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Frauen und kapitalistische Krise

Überausbeutung zum Quadrat

Elise Hufnagel, Neue Internationale 192, September 2014

Trotz der Krise und der damit verbundenen höheren Arbeitslosigkeit hat sich die Zahl der erwerbstätigen Frauen in den letzten Jahren in Deutschland und tendenziell auch in Europa erhöht. Wer daraus jedoch voreilig schließt, dass Frauen damit auch ein größeres Maß an finanzieller Unabhängigkeit erreicht haben, die „klassische“ Rolle des Mannes als Familienernährer überwunden oder gar für Frauen Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt gegeben wäre, der liegt weit daneben.

Der Anteil der arbeitenden Frauen zwischen 25 und 59 Jahren in Vollzeitjobs liegt in Deutschland bei 41%, die Teilzeitquote bei 36% (wobei sich „Teilzeit“ auf Beschäftigungsverhältnisse ab einer Stunde bezahlter Arbeit pro Woche bezieht und auch mithelfende Angehörige im Familienbetrieb einschließt). Der Abstand zu den Männern bei der Beschäftigung hat sich hierzulande also auf 10% verringert. Fast die Hälfte der berufstätigen Frauen hat jedoch keine Vollzeitstelle, sondern eine oder mehrere Teilzeitstellen, auch der immer noch wachsende Minijobsektor wird hauptsächlich von Frauen besetzt.

Insgesamt geht also der Trend zu mehr Frauenbeschäftigung einher mit dem Trend zu schlechter bezahlter, deregulierter Arbeit: Vollzeitangestellte zu niedrigerem Lohn, weniger oder keine Sozialversicherungsleistungen. Problematisch ist diese Entwicklung v.a. für die wachsende Zahl allein erziehender Frauen. So wird Altersarmut auch künftig v.a. weiblich sein.

Nach den Gründen für die Aufnahme von Teilzeitarbeit befragt, gibt die Hälfte der Frauen in Deutschland die Versorgung von Familienangehörigen (Kinder, Alte, Pflegebedürftige) an. Bei Männern überwiegt die Zahl derjenigen, die keine Vollzeitstelle finden. Auch der Anteil der Männer, die wegen beruflicher Weiterbildung weniger arbeiten, ist höher als bei Frauen. Insgesamt verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit immer noch ca. 23% weniger als Männer.

Wo Haushalte auf den alleinigen Verdienst von Frauen angewiesen sind, nähern sich diese der Armutsgrenze oder sind schon arm. Wo die Kosten für Kinderbetreuung steigen und Leistungen für Pflegebedürftige nicht ausreichen, entscheidet sich so manche Frau deshalb für Hausarbeit und Familie, um dem Mann den Rücken frei zu halten, damit dieser den Anforderungen der immer flexibilisierten und verdichteten Arbeitswelt genügen kann.

Die Spaltung der Lohnabhängigen entlang der Geschlechterlinie besteht also nach wie vor und erweist sich immer noch als wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus. Immerhin ist die Einbeziehung von Frauen in die Arbeitswelt unter den jetzigen Bedingungen oft damit verbunden, ungewollt zur Lohndrückerei beizutragen. Zudem impliziert die Rolle des Mannes als Familienernährer, dass der Frau die unbezahlte Reproduktionsarbeit zufällt. An all dem ändert sich auch nichts dadurch, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen sollen - als ob das eine Alternative für Millionen von proletarischen Frauen wäre! Für die Masse der Frauen sieht die Realität ganz anders aus. Ihre Arbeit in den „typischen Frauenberufen“ ist meist schlechter bezahlt und in wirtschaftlichen Krisen sind Frauen oft die ersten, die entlassen werden.

Die Auswirkungen der Krise in Europa betreffen Frauen wie Männer, Frauen jedoch stärker. Während in Skandinavien ca. 80% aller Frauen eine Lohnarbeit haben, kann nur die Hälfte der griechischen Frauen auf ein eigenes Einkommen verweisen. Wo das Einkommen der Männer zunimmt, sinkt der Frauenanteil, wo die Arbeitslosigkeit zuschlägt, betrifft sie zuerst Frauen.

Rollback

Abgesehen von der wirtschaftlichen Benachteiligung zeichnet sich auch ein weitreichender Rollback der Errungenschaften von Frauen ab. Kämpften sie im Arabischen Frühling noch in den ersten Reihen der Revolution mit, so haben Frauen heute schlechtere Lebensbedingungen als früher. Mit dem Vormarsch der Konterrevolution sind sie heute mit der Repression durch reaktionäre islamistische Regime oder Kräfte und Einschränkungen ihrer Freiheiten konfrontiert. Dort, wo sie 2011 demonstrierten, laufen sie heute Gefahr, vergewaltigt zu werden - ohne Aussicht auf Strafverfolgung der Täter.

Beispiele aus dem Irak, aus Indien u.a. Ländern zeigen unverändert hohe Gewaltausübung gegen Frauen. Die weitreichenden wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen durch Globalisierung und Krise haben Frauen in der Rolle der Opfer von ideologischem Extremismus, als Ventil für Frustrationen auf Seiten der Männer oder auch als Tauschware auf dem heimischen und globalen Markt bestätigt.

