Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

1963-1974:

Das Vereinigte Sekretariat bis zum 10. Weltkongreß

1951 unterstützte die SWP aus ganzem Herzen den systematischen Zentrismus des 3. Weltkongresses. Aber 1953 drängten Cannon und Hansen die Internationale in eine Spaltung, anstatt dem IS auf einer Konferenz entgegenzutreten. Das Resultat war das Internationale Komitee (IK), das mit Healy in Britannien, Lambert in Frankreich und schließlich Nahuel Moreno in Argentinien ins Leben gerufen wurde. 1963 wurde die Spaltung scheinbar kuriert, als die Mehrheit des Internationalen Komitees, mit Ausnahme der Briten, der Franzosen und einigen wenigen Anhängseln, in den Familienschoß zurückkehrte und mit dem IS zum "Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale" (VS) fusionierte. Es konnte so beanspruchen, nicht nur die Mehrheit der erklärten Trotzkisten in seinen Reihen zu haben, sondern durch Mandel, Frank, Hansen, Cannon und Pablo auch die organisatorische Kontinuität mit der vor-53-Internationale zu repräsentieren.

Der Anspruch des VS, die Vierte Internationale zu sein, verstärkte sich v.a. in den 70er und 80er Jahren, als die gegnerischen "Vierten Internationalen" auseinanderbrachen. Zuerst spaltete sich der Rest des IK 1971, Healy behielt das IK und Lambert gründete das Organisationszentrum für den Wiederaufbau der Vierten Internationale. 1980 fiel Lambert und Morenos Vierte Internationale (IK) schon nach weniger als einem Jahr Existenz wieder auseinander. Danach machte Lamberts Vierte Internationale (Internationales Zentrum des Wiederaufbaus) eine belastende Spaltung mit seinen lateinamerikanischen Sektionen durch (1987), während die morenoistische Internationale Arbeiterliga (Vierte Internationale) unfähig war, aus ihren lateinamerikanischen Kernländern auszubrechen.

Mittlerweile degenerierte Healys Internationales Komitee zu einer winzigen Sekte, die von Almosen der arabischen Bourgeoisie lebte, um 1985 auseinanderzuplatzen und zu zerfallen.

Dieses Debakel des "Anti-Pabloismus" schien den Anspruch des VS zu bekräftigen, die lebendige Kontinuität der revolutionären Vierten Internationale zu sein: die einzig signifikante, wirklich internationale "trotzkistische" Tendenz. Wie viele andere zentristische Strömungen, wuchs das VS in dem neuen Klassenkampfzyklus nach 1968 rasch an. Der Großteil der neu Gewonnenen befand sich in Europa, aber auch Sektionen in Nord- und Lateinamerika erlebten ein substantielles Wachstum. Ende der 70er Jahre zählte es etwa 14.000 Mitglieder in 50 Ländern.

Seit diesem noch nie erreichten Hoch wurde das VS schwächer, erlitt Abspaltungen und hat Ende der 80er Jahre weniger als 10.000 Mitglieder. Aber die Verluste des VS in dieser Periode waren weniger dramatisch als die seiner "trotzkistischen" Konkurrenten oder der verschiedenen halb-maoistischen oder guevaristischen zentristischen Organisationen.

Es ist daher kein Wunder, daß es ein Attraktionspol blieb, "der mainstream des Trotzkismus" - sogar für seine vermeintlich "linken" Kritiker.

Jedoch weder die beanspruchte organisatorische Kontinuität, noch die relative Größe und Stabilität des VS beantworten die Frage, ob es auch die revolutionäre Kontinuität von Trotzkis Vierter Internationale repräsentiert. Die Schlüsselfrage ist die nach der politischen und programmatischen Kontinuität mit der revolutionären Vierten Internationalen. Genau damit steht und fällt der Anspruch des VS, die Vierte Internationale zu sein.

Es war immer wieder modern im VS, wenn über seine Geschichte nachgedacht wird, zuzugeben, daß "Fehler" und "Irrtümer" begangen wurden.

Natürlich begeht auch eine revolutionäre Internationale Fehler und Irrtümer, u.U. auch schwere, aber was wir in der Geschichte des VS sehen, ist etwas anderes. Wir sehen nicht Fehler, die erkannt, korrigiert und aus denen Lehren gezogen werden. Vielmehr sehen wir systematisch und grob opportunistische Taktiken und Strategien: programmatische Liquidationen von höchstem Rang. Fehler, die versteckt oder Jahre später nur halb zugegeben werden. Fehler, die bei der erstbesten Gelegenheit wiedergeholt werden. Diese Methode hat in der kommunistischen Bewegung einen Namen. Man nennt sie "Zentrismus".

In diesem und den folgenden Artikeln zeigen wir, daß die einzige Kontinuität, die in der mehr als 30-jährigen Geschichte des VS besteht, jene der chronischen und systematischen zentristischen Fehler ist. Die Kontinuität des VS besteht mit dem Zentrismus der nach-1951-"Vierten Internationale", aber nicht mit Trotzkis revolutionärer Organisation.

Ursprünge der Wiedervereinigung

Die IS-Führung (Mandel/Frank/Pablo) kontrollierte zusammen mit Cannon, Hansen, Healy und Lambert die politische Degeneration der Vierten Internationalen in der Periode 1948-51. Ihre Analyse des Stalinismus und der bürokratischen sozialen Revolutionen, die in Osteuropa und China stattfanden, war durchgängig opportunistisch und beinhaltete eine enorme Anpassung an den Stalinismus.

Am 3. Kongreß (1951) stimmte die gesamte Vierte Internationale, inklusive Cannon, Healy und dem Rest des zukünftigen IK, darin überein, daß Tito mit dem Kreml gebrochen hätte, kein Stalinist mehr sei und sich in eine Art Zentristen verwandelt habe. Die gleiche Analyse wurde in den folgenden Jahren auch auf Mao Tse Tung angewendet. Diese Position war eine Revision des revolutionären Programms und führte direkt sowohl zu Pablos Projekt des tiefen Entrismus in die stalinistischen Parteien, als auch später zu der Begeisterung des IK für die maoistisch geführte "Kulturrevolution".

Diese opportunistische Methode, die allen Sektionen der Vierten Internationalen seit Beginn der 50er Jahre gemeinsam war, erwies sich für die Bewahrung des revolutionären Programms in den Nachkriegsjahren als verhängnisvoll. Die zerbrechliche revolutionäre Kontinuität, die durch Trotzki und dann durch die Vierte Internationale bewahrt worden war, wurde unterbrochen und die "trotzkistischen" Epigonen sowohl des IS wie des IK wurden zu Beifallspendern für verschiedene stalinistische und kleinbürgerlich-nationalistische Strömungen.

Die Kubanische Revolution von 1959, zusammen mit der wachsenden Schwäche der SWP, bereitete die Basis für die "Wiedervereinigung" 1963. Die SWP, nachdem sie sich 1953 von der Internationale abgespalten hatte, zeigte wenig Interesse, eine zu den Europäern alternative internationale Tendenz aufzubauen. Jedoch bedurfte es weiterer, materieller Faktoren, um die SWP von der Notwendigkeit einer "Vereinigung der trotzkistischen Weltbewegung" zu überzeugen.

Ein entscheidendes Element war dabei der Niedergang der SWP, sowohl an Größe wie an Einfluß. Der Druck des Kalten Krieges, des McCarthyismus und Fehler in der Perspektive führten zu einer ernsthaften Schwächung der SWP, und ihre Mitgliederzahl begann zu sinken. 1959 hatten sich alle industriellen Betriebsgruppen der SWP aufgelöst. Die Organisation, die 1934 den LKW-Fahrer-Streik von Minneapolis anführte, hatte keinerlei nationale Intervention in die US-amerikanische Arbeiterbewegung mehr. Opportunistische Wahlblöcke brachten auch keinen Erfolg.

Vor diesem Hintergrund kam die Kubanische Revolution für die SWP wie ein Geschenk des Himmels. Durch ihre Teilnahme in den "Fair Play for Cuba" Komitees, begann sie wieder zu rekrutieren. Tatsächlich war dies jene Periode, in der ein Großteil der gegenwärtigen SWP-Führung rekrutiert wurde. Außerdem öffnete sie der isolierten SWP eine Abkürzung zur Revolution. Joe Hansen, später ein selbsternannter "orthodoxer" Verteidiger der "leninistischen Strategie des Parteiaufbaus", argumentierte damals, daß Castros 26. Juli-Bewegung - ohne die Hilfe irgendeiner "leninistischen" Partei und trotz des völligen Fehlens von Organen der Arbeitermacht - einen "sehr gut aussehenden" Arbeiterstaat geschaffen habe.

Die Analyse des IS war damit identisch. Beide Interpretationen entsprachen der Position des 3. Kongresses von 1951 zu Jugoslawien, die die Notwendigkeit einer revolutionären Partei in Jugoslawien zum alten Eisen geworfen hatte, da sich herausgestellt habe, daß auch ein "stumpfes Instrument" - die jugoslawische KP - die Aufgabe für sie erledigen konnte. Wenn diese Analysen korrekt sind, dann sind Trotzkismus und IV. Internationale auf eine lediglich unterstützende Rolle beschränkt.

Die revolutionäre Position ist natürlich dazu etwas verschieden. Es stimmt, daß in Kuba ein Arbeiterstaat existiert. Aber die Natur dieses Staats ist qualitativ nicht von jenem in der SU oder einem anderen degenerierten Arbeiterstaat verschieden. Die Schlüsselaufgabe der kubanischen Massen bleibt der Aufbau von Organen der Arbeiter- und Bauernmacht (Sowjets), und die Schaffung einer revolutionären Partei, die fähig ist, die kubanischen Massen in eine politische Revolution zu führen. Der "kubanische Weg" darf von den unterdrückten Massen nicht beschritten werden, wenn sie wirklich befreit werden wollen. Er führt lediglich zu einem stalinistischen Regime von der Art, wie es gegenwärtig in Havanna besteht, das den Übergang zum Sozialismus blockiert.

Der Charakter der Fusion von 1963

Die 63er-Fusion ließ alle umstrittenen Fragen der 53er-Spaltung ungelöst. Wie es in der Präambel zur Wiedervereinigungsresolution gewand hieß: "Der Bereich der Meinungsverschiedenheit erscheint von zweitrangiger Bedeutung in Anbetracht des gemeinsamen grundsätzlichen Programms und der gemeinsamen Analyse von wesentlichen Ereignissen der Weltentwicklung, die beide Seiten vereinen".

Die Tatsache, daß das VS die meiste Zeit seiner Existenz durch Fraktionen zerspalten ist, die grundsätzlich die vor-1963-Linien wiederholen, zeigt, daß dies nicht der Fall war!

