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Tarifergebnis Zeitungsverlage

Verleger setzen sich durch

Helga Müller, Neue Internationale 191, Juli/August 2014

Ziel der Verleger war es (wie schon 2011), eine dauerhafte Absenkung der Gehälter für  RedakteurInnen und Verlagsangestellte und eine Regionalisierung, abhängig von der wirtschaftlichen Situation der Verlage, durchzusetzen. Beides ist ihnen gelungen - allerdings nicht ganz so, wie sie es zu Beginn der Tarifrunde wollten. Dank der vielen Streikwellen - in Baden-Württemberg wurde zuletzt im März anderthalb Wochen durchgestreikt - und der Entschlossenheit der Streikenden konnten sie nicht noch mehr durchsetzen.

Zu einigen Punkten der Einigung:

Gehaltstarifvertrag: Laufzeit von 29 Monaten - also fast 2 _ Jahre -, beinhaltet 9 (bzw. 10) Nullmonate, im Volumen beträgt die Erhöhung bei den Gehältern nur 1,66% pro Jahr! Bei den  Honoraren liegt sie noch darunter: bei 1,49%.

Urlaubsgeld/Jahresleistung: werden ab 2015 schrittweise bis 2019 von 1,75 auf 1,5 Monatsgehälter abgesenkt, für die nördlichen Bundesländer soll diese Absenkung bereits dieses Jahr gelten. Für Neueingestellte gilt die Absenkung ab sofort.

Urlaub: Neueingestellte haben künftig nur noch 30 Tage Urlaub, statt bisher bis zu 34 (ab 55 Jahren). Angestellte RedakteurInnen machen noch einen Sprung mit, danach wird der Urlaub eingefroren.

Berufsgruppen/Berufsjahressprünge: Berufsjahresstufen werden gestreckt, d.h. die Steigerung nach Berufsjahren erfolgt später. Für künftige Neueinstellungen gilt die neue Struktur - nach ver.di-Angaben eine Absenkung von ca. 5%! Für BerufseinsteigerInnen ohne Volontariat oder journalistische Hochschulausbildung wird eine neue niedrigere Tarifgruppe eingeführt, die für zwei Jahre eine niedrigere Entlohnung beinhaltet.

Onliner in tarifgebundenen Verlagen: Als Erfolg ist zu bewerten, dass die OnlinerInnen in tarifgebundenen Verlagen unter den Schutz des Tarifvertrags fallen und zu gleichen Bedingungen wie ihre PrintkollegInnen arbeiten.

Alles in allem mag dieses Paket kurzfristig eine minimale Erhöhung der Gehälter mit sich bringen - wie ver.di in seiner Tarifinformation (29.4.) vorrechnet - aber dies ist weder ein Ausgleich für die letzten Tarifrunden noch ist der Angriff der Verlage auf Löhne und Gehälter damit abgewehrt. So kann man nicht - wie ver.di dies tut - davon sprechen, dass diese Einigung mehr Vor- als Nachteile bringen würde.

Mit dieser Einigung haben die Verleger stattdessen erreicht, dass die Gehälter und Honorare auf Dauer abgesenkt werden. Diese Einigung bedeutet eine weitere Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Verlags-Kapitalisten.

Haben die KollegInnen der Verlage und der Druckindustrie - auch wenn diese sich im Moment schwerer tun - nicht gezeigt, dass sie verstanden haben, dass es um einen Generalangriff auf ihre Errungenschaften geht, den es abzuwehren gilt? Haben sie damit nicht deutlich gemacht, dass sie bereit sind, der Herausforderung der Unternehmer zu antworten?

Kein Wunder, bauen doch die Verleger ihre Verlage landauf landab um. Noch während der Tarifrunde hat die Rheinische Post Mediengruppe und der Medienkonzern Du Mont Schauberg angekündigt, Tarifflucht zu begehen und damit versucht, Druck auf die Tarifkommission und die Streikenden auszuüben.

Hier stellt sich eine Frage: Hat die Verhandlungskommission von ver.di und djv (dt. Journalistenverband) diesem Druck nachgegeben in der Hoffnung, dass sie die Verleger damit von massiveren Umstrukturierungsmaßnahmen abbringen können?

Diese Einigung ist ein Dammbruch

Was nützt denn den KollegInnen ein durchlöcherter Tarifvertrag, der noch nicht einmal in all seinen Regelungen bundesweit einheitlich gilt und eine Gehaltsdifferenz zwischen bereits angestellten RedakteurInnen, NeueinsteigerInnen und QuereinsteigerInnen festschreibt - also genau das, was die Verleger wollten?! Spätestens bei den nächsten Verhandlungen werden die Verleger eine weitere Erosion der Tarifverträge durchsetzen können. In der Zwischenzeit werden sie sich ermutigt fühlen, weiter auf betrieblicher Ebene umzustrukturieren, Tarifflucht zu begehen und Personal abzubauen.

