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Südafrika

Weg mit den Studiengebühren! Studierende kämpfen für freie Bildung

Jeremy Dewar, Infomail 915, 17. November 2016

Südafrikas StudentInnenbewegung hat mit ihrer Kampagne zur Abschaffung von Studiengebühren für die Einstellung des Universitätsbetriebs für den größten Teil des Oktobers gesorgt.

In einer der Gesellschaften, die weltweit zu denen gehört, die am meisten durch Ungleichheit gekennzeichnet sind, bringt dieser Kampf die Frustrationen und Wut der großen Mehrheit der schwarzen Bevölkerung zum Ausdruck, die trotz des Sturzes der Apartheid vor über 20 Jahren immer noch unter Armut, Ausbeutung und Diskriminierung leidet.

Viele Schlagzeilen haben gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei zum Inhalt. Die Kräfte des Staates haben die Situation noch verschärft, Tränengas, Plastikgeschosse, Wasserwerfer und Blendgranaten gegen die Studierenden eingesetzt.

Mutig haben sich die StudentInnen gewehrt, oft mit Ziegelsteinen und Stöcken, Pflastersteinen und Eimern, gelegentlich auch durch eine Form von schmutzigem Protest, indem sie symbolisch menschliche Exkremente auf ihre Peiniger warfen. An der Universität von KwaZulu Natal wurde die juristische Bibliothek abgefackelt.

Die Universitätsverwaltungen schalteten sich ihrerseits ein, verhängten ein Verbot von Demonstrationen und Versammlungen, suspendierten und exmatrikulierten studentische FührerInnen. Die Polizei verhaftet seit kurzem immer mehr Protestierende, um der Bewegung die Spitze zu brechen.

Der ANC sucht einen Kompromiss

Am 26. Oktober trugen die Studierenden ihren Protest vor das Parlament von Kapstadt, wo der Finanzminister (und ehemalige Marxist) Pravin Gordhan seinen Minimaletat vorlegte. Außerhalb des Gebäudes ging die Polizei wie üblich mit brutaler Gewalt gegen die Versammelten vor. Zugleich musste Gordhan im Parlament eine 10,9 %ige Erhöhung der Ausgaben für Universitäten und eine 18,5 %ige Anhebung des nationalen studentischen Stipendienplans NSFAS über 3 Jahre zugestehen.

Diese Zahlen hören sich zwar beeindruckend an und die Ausgaben belaufen sich auf 17 Milliarden SAF-Rand (umgerechnet 1,1 Milliarden Euro), werden aber die Krise nicht lösen und wahrscheinlich auch die Bewegung nicht demobilisieren.

Der Zugang zu Stipendien bleibt an zahlreiche Vorbedingungen gebunden. Die meisten StudentInnen können sich weder die jährlichen Studiengebühren von etwa 40000 SAF-Rand (umgerechnet 2618 Euro) leisten noch sich für die staatliche Unterstützung qualifizieren. Familien der weißen Bevölkerung, deren Durchschnittseinkommen im Jahr bei 365000 Rand (umgerechnet 23889 Euro) liegt, mögen diese Summe aufbringen können, während bei den Familien der schwarzen Bevölkerung der Durchschnittsverdienst im Jahr nur 60000 Rand (umgerechnet 3927 Euro) beträgt. Für sie ist die Zahlung demnach unmöglich. Dabei muss auch beachtet werden, dass in Südafrika 30 % der Erwerbsfähigen arbeitslos sind, unter den jungen Leuten sogar 47 %.

Das System, selbst wenn es auf Integration der schwarzen Mittelschicht ausgerichtet ist, wird nur die Gräben der rassistischen Spaltung weiter aufreißen und die schwarze ArbeiterInnenklasse ghettoisieren.

Die Bewegung FMF (Fees Must Fall; Die Gebühren müssen fallen) will die völlige Abschaffung von Studiengebühren, freie Bildung für alle, will eine allgemeine Überarbeitung der Primär- und Sekundärbildung, die junge Schwarze und ArbeiterInnen benachteiligt, sowie eine „Entkolonisierung“ der Bildung, die immer noch stur an Lehrplänen und dem Ethos der Apartheid-Ära des südafrikanischen und westlichen Imperialismus festhält.

Anwachsen der Bewegung

Obwohl Südafrikas Studierende vor anderthalb Jahren in die Schlagzeilen geraten sind, als sie das Denkmal für Cecil Rhodes, den Begründer der Apartheid, an der Universität von Kapstadt umgestürzt hatten, brachte erst die beantragte Gebührenerhöhung um 10,9 % im Oktober 2015 eine Massenbewegung ins Rollen. Nach Wochen des Massenprotests und gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei lenkte Blade Nzimande, der Minister des regierenden „Afrikanisches Nationalkongresses“ (ANC) für höhere Bildung und Generalsekretär der südafrikanischen KP, ein. Zunächst bot er einen nur 6 %igen Aufschlag an, dann, nach weiteren Protesten, stimmte er einer völligen Streichung der Erhöhung zu.

