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Worum geht es im Balkankrieg?

von Dave Stockton

Die NATO startete ihre Bombardements, um von Milosevic die Annahme der Friedens-vorschläge von Rambouillet zu erzwingen. Im Gegenzug für eine beschränkte Autonomie versprach die NATO, die UCK zu entwaffnen. Serbien sollte die gegenwärtigen Grenzen auch weiterhin beibehalten, allerdings mit einer darin stationierten Streitmacht von 30.000 Mann, die die Lage befrieden und einen Völkermord verhindern sollte.

Als Milosevic diesen Vorschlag ablehnte und erneute Massaker gegen die albanische Zivilbevölkerung startete, erklärte Clinton die drei Ziele der NATO:

"Die Entschlossenheit der NATO zu demonstrieren, weiterer Aggression entgegenzutreten; Milosevic von einer Fortsetzung und Eskalation der Angriffe auf den Kosovo abzuschrecken und Serbiens Kapazitäten für die Kriegsführung zu schädigen."

Der Oberkommandierende der NATO, General Wesley Clarke, erklärte die militärischen Ziele der NATO recht klar: "Wir werden systematisch und fortwährend angreifen, das Land zerrütten, erniedrigen, verwüsten und – sofern Präsident Milosevic nicht den Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft zustimmt – seine Streitkräfte zerstören."

Um dieses Ziel zu erreichen, setzen sie ihr gesamtes Arsenal von hightech-Waffen, die sich nur die reichsten Staaten leisten können, ein. Trotz der Behauptung, daß diese intelligenten Waffensysteme ausschließlich militärische Ziele und nicht die Zivilbevölkerung treffen, wird sich nicht lange die Zahl der getöteten serbischen Zivilisten und Zivilistinnen verheimlichen lassen.

Doch dies wird – ähnlich den Flächenbombardements der USA in Nordvietnam – unter den Serben keineswegs zu einem Zusammenbruch der Moral und zur Ablehnung der Politik von Milosevic führen.

Die Schwächen der Strategie der imperialistischen Mächte liegen auf der Hand. Luftangriffe alleine können Milosevic nicht dazu zwingen, die Stationierung von NATO-Truppen zu akzeptieren, geschweige denn, die Massaker an den Kosovo-Albanern zu stoppen. Denn trotz aller hightech-Zauberei kann die "jugoslawische" Armee nur unter Einsatz von Bodentruppen "zerstört" werden. Und das beabsichtigen die meisten imperialistischen Politiker gegenwärtig nicht.

Michael Rose, der Kommandant der britischen UN-Streitkräfte in Bosnien bemerkte hierzu: "Bei jeder Kriegshandlung die man durchführt, muß man darauf vorbereitet sein, bis zum Ende zu gehen. Aber ich bezweifle sehr stark, daß die westlichen Länder heute von sich aus einen Balkankrieg beginnen wollen."

Diese Aussage spiegelt auch die Tatsache wider, daß der Öffentlichkeit in den kriegführenden imperialistischen Staaten eingetrichtert wurde, den Krieg als etwas weit Entferntes zu betrachten, als ein virtuelles Ereignis, das von intelligenten Maschinen geführt wird, in denen "unsere Jungs" bestenfalls durch einen Zufall und auch dann nicht zu Hunderten und gar Tausenden sterben. Gerade das war die ideologische Rechtfertigung für die imperialistischen Angriffe auf die Falklandinseln, Grenada, Panama und den Irak.

Jeder dieser Kriege hat das "Vietnam-Trauma" wieder hervorgebracht – die Weigerung der Politiker bzw. auch der Öffentlichkeit, große Opfer bei einem auswärtigen Einsatz von Bodentruppen zu riskieren, wenn einem dazu eine überwältigende Zustimmung fehlt.

Es ist dies ein Grund mehr, wieso es sowohl im britischen Unterhaus, dem House of commons, als auch im US-Kongreß zu einem seltsamen Rollentausch kam. Die Tories und die Republikaner agieren als die Verweigerer und präsentieren sich sogar als die Friedenspartei. Die Labour Party und die US-amerikanische demokratische Partei repräsentieren indes die Kriegspartei. In der BRD zeichnet sich teilweise eine ähnliche Polarisierung ab. Die begeistertsten Kriegshetzer finden sich mit Fischer und Scharping in der SPD und bei den Grünen, während Stoiber nach einem Rußlandbesuch erklärt, daß der Einsatz von Bodentruppen mit der CSU nicht zu machen sei, das "Wichtigeres", nämlich die zukünftigen strategischen Interessen des deutschen Imperialismus in Rußland auf dem Spiel stünden.

Ein Grund dafür ist, daß sich die erzreaktionären rechten Parteien nicht im geringsten um einen Völkermord kümmern und sofort einen Pakt mit dem Teufel und seiner Großmutter eingehen würden, wenn es ihren Interessen dient.

