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Grossbritannien

Das EU-Referendum und die ArbeiterInnenklasse

Red Flag 3, Britannien, März 2016, Neue Internationale 208, April 2016

Das EU-Referendum und die Mai-Wahlen haben eine Welle der Propaganda ausgelöst, die die Boulevardblätter und Nachrichten mit einem Strom rassistischer Lügen und Verzerrungen füllt. So wetteifern die Fraktionen der britischen Bourgeoisie darum, die ArbeiterInnen mit den Argumenten unserer Klassenfeinde auf Linie zu bringen.

Rassismus

Die stärkste Angriffslinie des „Leave“-Lagers für einen Austritt ist die Migrations- und Flüchtlingsfrage. Sie wissen, dass die britischen WählerInnen - mit Ausnahme der Anti-EU-Verrückten - den Pro- und Kontra-Argumenten zur EU atemberaubend gleichgültig gegenüberstehen.

Die Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs (UKIP) konzentriert sich seit längerem auf die Behauptung, dass die Überlastung des Gesundheitssystems durch polnischen und rumänischen Sozialtourismus verursacht wird, unsere Schulen und Sozialwohnungen mit europäischen Migranten gefüllt sind, das Boot Großbritanniens „voll“ ist.

Die Tory-Rechten werden sich ebenfalls gezwungen sehen, Zuflucht darin zu finden, die Bevölkerung mit „Schwärmen“ von Flüchtlingen panisch zu machen und zu behaupten, dass wir sie nur zurückschlagen könnten, wenn wir „unsere Unabhängigkeit“ wiedererlangen.

Diese Argumente fallen auf fruchtbaren Boden. Erstens, weil unsere Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen, unsere Löhne und Renten nach zehn Jahren der Krise und Austerität durch die Brown-, Cameron-Clegg- und Cameron-Osborne-Regierungen überstrapaziert sind. Zu Recht fühlen sich die Leute alarmiert und sind unzufrieden.

Die Boulevardblätter verdrehen dieses Argument und hausieren mit rassistischen Mythen, um die Menschen von dem wahren Grund ihrer Ängste abzulenken - die Reichen, die immer reicher werden; die Marktwirtschaft, die von Rezession zu Rezession taumelt; die Bänker, Finanziers und Spekulanten, denen es nicht möglich ist, die Misere des kapitalistischen Systems zu lösen, das sie bereichert.

Die ArbeiterInnenbewegung

Gegen diese Flut sind Kampagnen gut informierter AktivistInnen nicht genug. Das Aufkommen von Anti-Refugee-Rassismus und Europhobie sind Massenphänomene und erfordern massenhafte Maßnahmen zur Bekämpfung. Die ArbeiterInnenbewegung - die Labour-Partei und die Gewerkschaften zusammen - müssen Hunderttausende an den Arbeitsplätzen, auf den Straßen und in den Wohnsiedlungen mobilisieren, um die Mythen über Migration zu vertreiben und sie gegen die wahren Gründe von Elend und Verarmung wenden. Um dies zu bewerkstelligen, benötigen wir Material. Die personellen Ressourcen existieren bereits, um Flyer, Broschüren und Zeitungen zu produzieren und die lokalen Parteibüros und Wahlkreise sind bereits für den Urnengang mobilisiert.

Wenn wir eine starke Kampagne gegen die Austerität mit Anti-Rassismus verbinden, wenn Corbyn und McDonnell die Massen neuer Parteimitglieder und SympathisantInnen dazu aufrufen, diese Botschaft zu propagieren und sich unter den WählerInnen zu engagieren, dann können wir das Bewusstsein für eine alternative Gesellschaft von Millionen AnhängerInnen der Labour-Partei und Millionen potentieller UnterstützerInnen verändern.