Die Frage des Entrismus sui generis wurde unter den Teppich gekehrt, genauso wie die opportunistischen Exzesse beider Seiten. Diese wurden für historische Fragen gehalten, die in Mußestunden gelöst werden konnten, obwohl z.B. die Sektionen in Britannien, Italien, Österreich, Belgien und Frankreich noch immer den opportunistischen Entrismus ausführten, wegen dem es die SWP vor einem Jahrzehnt notwendig gefunden hatte, die Internationale zu spalten. Außerdem gab es keine gemeinsame Analyse der verschiedenen stalinistischen Regimes und Parteien.

In der Frage des Charakters der Castro-Führung in Kuba befanden sich beide Seiten in Übereinstimmung. Sie griffen auf die opportunistische und zentristische Methode zurück, wie sie von der Vierten Internationalen zwischen 1948 und 1951 zur Analyse der Tito-Führung der jugoslawischen Revolution verwendet worden war. Dem VS zufolge entwickelte sich die Kubanische Revolution in die Richtung des revolutionären Marxismus und hatte "ein Muster geschaffen, das jetzt als Beispiel für eine Reihe von anderen Ländern steht". Zur Frage des Maoismus gab es hingegen kaum Übereinstimmung. Fundamentale Auffassungsunterschiede zwischen beiden Seiten wurden überspielt. Für die ehemalige IS-Führung war Mao ein "bürokratischer Zentrist" (was meinte, daß der Maoismus qualitativ besser als der konterrevolutionäre Stalinismus sei) und daher gab es keinen Grund, für eine politische Revolution in China zu kämpfen.

Die SWP hingegen vertrat - basierend auf ihrer Resolution von 1955 - die Ansicht, daß "die KPCh eine stalinistische Partei und ihr Regime eine bürokratische Diktatur ist, die eine politische Revolution erfordert".

Die Differenz wurde 1963 durch die Annahme einer zweideutigen, zentristischen Formulierung "überwunden", die zu "einem antibürokratischen Kampf in einem Ausmaß" aufrief, "das zur Herbeiführung eines qualitativen Wandels in der politischen Form der Regierung ausreicht".

Jede Seite konnte dies so interpretieren, wie sie es wollte. Die SWP meinte, daß dies politische Revolution bedeuten würde. Für die alte IS-Führung implizierte es Reformen, die zur Überwindung lediglich quantitativer bürokratischer Deformationen notwendig seien.

Die chinesische Frage sollte das VS während der ganzen 60er Jahre verfolgen, besonders nach der Kulturrevolution von 1965-67. Sämtliche opportunistischen Neigungen des Mandel/Frank/Maitan-Flügels traten hervor und ihre Analyse des Maoismus als "bürokratischem Zentrismus" wurde am 9. Weltkongreß 1969 angenommen. Diese Position, die auf einer impressionistischen Anerkennung von Maos "linker" Rhetorik und der Tatsache, daß er eine soziale Revolution geführt hatte, beruhte, wurde niemals zurückgenommen. Die Tatsache, daß Mao - wie schon vor ihm Stalin - die Arbeiterklasse der politischen Macht beraubte, und zwar von allem Anfang an, störte die alten IS-Führer in keiner Weise.

Diese Differenzen in der Analyse des Stalinismus mußten sich in Bezug auf die Vietnamesische KP wiederholen, wo es ebenfalls keine Übereinstimmung zwischen den beiden Seiten gab. Die prinzipienlose Fusion von 1963 und ihre Methode des Verdeckens von Differenzen, indem diese den "historischen Fragen" zugewiesen werden, garantierte eine von Fraktionen zerrüttete Einheit innerhalb des VS.

Dies spiegelte sich notwendigerweise im internen Regime wider, das keinerlei Beziehung zu dem einer kommunistischen, demokratisch-zentralistischen Organisation zeigte. Die SWP stellte sicher, daß sie ganz gewiß nicht als "Filiale" der Internationale behandelt wurde, wie es Cannon 1953 bei der Spaltung formuliert hatte. Als Resultat davon entwickelte das VS eine Karikatur auf den demokratischen Zentralismus, was bedeutete, daß im Falle von Differenzen die Mehrheitslinie niemals einer nationalen Sektion "aufgedrängt" wurde. Das VS entwickelte sich als eine Reihe von Nicht-Angriffspakten, wobei nationale Führer in den Organisationen ihrer Länder herrschten, ohne Furcht vor "Einmischung" durch die Internationale. Ernest Mandel hat diese Auffassung in einem Artikel über die Vierte Internationale bekräftigt:

"Das Funktionieren einer solchen Internationale - wie schon heute das der IV. Internationale - muß auf ein zweifaches Prinzip gegründet sein: die vollständige Autonomie der nationalen Parteien bei der Wahl ihrer Leitung und der Festlegung ihrer nationalen Taktik; internationale Disziplin auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips ... bei der internationalen Politik."

Die Idee, daß es möglich wäre, bei nationalen Taktiken eine "vollständige Autonomie" zu haben, als ob sich diese nicht untrennbar aus dem internationalen Programm und der internationalen Politik ergeben würden, ist durch und durch zentristisch. Sie ist ein Vorwand für den Föderalismus, der durch das Scheitern an einer wirklichen programmatischen Einheit notwendig wurde. Außerdem zeigt die gesamte Geschichte des VS - besonders in Bezug auf entscheidende revolutionäre Situationen in Argentinien, Portugal, Iran oder Südafrika - daß von dem angeblich "vereinigten" Sekretariat komplett verschiedene internationale politische Positionen praktiziert und toleriert werden.

Ein anderes Kennzeichen der Fusions-Resolutionen ist die Betonung des "weltweiten revolutionären Prozesses" und der "3 Sektoren der Weltrevolution". Diese Formeln könnten nur auf die Tatsache hinweisen, daß revolutionäre Situationen über die Jahre überall auf der Welt entstehen und vergehen, und daß es notwendig ist, in verschiedenen Situationen (v.a. in imperialistischen Ländern, Halbkolonien und Arbeiterstaaten) verschiedene Taktiken anzuwenden.

Für das VS jedoch beinhalten diese oft wiederholten Formeln eine unerbittliche Logik zur Ausdehnung von Revolutionen. Dieser "Prozeß" wird von "stumpfen Instrumenten" getragen, wie z.B. der jugoslawischen und der chinesischen KP. Dieser Auffassung folgend beschränkt sich die Rolle von Revolutionären darauf, jene unvermeidliche Abfolge von Ereignissen anzuspornen. Der Aufbau von eigenen trotzkistischen Parteien würde sich als Störung, ja sogar als Behinderung der Rolle der Internationale als freundlichem Berater jener unbewußten Trotzkisten und empirischen Praktiker der permanenten Revolution erweisen.

In der frühen Periode des VS meinte man, daß sich "das Epizentrum der Revolution" fest in den Halbkolonien befinde, die Arbeiter in den imperialistischen Ländern könnten abgeschrieben werden. Wie es Pablo 1962 formulierte:

"Der ideologische Neo-Reformismus der europäischen Arbeiterparteien, die die europäische Revolution und die koloniale Revolution verraten haben, wird so gleichzeitig durch die Aktion und die revolutionäre Ideologie der Kräfte außerhalb der entwickelten kapitalistischen Nationen bekämpft, mit denen und von denen daher die neue Führung der sozialistischen Weltrevolution geschaffen werden wird".

Die Imitation Castros in Kuba oder Ben Bellas in Algerien wurde so zur programmatischen Schlüsselfrage der wiedergeborenen "Vierten Internationale".

Diese Anpassung an den "Third Worldism" war in Wirklichkeit das Eingeständnis der Unfähigkeit des VS, während der Periode relativer Prosperität einen Weg zur industriellen Arbeiterklasse der imperialistischen Länder zu finden. Der Klassenkampf war in diesen Jahren nicht verschwunden und außerdem - wie sowohl der belgische Generalstreik 1961, als auch der französische Bergarbeiterstreik 1963 zeigten - konnten diese Kämpfe auch einen hohen Grad an Verallgemeinerung erreichen. Da jedoch die VS-Sektionen tief in den reformistischen Massenparteien eingegraben waren, war die Methode, mit dem Übergangsprogramm bei den kämpfenden Arbeitern anzuknüpfen, seit langem vergessen.

Die ersten Krisen: Sri Lanka und Algerien

Als das VS gegründet wurde, zeigten sich sofort die Probleme, die in der falschen - jedoch von allen Teilnehmern geteilten - politischen Methode angelegt waren. Das erste Beispiel war jenes von Sri Lanka, wo im Frühjahr 1964 die VS-Sektion, die Lanka Sama Samaja Party (LSSP), der Volksfront-Regierung von Frau Bandaranaike beitrat, um ihr zu helfen, eine Streikwelle zu kontrollieren und zu beenden. Der Führer der LSSP, N.M. Perera, wurde sogar Finanzminister! Das VS beeilte sich natürlich, diese Aktion zu verurteilen und schloß sogar all jene aus, die die Linie der LSSP-Führung unterstützt hatten (75% der Sektion).

Aber die opportunistischen Taktiken und Neigungen der LSSP waren für alle lang vor dem Frühjahr 1964 sichtbar. Während der ganzen zweiten Hälfte der 50er Jahre hatte die LSSP wiederholt Annäherungen an die Bourgeoisie gemacht und sogar für das Budget der Bandaranaike-Regierung 1960 gestimmt. Das IS, unterstützt von 6. Weltkongreß 1961, kritisierte schließlich diese Tat von 1960, und die LSSP korrigierte ihre Linie zumindest insofern, als die LSSP-Parlamentarier 1961 nicht für das bürgerliche Budget stimmten! Jedoch erwähnte die Fusionskonferenz von 1963 in keiner Weise die rechten Tendenzen der LSSP, in der Hoffnung, "die Weltbewegung" "vereinigt" zu halten. Die Botschaft war klar: es sollte keine "Einmischung" in die nationalen Taktiken der Sektionen geben, wie opportunistisch sie auch immer wären.

