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Israels Rückzug aus Gaza

Brosamen von Sharon

Simon Hardy, Neue Internationale 104, Oktober 2005

Der Abzug Israels aus Gaza und der Abbau von vier Siedlungen in der West Bank wurden von vielen nahöstlichen KommentatorInnen als Sieg gefeiert und als Indiz für die Wiederbelebung des „Friedensprozesses“ gesehen. Sogar Hamas sagt, es sei ein Schritt nach vorn. Aber die Fakten, die hinter den jüngsten Ereignissen in Gaza liegen, zeichnen ein dunkleres Bild von der Zukunft der PalästinenserInnen.

Grund des Abzugs

Die Bilder unbewaffneter israelischer SoldatInnen, die zionistische FanatikerInnen aus ihren Häusern begleiteten und dabei weinten, gingen um die Welt. Sie sollten beweisen, dass Israel die meisten Opfer für eine „Friedenslösung“ brachte. Doch diese Tränen der SoldatInnen sind auch Ausdruck von Rassismus und Heuchelei, denn geräumt wurden Siedlungen, die illegal auf geraubtem palästinensischen Land errichtet worden waren. Und: haben die israelischen SoldatInnen je eine Träne vergossen, wenn sie PalästinenserInnen schikanierten, vertrieben und massakrierten?!

Warum aber verließ Israel dann überhaupt den Gaza Streifen? Der Abzug markiert eine Politikveränderung in Teilen der israelischen herrschenden Klasse. Die von Hamas geführte, gut organisierte militante Guerillabewegung und damit die Kosten für die israelische Besetzung und Sicherung des Gaza-Streifens waren im Vergleich zum Nutzen zu hoch. Der Abzug der Siedler ist aber vor allem ein politischer Schachzug Sharons. Gegen den Abzug von 9.000 zionistischen SiedlerInnen aus dem Gaza-Streifen kann der israelische Staat fortfahren, sein massives Besiedlungsprogramm in der West Bank zu erweiten und zu festigen - ein Gebiet mit viel mehr Ressourcen und von größerem strategischen Wert für Israel.

Aber die Strategie Sharons hat viele zionistische Hardliner in Israel und in der Knesset (dem Parlament)  verdrossen, besonders in seiner eigener Partei Likud. Auch Ex-Premier Benjamin Netanjahu hat sich am politischen Ringen beteiligt, um gegen Sharon um die Führung zu kämpfen. Laut aktueller Wahlumfrage sei er zwar weniger populär als Sharon, aber bei den AktivistInnen der Likud Partei liegt er mit großem Abstand vorn.

Er und Sharon werden jetzt beide der Rechten nachgeben - Netanjahu, weil er hofft, dass er die Unterstützung von Likud gewinnt und den von Sharon ausgeheckten „Verrat“ enthüllt; Sharon, weil er hofft, dass er so das Vertrauen seiner Basis wiedergewinnt. Netanjahu vertritt eine Tendenz von zionistischen HardlinerInnen, die keinen Zentimeter „ihres“ Gebiets den AraberInnen abtreten will, und die bereit ist, die Regierung zu Fall zu bringen. Doch Sharon wird seinen Verlust an Unterstützung wett machen wollen - durch brutale Unterdrückung in der West Bank.  Sharon, der sicher keiner pro-palästinensischen Gefühle verdächtig ist, will für seine langfristige Strategie der Sicherung der West Bank lediglich einige Brosamen vom Tisch des Siegers abgeben - eine Handvoll geräumte Siedlungen.

Sharons Berater Dov Weisglass meint, dass der Abzug wie ein Betäubungsmittel wirke. „Er liefert die notwendige Menge Formaldehyd, damit es keinen politischen Prozess bei den Palästinensern geben wird.“ Anders gesagt: die ZionistInnen wollen den Status quo erhalten und vermeiden, über die Schlüsselfragen verhandeln zu müssen - die freie Bewegung zwischen dem Gaza Streifen und der West Bank, die Rückkehr von Millionen von palästinensischen Flüchtlingen usw.

2004 schrieb die International Herald Tribune: „Gaza wird abhängig von Israel bleiben - bei  Wasser, Abwasser, Strom, Telefon, Handel und auch der Währung, die weiter der israelische Schekel sein wird.“

Kontrolle bleibt

Das israelische Militär wird auch die Kontrolle über den Verkehr von Gütern und Menschen in und aus Gaza haben. Das ist eine weitere Bestätigung, wer wirklich die Macht hat - sogar im „befreiten Gebiet“ von Palästina. Erst vor einigen Monaten rissen die Streitkräfte Israels Tausende von palästinensischen Häusern entlang der ägyptischen Grenze ab, um eine Pufferzone zu schaffen und um die Entwicklung größerer wirtschaftlicher und sozialer Verbindungen zwischen Ägypten und den AraberInnen in Gaza zu behindern.