Es gibt selbstverständlich viele Dinge in der Europäischen Union zu bekämpfen: zuerst und vor allem ihre Sparpolitik, die Griechenland opferte und allen Parteien droht, die eine Regierung mit dem Ziel zu bilden versuchen, die Austeritätspolitik zu beenden. Doch britische Regierungen im Auftrag britischer Bankiers sind beim Erlass von Spardiktaten zuhause und im Ausland genauso gnadenlos.

Die Privatisierungspläne der EU-Kommission wie z.B. das „vierte Eisenbahnpaket“ müssen bekämpft werden. Doch sie folgen dem Modell britischer Eisenbahnprivatisierungen von vor über 20 Jahren. TTIP bedroht Europas staatliche Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, doch Großbritannien hat die Nase bei Kontrakten mit Privaten weit vorn. Innerhalb der EU existiert massive Opposition gegen TTIP; wir sind gemeinsam stärker dagegen, weil einem internationalen, tatsächlich sogar interkontinentalen Abkommen am besten international entgegengetreten wird. Europa mit seinem Schengen-Abkommen ist eine rassistische Festung, dicht für Arme, die vor Unterdrückung und Ausbeutung fliehen. Doch Calais zeigt, dass die mit einer Ausnahmeregel ausgestattete britische Regierung so selbstsüchtig, wenig hilfsbereit und so herzlos ist wie jede andere.

Sozialistische Alternative

Ja, wir müssen gegen jede einzelne dieser neoliberalen Reformen, jeden Angriff auf ArbeiterInnenrechte, jede Militäroperation der NATO und der EU angehen - aber dies an der Seite mit polnischen, deutschen, französischen, italienischen und spanischen Lohnabhängigen. Wir müssen nicht nur gegen neoliberale „Reformen“ antreten, sondern für spürbare soziale Verbesserungen in deren Interesse. Doch wir stärken uns am besten, wenn wir Maßregeln fordern, die mit der kapitalistischen Logik brechen, und wenn wir uns anschicken, ihre Herrschaft über den Kontinent zu zerstören.

Wir sollten die Verstaatlichung aller Banken Europas verlangen, so dass sie bei der Entwicklungsplanung hier und darüber hinaus in Afrika, Nah- und Mittelost bei der Überwindung der Ergebnisse jahrhundertelanger europäischer Ausplünderung helfen können.

Da die britische Kapitalistenklasse eine der weltweit mächtigsten ist, eine Vorreiterin von Privatisierung und Militarismus, wird es weder britische noch europäische LohnempfängerInnen stärken, wenn wir uns mit unseren eigenen Bossen einigeln. Das wird genau das Gegenteil bewirken.

Die Große Rezession 2008 - 2010, die Banken- und Staatsschuldenkrise, der schwache, nahezu stagnative Aufschwung, die NATO-Kriege und die Flüchtlingskrise haben zusammengenommen die EU in eine tiefe Krise gestürzt. Grenzen und Hindernisse entstehen von neuem. Wenn das anhält und sich vertieft, kann es zu einer Periode regelrechten kapitalistischen Niedergangs führen, in dem die Produktivkräfte einmal mehr von diesen Nationalschranken erdrosselt werden.

Wir können das nicht lösen, indem wir uns dahinter verschanzen, geschweige denn die Verantwortung für ihre neue Errichtung in dem Glauben auf uns nehmen, es sei leichter, dahinter den Sozialismus aufzubauen.

Dieser Desintegrationsprozess wird die Auswirkungen der nächsten Krise auf die arbeitende Bevölkerung nur verschlimmern, die ArbeiterInnenklasse Europas weiter auseinanderdividieren. Die Antwort liegt nicht in Nationalismus, weder britischem noch schottischem, sondern in Internationalismus. Das heißt: am 23. Juni für „Verbleib innerhalb der EU“ stimmen und den Kampf für die Ersetzung der heutigen Festung EU durch eine sozialistische Union Europas aufnehmen!

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Nr. 208, April 2016

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*  Referendum in Britannien: Was auf dem Spiel steht?
*  Großbritannien: Das EU-Referendum und die ArbeiterInnenklasse