arbeitern unabhängig macht. Die Bewegung des Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die Despotie des Kapitals." (MEW, Bd. 23, S. 669)

So führt diese "Flüssigmachung von mehr Arbeit" wieder zur "Freisetzung" weiterer Lohnabhängiger. Selbst für die "Kernbelegschaften" kommt es zu Lohnsenkungen. Der "Niedriglohnsektor" ist auch in der BRD längst schon für Hunderttausende bittere Realität. Die Ein-Euro-Jobs geben die Richtung an, in die sich die Stundenlöhne entwickeln sollen.

Angesichts dessen ist es entweder Dummheit oder Unkenntnis, wenn Linkspartei-Guru Gregor Gysi nur positiv vermerkt, dass in anderen Ländern die Löhne höher gestiegen seien als in Deutschland. Vor lauter neokeynesianischer Euphorie ist es ihm wohl entgangen, dass es gerade in den angeführten Ländern (z.B. USA, Holland) in den letzten Jahren einen massiven Zuwachs von working poor, also Armut trotz Arbeit gab, dass Hunderttausende sich mit mehreren Mini-Jobs durchschlagen müssen. Selbst steigende Real-Löhne resultieren oft auch daraus, dass einige Verbraucherpreise niedrig geblieben oder z.T. sogar gesunken sind, weil die Produkte in Asien unter extremer Überausbeutung hergestellt werden. Dazu kommt, dass die Lohnerhöhungen oft von den Einbußen durch den Sozialabbau nicht aufgefressen werden sondern es oft sogar eine klare Absenkung des Lebensniveaus der Arbeiterklasse gibt. Diese Tatsachen gehen aber offenbar über den Horizont der Reformierung des Kapitalismus hinaus ...

Doch von Gysis sozialem Kapitalismus zurück zu Marxens Kapital. "Was freigesetzt wird“, schreibt er, “sind nicht nur die unmittelbar durch die Maschine verdrängten Arbeiter, sondern ebenso ihre Ersatzmannschaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschäfts auf seiner alten Basis, regelmäßig absorbierte Zuschußkontingent. Sie sind jetzt alle "freigesetzt", und jedes neue funktionslustige Kapital kann über sie verfügen ... Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert ..." (ebenda, S. 674)

Alle Maßnahmen des bürgerlichen Staats, auch in seiner „sozialstaatlichen“ Ausprägung, haben am Wachstum der industriellen Reservearmee, der Ausweitung prekärer Arbeitsformen, der Verarmung breiter Schichten nichts geändert, sondern sie im Gegenteil im Sinne des Kapitals befördert.

Die industrielle Reservearmee schürt die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen, im Betrieb, in der Region, zwischen ArbeiterInnen verschiedener Nationalitäten. Die Erwerbslosigkeit wird zu einer ständigen Bedrohung in Form mehrerer Millionen „Lohndrücker“ für die aktuell in Lohnarbeit Stehenden.

"Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Überproduktion und des Paroxysmus (Medizinischer Begriff für Anfall, höchste Steigerung von Krankheitserscheinungen, d. Verf.) im Zaum." (MEW, Bd. 23, S.668)

Schon Marx schrieb von den "labouring poor", den arbeitenden Armen und nannte dies ein "Kunstprodukt der modernen Geschichte". In der BRD ist inzwischen ein ausgedehnter Niedriglohnsektor entstanden, teilweise durch Tarifverträge gewerkschaftlich toleriert. Es geht aber auch an die Löhne der Kernbelegschaften, wie bei Siemens, Opel, VW usw. deutlich zu sehen.

Die Ruinierung der ArbeiterInnen

2003 betrug die Arbeitslosenquote der ArbeiterInnen 18,4 Prozent, Tendenz steigend. Es besteht die reale Gefahr der sozialen Degenerierung erheblicher Teile der Arbeiterschaft, bedingt durch chronische Arbeitslosigkeit und  Verelendung. Die bürgerlichen Statistiker ergötzen sich an zweifelhaften Wachstumsquoten - die Realität für die Arbeiterschaft aber ist das eigentliche Kriterium, an dem wir die gesellschaftliche Entwicklung beurteilen.

"Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: Die Erde und den Arbeiter." (MEW 23, S. 529f)

Im selben Sinne schrieb dazu Lenin: „ ... bilden auch die Produktivkräfte die grundlegende bewegende Kraft der historischen Entwicklung, so vollzieht sich jedoch diese Entwicklung nicht außerhalb der Menschen, sondern durch sie. (...) Die erste Produktivkraft der ganzen Menschheit ist der Arbeiter, der Werktätige." (LW 29, S. 352)

Diese erste Produktivkraft aber wird im kapitalistischen System ausgesaugt von der toten Arbeit. Alle "Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit" vollziehen sich "auf Kosten des individuellen Arbeiters (...) verstümmeln den Arbeiter zu einem Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine." (MEW 23, S. 674)

Wenn aber die erste Produktivkraft derart gefesselt wird, wie kann man dann behaupten, die Bourgeoisie würde "die Produktivkräfte entfalten"?! Die Realität straft die bürgerlichen Ideologen in mehrerer Hinsicht Lügen: 1. wird permanent ein erheblicher Teil des gesellschaftlichen Gesamtarbeitsvermögens vergeudet; 2. dient selbst das verwendete Arbeitsvermögen oft unproduktiven Zwecken (Werbung usw.) oder gar kontraproduktiven Zwecken (Militär); 3. werden das Interesse, die Kreativität der Arbeitenden durch die Entfremdung der Arbeit ständig untergraben.