Auch das gewonnene Recht auf körperliche Selbstbestimmung im Bereich der Familienplanung wird immer wieder angegriffen. Das geplante verschärfte Abtreibungsrecht z.B. in Spanien konnte auch von der riesigen Protestwelle nicht verhindert werden. Auch das „Hobby Lobby-Urteil“ in den USA im Juni zeigt das. Die Baumarktkette „Hobby Lobby“ weigert sich aus religiösen Gründen, ihren Angestellten Krankenversicherungen anzubieten, die auch Verhütungsmittel wie die "Pille danach" umfassen.

Die globalisierte Frau

Auch ein Blick in die halbkolonialen Länder zeigt, dass Frauen in der globalisierten Welt zwar viele neue Möglichkeiten haben, eine Lohnarbeit aufzunehmen, doch oft handelt es sich dabei um schlecht bezahlte Arbeitsplätze mit unwürdigen Arbeitsbedingungen. Häufig sind diese Frauen dann die Haupternährerinnen der Familie. Diese Jobs mit Partnerschaften, Familie oder Kindern zu vereinbaren, sind für viele Frauen schwer bis unmöglich.

70 Prozent der ärmsten Menschen auf der Welt arbeiten in der Landwirtschaft oder in landwirtschaftsnahen Bereichen, wobei Frauen in Afrika 70, in Asien 60 und in Lateinamerika 50 Prozent der anfallenden Arbeit auf den Frauen lasten. An dem Land, das sie bearbeiten, haben sie als Frauen meist kein Besitzrecht.

Die imperialistischen Kapitalinteressen erfordern eine „Standortoptimierung“ der ländlichen Gebiete, immer mehr Fläche wird für den Export benutzt, der Anbau für den Eigenbedarf oder den Binnenmarkt schrumpft. Die Subventionen für Kleinbauern werden reduziert, ländliche Beratungsstellen abgebaut. Imperialistische Konzerne wie Monsanto machen sich die Bauern abhängig, indem sie teuren Dünger, Saatgut und Insektizide liefern und die Bauern in einen Kreditvertrag drängen. Diese Umstände führen oft zum Ruin oder zur Zerrüttung der Familienwirtschaften und zwingen viele Frauen, sich in den Städten einen Job zu suchen.

Selbst das Wasser, das ohnehin häufig von weit her mühsam zu Fuß geholt werden muss und knapp ist, kann oft nicht mehr kostenlos benutzt werden, weil es privatisiert wurde. Spezielle „Frauenwasserquellen“ werden erst dann repariert, wenn die Wasserleitungen zu den Exportanbauflächen funktionieren.

Die Textilindustrie, eines der Hauptarbeitsgebiete von Frauen weltweit, lockt v.a. junge Frauen vom Land mit dem ersten eigenen Verdienst - oft weit weg von der eigenen Familie. Frauen gelten als besonders geschickt, geduldig und ausdauernd, was ihre Überausbeutung erleichtert. Unerfahren, kaum organisiert, unter dem Druck, die Familie versorgen zu müssen, sind diese Frauen die „idealen“ Angestellten, um einen Job ohne richtige Ausbildung, ohne Arbeitsschutz, mit unzähligen Überstunden und häufig unter körperlicher Gewaltanwendung auszuüben. Der Brand in einer Textilfabrik in Bangladesh, bei dem über 100 Arbeiterinnen ums Leben kamen, weil sie in ihrem Betrieb eingesperrt waren, ist nur ein Beispiel für die unwürdigen Arbeitsbedingungen von Frauen.

Widerstand

Doch es gibt auch zunehmend Kämpfe von Frauen in der Textil-, Schuh- oder Elektronikindustrie gegen ihre unmenschliche Lage. Sie fordern höhere Löhne, Bezahlung von Überstunden oder auch die Verbesserung des Arbeitsschutzes. Sie streiken für ihre Forderungen und lassen sich auch nicht von massiver Polizeigewalt abschrecken. So verändert sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Die Frage der Organisierung von Frauen und ihre Einbeziehung in Kämpfe wird zunehmend wichtig. Sie stellt zudem auch die verbreiteten sexistischen und paternalistischen Einstellungen in der Arbeiterklasse in Frage.

Wo Frauen und Männer gemeinsam gegen die Ausbeutung durch Lohnarbeit, gegen Krieg und Konterrevolution kämpfen, werden sie gestärkt und die Trennung anhand der Geschlechterlinie wird überwunden oder abgeschwächt. Das sahen wir z.B. bei einem „kleinen“ Arbeitskampf von pakistanischen Krankenschwestern, der - unterstützt auch von anderen Lohnabhängigen - erfolgreich war. Wie mutig dieser Kampf war, lässt sich schon allein daran ablesen, dass Frauen in Pakistan oft noch nicht einmal allein das Haus verlassen, geschweige denn politisch aktiv werden dürfen. Auch der Kampf der kurdischen Frauen in Rojava verweist auf deren neue und wichtige Rolle. Frauen stellen dort im Kampf gegen die IS-Terroristen u.a. Reaktionäre eigene Kampfverbände.

Diese Kämpfe, diese neuen Formen von Organisation müssen mit einer sozialistischen und revolutionären Perspektive verbunden werden, denn Sozialismus ohne Frauenbefreiung ist undenkbar.

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Nr. 192, September 2014
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