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Europäische Antikapitalistische Linke

Weg aus der Sackgasse?

Susanne Kühn, Neue Internationale 85, November 2003

Die welt- und europaweiten Angriffe auf grundlegende soziale Errungenschaften der Arbeiterklasse haben nicht nur massiven Widerstand hervorgerufen.

Sie haben auch zu einer Ablösungsbewegung von den tradierten reformistischen en Parteien - seien sie "echte" sozialdemokratische Parteien wie die SPD, die Sozialistische Partei in Frankreich oder ehemalige "kommunistische" Parteien wie die DS in Italien oder zahlreiche "gewendete" ehemalige Parteien der stalinistischen Bürokratie in Osteuropa. Es spielt dabei auch nur bedingt eine Rolle, ob sich diese Parteien (noch) an der Regierung oder in Opposition befinden.

Kurzum: nicht nur der Kapitalismus, sondern auch seine reformistischen Steigbügelhalter sind in der Krise. Diese kann - siehe SPD - sogar in Richtung Selbstliquidation beim Umsetzen der Angriffe des Kapitals gehen.

Suche nach einer Alternative

Die politisch bewussteren Teile der Arbeiterbewegung, der Jugend und der Linken suchen daher nach einer politischen Alternative. Während diese noch vor einigen Jahren fast immer und überall "jenseits" überlebt geglaubter "Parteipolitik" gesucht wurde, verbreitet sich mit der Entwicklung vieler Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse nun die Einsicht, dass eine politische Alternative, um die Kämpfe zu koordinieren und zu führen, notwendig ist.

Die "Europäische Antikapitalistische Linke" (EAL) versucht, dieses Bedürfnis aufzugreifen. Eigentlich existiert sie schon seit einigen Jahren als loser politischer Block linker Parteien. Bei ihrer letzten Tagung in Athen waren folgende Parteien vertreten:

Red Green Alliance (Dänemark), Socialist Alliance, Socialist Workers Party (England), Scottish Socialist Party (Schottland), Ligue Communiste Révolutionnaire (Frankreich), Bloco de Esquerda (Portugal), Espacio Alternativo, (Spanien), Rifondazione Comunista (Italien), solidaritéS (Schweiz), ÖDP (Türkei). Als Beobachter nahmen teil: Socialist Party (Irland), Socialist Party (England). Als Gäste waren vertreten: Synaspismos (Griechenland), Esquerra Unida i Alternativa (Spanien), DKP (Deutschland). Entschuldigt waren: déi Lenk (Luxemburg), Mouvement pour le Socialisme (Schweiz), Izquierda Unida (Spanien).

Es handelt sich also um ein buntes Bündnis von linken Grünen bis zu zentristischen Organisationen, also Parteien, die zwischen revolutionärem Anspruch und opportunistischer Praxis schwanken.

Mit der Anti-Kriegsbewegung und den Abwehrkämpfen der Arbeiterklasse hat die EAL die Chance gewittert, europaweit zu einer Kraft zu werden. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass auch Rifondazione Communista dazu gestoßen ist.

Die EAL verspricht, den europäischen Imperialismus und Kapitalismus heftig zu bekämpfen und will in allen Kämpfen massiv mitmischen. In einer langen Erklärung vom Juni legt sie dar, was sie darunter versteht.

Die Erklärung weist ausführlich auf die verschärfte Konkurrenz zwischen den Konzernen und sich formierenden imperialistischen Blöcken, auf die Kriegsgefahr usw. hin. Sie weist darauf hin, dass die aktuellen Angriffe - der "permanente Krieg gegen den Terror" (also gegen jeden Widerstand) wie der Krieg nach Innen - selbst Resultate der Krise des Kapitalismus sind. Im progammatisch-strategischen Teil ihrer Resolution folgert die EAL schließlich:

"Diese neoliberale Dynamik kann nicht mit kleinen Eingriffen verändert werden, denn sie ist nun System geworden. Es muss eine radikale Änderung der Prioritäten geben: Die sozialen Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung müssen vor den Profiten des Großkapitals kommen."

Hier zeigt sich eine für die Politik der EAL typische Schwammigkeit. Die "Bedürfnisse der Massen müssen "vor den Profiten des Großkapitals" kommen. Diese - genauer: das gesamte System der Profitmacherei - gilt der EAL per Implikation wohl als durchaus vereinbar mit der Realisierung der "Bedürfnisse der Massen". Schließlich spricht sie ja auch meist nur von der "neoliberalen" Dynamik - als ob der Kapitalismus ohne diese eine irgendwie "massenverträglichere" Dynamik haben würde.

Aber vielleicht sind das ja nur schlechte Formulierungen. Also weiter im Text der EAL:

"Unser Alternativprogramm ist so einfach, so leicht zu machen und so klar definiert wie das der Bosse: ein fester Vollzeitarbeitsplatz für jeden und jede; ein anständiger Lohn; ein ausreichender Lohnersatz (im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Rentenalter); radikale Verminderung der Arbeitszeit ohne Lohneinbuße, ohne Erhöhung der Takte, mit Neueinstellungen; Recht auf eine Wohnung, Bildung und Ausbildung, Gesundheitsversorgung und öffentlichen Transport - all dies in guter Qualität.

