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Britannien

Corbyns Rückzieher beim Recht auf Bewegungsfreiheit

K D Tait, Infomail 926, 30. Januar

Der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn startete ins neue Jahr mit der Ankündigung, dass die Labour Party „nicht prinzipiell“ für die Freizügigkeit von Arbeitskräften in der Europäischen Union eintritt. Dieser klare Rückzieher stellt einen deutlichen Versuch dar, die Labour Party als Partei für den Austritt Britanniens aus der EU neu zu positionieren, und dies trotz des Umstands, dass 65 % der Labour WählerInnen und eine überwältigende Mehrheit der Mitglieder gegen einen Austritt aus der EU sind.

Der unerbittliche Druck auf Corbyn seitens der Parlamentsabgeordneten der Partei und von GewerkschaftsführerInnen, „auf die Sorgen der Bevölkerung über die Zuwanderung zu achten“, ist von dem Glauben beseelt, dass die Opposition gegen den Brexit und die Verteidigung der Freizügigkeit katastrophale Folgen bei den Wahlen für die Labour Party haben würde.

Da die Einschränkung der Zuwanderung die grundlegende Motivation zur Entscheidung für den Austritt gewesen sei, schließen nun viele Linke wie Rechte daraus, dass Corbyn die Zeichen der Zeit erkennen und die Position der „Kontrolle über die Zuwanderung“ seines Vorgängers Ed Miliband übernehmen müsse.

Kehrtwende

Es ist gleichgültig, ob die Motivation angeblich dem Schutz der Löhne britischer ArbeiterInnen oder ihrer Kultur dienen soll, es kommt aufs Gleiche heraus: ein Sturz in den bodenlosen Sumpf des englischen Chauvinismus unter dem Banner „britische Jobs für britische ArbeiterInnen“.

Corbyn versuchte dieser Kehrtwende einen gewerkschaftlichen Anschein zu geben, indem er behauptete, Einwanderungskontrollen dienten dazu, die Unternehmer daran zu hindern, die zugewanderten Arbeitskräfte als LohndrückerInnen zu benutzen. Mit dem Zugeständnis an das Lügenmärchen, dass die MigrantInnen schuld an niedrigen Löhnen, Arbeitslosigkeit und schwindenden Sozialleistungen wären, was er noch mehrfach im Herbst zurückgewiesen hatte, hat Corbyn nun den Weg für die Labour-Abgeordneten geebnet, um zunehmend durchgreifende Maßnahmen gegen ZuwandererInnen zu fordern.

Einen Vorgeschmack auf die kommende Politik vermittelt ein Bericht über „soziale Integration“, der von einer Gruppe von Parlamentsabgeordneten um Chuka Umunna veröffentlicht worden ist. Demnach sollen alle MigrantInnen Englisch sprechen müssen; regionale Verwaltungen sollten das Recht haben, Visa auszustellen oder zu verweigern, und die Regierung sollte eine Strategie für die „Integration von MigrantInnen“ ausarbeiten, „die Fragen wie den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Beachtung der britischen Gesetze, Tradition und Kultur einschließt.“

Laut statistischer Erhebung von 2011 sprechen nur 0,3 % der Bevölkerung überhaupt kein Englisch und 1,3 % gaben an, die Sprache nicht gut zu beherrschen. Im Wahlbezirk Newham, in dem 40 % Englisch nicht als erste Sprache haben und wo über die Hälfte der BewohnerInnen im Ausland geboren sind, stimmten 55 % für den Verbleib in der EU. Diese Zahlen legen die Forderung nach Zwangsunterricht in Englisch als üblen Trick bloß, der den strengen Umgang mit ZuwandererInnen durch bösartige rassistische Lügenmärchen unterfüttern will.

Die Forderung nach Übertragung der Visumskontrolle an Regionalverwaltungen ist noch gefährlicher. Da EinwandererInnen nicht in großer Anzahl in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ziehen, würde eine dezentralisierte Visakontrolle nichts an den grundlegenden wirtschaftlichen Problemen ändern, sondern als politischer Blitzableiter dienen, der die Diskriminierung gegen EinwandererInnen nährt und sogar zu offenem Rassismus in Bezirken führt, wo die fehlgeleiteten Vorurteile im Aufwind sind.