In einem Artikel, der auf "diesen schmerzhaften Moment unserer Geschichte" zurückblickt, findet der VS-Führer Livio Maitan eine ganze Reihe von Erklärungen für den chronischen Opportunismus der LSSP, einschließlich der Tatsache, daß sie niemals eine leninistische Partei war (was wahr ist, aber diese Entdeckung kommt ziemlich spät!). Eine Möglichkeit jedoch will er nicht dulden, nämlich daß die IS/VS-Führung einen großen Teil der Verantwortung für die Vertuschung des "sozialdemokratischen" Charakters der LSSP (das ist Ernest Mandels Ausdruck) trägt, da sie erst entschieden intervenierte, als es schon zu spät war und auch dann nur, um sich die Hände bei der ganzen Affäre sauberzuwaschen. Die Wahrheit ist, daß die ganze Vierte Internationale, einschließlich der nach-53-Abspaltungen, auf die LSSP als der einzigen trotzkistischen Massenpartei starrte - der einzigen, die vielleicht an die Macht kommen und das weltweite Kräfteverhältnis ändern konnte. Wenn sie auch tatsächlich ein ziemlich stumpfes Instrument war, warum sollten nur die Stalinisten all die stumpfen Instrumente haben? Die Tatsache, daß die praktische Politik der LSSP zu 90% parlamentaristisch und trade-unionistisch war, wurde geflissentlich vergessen.

In Algerien machte das VS eine parallele Reihe von Fehlern, die für diese "Trotzkisten" eigenartigerweise wieder erst lange nach dem Ereignis sichtbar wurden. Von 1959 an argumentierten Pablo und sein lateinamerikanischer Statthalter Posadas, daß sich "das Zentrum der Weltrevolution" in die imperialisierte Welt verlagert habe. Für Posadas war dies v.a. eine Rechtfertigung, alle Verbindungen mit dem IS abzubrechen, was 1961 zu seiner Abspaltung führte. Pablos Position war etwas anders. Seine Orientierung an der Ben Bella-Regierung, die er abwechselnd als "antikapitalistischen Staat" und als "Halb-Arbeiterstaat" bezeichnete, befand sich im Einklang mit dem gesamten VS.

Pablos Differenz war, daß er der Logik seiner politischen Analyse bis zum Ende folgen wollte. Am Vereinigungskongreß schlug er vor, daß das Internationale Zentrum nach Algier verlegt werden sollte! In der Folge nahm er in Algerien die Position eines Wirtschaftsberaters der Ben Bella-Regierung an und 1964 brach seine Fraktion mit der VS-Mehrheit völlig.

Begeistert durch den Sieg der FLN über den französischen Imperialismus und dann durch die massiven Nationalisierungen, die im Oktober 1963 von der Ben Bella-Regierung vorgenommen wurden, rief das Internationale Exekutivkomitee des VS im Mai 1964 zur Bildung einer "revolutionär sozialistischen Linken" auf, "geführt durch die FLN".

Wie im Fall von Kuba, Jugoslawien und China sollten die trotzkistische Partei und das Programm zu den Akten gelegt werden, zugunsten des Hinterherlaufens hinter kleinbürgerlichen Nationalisten, die keinerlei Absicht hatten, die Arbeiter und armen Bauern in der Politik mitreden zu lassen, abgesehen von einigen Andeutungen in Richtung "Selbstverwaltung". Anstatt genuiner Arbeiterkontrolle der Produktion bedeuteten diese "Selbstverwaltungsprojekte" die Einbeziehung der Arbeiter in die Betriebsführung im Interesse der kapitalistischen Klasse!

Das VS, wie immer durch Worte geblendet, schwärmte:

"Die Frage, die beantwortet werden muß, ist, ob diese Regierung einen Arbeiterstaat schaffen kann. Die Bewegung in diese Richtung ist offensichtlich und zeigt viele Ähnlichkeiten mit dem kubanischen Modell. 'Selbstverwaltung', durch ihre bereits ausgeführte Bedeutung für die Entwicklung der Arbeiter- und Bauerndemokratie, eröffnet die glänzendste Bresche für den Aufbau von Institutionen eines Arbeiterstaats".

Im Juni 1965 wurde Ben Bella in einem Staatsstreich durch Boumedienne gestürzt. Der VS-Traum von einem Arbeiterstaat an der südlichen Mittelmeerküste zerrann. Als der Traum verblaßte, tauchten die orthodoxen Kritiken wieder auf. Vier Jahre zu spät durchschaute das VS Ben Bella und die FLN. Es machte Pablo zum Sündenbock für Fehler, die alle seine Führer gemeinsam begangen hatten.

Das Dezember-Plenum des IEC 1969 argumentierte, daß die 'Pablo-Tendenz'

"... den Massenmobilisierungen im Wesentlichen die Rolle der Unterstützung der Ben Bella-Tendenz und der Ausführung des FLN-Programms übertrug, indem sie, anstatt die Notwendigkeit für das städtische und ländliche Proletariat und die armen Bauern zu würdigen, ihre unabhängigen Machtorgane aufzubauen, an dem utopischen und nicht-marxistischen Konzept der Möglichkeit eines graduellen Wandels der Natur des Staates festhielt".

Was immer uns das IEK glauben machen will, dies war das Programm des gesamten VS in der ersten Hälfte der 60er Jahre, nicht nur Pablos! Die Resolution gab auch zu - 5 Jahre zu spät -, daß das VS "die Enge der sozialen Basis, auf die sich das Ben Bella Team stützte, nicht richtig einschätzte ... die dringende Notwendigkeit des Aufbaus unabhängiger Organe der politischen Macht durch das städtische und ländliche Proletariat nicht genügend betonte", und daß man "die Notwendigkeit, zuerst unter der Basis für den Aufbau einer revolutionären marxistischen Organisation, die mit den algerischen Massen verbunden ist, zu arbeiten", betonen hätte sollen. Wie ernst diese "Selbstkritik" seine zukünftige Politik beeinflußte, wird durch die VS-Linie zu Nikaragua augenfällig gezeigt.

Linke Mitglieder des VS verteidigen häufig ihre Organisation, indem sie auf diese verspätete und halbherzige Selbstkritik hinweisen und sagen, "besser spät als gar nicht". Aber "spät" ist nur dann besser als "nie", wenn die Lehren der Fehler gezogen werden und wenn dieselben Fehler nicht wiederholt werden. Aber die Geschichte des VS ist voll von solchen nachträglichen "Korrekturen" einer opportunistischen Linie. Aber keine von ihnen wurde benützt, um die fundamentale Methode der Organisation zu verändern. Sie sind eher ein Weg für eine unverbesserlich zentristische Führung, die Spuren ihrer Aktionen zu verwischen.

"Strukturelle Reformen"

Während das "Epizentrum" der Weltrevolution als außerhalb Europas liegend und diese zu unterstützen als die Hauptaufgabe in den imperialistischen Ländern betrachtet wurde, waren die VS-Sektionen immer noch in tiefen Entrismus in den stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas verwickelt. Innerhalb dieser Parteien vollzogen die IS- und später die VS-Sektionen bedeutende Anpassungen an die reformistische Führungen.

Die VS-Sektionen wurden angewiesen, die Arbeiterregierungslosung zu "konkretisieren", nämlich "als Ausdruck des politischen Willens der Arbeiterklasse, nicht so wie ihn revolutionäre Marxisten haben wollen, sondern so wie er in einem bestimmten Augenblick wirklich ist". Dies bedeutete einfach, daß eine Regierung der existierenden reformistischen Führungen der Arbeiterklasse durch den Ausdruck "Arbeiterregierung" beschönigt würde. Diese Idee, die geflissentlich den Klassencharakter so einer Regierung unausgesprochen ließ - den Interessen welcher Klasse wird sie dienen? -, kommt in der gesamten Geschichte des VS immer und immer wieder vor.

In Verbindung damit unterstützte das IS die Idee, daß das Übergangsprogramm eine Serie von "strukturellen Reformen" sei, wodurch dieses vollständig seines revolutionären Inhalts beraubt wurde, eine Methode, die dann im VS fröhlich weitergeführt wurde. Während des belgischen Generalstreiks 1961 schlug Ernest Mandel, als Herausgeber von einer der Zeitungen der Sozialistischen Partei, La Gauche, ein reformistisches Programm vor, das Kürzungen der Militärausgaben, die Nationalisierung der großen Aktiengesellschaften und Kraftwerke und die "Planung" der Wirtschaft durch die Gründung eines nationalen Investitionsfonds forderte. Dieses linksreformistische Programm von "strukturellen Reformen" wurde als an die belgische Situation angepaßtes Übergangsprogramm ausgegeben!

Wieder wurde es der Logik des Kampfes überlassen, "dem revolutionären Prozeß", den Kapitalismus zu stürzen, viel eher, als der bewußten Intervention von Marxisten, die sich mit einem revolutionären Programm bewaffnen. Wie es Mandel 1967 ausdrückte:

"Entweder man steht offen innerhalb des kapitalistischen Systems ... oder man verweigert das, ergreift eine sozialistische Position, indem man das Ziel, die Profitrate zu erhöhen, zurückweist, und propagiert den einzigen alternativen Weg, d.h. die Entwicklung eines mächtigen öffentlichen Industriesektors neben dem Privatsektor. Das ist der Weg aus dem kapitalistischen Rahmen und seiner Logik heraus und leitet zu dem über, was wir strukturelle antikapitalistische Reformen nennen".

 

Wurzeln der Guerrilla-Wende

Schon während der nächsten paar Jahre wurde diese rechtszentristische Orientierung abgelöst durch eine linke, manchmal ultralinke. Die Auswirkungen des Mai 1968 und die Entwicklungen in Lateinamerika trieben das VS weg vom Weg der "strukturellen Reformen" und in die Arme von kleinbürgerlichen Radikalen, die unfähig waren, das Problem des Reformismus in der Arbeiterbewegung zu begreifen. Jedoch blieb, trotz der abrupten Linkswendung (ein Zickzack, das für den Zentrismus typisch ist), die grundlegende opportunistische Methode dieselbe. Das VS konnte vor dem Reformismus kapitulieren oder ihn durch Flüche zu zerstören versuchen, aber es konnte ihn weder bekämpfen noch überwinden.

Am 9. Weltkongreß 1969 nahm das VS eine Resolution an, worin argumentiert wurde, daß Lateinamerika "eine kontinentale strukturelle Instabilität" erlebe, "genauer gesagt eine vorrevolutionäre Situation".

Die Resolution fuhr fort:

"Lateinamerika ist in eine Periode revolutionärer Explosionen und Konflikte eingetreten, bewaffneter Kämpfe gegen die heimische herrschende Klasse und den Imperialismus, und des andauernden Bürgerkriegs in kontinentalem Maßstab".

Auf dieser Basis behauptete das VS, daß der Guerrilla-Kampf die Strategie für alle VS-Sektionen in Lateinamerika sein und das VS sich möglichst in die Strömung um Fidel Castro integrieren sollte. Die US-amerikanische SWP reagierte auf diese Resolution mit ungewöhnlicher Feindseligkeit und lancierte einen Fraktionskampf, der das VS für einen großen Teil der 70er Jahre effektiv lähmte.