Diese politischen und sozialen Rechte werden für alle Arbeitenden gleich gelten - für einheimische und für zugewanderte. Um dies umzusetzen, ist folgendes notwendig: eine radikale Ausweitung der öffentlichen Dienste; eine Umgestaltung des Staatshaushalts (einschließlich des Steuersystems) mit drastischer Anhebung der Sozialausgaben; radikale Umverteilung der Einkommen vom Kapital hin zur Arbeit. Zu diesem Zweck müssen alle antikapitalistischen Maßnahmen getroffen werden, die zur Kontrolle des Privateigentums notwendig sind; und, wenn nötig, muss es enteignet und durch öffentliches und gesellschaftliches Eigentum ersetzt werden. Ein anderes Europa ist möglich - ein soziales, demokratisches, egalitäres, ökologisches und internationalistisches - ein sozialistisches Europa!" (Erklärung der 6. Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken, Juni 2003)

Die EAL behandelt die von ihr vorgeschlagene Alternative zum Europa der Bosse (fester Arbeitsplatz ...) so, also wäre sie unter kapitalistischen Bedingungen wirklich realisierbar. Wie? Durch Ausweitung der Staatsintervention und "Umgestaltung des Staatshaushaltes". Dazu, gesteht die EAL zu, müssten auch anti-kapitalistische Maßnahme wie "Kontrolle" des Privateigentums (durch wen?) und, wenn nötig (!) dessen Enteignung ergriffen werden.

Hier also endet die "anti-kapitalistische" Herrlichkeit der EAL. Wie ein "sozialistisches Europa" geschaffen werden kann - ob mit oder ohne revolutionäre Maßnahmen, ob über den bürgerlichen Staat oder durch seine Zerschlagung und Ersetzung durch einen proletarischen Staat - auf all das bleibt die EAL eine Antwort schuldig.

Betrachtet man die Politik der einzelnen EAL-Komponenten in den jeweiligen europäischen Ländern, so ist es kein Wunder, dass diese Fragen ausgeklammert werden. Rifondazione Communista - um nur den größten und bekanntesten Vertreter der EAL - zu nennen, lehnt es ab, die Streikbewegung in Italien bis zu Machtprobe mit Berlusconi weiter zu treiben (vom Sturz des Kapitalismus ganz zu schweigen). Von "links"grünen und ähnlichen Parteien ist natürlich auch keine revolutionären Positionierung zum bürgerlichen Staat zu erwarten.

Doch nicht nur die reformistischen und kleinbürgerlichen Gruppierungen bringen solche Vorstellungen ein. Selbst vorgeblich revolutionäre Organisationen tragen ihr Teil bei, dass die EAL im Rahmen links-bürgerlicher Vorstellungen bleibt. So schlug die isl (internationalistische sozialistische linke; eine Sektion des Vereinigten Sekretariats in Deutschland) beim deutschen Initiativtreffen vor, dass "Demokratie" über eine Strategie "nach dem Vorbild des Beteiligungshaushalts in Porto Alegre" erreicht werden soll - die Ausgebeuteten sollen bei den Kürzungsplänen "ihrer" Kommune "mitbestimmen". Nicht Kampf gegen die Angriffe, sondern ihre Abmilderung durch Klassenzusammenarbeit ist das notwendige Resultat einer solchen Politik.

Bei aller Betonung des Eingreifens und der "Intervention" in die Kämpfe setzt die EAL auf eine wirklich gemeinsame Orientierung: bei den Europa-Wahlen gemeinsam anzutreten.

So richtig es ist, auch bei Wahlen taktisch einzugreifen (inklusive der Kandidatur von Kommunistischen Parteien) - so falsch ist es, das zum zentralen Schwerpunkt der Aktivität zu machen.

Eine Europäische Antikapitalistische Linke, die diesen Namen wirklich verdient, müsste sich vor allem darauf konzentrieren, für die Vereinheitlichung und Koordinierung der Abwehrkämpfe in Europa und weltweit einzutreten, die Politik der Gewerkschaftsführungen und linken ReformistInnen kritisieren.

Sie müsste das gerade deshalb tun, weil die offiziellen reformistischen Führungen in der Arbeiterbewegung, aber auch die "informellen" neo-reformistischen Führungen in den Sozialforen nur halbherzig mobilisieren.

Sie müsste offensiv die Frage eines europaweiten Generalstreiks gegen die Angriffe aufwerfen, dafür agitieren und organisierend wirken. Sie müsste diese Frage offensiv an alle Arbeiterorganisationen, an Sozialforen und Aktionsbündnisse gegen Kürzungen herantragen.

Sie würde damit aber auch in diesen Bewegungen, ja selbst innerhalb der EAL in eine scharfe politische Auseinandersetzung geraten. Sie würde damit natürlich auch die Machtfrage im Staat aufwerfen, die Frage, wer herrscht - die Kapitalistenklasse oder die ArbeiterInnen.

Genau das müsste das Ziel einer revolutionären Intervention sein. Genau das macht die EAL aber nicht. Sie ist heute nicht viel mehr als ein links-reformistischer Block, der zwar richtige Fragen - die nach einer politischen Formierung - aufgreift, aber falsche Antworten gibt.

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Nr. 85, November 2003

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*  Bildung: Leere statt Lehre
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*  Die Union und die Sozialreformen: Pest oder Cholera
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