Alan Clark, der frühere Verteidigungsminister der Tories, prangerte die NATO-Angriffe mit dem Argument an, daß es sich bei der UCK nur um eine Horde von Verbrechern handle, die tief im Drogenhandel verstrickt sei. Die meisten Tories hegen ebenso wie das Oberkommando der britischen Armee keine Sympathie für die "martialischen" (sprich unterdrückenden) Völker.

Mittlerweile wird es ganz offensichtlich, daß die NATO-Angriffe in keinster Weise zu einer Beendigung der brutalen Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch das serbische Regime geführt haben, wie es Clinton behauptete, sondern sie sich sogar noch erhöhte. Die 30.000 Mann starken serbischen Truppen setzen ungehindert ihre militärische Offensive gegen die Albaner fort. Am 28. 3. wurde berichtet, daß die meisten Dörfer und Städte verlassen sind. Menschenrechtsorganisationen sprachen von rund 100.000 Flüchtlingen seit dem Ausbruch der aktuellen Krise. 300.000 wurden bereits während der Offensive im letzten Sommer vertrieben und konnten bis heute nicht heimkehren. In Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, in der 85% der 200.000 Einwohner Albaner sind, schleppt die serbische Spezialpolizei die Menschen aus ihren Häusern, brennt die Gebäude nieder und führt Massenexekutionen durch. Der berühmteste Anwalt im Kosovo, Bajram Kilmendi, der sich auf Menschenrechte spezialisierte, wurde gemeinsam mit seinen beiden Söhnen erschossen.

Es ist eine Tragödie für die Albaner, daß ihre Führer – genauso wie die der Bosnier Anfang der 1990er Jahre – ihr Schicksal in die Hände der NATO gelegt haben. Ihre Militärmacht dient einzig und allein dem Zweck, die Interessen von imperialistischen Mächten durchzusetzen. Sie ist einzig und allein an der Aufrechterhaltung der "Ordnung" und nicht an Gerechtigkeit oder Demokratie interessiert. Wenn die Vereinten Nationen heute nicht dieselben Interessen wie die NATO vertreten, so hat dies damit zu tun, daß sie auch an andere reaktionäre Interessen gebunden sind. Daher legten Rußland und China – beide waren in der Vergangenheit ebenso wie heute Unterdrücker anderer Nationalitäten – ihr Veto gegen eine Hilfe für die Kosovo-Albaner ein.

Die fortschrittlichen Kräfte, die bereit und fähig sind, den Kosovo-Albanern zu helfen, sind heute sehr klein. Ein Grund dafür ist die tiefe politische Krise der internationalen Arbeiterbewegung. Es gibt keine revolutionäre Internationale, welche die Arbeiterklasse für Aktionen mobilisieren kann. Solche Aktionen würden, auch wenn die Organisatoren keine Staatsmacht in ihren Händen hielten, alles andere als unnütz sein.

Während des Bürgerkriegs in Rußland in den 1920er Jahren war es gerade eine solche internationale Arbeiteropposition, die die Versuche von Großbritannien und Frankreich zunichte machte, die Rote Armee zu besiegen und die junge Sowjetunion zu unterwerfen. Heute existiert keine solche Internationale der Arbeiterklasse mehr. Blair, Schröder und der italienische sozialdemokratische Premierminister D`Alema unterstützen ebenso wie der linke Flügel der Labour Party um Ken Livingston die NATO.

Währenddessen versuchen die Reste des Stalinismus die andauernden Vertreibungen in übelster Form reinzuwaschen. Andere Reformisten lehnen zwar die Angriffe der NATO ab, verhalten sich aber bezüglich des Völkermordes an den Albanern engstirnig und schweigen kurzum zu diesen Thema.

Heute über das Massaker an den Kosovo-Albanern zu schweigen, bedeutet Milosevics Pogrome und Vertreibungen zu unterstützen. Dies ist ein unverzeihliches Verbrechen. Unsere Strategie in diesen Krieg ergibt sich aus der Klassenfrage. Im Kosovo kämpfen wir für das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sowie das Recht, dem Völkermord Widerstand entgegenzusetzen und sich dagegen zu bewaffnen. Dieser Kampf ist unabhängig vom Bewußtsein der Beteiligten und vom kleinbürgerlichen Charakter der Führungen der Albaner im Kosovo fortschrittlich und berechtigt.

Wir sind für den sofortigen Abzug der serbischen Besatzungskräfte. Aber wir warnen die UCK davor, eine Allianz mit der NATO einzugehen, die sie bei der erstbesten Gelegenheit entwaffnen wird, um die angeschlagene Ordnung auf dem Balkan wieder herzustellen.

Die Angriffe der NATO sind ein purer Akt imperialistischer Aggression, die kein Arbeiter, keine Arbeiterin unterstützen sollte. Wir lehnen sie ab und verteidigen das Recht Serbiens, sich in Serbien und Montenegro zu verteidigen. Trotz des reaktionären Charakters des Milosevic-Regimes ist es, weltweit gesehen, nicht der Hauptfeind. Der Hauptfeind ist die NATO und der Imperialismus, für deren Niederlage wir in Serbien und Montenegro stehen.