Untersuchten Marx und Engels noch speziell die Arbeits- und Lebensbedingungen der irischen ArbeiterInnen in England, so ist mit fortschreitender Internationalisierung der Produktion auch die industrielle Reservearmee weiter internationalisiert worden. So werden die Lohnabhängigen im internationalen Maßstab in Konkurrenz gesetzt, erpresst, Lohnsenkungen erzwungen  usw.

Auch die prekär Arbeitenden sind diesem Prozess unterworfen. So stellt die "Bolkestein"-Doktrin den Versuch dar, die prekär Arbeitenden vor Ort internationaler Konkurrenz auszusetzen. Gerade die "Scheinselbstständigkeit" wird hier zur Methode, alle tarif- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen auszuhebeln.

Gewerkschaften und Gegenstrategien

Die Konzentration der Gewerkschaften auf LohnarbeiterInnen im Normalarbeitsverhältnis, auf den Facharbeiter, auf die Kernbelegschaften der Industriebetriebe und Verwaltungen, hat nicht nur historische Gründe. Die Organisierung der "Kernbelegschaften" ist einfacher, durch eine gewisse Beitragshöhe der Organisierten auch attraktiver für die Alimentierung des gewerkschaftlichen Apparates. Die Betreuung zersplitterter, prekärer Randbelegschaften ist erheblich aufwändiger. Doch genau diese Konzentration untergräbt auch die Lage der Kern-Beschäftigten in den Großbetrieben.

"Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungnem Müßiggang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechenden Maßstab (...) Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselnde Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponiblen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind. (ebenda S. 512/513)

Marx arbeitet auch heraus, dass diese ökonomische Realität sehr wohl auch eine politisch-ideologische Entsprechung erzeugt.

„Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimnis kommen, wie es angeht, dass im selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichtum produzieren und die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als Verwertungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie entdecken, dass der Intensitätsgrad der Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und gar von dem Druck der relativen Übervölkerung abhängt; sobald sie daher durch Trade Unions usw. eine planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten zu organisieren suchen, um die ruinierenden Folgen jenes Naturgesetzes der kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwächen, zetert das Kapital und sein Sykophant, (der Begriff wurde schon im Altertum im übertragenen Sinne für alle Denunzianten gebraucht, der Verf.) der politische Ökonom, über Verletzung des "ewigen" und sozusagen "heiligen" Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr. (ebenda  S. 670)

Es ist eine - und immer wichtiger werdende - Aufgabe von GewerkschafterInnen, die "planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten" zu organisieren, gegen alle Widerstände der Gewerkschaftsführungen. Dies wird auch eine zentrale Aufgabe bei der Formierung einer aktiv eingreifenden Gewerkschaftslinken sein. Gerade für die prekär Arbeitenden gilt es, neue organisatorische Formen zu finden, eng verbunden mit denen der "Kernbelegschaften" und der Erwerbslosen.

Es ist die Aufgabe einer revolutionären Organisation, die "Geheimnisse" der kapitalistischen Produktion zu lüften, den Schleier ihrer „Naturnotwendigkeit“ zu zerreißen. Reformistische Strömungen versuchen, ob bewusst oder unbewusst, diese Zusammenhänge zusätzlich zu vernebeln, hauptsächlich, indem sie verbreiten, eine Abmilderung dieser Entwicklungen sei dauerhaft im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse möglich.

Weil das nicht so ist, und weil es diese anderen Strömungen und das „naturgemäße“ reformistische Bewusstsein in der Arbeiterklasse nun einmal gibt, ergibt sich daraus auch die Notwendigkeit einer revolutionären Arbeiterpartei, die Notwendigkeit einer revolutionären Organisierung, unabhängig von den anderen politischen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung.

Jeder Ansatz, Arbeitslosigkeit, Niedriglohn und prekäre Arbeitsformen in einem nationalstaatlich begrenzten Rahmen zu bekämpfen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Jeder nationalstaatliche Ansatz, der darauf abzielt, den "eigenen Sozialstaat" wieder zu errichten, weckt Illusionen, schürt Nationalismus und macht die Arbeiterbewegung zum Anhängsel der jeweiligen Kapitale und Imperialismen, setzt sie in Gegensatz zu anderen Lohnabhängigen. Sie beraubt die Lohnabhängigen eines der wichtigsten Kampfmittel, nämlich international koordinierte Aktionen gegen international agierende Konzerne durchführen zu können.

Eine neue internationale Bewegung und Organisation ist von der Geschichte eindeutig auf die Tagesordnung gesetzt worden. Auch um diese Frage muss es sowohl in der Gewerkschaftslinken als auch in der Diskussion um die weitere Entwicklung der Linkspartei gehen!

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Nr. 104, Oktober 2005

*  Generalangriff abwehren! Neue Arbeiterpartei erkämpfen!
*  Gewerkschaftslinke: Wann, wenn nicht jetzt?
*  Wofür kämpfen? Generalangriff stoppen!
*  Linkspartei nach der Wahl: Fraktion oder Aktion?
*  Heile Welt
*  Prekäre Arbeit und industrielle Reservearmee: Arm trotz Arbeit
*  BSH-Schließung abgewehrt: Widerstand lohnt sich!
*  Israels Rückzug aus Gaza: Brosamen von Scharon
*  G8-Gipfel 2007: Imperialismus pur!
*  50 Jahre Bundeswehr: Zapfenstreich abpfeifen!
*  Irak-Verfassung: Nein zur Farce des Imperialismus!
*  Verfassungsentwurf im Irak: Frauen und Religion