Und genau das passiert derzeit auch schon. Beim Süddeutschen Verlag, zu der die Süddeutsche Zeitung gehört - um nur ein Beispiel zu nennen - werden derzeit wieder in verschiedenen Unternehmen Arbeitsplätze ausgelagert, Lokalredaktionen dicht gemacht, tariffreie Unternehmen aufgebaut, umstrukturiert (verbunden mit Personalabbau), im SV-Druckzentrum droht erneut Personalabbau - nachdem dort in den letzten 15 Jahren bereits ca. 370 Arbeitsplätze abgebaut wurden.

Wie hätte dieser Angriff abgewehrt werden können?

Wie man aus diesem Vorgehen und der Tarifeinigung ersehen kann, handelt es sich bei dieser Tarifrunde nicht um eine „normale“ Tarifrunde, bei der man mit dem üblichen Gewerkschaftsritual - die Beschäftigten immer wieder nur zu Warnstreiks aufrufen, um Druck auf die Verhandlungen ausüben zu können - auskommt.

Es wäre möglich gewesen, die Manteltarifverträge erfolgreich zu verteidigen und Gehaltsabsenkungen bei den RedakteurInnen und Verlagsangestellten zu verhindern - wenn es sicherlich auch nicht einfach gewesen wäre, weil die Streikfähigkeit bundesweit sehr zersplittert ist und die Beschäftigten der Druckindustrie bereits einen Abschluss haben. Dafür wäre jedoch von Seiten der Verantwortlichen von ver.di ein offensives Vorgehen nötig gewesen:

Urabstimmungen über unbefristete Streiks hätten sofort in allen Bundesländern eingeleitet werden müssen, um die gesamte Widerstandsfront gegen die Arbeitgeberverbände aufbauen zu können. Dem Beispiel Baden-Württembergs hätten die anderen Landesbezirke folgen müssen.

Auch wenn der Druckbereich inzwischen einen Tarifabschluss erzielt hat, hätte die gesamte Branche in diese Streikbewegung einbezogen werden müssen; neben den Druckbetrieben auch die Beschäftigten der Zeitschriften- und Buchverlage und des Rundfunks - Solidaritätsstreiks sind rechtlich zulässig!

Die anderen Gewerkschaften und politischen Organisationen, die sich auf die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten berufen, hätten die Pflicht gehabt, Solidaritätsaktionen zu organisieren und dafür Solidaritätskomitees aufzubauen.

Die Angriffe der Arbeit“geber“ hätten durch gemeinsame unbefristete Streiks der gesamten Branche, verhindert werden können.

Wer entscheidet?

Anders als in den vorherigen Tarifrunden, hat es offensichtlich neben den Tarifkommissionssitzungen auch in einigen Verlagen Streikversammlungen und -konferenzen gegeben, in denen mit den KollegInnen über das weitere Vorgehen diskutiert wurde. Diese Methode hat sich bei den Streiks im Einzelhandel bewährt: Die Streiks konnten hier nur deswegen einen Teilerfolg erringen, weil die KollegInnen selbst über die Streiktaktik entscheiden konnten und die Streiks unter ihrer Verantwortung geführt haben. Dadurch konnten in einem schlecht organisierten Bereich der Organisationsgrad und die Streikfähigkeit binnen weniger Wochen erhöht werden.

Aber diese Vorgehensweise hatte sich noch nicht in allen Verlagshäusern und Druckereien durchgesetzt, hier entschieden nach wie vor nur einige wenige Gewerkschafts- und Betriebsfunktionäre darüber, wer, wann und wie lange streikt. Die Erfahrung aus dem Einzelhandelsstreik sollte auch hier Schule machen.

Dafür wäre es notwendig gewesen:

1. in den Verlagen Streikleitungen zu wählen, die den Beschäftigten gegenüber rechenschaftspflichtig sind.

2. keine Geheimverhandlungen zuzulassen. Die Mitglieder der Tarifkommissionen haben die Pflicht, die Beschäftigten regelmäßig in Versammlungen über die Verhandlungen zu informieren. Dabei muss das eigene Vorgehen in den Verhandlungen dargestellt werden.  

3. Verhandlungsergebnisse müssen - ohne Aussetzung der Kampfmaßnahmen - durch die streikenden Belegschaften beraten und entschieden werden können.

4. Über Ende, Aussetzung oder Fortführung von Kampfmaßnahmen sollen die Kämpfenden selbst entscheiden, nicht der Bundesvorstand von ver.di. Die Bundes- und Landestarifkommissionen müssen die Streiks koordinieren und bündeln auf Grundlage der Beschlüsse der Streikversammlungen vor Ort.

Warum gehen die Unternehmer der Branche so hart vor?