Überall am Balkan müssen wir es vor den Arbeitern in Mazedonien, Albanien, Griechenland und der Türkei betonen: Lehnt den Nationalismus ab und kämpft für eine internationalistische Lösung der Arbeiterklasse! Das bedeutet sowohl den Rauswurf der Streitkräfte der NATO aus dem Balkan, als auch die Kämpfe der Unterdrückten aufzugreifen.

In Deutschland, Europa und weltweit müssen wir gegen den Krieg auf die Straßen gehen. Wir müssen für die sofortige Beendigung der Entsendung von NATO- und UNO-Truppen auf den Balkan aufrufen. Wir können keine Allianz mit serbischen Nationalisten, Faschisten und sogenannten "Sozialisten", die "Der Kosovo ist serbisch" und "Juden raus" (wie es in Britannien geschah) rufen, eingehen.

Dieser Krieg kann in einem blutigen – wenngleich beschränkten und schmutzigen – Massenmord und einer anschließenden diplomatischen "Lösung" enden, die den Kosovo teilt und Milosevic den Status eines anerkannten Statthalters der imperialistischen Ordnung am Balkan zurückgibt. Aber es existiert auch die Möglichkeit, daß er außer Kontrolle der NATO-Generäle gerät und zu einem neuen Balkankrieg wird. So wie sich die Ereignisse rasant und mit unvorhersehbaren Folgen entwickeln, muß die Parole jedes Arbeiters und jeder Arbeiterin Internationalismus und Antimilitarismus lauten. Wir werden nicht für die "neue Weltordnung" kämpfen. Wir unterstützen nicht die Diplomatie der Bombenangriffe. Wir werden auf der Seite der Opfer des Völkermordes stehen, selbst wenn deren offizielle Verbündete unsere Feinde sind. Aber wir werden den Abschuß jedes NATO-Bombers und die Niederlagen der imperialistischen Länder bejubeln.

Viele Leute sind entsetzt von dem, was am Balkan vor sich geht. Aber ihr Entsetzen würde ein vielfaches höher sein, wenn ihre Bildschirme tatsächlich zeigen würden, was vor sich geht. Im Kosovo üben die serbischen Streitkräfte und ihre faschistischen Hilfstruppen ein Pogrom nach dem anderen aus. Unter den einfachen Serben und Montenegrinern breitet sich Angst und Schrecken aus, angesichts von tausenden "intelligenten" Bomben, die auf sie abgeworfen werden. Und es gibt eine Furcht, die die gesamte Region erfaßt. In Mazedonien könnten ethnische Konflikte ausbrechen und Griechenland und die Türkei könnten in einen Krieg hineingezogen werden.

Solange die NATO nicht ihre Taktik ändert und Bodentruppen einsetzt, kann sie nur ein Ziel haben: Das Milosevic-Regime wieder zur Zusammenarbeit zu zwingen. Je länger der Krieg andauert, desto mehr Arbeiter werden sich fragen, wieso die Soldaten ihr Leben riskieren müssen und wofür Millionen für ein absurdes Abschlachten verpulvert werden. Aber Zweifel und Unbehagen reichen nicht aus.

Der einzige Weg den Krieg zu beenden, liegt darin, jenes System zu zerstören, daß ihn hervorbringt – den Kapitalismus. Während wir als Sozialisten gegen das Chaos, die Zerstörung und das menschliche Leid des Krieges sind, erkennen wir das Recht der Menschen, sich gegen ungerechte Unterdrückung zu wehren, an. Deswegen kämpfen wir konsequent für die Solidarität mit den Kosovo-Albanern gegen die serbische Unterdrückung. Und das ist auch der Grund, warum wir das Recht der Serben verteidigen, sich gegen die Angriffe der NATO in Serbien und Montenegro zu wehren.

Aber in keinem Fall wird eine militärische Lösung ausreichen. Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Politik der Imperialisten ist eindeutig: den Balkan ihrer "neuen Weltordnung" zu unterwerfen. Ebenso sind die Ziele Serbiens eindeutig: die Unterwerfung des Kosovo unter serbische Herrschaft.

Aber diese Ziele müssen mit einem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse am gesamten Balkan beantwortet werden. Sowohl in Serbien als auch im Kosovo kann nur eine revolutionäre Arbeiterregierung die vollen nationalen Rechte der ethnischen Minderheiten garantieren und dem Nationalismus und Völkermord ein Ende setzen.

Sozialisten müssen heute alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um unabhängige Organisationen der Arbeiter und Unterdrückten aufzubauen, die in der Lage sind, den Kampf gegen den Imperialismus sowie die am Balkan herrschenden neureichen Kapitalisten und Bürokraten zu führen. Unser Ziel ist die einzige Lösung aller sozialen und nationalen Konflikte: eine rätedemokratische, sozialistische Gesellschaft.