Aber das bedeutete nur einen vorübergehenden Aufschub der Angelegenheit. Neue Gebührenanhebungen wurden 2016 wieder eingeführt.

Ein weiterer Gewinn der Bewegung von 2015 kam von dem Bündnis der StudentInnen mit den schlecht bezahlten, privatisierten Universitätsangestellten wie Reinigungskräften und Mensapersonal. Hier forderte die Bewegung mit Erfolg nicht nur einen Anstieg der Löhne um 200-300 %, sondern auch die Rückkehr zur Versorgung durch Universitätsdienstleistungen selbst. Durch Verträge mit der Universität wurden diese Arbeitsplätze auch sicherer. Es nimmt nicht wunder, dass die studentische Bewegung dadurch ermutigt worden ist und sich weiter radikalisiert hat!

Blick nach vorn

In diese Richtung – auf die ArbeiterInnenklasse zu – muss die Bewegung nun steuern, wenn sie weitere Erfolge erzielen will.

Der ANC hat zu einem gewissen Grad die Unterstützung des FMF durch Mittelschichten und UniversitätsdozentInnen, die sich über die „unmöglichen“ Forderungen beschweren, aushöhlen können. Ein Professor verstieg sich sogar dazu, die Bewegung mit den islamistischen Terroristen von Boko Haram zu vergleichen. Aber es verbleiben noch viele Verbündete in der ArbeiterInnenbewegung selbst.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten an der Regierung steckt der ANC schwer in der Krise. Präsident Jacob Zuma ist höchst unbeliebt und muss sich allein 780 Korruptionsverfahren gegen seine Person erwehren. Die Partei hat auch böse Schlappen bei den Kommunalwahlen im August einstecken müssen, wo ihr Anteil von 54 auf 46 % sank, v. a. bedingt durch die Stimmenthaltung von schwarzen proletarischen WählerInnen. Zum ersten Mal seit der Apartheid fiel die Wahlbeteiligung unter 60 %.

Dessen Hauptnutznießerin war die „Demokratische Allianz“ (DA), die mindestens genauso neoliberal und dem Großkapital freundlich gesinnt ist. Die Partei der „Wirtschaftlichen FreiheitskämpferInnen“ (EFF) von Julius Malema errang 8 %. Die EFF stellt sich als links vom ANC stehend dar, doch ist sie opportunistisch und prinzipienlos. In Tschwana, dem früheren Pretoria, und Johannesburg, wo die EFF das Zünglein an der Waage im Stadtrat bildet, hat sie die DA gegen den ANC bei den Bürgermeisteramtwahlen unterstützt.

Dennoch ist die EFF-Partei eine wachsende Kraft, und viele ihrer AktivistInnen spielen eine wichtige Rolle in der Bewegung gegen Kürzungen und in den Gewerkschaften.

Die Gewerkschaftsbewegung ist gegenwärtig auch gespalten, der Dachverband COSATU hat seine größte und gleichzeitige Gründungsgliederung, die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, ausgeschlossen. Trotzdem gehören Südafrikas Gewerkschaften zu den militantesten der Welt. Im vergangenen Jahr haben die GoldminenarbeiterInnen einen heldenhaften fünfmonatigen Kampf gegen Kürzungen und Schließungen geführt.

Außerdem gibt es auch viele soziale Bewegungen gegen Sparmaßnahmen, Ausschließung, Korruption und Preiserhöhungen. Nach Polizeischätzungen fanden 3300 gewaltsame Zusammenstöße mit Protestbewegungen und Streikenden im abgelaufenen Jahr 2015 statt, das sind 9 am Tag!

Die MetallerInnen nehmen die Vorreiterrolle unter den Gewerkschaften in Südafrika ein und haben offen zur Gründung einer ArbeiterInnenpartei aufgerufen und bereiten dies nach eigenen Angaben auch vor. Falls und wenn es dazu kommt, müssen auch die StudentInnen um den FMF sich aktiv und führend an diesem Prozess beteiligen.

Nur durch die Zementierung des Bündnisses mit der ArbeiterInnenklasse als Ganzer in einer neuen Partei können der ANC und die offen bürgerliche Demokratische Allianz hinweggefegt werden, können die Studierenden ihre Forderungen nach freier Bildung für alle und einer gleichen, antikolonialen und sozialistischen Gesellschaft durchsetzen.

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Nr. 214, November 2016

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