Der rechte Labour-Flügel hat stets die Bevorzugung der britischen ArbeiterInnen als Parteiposition propagiert. Die Aufwallung der gefährlichen „Blauen Labour“-Richtung nach dem Brexit war eine klar vorhersehbare Erscheinung, die von der Mitgliedschaft kategorisch abgelehnt werden sollte.

Unglücklicherweise lässt Corbyns Taktik von Verhandlung und Kompromiss mit seinen WidersacherInnen seit dem Liverpooler Parteitag die Mitglieder als bestürzte BeobachterInnen am Rand stehen, während die Rechten ihm mehr und mehr Zugeständnisse abpressen. Das Gespenst einer drohenden Parlamentswahl wurde benutzt, um zu rechtfertigen, dass Pläne zur Demokratisierung der Parteipolitik auf Eis gelegt werden und den Druck der Basis darauf, Corbyns Kurs zur generellen Parteilinie zu machen, zu schwächen.

Das Resultat war Corbyns Isolation und die der wenigen Parlamentsabgeordneten wie Diane Abbott und David Lammy, die die Freizügigkeit von ArbeiterInnen grundsätzlich verteidigten, während der rechte Flügel die Schlinge enger zog. Jamie Reed, Abgeordneter für Copeland, erzwang die Beschäftigung mit der Frage, als er zurücktrat und eine Nachwahl erforderlich machte. Tristram Hunt tat dasselbe, kapitulierte damit ebenfalls unvermeidlich vor den Brexit-AnhängerInnen und den zuwanderungsfeindlichen Positionen.

Diese Entwicklung wäre aber vermeidbar gewesen. Von Corbyn GegnerInnen musste eine skrupellose und verräterische Gangart erwartet werden. Sie attackieren MigrantInnen gern, wenn sie Wahlen gewinnen können, zugleich sind sie auch bereit, Wahlen zu verlieren, wenn sie das ihrem Hauptziel näher bringt – Corbyn als Führer loszuwerden.

Das ernsteste Problem stellt die schwindende Unterstützung von Corbyns „linken Verbündeten“ dar. Anstatt den massenhaften Beistand für ihn zu organisieren, haben der Führer der Momentum-Bewegung John Lansman und Medienpersönlichkeiten wie Owen Jones und Paul Mason eine ablenkende Hetzjagd auf sogenannte „trotzkistische Saboteure“ begonnen. John McDonnell hat einen „Volksbrexit“ gefordert, während SchattenkabinettsministerInnen Corbyn bei jeder Gelegenheit öffentlich widersprochen und ihm geschadet haben.

Linke KritikerInnen

Von Parlamentsabgeordneten wie Clive Lewis, der behauptete, die Bewegungsfreiheit hätte für Millionen BritInnen „nichts gebracht“, oder von Emily Thornberrys Feststellung, dass die EU-EinwandererInnen die Löhne drücken, werden Lügenmärchen aufgewärmt. Dies ist Teil eines Versuchs, die Labour Party als Organisation darzustellen, die sich für ArbeiterInnen einsetzt, weil sie britisch sind, statt für eine Klasse, die das gemeinsame Problem von Ausbeutung und schwindendem Lebensstand ohne Rücksicht auf Nationalität hat.

Len McCluskey, ein widerwilliger, doch strategisch wichtiger Unterstützer Corbyns als Generalsekretär von Britanniens größter Gewerkschaft Unite, erhöhte den Druck, indem er sagte: „ArbeiterInnen sind immer am besten damit gefahren, wenn das Arbeitsangebot kontrolliert ist und die Gemeinden stabil sind.“ Dieses Signal ist ein übles Nachäffen von Argumenten, die die Gewerkschaften noch in den 70er Jahren gebraucht haben, um irische, schwarze oder weibliche Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

Der früher Trotzkist Paul Mason rief zu einer „deutlichen, vorübergehenden Abkehr von der Bewegungsfreiheit“ auf. „Das bedeutet – und meine KollegInnen von der Linken müssen dies akzeptieren – dass die britische Bevölkerung in der Wirkung die Labour-Position zur Einwanderung von unten durch Volksabstimmung verändert haben wird.“