In ihren vielen Polemiken gegen die europäischen VS-Führung präsentiert die SWP gerne die Konferenzentscheidung von 1969 als den Beginn der guerrillaistischen Anpassung der VS-Führer Mandel, Maitan und Frank. Diese Ansicht ist nur teilweise richtig. Obwohl der 9. Kongreß sicherlich die Kodifizierung dieser Linie markierte, hatten sowohl das IS wie die SWP schon seit den späten 50er Jahren den Guerrilla-Kampf - wie er von Mao und Castro praktiziert wurde - als ein entscheidendes Element des "revolutionären Programms für die imperialisierte Welt" betrachtet.

Die unkritische Unterstützung der Guerrilla-Strategie, die Castro und Mao zur Machteroberung verwendeten, war eine vollständige Abwendung vom marxistischen Zugang zu solchen Taktiken. Die marxistische Position zum Guerillakrieg und zum "bewaffneten Kampf" jeglicher Sorte besagt, daß, obwohl wir keine Taktik im Klassenkampf prinzipiell ausschließen, es entscheidend ist, daß sich jede Taktik in vollständiger Übereinstimmung mit unserer Strategie befindet, nämlich der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse.

Die entscheidenden Kräfte der Arbeiterklasse, in den Fabriken, Werkstätten und Bergwerken, entwickeln (geführt von einer revolutionären Partei) den bewaffneten Kampf gegen die Bourgeoisie in der Form bewaffneter Arbeitermilizen. Der Weg dorthin führt über Verteidigungsgruppen von Streikposten, bewaffnete Verteidigung von Arbeiterbezirken, von Streikaktionen und Demonstrationen. Das ist mit revolutionärer Arbeit unter den einfachen Soldaten zu kombinieren, mit dem Ziel, zuerst die Unzufriedenheit zu fördern und schließlich, wenn sich der Klassenkampf entwickelt, die Truppe für die Seite der Arbeiter zu gewinnen. Das läuft darauf hinaus, die bürgerliche Armee zu zersetzen.

Sicherlich kann der ländliche Guerillakrieg eine untergeordnete Taktik sein, besonders wo die Bauern- und die Kleinfarmerklasse einen bedeutenden oder sogar vorwiegenden Teil der Bevölkerung ausmacht. Aber auch hier muß so ein Kampf engstens mit der proletarischen Partei verbunden und der Eroberung der Arbeitermacht untergeordnet sein. Die Guerrilla-Strategie von Castro und Mao baute niemals auf so einer Konzeption auf. Der wirkliche Kampf sollte am Land stattfinden, gestützt auf die Bauernschaft. Die Kämpfe der Arbeiter in den Städten wurden bestenfalls als nützliche Beigaben aufgefaßt. Tatsächlich betrachtete der lateinamerikanische Guerillaismus politische Aktionen in den Städten traditionellerweise als Methoden zur Rekrutierung von Arbeitern und Studenten aus den Städten heraus in die Berge.

Die besondere Natur des Guerrillakampfes, sei es ländlicher oder städtischer (wie im Falle der uruguayanischen Tupamaros oder der IRA), erfordert auch Geheimhaltung und die Organisierung der bewaffneten Kräfte isoliert von den Massen, außer vielleicht in den letzten Momenten, wo der Kampf das Ausmaß des Bürgerkriegs annimmt. Sogar dann erzeugt aber die Tatsache, daß der Kampf einer Minderheit von Kämpfern überlassen wird, die sich normalerweise außerhalb der Städte aufhalten, Passivität genau unter jenen Schichten, die für ihre eigene Befreiung kämpfen sollten.

Es ist daher keine Überraschung, daß diese elitäre und individualistische Kampfkonzeption ihre glühendsten Befürworter in den Bewegungen der kleinbürgerlichen Nationalisten findet, wie z.B. der 26. Juli-Bewegung, der IRA, der ETA oder der PLO, und in den kleinbürgerlichen, intellektuellen Zirkeln, in denen das VS in den späten 60er und in den 70er Jahren eingetaucht war. Wo die Stalinisten solche Taktiken annahmen, gaben sie jede Arbeit in den proletarischen Stadtvierteln auf, um statt dessen die Bauernschaft zu mobilisieren und sich auf sie zu stützen - eine kleinbürgerliche Strategie.

"Siege" von solchen Bewegungen sind daher niemals proletarische Siege. Sie bringen entweder klassenfremde Volksfronten von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften an die Regierung, die der Erhaltung des Kapitalismus verpflichtet sind (26.-Juli-Bewegung, FLN, FSLN) - oder sie können dazu führen, daß stalinistische Parteien die Bourgeoisie enteignen und die Arbeiterklasse von der Macht ausschließen, wobei sie degenerierte Arbeiterstaaten schaffen und den Weg zum Sozialismus blockieren.

Indem es diese kleinbürgerlich-nationalistischen oder stalinistischen Guerrillabewegungen als "sozialistisch" und "revolutionär" beschönigte, gab das VS ein weiteres Mal das marxistische Programm auf. Diese opportunistische Anpassung verstärkte sich 1967 durch zwei miteinander verbundene Ereignisse: dem Versuch der Kubaner in Bolivien, eine Guerrilla-Kampagne zu eröffnen und der Gründung der Organisation für lateinamerikanische Solidarität (OLAS).

Che Guevara, romantisches Revolutionssymbol für viele pubertäre Revolutionäre jeden Alters, verließ Kuba 1966. Isoliert von den Massen, komplett ohne Kontakt mit dem wirklichen "Fokus" der bolivianischen Revolution - der bolivianischen Arbeiterklasse des Altiplano -, bezahlte Guevara 1967 den Preis mit seinem Leben. Die "Neue Linke" hatte nun ihren Märtyrer und Ches Poster schmückte die Wände von tausenden Studentenzimmern. Das VS reihte sich in die Trauerreden ein, zog aber keinerlei kritische Schlußfolgerungen aus diesem Ereignis. Ganz im Gegenteil.

Guevaras Intervention in Bolivien war keine individuelle Initiative. Er nahm 16 kubanische Offiziere mit, 4 von ihnen waren Mitglieder des ZK der kubanischen KP. Seit Anfang 1966 hatte Castro dem Kreml signalisiert, daß er mit dessen Unterstützung für das isolierte und bedrohte Kuba unzufrieden war. Zu der "Trikontinentalen Konferenz" im Jänner 1966 in Havanna lud Castro neben den nationalen KPen auch Guerrillagruppen aus Lateinamerika ein, von denen viele ihren lokalen KPen feindlich gegenüberstanden.

Im Juli 1967 hatte er die erste Konferenz der OLAS einberufen, die 160 Delegierte von "fidelistischen" Organisationen aus ganz Lateinamerika zusammenbrachte. Schon zuvor hatten die Kubaner offen den guerrillaistischen Flügel der venezolesischen KP unterstützt, die von Douglas Bravo geführt wurde und die sich von der pro-Moskau Führung abgespalten und diese angeprangert hatte.

Joe Hansen, der von der SWP als Beobachter zu der Konferenz gesandt worden war, erklärte, daß für die revolutionäre Avantgarde "ein großer Fortschritt verbucht werden konnte". Hansen bemerkte zustimmend, daß die OLAS das Ingangsetzen eines Guerillakrieges als Schlüsseltaktik betrachtete:

"Die Frage des bewaffneten Kampfes wurde so von der OLAS-Konferenz als die entscheidende Trennungslinie zwischen Revolutionären und Reformisten im kontinentalen Maßstab betrachtet. In dieser Hinsicht widerspiegelte sie die bolschewistische Tradition".

Natürlich spiegelte sie nichts derartiges wider. Guerillakrieg, zu Unrecht als "der bewaffnete Kampf" bezeichnet, ist an und für sich keine bolschewistische Methode. Er ist die Methode der revolutionären Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie. OLAS selbst traf sich unter dem Zwillingsportrait von Guevara und Bolivar!

Die angeblich bolschewistische Position Castros verführte Hansen, zu phantasieren:

"Die OLAS-Konferenz bedeutet daher einen wichtigen ideologischen Fortschritt und vermittelt den revolutionären Marxisten in aller Welt eine große Ermutigung. Eine ihrer ersten Konsequenzen wird es sein, die Umgruppierung der revolutionären Kräfte in Lateinamerika zu erleichtern. ... Die Wende, die die OLAS-Konferenz markierte, paßt zu den politischen Realitäten Lateinamerikas und zu der dringenden Notwendigkeit, eine revolutionäre Führung aufzubauen, die fähig ist, die Lehren der kubanischen Revolution korrekt aufzuarbeiten und im kontinentalen Maßstab anzuwenden".

Moreno stimmte ebenso in die unkritische Anhimmelung der OLAS ein und erklärte sie zum "einzigen organisatorischen Vehikel zur Macht", genauso wie die Europäer.

Nur zwei kurze Jahre lagen zwischen dieser offensichtlichen Einmütigkeit im Kielwasser der OLAS-Konferenz und dem Fraktionskampf, bei dem Hansen und Moreno die Opposition gegen die Unterstützung des 9. Kongresses für "die Strategie des Guerillakrieges" und dessen erklärtem Ziel "der Fusion mit der Strömung um die OLAS" anführten. Was bewegte sie, von ihren früheren Positionen Abstand zu nehmen?

Der zunehmende Linksradikalismus des VS

Trotz Hansens und Morenos großer Hoffnungen für die OLAS war Castros Linksschwenk nur von kurzer Dauer. Die Havanna-Konferenz von 1967 war das erste und letzte Treffen der OLAS. Im Oktober 1967 war Che Guevara im bolivianischen Dschungel ermordet worden. Der Guerrilla-Focus war zerschlagen. Dieses Desaster, zusammen mit dem ökonomischen Druck von Seiten der SU, die ihre Öllieferungen reduzierte, beendete rasch Castros Flirt mit der Ausbreitung der lateinamerikanischen Revolution mittels des Guerrillakrieges. 1968 befürwortete er den sowjetischen Einmarsch in der Czechoslovakei und machte Annäherungen an die neue Militärregierung in Peru.

Sowohl Hansen als auch Moreno konnten sehen, woher der Wind blies, als Castro Schritt für Schritt seine ehemaligen guerrillaistischen Verbündeten fallenließ. Der unerschütterliche Enthusiasmus der europäischen VS-Führung für den Guerrillakampf und die Richtung, in die dies die lateinamerikanischen und europäischen Sektionen trug, motivierte die Entwicklung einer Oppositionstendenz unter der Führung von Hansen und Moreno.