Sowohl Druckindustrie als auch Zeitungsverlage befinden sich in einem Verdrängungswettbewerb, den nur einige wenige große überleben werden. Die Druckunternehmen werden von der ökonomischen Notwendigkeit getrieben, „Überkapazitäten“, die sie in den Boomjahren aufgebaut haben, abzubauen. Allein von Ende Juni 2012 bis Juni 2013 gingen knapp 5.000 Arbeitsplätze verloren. Die Verlage stecken seit Jahren in einer massiven Strukturkrise:

die Anzeigenerlöse brechen immer weiter weg, ein Ende ist noch nicht abzusehen;

die Verkaufs- und Abonnentenzahlen werden auch in Zukunft aufgrund der zunehmenden Abwanderungen der Leser ins Internet weiter stagnieren. Zeitungen in Printform werden sicherlich nicht so schnell aussterben, aber die Medien-Nutzungsform Internet wird zukünftig stärker zunehmen, ohne in der Lage zu sein, den gleichen Erlös (Gewinn) zu bringen wie die Printausgabe.

Die Zeitungsverleger haben diesen Trend am Anfang unterschätzt und müssen jetzt schnell darauf reagieren, wollen sie ihn nicht ganz verpassen. „Der Transformationsprozess, vom Gedruckten zum Digitalen ist teuer. Für viele neue Angebote fehlen noch die endgültigen Geschäftsmodelle“, so Georg Wallraff, der Verhandlungsführer der Zeitungsverlage, in einem Interview mit der taz anlässlich der Tarifverhandlungen (18.7.13).

Damit ist der Zusammenhang zu den Forderungen der Verleger in der diesjährigen Tarifrunde offensichtlich: Um weiter Profit machen zu können, wollen und müssen sie ihre Krise auf die Beschäftigten abwälzen durch:

Schließung von Druckbetrieben und das Sterben traditioneller Zeitungen (z.B. Frankfurter Rundschau, Abendzeitung München);  

massiven Abbau von Arbeitsplätzen;

drastische Kostensenkungen mit Hilfe von Tarifflucht;

Zusammenführung von Redaktionen und Überführung in tariflose Firmen (bei Du Mont Schauberg, bei der Rheinischen Post Mediengruppe);

verstärkten Einsatz von Leiharbeitern, Werksverträglern oder von „festen freien RedakteurInnen“, um Branchentarifverträge zu unterlaufen;

Absenkung der Löhne und Gehälter.

All dies sind aus der Logik der Unternehmer unabdingbare Voraussetzungen, um als Branche wieder profitabel zu sein. Um dies zu erreichen, brauchen sie v.a. in dem noch relativ kampfstarken Bereich der Druckindustrie und mittlerweile auch bei den Verlagen eine grundsätzliche Veränderung des Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten, um ihre Angriffe um so besser weiter auf Betriebsebene umsetzen zu können.

In dieser Tarifrunde wurden die grundsätzlichen Interessengegensätze zwischen Lohnarbeit und Kapital so deutlich wie selten. Gerade bei den Zeitungsverlagen wird dieser Widerspruch sehr deutlich. Zeitungen haben eigentlich die Aufgabe, zur Sicherung der Meinungsvielfalt beizutragen und damit einen Beitrag zur politischen Willens- und Meinungsbildung zu leisten. Dies ist ein gesellschaftlicher Auftrag, der nicht privaten Gewinninteressen einzelner Verleger oder Gesellschafter geopfert werden darf.

Politische Dimension

Für die Beschäftigten und ver.di stellt sich eine grundsätzliche Frage: Auf rein gewerkschaftlicher Ebene - auf der Ebene der Ökonomie - können Personalabbau und die Angriffe nicht verhindert werden, dazu braucht es eine politische Lösung: die Enteignung der Verleger/Gesellschafter und die Verstaatlichung der Verlagsbranche, ohne dass dieser Einfluss auf die Inhalte nimmt. Dazu müssen alle Beschäftigten, die Leser und gesellschaftliche Gruppen, die die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten vertreten, bestimmen, wie die Branche weitergeführt wird und wie die Inhalte gestaltet werden. Nur so ist es möglich, den Mediensektor sowohl inhaltlich als auch wirtschaftlich - unabhängig von Anzeigenerlösen - im gesellschaftlichen Interesse neu zu strukturieren. Die Kontrolle durch die Beschäftigten wiederum ist nicht nur notwendig, um ihre Interessen zu wahren, sondern um zugleich auch staatliche Bevormundung zu verhindern.

Wenn ver.di nicht bereit ist, sich dieser Aufgabe zu stellen (zusammen mit politischen Organisationen, die sich auf die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten berufen), dann wird ihr und den Betriebsräten nichts anderes übrig bleiben, als bei Personalabbau, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Verlagerung etc. mitzumachen - egal, ob sozialverträglich verpackt oder nicht.

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Nr. 191, Juli/Aug. 2014
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*  Mindestlohn: Ein roter fauler Apfel
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*  Streikrecht: Wie weiter gegen die 'Tarifeinheit'?
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