Als geeignete Maßnahme schlägt er auch eine Politik vor, die von Leuten wie Stephen Kinnock und Emma Reynolds getragen wird: „Labour muss einen Vorschlag einbringen, der eine nutzbringende Einwanderung gestattet und fördert, jedoch den Druck von Billiglohneinwanderung abschreckt und mildert.“ Das heißt im Klartext, Britannien soll FacharbeiterInnen ins Land holen, die im Ausland ausgebildet worden sind und die Konkurrenz im Billiglohnsektor und bei Arbeitsplätzen als ungelernte Arbeitskräfte mindern, die von britische ArbeiterInnen auszuführen sind.

Was Mason wirklich aussagt: Es gibt kein Argument gegen die Vorstellung, dass Migration Hauptgrund für Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne oder die Minderung von Sozialleistungen wäre. Statt die Lügen von RassistInnen und der herrschenden Klasse aufzudecken und die harte Arbeit am Aufbau einer Bewegung, die auf Klasseneinheit beruht, soll Labour einfach akzeptieren, dass manche ArbeiterInnen gegen MigrantInnen voreingenommen sind und ihnen Zugeständnisse machen.

Diese ebenso herablassende wie prinzipienlose Haltung gibt große Teile unserer Klasse den reaktionären Vorurteilen der Konservativen Partei preis, statt sie klar darauf hinzuweisen, dass sie in dieser Frage einen Fehler begehen und dass die Klasseneinheit der einzige Weg zur Bewältigung ihrer Probleme ist. Es findet sich kein Beweis, dass die Annahme einer harten Linie zur Zuwanderung – nehmen wir das Kerngebiet der Labour Party in den multiethnischen und „integrierten“ Großstädten als gegeben – etwas anderes bewirken wird, als nicht wohlgesonnenen ArbeiterInnen die Einsicht zu vermitteln, die UKIP-Partei hätte in allem recht gehabt.

Corbyns Zukunft

Obwohl Corbyn weiterhin äußert, dass seiner Ansicht nach die Zuwanderung nicht zu hoch sei und dass ArbeitsImmigrantInnen wesentliche und wertvolle Arbeit verrichten, stellt er doch eine linke Flankendeckung für das Schattenkabinett und die Parlamentsabgeordneten dar, die unterdessen auf der Jagd nach zweifelhafter Glaubwürdigkeit bei einer WählerInnenklientel die Partei in eine fremdenfeindliche Klärgrube stürzen.

Corbyns Äußerung, dass die Freizügigkeit keine Prinzipienfrage, sondern verhandelbar sei, verwandelt die Rechte von EinwandererInnen zu einem Tauschobjekt in einer Situation, in der keine Seite sie verteidigen will. Wie viel Vertrauen kann unter diesen Umständen einer künftigen Labour-Regierung entgegen gebracht werden, damit sie die ArbeitsimmigrantInnen schützt?

Für SozialistInnen, die glauben, dass ArbeiterInnen mehr Gemeinsamkeiten mit unseren Klassengeschwistern in anderen Ländern haben als die Ausbeuterklasse unserer eigenen Nationalität, ist die Freizügigkeit von Arbeitskräften ein Grundsatz. Dieser muss unbeugsamer denn je verteidigt werden in einer Zeit, wo europäische ArbeiterInnen angegriffen und für Probleme haftbar gemacht werden sollen, die durch die britische Regierungspolitik verursacht worden sind.

Wir müssen klar aussprechen, dass diese Abkehr vom Grundsatz nur die Spitze des Eisbergs ist. Nach der erzwungenen Abwendung von einer Position, die er noch vor kurzem mutig verteidigt hat, steht Corbyn geschwächt und stehen seine GegnerInnen gestärkt da. Wenn er weiterhin diesen Rückzug beibehält, wird dies seinen Rückhalt untergraben und damit auch seinen Führungsanspruch in der Partei.

Besonders übel ist es, dass diese Niederlage aus der eigenen Führungsetage organisiert wird. Die Mitglieder werden dabei nur zu passiven BeobachterInnen gemacht. Was sonst noch werden er oder sein Beratungsstab zu einem Nichtprinzip erklären? Wie das Fallenlassen der Gegnerschaft gegen die Atomkraft in Copeland zeigt, wollen die Rechten Corbyn nun dazu bringen, seine übrigen Grundsätze über Bord zu werfen.