Viele der aus Gaza abgezogenen Israelis werden in andere Gebiete gebracht, wo sie wahrscheinlich ortsansässige AraberInnen vertreiben werden. So will Israel auch das pikante Problem der ständig wachsenden nicht-jüdischen Wählerschaft lösen.

Freiluftgefängnis

Die Form eines zukünftigen Palästina ist nun klarer. Im Gaza-Streifen haben die ZionistInnen tatsächlich ein Freilichtgefängnis geschafft. Sie beherrschen den Luftraum und die See- und Landgrenzen. Die PalästinenserInnen haben kein verbrieftes Recht, vom Gaza-Streifen in die West Bank zu reisen. Die rassistische Mauer um die West Bank, die Tausende PalästinenserInnen von ihren Feldern trennt, wird weitergebaut. Die Siedlungen werden erweitert - so, dass sie zu einem Korridor werden, der Jerusalem mit der okkupierten West Bank verbindet.

Diese Maßnahmen untergraben ganz praktisch jede palästinensische Hoffnung, dass Jerusalem - als Teil einer Zweistaatslösung - ihre Hauptstadt wird. Die Beschränkungen der Zweistaatenlösung kann alle Welt sehen. Der israelische Staat wird weder seine Militärherrschaft über die PalästinenserInnen abgeben, noch ihnen einen eigenen Staat, der auch nur irgendwie diesen Namen verdient, zu geben.

Der israelische Staat, der auf  Rassismus und der Vertreibung und Unterdrückung der PalästinenserInnen gegründet ist, stellt das größte und eigentliche Hindernis für den Frieden in der Region dar. Deshalb sind Frieden und Gerechtigkeit, deshalb ist jeder soziale Fortschritt nur möglich, wenn der Staat Israel zerbrochen wird! Freiheit bekommt man nicht geschenkt, schon gar nicht von seinem Gegner. Der palästinensische Widerstand sollte sich nicht von den geschenkten peanuts Scharons blenden lassen!

Premier Mahmoud Abbas personifiziert die Vormachtstellung eines konservativen und versöhnlerischen Flügels in der PLO. Arafat hat wenigstens noch vom Kampf geredet, obwohl er ihn nicht befördert, ja politisch sogar ausverkauft hat. Abbas aber tritt noch unverhohlener für Verhandlungen mit der israelischen Regierung ein. Solange er an der Macht bleibt, wird die Intifada demobilisiert und durch einen fruchtlosen „Dialog“ mit Israel ersetzt, der in Wahrheit ein Kniefall ist. Das gibt den ZionistInnen noch mehr Spielraum für ihre Pläne.

Gegen den Imperialismus!

Das weitere Schicksal der PalästinenserInnen ist mit dem Schicksal des Irak verbunden. Auch dort findet eine Intifada gegen die imperialistischen Okkupanten statt. Wir brauchen eine massenhafte Antikriegs-Bewegung, die sich mit den IrakerInnen und PalästinenserInnen solidarisiert, zugleich aber auch gegen jede andere imperialistische Aggression, Besetzung und Einmischung kämpft, ob in Afghanistan, auf dem Balkan oder anderswo.

Die scheinheiligen Gründe für diese Interventionen - humanitäres Eingreifen, Friedensicherung, Kampf gegen den Terror usw. - müssen klar zurückgewiesen werden. Auch die Einführung einer irakischen Verfassung von Gnaden der USA und Sharons Abzug aus Gaza und die Nahost-Friedenspläne sind nichts als Täuschungsmanöver.

Nur ein militanter bewaffneter Massenwiderstand in Palästina, der jede Gelegenheit nutzt, enge  Verbindungen mit israelischen ArbeiterInnen und der Jugend herzustellen, kann eine progressive Lösung bringen. Mehr als alle Friedenslösungen hat der bewaffnete Kampf der PalästinenserInnen dazu beigetragen, dass Sharon sich gezwungen sah, ein paar Krümel abzugeben. Dieser Teilerfolg sollte uns ermutigen: Holen wir uns den Rest!

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Nr. 104, Oktober 2005

*  Generalangriff abwehren! Neue Arbeiterpartei erkämpfen!
*  Gewerkschaftslinke: Wann, wenn nicht jetzt?
*  Wofür kämpfen? Generalangriff stoppen!
*  Linkspartei nach der Wahl: Fraktion oder Aktion?
*  Heile Welt
*  Prekäre Arbeit und industrielle Reservearmee: Arm trotz Arbeit
*  BSH-Schließung abgewehrt: Widerstand lohnt sich!
*  Israels Rückzug aus Gaza: Brosamen von Scharon
*  G8-Gipfel 2007: Imperialismus pur!
*  50 Jahre Bundeswehr: Zapfenstreich abpfeifen!
*  Irak-Verfassung: Nein zur Farce des Imperialismus!
*  Verfassungsentwurf im Irak: Frauen und Religion