Hinter den Entscheidungen des 9. Kongresses von 1969 lag eine Reihe von Faktoren, die das VS und andere zentristische Strömungen Ende der 60er Jahre nach links trieben. Der Aufruf Castros, die Revolution auszudehnen, die maoistisch geführte "Kulturrevolution", der verschärfte Kampf der Vietnamesen gegen den US-Imperialismus, all dies bildete den Antrieb zur Radikalisierung einer ganzen Generation. Die Explosion in Paris im Mai 1968 löste die Radikalisierung von Studenten und Jungarbeitern in ganz Europa aus.

Dieser radikale Wind der Veränderung blähte die Segel verschiedener zentristischer Strömungen, auch des VS. Einzelne Sektionen wuchsen rasch, indem sie wichtige Schichten der Jugend rekrutierten. Dies galt besonders für die französische Sektion, die damals als Ligue Communiste (LC) bekannt war. War sie vorher eine unsichtbare, entristische Gruppe, die sich vollkommen in der PCF eingegraben hatte, so trat sie nun in das Scheinwerferlicht der Pariser Barrikaden und wurde die größte Sektion des VS.

Die Neugewonnenen waren jedoch häufig bei weitem keine "Trotzkisten", sondern waren von maoistischen und guevaristischen Konzeptionen stark geprägt, die zu dieser Zeit in der zentristischen Linken vorherrschten. In der Tat: gerade weil diese Politik im VS ein starkes Echo gefunden hatte, war es diese Organisation, die zahlenmäßig am meisten in dieser Periode der Radikalisierung gewann.

Die politische Instabilität in vielen VS-Sektionen in der Zeit des 9. Kongresses zeigte sich deutlich darin, daß bei der Gründungskonferenz der LC 1969 mehr als ein Drittel der Delegierten gegen einen Anschluß an das VS stimmte. Viele dieser Delegierten organisierten später eine maoistische Abspaltung, die sich "Revolution" nannte.

Der Linksschwenk in Europa bedeutete für die VS-Sektionen die Aufgabe ihres tiefen Entrismus und ihrer damit verbundenen Perspektive, in den reformistischen Parteien für "strukturelle Reformen" zu kämpfen. Der neue Schwenk führte zur Anpassung an das radikalisierte, studentische Milieu. Der 9. Weltkongreß sollte "die spezielle Rolle" beschreiben, "die die Universitäts-, Schul- und Arbeiterjugend als 'Sprengkopf' und Speerspitze der Bewegung spielte". Dies war die "neue Jugendavantgarde", auf die sich die europäischen Sektionen orientierten.

In der Praxis bedeutete dies die Abwendung vom Kampf in den Gewerkschaften, in den sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien. Die Aufgabe wurde eine der Schaffung von "roten Universitäten" und "roten Basen", wo die Studenten als "Zündköpfe" für revolutionäre Explosionen, die die Arbeiter einbeziehen würden, organisiert werden konnten. Die Arbeiter, auf die man sich orientieren sollte, waren - wie es die 9. Kongreßresolution ausdrückte Ð "eine neue Generation von jungen Arbeitern", die "viel größere Freiheiten der Initiative und der Aktion genießen, weil sie großteils aus der Kontrolle der traditionellen Organisationen ausgebrochen sind".

Diese Linie repräsentierte tatsächlich einen Rückzug vom Kampf gegen die reformistischen Führer. Sowohl die sozialdemokratischen, als auch die stalinistischen Parteien behielten ihre Hegemonie über die europäische Arbeiterklasse. Die Lehren, die aus dem Pariser Mai 1968 gezogen wurden, waren das genaue Gegenteil von denen, die von Marxisten hätten gezogen werden sollen. Der französische Generalstreik und sein Verrat durch die Stalinisten zeigte die Wichtigkeit, den Zugriff des Stalinismus im Herzen der Arbeiterbewegung zu bekämpfen. Das VS entschied sich statt dessen zu versuchen, ihn zu umgehen - von der "Peripherie zum Zentrum" - , indem es Studenten und Arbeiterjugendliche mobilisierte, um diese mit den "Dritt-Welt-Kämpfen" zu verbinden.

Unter den Führern und Mitgliedern der europäischen Sektionen tauchten noch wild-abenteuerlichere und ultra-linkere Positionen auf. 1971 schrieb ein Teil der französischen Führer, einschließlich eines Mitglieds des IEC (Jebrac), ein Dokument, das tatsächlich von den europäischen Sektionen verlangte, den Stadtguerrillakampf aufzunehmen. Obwohl Mandel und andere damit nichts zu tun haben wollten, wurde klar, daß innerhalb der europäischen Sektionen eine starke guerrillaistische Tendenz heranwuchs, die auf einer verwirrten Bewunderung von Guevara und der Vietnamesen beruhte und ihrem Wesen nach grundlegend kleinbürgerlich war.

In der IMG, der damaligen britischen Sektion, blühten ultralinke Positionen zur Labour Party und zur IRA. In der Zeitung, die die IMG mitherausgab, Red Mole, erschien 1970 ein wichtiger Artikel von Robin Blackburn, der dazu aufrief, Wahlveranstaltungen der Labour Party mit den Methoden der direkten Aktion, wie sie in den Studentenkämpfen entwickelt worden waren, zu stören und zu verhindern. Selbst die sanft kritische Antwort des Sekretärs der IMG konnte sich nicht zu einem Wahlaufruf für die Labour Party durchringen. In Frankreich fand eine Reihe von Bombenanschlägen auf Geschäfte statt, die von Rouge, der Zeitung der französischen Sektion, lauthals begrüßt wurden.

Im Juni 1973 startete die Ligue Communiste einen abenteuerlichen Angriff auf ein Faschistentreffen, das von einem riesigen Verband der Aufstandspolizei bewacht wurde. Während der nächsten paar Tage wurden die Büros der Ligue und dutzende Wohnungen von Mitgliedern überfallen, zwei Führer verhaftet und die Organisation verboten. Sie tauchte erst ein Jahr später, als Ligue Communiste Revolutionaire (LCR), wieder auf. Während all dies vielleicht das Gewissen einiger kleinbürgerlicher "Revolutionäre der Tat" beruhigte, leistete es nichts, um die Arbeiterklasse aus dem Würgegriff des Stalinismus zu befreien.

All dies verursachte in der SWP-Führung wachsende Besorgnis. Nicht nur zog sich Castro von seiner Unterstützung der Guerrilla-Strömungen zurück, sondern es gab eine zunehmende Hinwendung des SWP-Umfeldes zu "bewaffneten Aktionen", die zu bekämpfen und von der sich zu distanzieren sie für notwendig hielt. Der Weather Underground, die Black Panthers und dutzende kleine, stark vom Maoismus und spontaneistischem Individualismus beeinflußte Gruppen verspannen sich in selbstzerstörerische "bewaffnete Aktionen" gegen den Staat. Das letzte, was sich die SWP damals wünschte, war, vom FBI als "guerrillaistische" Organisation angegriffen zu werden.

Wir spotten nicht über die Tatsache, daß sich eine etwa 1000 Mitglieder starke "Propagandagesellschaft", die sich hauptsächlich aus Studenten und Angestellten zusammensetzte, nicht in einen bewaffneten Kampf mit dem US-Staat verwickeln wollte. Wir empfinden aber Verachtung für jene Zentristen, die solche Kampfmethoden überall sonst befürworten, aber ängstlich zurückschrecken, wenn sie mit der Frage zu Hause konfrontiert werden.

Der 9. Kongreß

Am 9. Kongreß begann sich die Vereinigung von 1963 schon wieder aufzutrennen, obwohl bei diesem Kongreß die Tiefe der zukünftigen Differenzen noch nicht sichtbar war. Damaligen VS-Berichten zufolge waren 98 Delegierte aus 30 Ländern anwesend. Die Thesen über "Der neue Aufschwung der Weltrevolution" wurden einstimmig angenommen. Diese Resolution beschäftigte sich hauptsächlich mit der Situation der berühmten "drei Sektoren der Weltrevolution" und wie das VS die "neue Jugendavantgarde" - hauptsächlich Studenten -, die in der Folge des Mai 1968 mobilisiert worden waren, gewinnen würde.

Die Hauptdifferenzen, die am Kongreß ausgedrückt wurden, gruppierten sich um die Resolutionen zu Lateinamerika und zur chinesischen Kulturrevolution. Letztere drehten sich um die Differenzen zum Wesen des Maoismus, die 1963 unter den Teppich gekehrt worden waren. Eine Zeit lang hatten Mandel, Maitan usw. zugestimmt, daß eine politische Revolution notwendig sei - aber nur, weil Mao gesagt hatte, daß er gerade eine anführe - die "Kulturrevolution"! Als Mao wieder fest im Sattel saß, kehrten sie einmal mehr zu ihrer alten Position zurück. Für die SWP waren die Differenzen über Lateinamerika und die Guerrilla-Strategie ernster.

Hansen und die SWP gaben ihre Kuba-Position nicht auf, in der sie rückblickend die Methode des Guerrillakampfes, wie sie von Castro verwendet worden war, befürwortet hatten. In einer seiner Polemiken von 1971 zitierte Hansen stolz aus dem Vereinigungsdokument von 1963:

"Guerillakampf, getragen von landlosen Bauern und halbproletarischen Kräften, unter einer Führung, die sich zunehmend der Durchführung der Revolution bis zum Abschluß verpflichtet, kann eine entscheidende Rolle bei der Unterminierung und bei der Beschleunigung des Falls einer kolonialen oder halbkolonialen Macht spielen. Das ist eine der Hauptlektionen, die aus den Erfahrungen seit dem Zweiten Weltkrieg gezogen werden muß. Sie muß bewußt in die Strategie des Aufbaus marxistischer Parteien in kolonialen Ländern einbezogen werden."

Der Haupteinwand der SWP gegen die Resolution war, daß die "Europäer", besonders Maitan, den Guerrillakampf in eine Strategie verwandelten.

"Die Minderheit meint, daß es in der revolutionären Strategie vorrangig ist, eine Kampfpartei aufzubauen: zum Guerrillakampf Zuflucht zu suchen, sollte als sekundäre taktische Frage betrachtet werden."

Warum wurde also der Fraktionskampf so bitter? Ein Grund war die Befürchtung der SWP, daß dieses Programm auf die imperialistischen Länder verallgemeinert werden - und damit sie selbst betreffen könnte. Als "Taktik" für einige oder alle lateinamerikanischen Länder war es akzeptabel. Als Strategie für die ganze Internationale wollte es die SWP nicht haben. Wie es Hansen in seinem Bericht im Juni 1969 am 9. Kongreß argumentierte:

"Wenn (der Guerrillakampf) als taktische Frage betrachtet wird, dann ist der Gebrauch des Guerrillakampfes von jeder Sektion zu entscheiden und in eine breitere Strategie einzubetten". Keine Anordnungen von "einigen Burschen in Paris", wie es Cannon ausdrückte.

