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Warum sollen SerbInnen das Selbstbestimmungsrecht der AlbanerInnen im Kosovo verteidigen?


Kein Volk kein frei sein, das eine anderes unterdrückt!

Die massiven barbarischen Bombar-dements der NATO auf Serbien und Mon-tenegro haben zurecht Millionen Serben und Serbinnen empört und verbittert. Wir stehen ohne Wenn und Aber für die Niederlage dieser NATO-Angriffe. Mitnichten geht es den westlichen Großmächten um rein "militärische" Ziele. Schon in der ersten Nacht wurde z.B.  Kragujevac bombardiert, wo eines der schlimmsten Massaker der Nazis im Zweiten Weltkrieg stattfand.

Es geht auch nicht nur darum, Milosevic wieder gefügig zu machen, sondern die Bombardements dienen auch zur Demoralisierung und Neutralisierung jener Kräfte, die der NATO und Milosevic gefährlich werden können: der serbischen und albanischen Arbeiterklasse.

Als Milosevic an die Macht kam, stand die damals noch gesamtjugoslawische Regierung einer massiven Streikbewegung gegenüber, die die Herrschaft der Bürokratie und die Pläne des IWF zu vernichten drohte. Serbien war ein, wenn nicht das Zentrum der Bewegung. Milosevic war keinesfalls "anti-westlich", sondern wollte die Restauration des Kapitalismus auf "seinem" Territorium auf dem Rücken der arbeitenden Menschen durchziehen. Dazu mußte er jedoch von der sozialen Frage, von dreistelligen Inflationsraten, von den Auflagen der Regierung und des IWF, drohenden Betriebsschließungen und dem Übergang der Arbeiterselbstverwaltung in die Verwaltung und das Privateigentum seiner Günstlinge ablenken.

Dazu benutzte Milosevic ein Mittel, das schon Tausende vor ihm verwendeten: Schuld an der Misere Serbiens und Jugoslawiens seien nicht die Regierung, seine Partei, die Mißwirtschaft der Bürokratie oder die Kreditschrauben von IWF und Weltbank – sondern die Albaner und Albanerinnen im Kosovo.

Milosevic peitschte hier zum ersten Mal die serbischen Arbeiter und Bauern erfolgreich nationalistisch ein. Er begann damit, eine Unterdrückungsschraube gegen die Albaner fester und fester zu ziehen, stürzte die Verwaltung im Kosovo und entließ alle albanischen Bergarbeiter – nur weil sie Albaner waren!

Mit diesem Schritt leitete Milosevic die Zerstörung Jugoslawiens ein. Kroatien und Slowien setzten sich – nicht zuletzt durch die deutsche und österreichische Diplomatie ermuntert – aus dem jugoslawischen Staatsverband ab. Aber es wäre den dortigen Nationalisten nie gelungen, so problemlos praktisch alle Kroaten und Slowenen für die Sezession und die frei Marktwirtschaft zu begeistern, wenn sie nicht das Beispiel der nationalen Unterdrückung im Kosovo, der versuchten Zwangsserbisierung vor Augen gehabt hätten.

Milosevic setzte diese Politik der Mobilisierung des Nationalismus zur Spaltung der Arbeiterklasse und zum eigenen Machterhalt fort: Bosnien, immer wieder Kosovo, ... Gleichzeitig verkam die serbische Ökonomie zu einem Trümmerhaufen. Noch 1997 stand das Belgrader Regime mit dem Rücken zu Wand. Fast tägliche Massendemonstrationen drohten Milosevic hinwegzufegen.

Wie so oft verrieten die "Oppositionsführer" den Kampf, kochten ihr eigenes Süppchen und sitzen heute in der Regierung oder "wenigstens" auf dem Posten des Belgrader Bürgermeisters. Arbeiterfreunde waren sie allesamt nicht, dafür aber nicht minder nationalistisch oder nationalistischer als Milosevic. Den westlichen Imperialisten war das – siehe Karadcic-Intimus Djindjic – egal. Auch für ihn ist die Arbeiterklasse der Hauptfeind.

Jede unabhängige demokratische und proletarische Opposition wurde von Milosevic nach besten Stücken niedergehalten und vom Westen – einschließlich großer Teile der offiziellen Arbeiterbewegung – totgeschwiegen. Seit Jahren werden die Löhne und Gehälter in den serbischen Betrieben erst nach Monaten ausgezahlt. Der Durchschnittslohn liegt bei 25 EURO (50 DM). Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Streiks, Betriebsbesetzungen und Demonstrationen, um den eigenen Lebensstandard zumindest gegen ein noch weiteres Absinken zu verteidigen.

Natürlich hat das reaktionäre Embargo der UNO dazu beigetragen – aber nicht nur. Während die Arbeiter und Bauern unters Existenzminimum sinken, haben sich eine neu entstehende Kapitalistenklasse und die Staatsbürokratie bereichert, oft genug aus kriminellen Quellen. So wurde der Zuhälter und Pogromist Arkan einer der reichsten Männer Serbiens. Wie kam ein solcher Mann zu den Millionen, um einen Belgrader Fußballverein durch teure Spielerkäufe und Schiedsrichterbestechung in die Champions-League zu bringen? Sicher nicht durch harte Arbeit und Überlebenskampf für DM 50 pro Monat!