Bevor seine FeindInnen ihn erledigen, wollen sie Corbyn zu einem Popanz degradieren, der seine AnhängerInnen in Verwirrung, Demoralisierung und schließlich in die Niederlage führt. Wenn seine BeraterInnen an der Idee festhalten wollen, ihn zu einem populistischen Demagogen zu machen, werden sie ihn dem Gespött der Medien und der parlamentarischen rechten Labour-Fraktion ausliefern.

Anpassung an die Mehrheit der Parlamentsfraktion und eine Minderheit von Labour-Wählerinnen und Mitgliedern für den Brexit werden jede Erneuerung der Partei in Corbyns Sinn vereiteln. Diese Haltung wird die neuen Mitglieder so schnell vertreiben, wie sie gekommen sind. Dann, und das lässt sich mit vollkommener Sicherheit voraussagen, werden die Rechten sich Corbyn selbst vornehmen. Das steht auf dem Spiel, und deshalb müssen wir dieses Abrücken vom Recht auf Freizügigkeit mit aller Macht bekämpfen.

Schlussfolgerung

Um diese Folgen zu verhindern, müssen wir gegen die Kapitulation vor dem Brexit aufstehen und die AnhängerInnenschaft für eine sozialistische Alternative sammeln.

Die Idee, dass begrenzte Kompromisse bei der Einwanderung zur Festigung der Stellung der Labour Party führen werden, ist die politische Parallele zum Trinken von Salzwasser. Unangenehm in kleiner Dosierung erweist es sich am Ende doch unweigerlich als lebensgefährlich.

Wenn Labour die These nachplappert, dass MigrantInnen für die Probleme in der Gesellschaft verantwortlich seien, werden alle vorgebrachte Rechtfertigungen nur zur Stützung der Glaubwürdigkeit der Tory-Konservativen und der UKIP-RechtspopulistInnen führen, den RassistInnen Vertrauen einflößen und ein Verlangen befeuern, das sie nicht stillen können.

Mit den Tories oder der UKIP in der Frage der Einwanderung zu konkurrieren, ist für Labour unmöglich. Wenn sich Labour nach rechts bewegt, wird die Partei sich bei ihren Hochburgen in den Städten wie jungen Leuten entfremden.

Aber statt das Thema nicht zur Kenntnis zu nehmen oder verwässerte Tory-Politik für eigene Ziele umzumünzen, sollte Labour sich der Aufdeckung von Lügen über MigrantInnen und der Erklärung der wirklichen Ursachen für die Probleme der Bevölkerung widmen: die systematische Ausbeutung der ArbeiterInnen, die ungleiche Verteilung des Wohlstands und die Monopolisierung der Produktion durch eine Klasse, die für ihren Profit, aber nicht für das Gemeinwohl produziert.

In Bereichen, wo die Feindseligkeit gegen Einwanderung hoch ist, sollte Labour Mittel locker machen für eine Kampagne, die praktische Alternativen anbietet. Statt die Verringerung von Einwanderung zu versprechen, was überhaupt nichts zur Problemlösung beitragen würde, sollten wir eine Labour-Regierung eintreten, die die Reichen besteuert und die Wirtschaft plant, mit der Gelder und Arbeit in Wohnungen, Gesundheitswesen, Bildung und Umwelt gesteckt werden, und die gut bezahlte Arbeitsplätze für all jene schafft, die In Britannien leben und leben wollen.

Das hat den Vorteil, dass allen ArbeiterInnen in jeder Region und jeder Nationalität eine gemeinsame Perspektive geboten werden kann. Wenn dennoch Leute verhärtete Vorurteile weiter pflegen oder offene RassistInnen sind, dass sie sich nicht überzeugen lassen, mag dies so bleiben. Ihre Zahl wird weit übertroffen und als unbedeutend an den Rand gestellt durch die gemeinsame Stärke der klassenbewussten ArbeiterInnenbewegung, die mit einer Kampfstrategie dafür bewaffnet ist.

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