Dies war mit der grimmigen Opposition der SWP gegen die neuen Statuten des VS, die am Kongreß 1969 vorgeschlagen wurden, verbunden. Diese stellten fest:

"Die öffentliche Darstellung von wichtigen Differenzen mit dem Programm des VS oder mit der politischen Linie, die mehrheitlich auf einem Weltkongreß angenommen worden ist" sollte ein disziplinäres Vergehen sein.

Hansen beklagte, daß die Mehrheit "ein Konzept einer hochzentralisierten Internationale befürwortete, die ermächtigt ist, in das Leben der Sektionen in kräftiger und gewaltsamer Weise einzugreifen". Wie die ganze Geschichte der SWP zeigt, ist der demokratische Zentralismus ein Greuel für unsere "orthodoxen" Genossen.

Aber 1969 vertrat Hansen noch eine optimistische Sichtweise. In seinem Bericht an die SWP über den 9. Kongreß erklärte er, daß die Diskussionen über die strittigen Fragen "reich und erzieherisch" wären. In Wirklichkeit wurden die Debatten zunehmend verbittert. Zwischen dem 9. Kongreß und dem offiziellen Ende des Fraktionskampfs 1977 ergriff der Konflikt rasch viele andere, vom Guerrillakampf unabhängige Fragen. Der Vietnamkrieg, die Natur des Stalinismus, die nationale Frage, die Frauenfrage, die chinesische Kulturrevolution, die portugiesische Revolution, der Kontakt mit anderen "trotzkistischen" Gruppen, der demokratische Zentralismus und die Natur der Vierten Internationale waren alles Themen hitziger polemischer Auseinandersetzungen, wobei die wichtigsten Kampflinien mit jenen zwischen den IS/IC-Bestandteilen der 1963er Fusion zusammenfielen.

Die SWP und Morenos lateinamerikanische Unterstützer schlossen sich auf der einen Seite - zumindest bis 1975 - als Leninist-Trotskyist-Tendency (LTT) zusammen und die europäischen Führer mit einer Mehrheit der Mitglieder auf der anderen, als International Majority Tendency (IMT). Anschuldigungen des Fraktionalismus kamen schnell und grob von beiden Seiten, da das innere Funktionieren des VS zum Stillstand kam. Weltkongresse, die alle drei Jahre stattfinden sollten, wurden nur alle fünf oder sogar sechs Jahre abgehalten (1974, 1979, 1985). Das IEK (Internationale Exekutivkomitee) sollte sich zumindest zweimal pro Jahr treffen, trat aber häufig nicht einmal jährlich zusammen.

Bolivien und Argentinien: Guerrilla-Linie in der Praxis

Es war in Bolivien und in Argentinien, wo die Linie des 9. Kongresses bis zur Vernichtung ausprobiert wurde. Die Polemiken darüber, welche Lehren aus diesen Ländern zu ziehen seien, bestimmten die Debatten im VS bis Mitte der 70er Jahre.

Livio Maitan, Mitglied des VS mit besonderer Verantwortlichkeit für Lateinamerika in den späten 60er und frühen 70er Jahren, meinte, daß es notwendig wäre, die Arbeit der Internationale jenen Gebieten der Welt unterzuordnen, in denen ein "Durchbruch" möglich wäre. Während der Vorbereitung des 9. Kongresses erklärte er:

"... es ist notwendig zu verstehen und zu erklären, daß die Internationale in der momentanen Entwicklungsstufe rund um Bolivien aufgebaut wird".

Weit davon entfernt, aus dem Debakel Guevaras in Bolivien die Schlußfolgerung zu ziehen, daß derartiger Guerrillakampf nur zur Katastrophe führen kann, kam die Mehrheit des VS zur umgekehrten Überzeugung. In einem unglaublichen Kunststück von doppeltem Denken argumentierte er:

"Die Ereignisse, die der Niederlage der Guerrillas gefolgt sind, haben gleichzeitig Guevaras fundamentale Anschauungen bekräftigt".

Mit dieser Perspektive "bewaffnete" der 9. Kongreß seine bolivianische Sektion, die Partido Obrero Revolutionario, nach ihrem Führer Hugo Gonzales Moscoso als POR(Gonzales) bekannt. Es wurden Verbindungen zu der Nationalen Volksarmee (ELN) hergestellt, einer Guerrillaorganisation, deren Ursprünge auf Guevaras Gruppe zurückgingen und die sich vollständig mit der "Foco-Strategie" der ursprünglichen ELN identifizierte. Die POR(Gonzales) beschäftigte sich ausschließlich mit militärischen Vorbereitungen. Die politische Perspektive, die für Bolivien zur Rechtfertigung der militärischen Strategie angenommen wurde und die keinerlei Möglichkeit für legale oder halblegale Massenarbeit in den Gewerkschaften sah, wurde schon bald durch die Ereignisse von 1970/71 grob erschüttert.

Der Tod des Diktators General Barrientos führte zu einem Aufschwung der Gewerkschaftskämpfe. Wachsende Massenmobilisierungen führten 1970 zu einem Putschversuch von rechten Generälen. Als die Massen, einem Generalstreiksaufruf des Gewerkschaftsdachverbandes COB folgend, auf die Straßen strömten, fiel das Militärregime auseinander. Das Ergebnis war das "linke" Militärregime des Generals Torres, das von einem "Politischen Komitee", bestehend aus dem COB und verschiedenen Linksparteien, unterstützt wurde.

Die POR (Gonzales) war von diesen Massenkämpfen total isoliert. Statt dessen hatte sie Unterstützung für den Beginn eines Guerrillakampfes der ELN in Teoponte organisiert und ihre eigenen Guerrillaaktionen vorbereitet. Die Teoponte-Front, die im Juli 1970 eröffnet wurde, war eine komplette Katastrophe. Die 75 daran beteiligten Guerrillas wurden von der Armee massakriert. Nur 8 entgingen den Exekutionen der Armee.

Trotz der Massenkämpfe der Arbeiter 1970/71 beharrte die POR(Gonzales) auf ihrer Guerrillaperspektive. Als sie schließlich 1971 die Bedeutung der "Volksversammlung" (Assamblea Popular) anerkannte - ein Organ, das den COB, politische, studentische und bäuerliche Organisationen zusammenbrachte - , geschah dies nur, um darin Propaganda für die Notwendigkeit, einen "Volkskrieg" zu organisieren, zu machen. Selten erwies sich eine politische Linie so rasch als bankrott wie die Entscheidungen des 9. Kongresses. Aber in Argentinien kam es noch schlimmer.

Die Revolutionäre Arbeiterpartei (PRT) war 1964 als Produkt der Fusion zwischen Nahuel Morenos Gruppe, die mit dem IK gebrochen hatte und nun in politischer Solidarität mit dem VS war, und einer offen castroistischen Strömung, der FRIP, gegründet worden. 1968 jedoch stellte sich Moreno gegen den Guerrillaismus, den er vorher genährt hatte, und eine Abspaltung des pro-castristischen Flügels war die Folge. Moreno führte nun die PRT(Verdad), während der andere Flügel von Mario Roberto Santucho geführt und als PRT(Combatiente) bekannt wurde. Beide Gruppen besuchten den 9. Kongreß und ersuchten, als offizielle Sektion anerkannt zu werden.

Für die alte IS-Führung in Europa war es keine Frage, daß die PRT(C) die offizielle Sektion werden sollte, da sie sich vollständig mit der Guerrilla-Strategie identifizierte. Als Moreno aufzeigte, daß die PRT(C) nicht "trotzkistisch" sei, verneinte die VS-Führung dies. (Natürlich befand sich Moreno hierbei nicht gerade auf sicherem Boden, war die PRT(C) doch einige Jahre zuvor sein Fusionspartner gewesen).

Sicherlich, die PRT(C) behauptete nicht einmal, daß sie trotzkistisch sei. Ihr Gründungsdokument von 1968 hatte festgestellt, daß ihr Ziel die Zusammenführung der Strömungen des Trotzkismus, Maoismus und Castroismus sei. Aber solche Positionen waren nicht Lichtjahre von jenen entfernt, die der 9. Kongreß annahm, als er für die "Integration mit der historisch revolutionären Strömung" aufrief, "die die kubanische Revolution und die OLAS repräsentiert"! Ebensowenig erkannte die PRT(C) das VS als eine revolutionäre Internationale an - eine eigenartige Einstellung für eine Sektion der "Weltpartei der Sozialistischen Revolution"!

Die Entwicklung des Fraktionskampfs

Bei ihrem 5. Kongreß kündigte die PRT(C) "ihre Absicht" an, "die Proletarisierung der Internationale herbeizuführen, sie in eine revolutionäre Internationale zu verwandeln und für ihre Ausrichtung auf die Bildung einer neuen revolutionären Internationale zu kämpfen, die sich auf die chinesischen, kubanischen, koreanischen, vietnamesischen und albanischen Parteien stütze".

Nichts von alledem verhinderte, daß die PRT(C) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der VS-Führung rückte, da sie eine neue Möglichkeit eines "Durchbruchs" eröffnete. Maitan, der sicher in seinem Professorenbüro an der Universität Rom saß, ermutigte die junge PRT(C)-Führung, einen Guerrillakrieg zu führen.

1970 rief diese Führung um Santucho die "Revolutionäre Volksarmee" (ERP) ins Leben. Während der nächsten vier Jahre ließ sich die ERP auf eine Reihe von immer tollkühner werdenden Aktionen ein, die mit der faktischen Zerstörung der Organisation endeten und zur Ermordung von hunderten Revolutionären durch die Armee führten. Maitan spürte nicht nur, daß diese junge Führung mehr auf seiner politischen Wellenlänge lag als sein alter Gegenspieler Moreno, sondern daß sie auch formbarer war. Während des ganzen nächsten Jahrzehnts ermutigte und verteidigte Maitan beständig die Santucho-Führung, selbst in einigen ihrer recht eigenartigen Äußerungen und verheerenden Aktionen, und zwar in einem Ausmaß, daß er sich sogar weigerte, für die "Selbstkritik" an der Guerrilla-Wende zu stimmen, die Mandel und der Rest der VS-Mehrheit Ende 1976 vorbrachten.