Diese Führer vertreten nicht die Interessen der serbischen Massen. Sie nutzen den Krieg gegen die Albaner im Kosovo, die Vertreibung Hunderttausender und die bestialische Ermordung ganzer Dörfer dazu, die enorme soziale Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen den Klassen zu übertünchen und in reaktionären nationalistischen Mythen zu ersticken.

Der Widerstandswille der serbischen Arbeiter und Bauern gegen die NATO-Angriffe ist vollauf berechtigt. Aber es ist ein tragischer Fehler, den Kampf gegen diese Angriffe mit einer Unterstützung der Regierung Milosovic und ihrer Politik des Völkermordes im Kosovo gleichzusetzen. Für die Regierung in Belgrad (und sämtliche ehemalige "Oppositionsführer") ist klar, daß sie auf keinen Fall die "Opfer für den Wiederaufbau Serbiens" erbringen. Nach der Vertreibung der Albaner werden die serbischen Arbeiter und Bauern geschröpft werden, während gleichzeitig die noch verbliebenen lukrativen Großbetriebe für einen Apfel und ein Ei ans internationale Kapital verscherbelt werden. Dieser Angriff der Regierung läuft bereits in Form des Kriegsrechtes, des Verbots der Betätigung unabhängiger Gewerkschaften – zu von Nezavisnost  – bzw. der Gleichschaltung von B 92.

Jede Unterstützung der Kosovo-Politik Milosevics durch die serbische Arbeiterschaft kann daher nur auf die Stärkung der Regierung beim nächsten Angriff auf das Proletariat hinauslaufen. Dieselben faschistischen Hilfstruppen eines Arkan und Sesilj und die mörderischen Sondereinheiten von Armee und Polizei, die heute im Kosovo wüten, werden morgen gegen die Arbeiter in Serbien und Montenegro eingesetzt werden, die ihre Löhne erhalten oder die Schließung ihrer Betriebe verhindern wollen. Gegen die NATO, da sollte sich niemand etwas vormachen, werden die Arkan-Banden sicher nicht kämpfen, dafür lassen Milosovic, Sesilj und Draskovic lieber das Blut junger Arbeiter und Bauern fließen.

Die Albaner und Albanerinnen im Kosovo sind nicht die Feinde des serbischen "Volkes", d.h. der proletarischen und kleinbürgerlichen Massen. Sie haben nur das "Verbrechen" begannen, sich nicht wehrlos von Milosevic entrechten und vertreiben zu lassen. In der Tat hat das viele in die Hände bürgerlicher und proimperialistischer Kräfte getrieben, die die Albaner ebenso vertraten wie das serbische Regime die Massen.

Jahre wurden vertan, diese Spaltung zu überwinden, was nicht zuletzt die enorme politische Führungskrise widerspiegelt und den politisch (klein-)bürgerlichen Charakter der albanischen Führungen und der serbischen Opposition entspricht. Eine internationalistische Arbeiterpolitik wurde auf keiner der beiden Seiten betrieben. Es ist besser, jetzt, unter den schwierigsten Bedingungen, zu beginnen, als noch mehr Zeit verstreichen zu lassen.

Um eine Brücke zu den albanischen Massen zu schlagen, ist es erforderlich, nicht nur klar gegen die Politik Milosevics Stellung zu nehmen. Das serbische Proletariat muß deutlich machen, daß es anders als die entstehende Bourgeoisie und die Bürokratie mit einer unterdrückten Nationalität umgeht und deren demokratische Rechte voll anerkennt. Ein volle Anerkennung dieser Rechte muß das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur und einschließlich der Lostrennung anerkennen. Die Albaner im Kosovo müssen selbst entscheiden können, in welchem Staat sie leben wollen. Dieses Recht wurde in diesem Jahrhundert immer wieder mit Füßen getreten und wird nun sowohl von Milosevic als auch von der NATO, die ein Protektorat errichten will, wieder mit Füßen getreten.

Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist gleichzeitig die Voraussetzung dafür, die nationale und kleinstaatlerische Zersplitterung des Balkans zu überwinden. Eine solche Überwindung kann nur auf der Basis wirklicher Gleichberechtigung der Nationen basieren. Die Überwindung dieser Zersplitterung auf gleichberechtiger und sozialistischer Grundlage ist aber wiederum die Voraussetzung für eine realistische Lösung der politischen und sozialen Misere der Massen am Balkan, also weit über die Grenzen des heutigen Jugoslawiens hinaus: eine sozialistische Balkanföderation. Daher ist die Unterstützung des Befreiungskampfes der Albaner und Albanerinnen im Kosovo eine Forderung, die nicht nur den unmittelbaren Zielen der serbischen Massen, sondern noch vielmehr ihren historischen Interessen dient.