Wie in Bolivien wurde auch in Argentinien die Guerrilla-Linie in einer Periode vertreten, als die Militärdiktatur unter den zunehmenden Druck von Arbeitermobilisierungen geriet. Im Mai 1969 brachen in Cordoba eine Massenerhebung und ein Generalstreik aus, denen weitere Massenstreiks an anderen Orten folgten. 1971 gab es eine zweite Erhebung in Cordoba, die eine Änderung der Regierung bewirkte und General Lanusse mit dem Versprechen einer Rückkehr zu einer Zivilregierung an die Macht brachte.

Während dieser Massenkämpfe konzentrierte sich die ERP, genauso wie die verschiedenen peronistischen Guerrillabewegungen, auf ihre bewaffneten Aktionen. Die ERP schritt, dem Beispiel der Stadtguerrilla der uruguayanischen Tupamaros folgend, von der "Befreiung" einzelner Milchwägen und der Verteilung der Beute in den Barackenbezirken zur "Kriegserklärung" an den argentinischen Staat! Banküberfälle häuften sich, politische Treffen wurden unter Waffenschutz in Fabriken abgehalten, Manager wurden zur Erpressung von Lösegeld entführt, das dann für die Verteilung von Nahrungsmitteln an die Armen verwendet wurde.

Diese "Robin Hood-Taktiken" mögen der PRT(C) vorübergehend einige Popularität eingebracht haben, aber sie leisteten nichts, um ihnen in den wachsenden Kämpfen in den Fabriken und Gewerkschaften Einfluß oder nur Gehör zu verschaffen. Im März 1972 entführten sie Oberdan Sallustro, den Generaldirektor von Fiat Concord, und exekutierten ihn einige Wochen später, als ihre Lösegeldforderungen nicht erfüllt wurden. Dies war, zusammen mit den bolivianischen Ereignissen, zu viel für die SWP. Sie verurteilte öffentlich die Erschießung, die in der Presse vieler VS-Sektionen begrüßt worden war.

Die SWP argumentierte, daß solche Aktionen, isoliert von der Massenbewegung und nicht in einer Bürgerkriegssituation durchgeführt, von Marxisten als "Terrorismus" bezeichnet würden und nichts mit der marxistischen Taktik des bewaffneten Kampfes zu tun hätten. Die europäische Führung antwortete, daß die SWP "Nachtrabpolitik" betreibe und nicht gewillt sei, die Massen in ihrem Bedürfnis nach bewaffneten Aktionen anzuführen, sondern "spontaneistisch" die Bewaffnungsfrage für die Arbeiter der "Lösung" durch den Aufstand überlasse.

Dies war der Hintergrund für das IEK-Treffen im Dezember 1972, das den gegnerischen Tendenzen Auftrieb gab. Die IMT, die im großen und ganzen aus der alten IS-Führung bestand, verurteilte die SWP-Position und verbot anderen Sektionen, sie zu veröffentlichen. Jedoch selbst Mandel und Maitan sahen sich gezwungen, einige Kritik an der Linie der PRT(C) von 1972 vorzubringen.

Als die PRT(C) den Weg zur reinen Stadtguerrilla und weg vom VS weiterging, wurde sie zunehmend von Fraktionen zerrüttet. Die Delegierten zum 9. Kongreß waren bereits ausgeschlossen und 2/3 ihres damaligen Zentralkomitees waren entweder ausgeschlossen oder ausgetreten. In einem Brief von 6 IEK-Mitgliedern (einschließlich Mandel, Frank und Maitan) an die PRT(C) im Oktober 1972 wurde eine erste vorläufige Kritik an dieser Organisation geäußert. Jedoch erklärten sie weiterhin, daß die Linie der PRT(C)/ERP "eine unzweifelhafte Errungenschaft für die trotzkistische und revolutionäre Bewegung darstellt".

Dieses Vertrauen wurde von der PRT(C) schlecht belohnt. Die Führung brandmarkte das VS für dessen Versuch, in ihren Reihen eine Fraktion aufzubauen. Nachdem sie bereits öffentlich erklärt hatten, daß sie keine Trotzkisten mehr seien, brach das Zentralkomitee im Juli 1973 formell mit dem VS. Ihr Führer Santucho war bereits in Kuba, wo er fortfuhr, eine "Revolutionäre Koordinationsjunta" zu gründen, eine Organisation, die die bolivianische ELN, die chilenische MIR und die Tupamaros von Uruguay einschloß. Santucho wurde später (1976) bei einer bewaffneten Aktion in Buenos Aires durch das argentinische Militär getötet.

Der Abfall der PRT(C) war für die IMT ein schwerer Schlag, zumal sie in einen Fraktionskampf verwickelt war. Bei der IEK-Tagung im Dezember 1972 waren kritische Resolutionen über die Bilanz der VS-Sektionen bei der Verwirklichung der Beschlüsse des 9. Kongresses vorgelegt worden. Sie waren gemeinsam von Joseph Hansen, Hugo Blanco, Nahuel Moreno, Peter Camejo und Anibal Lorenzo verfaßt. Sie wurden gemeinsam mit dem Vorschlag der Minderheit, den 1974 fälligen 10. Kongreß zu verschieben, abgelehnt. Im März 1974 wurde die LTT gegründet, die großteils aus dem alten IK-Flügel von vor der Fusion bestand. Im August verwandelte sich die LTT in die leninistisch-trotzkistische Fraktion (LTF), die nicht mehr nur eine Änderung der Linie zum Guerrillakrieg, sondern die Führung des VS anstrebte.

Das Hauptargument, mit dem die LTF ihre Verwandlung in eine Fraktion zu rechtfertigen versuchte, war, daß die IMT praktisch als "Geheimfraktion" fungierte. Hansen drückte dies auf eine Weise aus, die Cannons Entdeckung von 1953 nachäffte, daß eine geheime Pablo-Clique die Internationale "übernommen" hätte:

"Später wurde entdeckt, daß die IEK-Mehrheitstendenz tatsächlich als Geheimfraktion arbeitete; d.h. auf einer unausgewiesenen Grundlage. Es wurde außerdem entdeckt, daß einige ihrer Führer in Richtung einer Spaltung der 4. Internationale arbeiten wollten."

Diese unpolitische Antwort auf die IMT-Manöver kennzeichnete einen klaren Niedergang in der Qualität der LTF/SWP-Polemiken. Hansens letzter wichtiger Artikel wurde vor der Bildung der LTF geschrieben und das Feld wurde zunehmend der neuen SWP-Führung um Jack Barnes und Mary-Alice Waters überlassen, grauen Apparatschiks, für die die Organisationsfrage alles dominierte. Formelle, rechtsanwaltliche Argumente ersetzten die politische Debatte. Unbewiesene Behauptungen über geheime Treffen, geheime Briefe und organisatorische Manöver füllten die Seiten der LTF-Artikel. Der Ton, der angeschlagen wurde, kennzeichnet im wesentlichen das interne Leben der SWP bis heute.

Im Mai 1973 bildeten Bill Massey und John Barzman die Internationalistische Tendenz (IT) in der SWP, auf der Grundlage der Unterstützung für die IMT. Die SWP-Führung, die seit dem Jahr davor in den Händen von Barnes (Nationaler Sekretär) und Barry Sheppard (Nationaler Organisationssekretär) lag, war davon nicht angetan. Beim SWP-Konvent im August 1973 verweigerte die Nominierungskommission der IT jeglichen Platz im SWP-Nationalkomitee. Die hochgerühmte interne Demokratie der SWP zählte nicht viel.

Der 10. Weltkongreß

Der 10. Weltkongreß fand im Februar 1974 statt. 250 Delegierte aus 48 Sektionen, die 41 Länder vertraten, waren anwesend. Bei allen wichtigen Resolutionen, die angenommen wurden - über die weltpolitische Situation, Bolivien, Argentinien, bewaffneten Kampf in Lateinamerika, die Thesen zum Aufbau revolutionärer Parteien im kapitalistischen Europa - war der Kongreß tief nach fraktionellen Linien gespalten. Die Minderheit gegen die IMT-Positionen erreichte konstant mehr als 45% der Delegiertenstimmen. Am Kongreß bildete sich eine dritte kleine Tendenz - die Mezhrayonka-Tendenz - , die oft mit der LTF gegen die IMT stimmte.

Die "neue Jugendavantgarde" des 9. Weltkongresses hatte sich in etwas größeres verwandelt. "Eine neue Avantgarde im Massenmaßstab ist auf den Plan getreten", erklärten die Thesen des 10. Kongresses über "die Bildung revolutionärer Parteien im kapitalistischen Europa". Das schon am 9. Kongreß angenommene Thema weiterentwickelnd, gratulierte sich das VS selbst zu der Tatsache, daß die traditionellen reformistischen Massenparteien schwächer und schwächer würden.

Deren Politik verlöre an Glaubwürdigkeit. Der parlamentarische Weg würde objektiv von den breiten Massen zunehmend in Frage gestellt. Tatsächlich konnte dies nur "objektiv" sein, da derselbe Absatz eine ärgerliche subjektive Tendenz feststellte:

"Sie wählen weiterhin die traditionellen Parteien!" "Die traditionellen Führungen", so wurde den VS-Mitgliedern versichert, "könnten nicht mehr länger erfolgreich sehr große Teile der jungen Arbeiter für ihre Politik und ihre Konzepte gewinnen".

Wie der 9. Kongreß ging auch der 10. wieder über die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien hinweg bzw. drückte sich um diese herum, verkleinerte lachhafterweise deren Einfluß und übertrieb die Rolle und Stärke der "neuen Massenavantgarde".

Wie weit entfernt diese Position von der Wirklichkeit war, wird klar, wenn man sich daran erinnert, daß in demselben Jahr, in dem der 10. Kongreß stattfand, die Labour Party an die Regierung zurückkehrte, Mitterrand nur um ein Haar nicht französischer Präsident wurde, die italienische KP auf dem Weg zu ihrem größten Wahlerfolg war (34,4% 1976) und in Deutschland 1972 die Gewerkschaften und die Arbeiter spontan gegen einen parlamentarischen Mißtrauensantrag gegen die SPD/FDP-Koalitionsregierung streikten (den sogenannten Barzel-Coup).

Diese Ereignisse, die eindeutig die weiterbestehende Loyalität der Arbeiterklasse gegenüber den reformistischen Parteien zeigten, wurden nicht einmal erwähnt! Für das VS zählte nur ihr Eindruck, daß "wir den Beginn einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse als Ganzes sehen", was immer das bedeuten sollte.

Und was war ihr Programm, um diese radikalen Schichten zu gewinnen?

Wie 1969 hatte das VS nichts anzubieten, außer "weiterer Erziehung der Avantgarde" und "der Fähigkeit seitens der revolutionär-marxistischen Organisationen, politische Initiativen zu ergreifen, um die Reformisten aus der Bahn zu werfen", inklusive "unabhängiger Aktionen in den Betrieben". Wie am 9. Kongreß schienen lediglich einige "exemplarische Aktionen" notwendig zu sein (da die Reformisten durch den Zauberstab des VS zum Verschwinden gebracht waren), um das politische Vakuum durch das VS zu füllen. Die Ähnlichkeit zwischen dieser Position, die auf die industrielle Arbeiterklasse in Europa angewendet wurde, und jener für die bäuerlichen Massen in Lateinamerika, ist augenfällig. Beides sind klassische Beispiele für die kleinbürgerlichen Unfähigkeit, die reale Dynamik des Klassenkampfs, die wirklichen Wurzeln des Reformismus und die Wege, wie er zu schlagen ist, zu verstehen.

Bei der Frage des Guerrillakampfs in Lateinamerika und insbesondere der argentinischen Frage mußte die IMT, im Lichte des Abtrünnigwerdens der PRT(C), einige kleinere Rückzieher machen. Die "erste selbstkritische Bilanz" war eine bemerkenswerte Angelegenheit. Sie stellte fest, daß die PRT(C), zu der Zeit, als sie als offizielle Sektion des VS aufgenommen worden war, Positionen vertrat, die sich "im Widerspruch zu den entscheidenden Konzepten und Analysen der 4. Internationale" befanden. Dies waren:

"... eine fehlerhafte Konzeption des Maoismus ... eine apologetische Bewertung des Castroismus: eine zentristische und eklektische Konzeption für den Aufbau der Internationale: eine opportunistische Konzeption des Kampfes gegen die Bürokratie der degenerierten Arbeiterstaaten, wofür ihre Unterstützung der Invasion der Kreml-Armeen in der CSSR typisch war, etc.".

Die Resolution erkennt weiter an, daß, "obwohl diese Positionen teilweise bekannt waren, weder der 9. Kongreß, noch die Führung der Vierten Internationalen eine politische Kritik der PRT (formulierten)".

Nach diesem atemberaubenden Eingeständnis der wirklichen Politik der PRT(C) und ihrer nachträglichen Charakterisierung als zentristisch setzt die Resolution fort:

"Die Anerkennung der PRT(C) als Sektion der 4. Internationale war gerechtfertigt!" Aber sobald wir den Atem wiedergewonnen haben, dürfte uns dies eigentlich nicht als Überraschung erscheinen. Ein beständiges Thema der mandelistischen 4. Internationale war ihre Bereitschaft, sich in zentristische Strömungen hinein aufzulösen, wenn diese nur dazu bereit wären. Das IS/VS hat, jedes zu seiner Zeit, die Rolle des unbelohnten Bittstellers bei Tito, Mao, Castro, Ben Bella und später bei den Sandinisten gespielt. Es war kein Wunder, daß es die neo-maoistische PRT(C) ohne Bedenken schlucken konnte. Programm? Strategie? Taktik? Führung? Dies wird zu völlig nutzlosem Ballast, wenn derartig unverbesserliche Zentristen eine verlockende Aussicht auf einen "großen Durchbruch" sehen.

Die Resolution zu Argentinien, die zwar die irrige Guerrilla-Strategie der PRT(C)/ERP für ihr Versäumnis kritisierte, sich selbst genügend mit den Massen zu verbinden, für "ihre ungenügende Aneignung der Theorie der permanenten Revolution" und für ihre Unterstützung einer Volksfront zwischen den Gewerkschaften und dem "progressiven Bourgeois Alfonsin" (der später Präsident wurde), konnte nichtsdestotrotz erklären, daß diese weiterhin "als die fortgeschrittenste und glaubwürdigste Option in der revolutionären Linken erschien".

Es war angesichts dieser Linie nicht überraschend, daß die PRT(V) von Moreno in der Resolution kaum erwähnt und Morenos Gruppe - trotz ihres beachtlichen Wachstums seit dem 9. Kongreß - nicht als offizielle Sektion anerkannt wurde. In der Bolivien-Resolution wurde die Linie der POR (Gonzales) bekräftigt. Und eine Resolution über den "bewaffneten Kampf in Lateinamerika" bestätigte die 9. Kongreß-Resolution über die Guerrillastrategie als "eine der Errungenschaften unserer Bewegung". Die "Vereinigung mit der castroistischen Strömung" blieb "eine zentrale Frage".

Die Resolutionen des 10. Kongresses reflektierten jedoch teilweise die Differenzen, die im VS aufgetreten waren. Vor dem Kongreß war ausgemacht worden, die Diskussionen über die chinesische Kulturrevolution, das Wesen der vietnamesischen KP und der Vietnam-Solidaritätsarbeit, über die Frauenbefreiung und den Nahen Osten beiseite zu lassen.

Im besonderen hatten Differenzen über die Vietnam-Solidaritätsarbeit zu einer wichtigen Auseinandersetzung über das Wesen der vietnamesischen KP geführt (1973-74). Die SWP war beharrlich der Anti-Kriegsbewegung in den USA nachgelaufen, hatte keine klaren defätistischen Losungen aufgestellt und nicht offen den Sieg der NLF unterstützt. Die europäischen Sektionen paßten sich ebenso stark der Solidaritätsbewegung an, in der sie arbeiteten. Sie riefen zwar korrekt für den Sieg der vietnamesische Armee auf, bezogen aber eine völlig unkritische Haltung gegenüber den vietnamesischen Stalinisten.

Sie argumentierten, daß die VKP - wie Tito und Mao zu ihrer Zeit - keine Stalinisten wären, sondern "empirische Revolutionäre". Die SWP antwortete, daß sie doch Stalinisten wären. Dies wurde jedoch weder auf eine Kritik der kubanischen Revolution, noch auf Castros Stalinismus verallgemeinert. Außerdem waren sie unfähig, die Grundlagen der Mehrheitsposition herauszufordern, die ja ein entscheidender Teil der zentristischen Kontinuität des VS mit dem Zentrismus der Vierten Internationalen von 1951 waren und die besagten:

"Zwischen den sozialdemokratischen und den stalinistischen reformistischen Parteien einerseits und den trotzkistischen, revolutionär-marxistischen Parteien andererseits gibt es Platz für eine ganze Stufenleiter von zentristischen Gebilden und Gruppen, die sich auf der theoretischen Ebene durch revolutionären Empirizismus auszeichnen."

Wie in den 50er Jahren war die Methode auf beiden Seiten dieselbe. Die einzige Differenz bestand darüber, wer gerade die "revolutionären Empiristen" wären.

So blieb das VS auch nach dem 10. Kongreß so tief gespalten und fraktionell zerrüttet wie immer. Worin es Übereinstimmung, zumindest zwischen Mandel und Hansen, gab, war, daß eine Spaltung vermieden und die prinzipienlose Fusion von 1963 aufrechterhalten bleiben sollte.

Dies ärgerte einerseits die "Spalter" in der IMT (z.B. Maitan oder Krivine), führte aber andererseits auch zu taktischen Differenzen in der LTF. Da Moreno und seiner Gruppe neuerlich der Eintritt als offizielle Sektion in Argentinien verweigert wurde, setzte sich dieser für die Proklamation einer "öffentlichen Fraktion" ein. Als Moreno den Widerwillen der SWP, diesen Weg zu gehen und eine Spaltung zu riskieren, bemerkte, organisierte sich die Moreno-Tendenz zunehmend getrennt und bereitete sich vor, diese Spaltung allein durchzuführen.

Die provisorische Übereinstimmung zwischen Mandel und den SWP-Führern, die Internationale nicht zu spalten, galt hingegen nicht bezüglich der Spaltung nationaler Sektionen, wie die SWP bald sehr deutlich zeigte.

Barzmans IT (International Tendency) organisierte sich - mit oder ohne Wissen des IMT-Zentrums - innerhalb der SWP unabhängig, mit eigenem internen Bulletin und eigener Konferenz. Die IT wurde auf der SWP-Konferenz vom Juni 1974 ausgeschlossen. In klassischer SWP-Doppelmoral wurden sie als "Spalter" dargestellt und als Mitglieder einer "International Tendency Party" bezeichnet. Von den 150 ausgeschlossenen IT-Mitgliedern wurden 17 - unter ihnen auch Barzman - später wieder in die SWP aufgenommen. Der Rest driftete in eine politische Verwilderung ab, nachdem er verzweifelt versucht hatte, die IT als unabhängige Organisation aufrechtzuerhalten. Dabei hatten sie keinerlei Unterstützung von Mandel oder der IMT erhalten. In dieser Periode erreichten die fraktionellen Spannungen ihren Höhepunkt, wobei das VS als internationale Tendenz praktisch gelähmt wurde.

Die SWP-Führung behauptete, daß die IMT die IT-Spaltung organisiert hätte und forderte einen besonderen Weltkongreß, um diese Angelegenheit zu behandeln, zumal jetzt diese Frage "nicht weniger, als die hauptsächlichen theoretischen Errungenschaften der Vierten Internationale seit Trotzkis Tod" beinhalte. Das VS antwortete mit der Behauptung, daß die Beschuldigungen "verleumderisch, lächerlich und unbegründet" wären und berief die Internationale Kontrollkommission ein, um die Behauptungen zu untersuchen. Das Leitungskomitee der LTF antwortete, daß die IMT-Führer "das Büro usurpiert und in ein Monopol ihrer Fraktion verwandelt" hätten.

"Sie haben das Vereinigte Sekretariat in eine formale Körperschaft verwandelt, das in einer mechanischen Weise funktioniert und dem nicht einmal vertraut werden kann, exakte Protokolle seiner eigenen Sitzungen anzufertigen".

Das Jahr 1975 war der Höhepunkt des Fraktionskampfes im VS. Die Portugiesische Revolution, die 1974 begonnen hatte, stellte die beiden Flügel des VS wiederum einander gegenüber. Die Niederlage der Revolution führte zu einem raschen Rechtsschwenk des IMT. Sie benahmen sich wie steuerlose Zentristen. Als die Realität sie nach der Niederlage der portugiesischen Revolution und dem Rückzug der Arbeiterbewegung in Europa einholte, schwenkten diese Impressionisten schnell um 180¡ und wurden einmal mehr zu feigen Opportunisten gegenüber denselben reformistischen Führern, die sie noch gerade für überwunden erklärt hatten. In dieser Situation ergab sich ein weiterer Ausbruch von Fraktionskämpfen im VS.

 

Der Letzte macht das Licht aus

1933-1940:

1940-1953:

Zentrismus und Stalinismus:

1963-1974:

1980-1991:

vor dem 14. Weltkongreß:

vor dem 14. Weltkongreß:

Socialist Action (US):