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Militärputsch in Thailand

Bourgeoisie entzweit - das Militär übernimmt

Tobi Hansen, Infomail 759, 24. Juni 2014

Am 21. Mai putschte das thailändische Militär, verhängte das Kriegsrecht, schaltete die beiden Kammern des Parlaments aus und setzte den Oberbefehlshaber General Prayuth Chan-ocha als „Übergangspremier“ ein. Damit soll die politische Krise des Landes gelöst werden. Ziel ist es, die einander befehdende traditionelle bürgerliche Elite um die „Demokratische Partei“ und die bürgerlich-populistische „Pheu Thai“ (Partei für Thais) so zu einem „Ausgleich“ zu zwingen, dessen Balance von Militär, Monarchie und den Kapitalisten bestimmt werden und das Land stabilisieren soll.

Reaktion auf Wahlen im Februar

Dabei hatte schon die Regierung Shinawatra von der „Pheu Thai“-Partei versucht, mit Neuwahlen im Februar die Krise zu lösen.

Diese Neuwahlen wurden jedoch von der oppositionellen „Demokratischen Partei“ abgelehnt und sabotiert. Schließlich ging es dieser Opposition nicht um einen parlamentarischen Machtwechsel, schon eher um einen autoritären und reaktionären Systemwechsel. Ziel dieser Opposition ist ein   „Volksrat“ (PDRC = Volksdemokratische Reformkomitees), der natürlich weder etwas mit Räten, noch mit größeren Teilen des Volkes zu tun haben soll, sondern allein der Monarchie, der Bürokratie und den traditionell mit beiden verbundenen Teilen der Bourgeoisie die Macht im Staate sichern soll. Besonders rührig war die Argumentation hinsichtlich dessen, dass dieser „Volksrat“ die Korruption bekämpfen würde und damit den realen Interessen des Volkes dienen könnte - stehen doch hinter der Bewegung des PDRC die Eliten, welche schon heute große Teile des Staates und der Wirtschaft unter Kontrolle haben und den korruptesten Teil der Gesellschaft bilden.

Die Neuwahlen wurden von der Premierministerin Yingluck Shinawatra und ihrer Partei gewonnen. Nach bürgerlichem Verständnis wäre damit die Regierungsfrage entschieden - doch nicht so für die „Demokratische Partei“.

Gerade nach den Neuwahlen setzte die Bewegung der „Gelben“ alle Hebel in Bewegung. Als erstes wurden die Neuwahlen vom Verfassungsgericht nicht anerkannt, weil die Opposition diese boykottiert hatte. In dieser Situation wurde auch der bürgerliche Charakter der Regierung um Shinawatra und deren Weigerung deutlich, den traditionellen Eliten wirklich den Kampf anzusagen oder deren traditionelle Institutionen in Frage zu stellen.

Sie akzeptierte vielmehr diese skandalöse Entscheidung und verzichtete auf jeglichen Protest. Der Regierungspartei Pheu Thai steht die UDD (United Front for Democracy against Dictatorship) nahe, welche 2010 Massenmobilisierungen gegen die letzte Regierung der Demokratischen Partei organisierte und sich heftige Auseinandersetzungen mit Polizei und Militär lieferte. Allerdings verzichtete die Regierung wie auch die Führung der UDD in dieser Situation darauf, einzugreifen, geschweige denn überhaupt den politischen Willen der UnterstützerInnen der UDD und Shinawatra auf die Straße zu bringen. Stattdessen bestimmte weiterhin die PDRC das politische Leben Thailands. Während in dieser die staatlichen, monarchistischen und alteingesessenen Eliten repräsentiert sind, werden Pheu Thai und UDD neben aufstrebenden Teilen der Bourgeoisie, die nicht zur traditionellen Elite gehören, auch von wichtigen Teilen der thailändischen Arbeiterklasse und Bauernschaft getragen. Die beiden letzteren hätten dem Treiben der Opposition ein Ende setzen können und auch dem drohenden Putsch des Militärs wirksam entgegentreten können, doch die Führungen der bürgerlich-populistischen Pheu Thai und der UDD wollte genau das nicht und wichen daher auch vor jedem Schritt gegen den recht offen vorbereiteten Putsch zurück.

Vorbereitungen zum Militärputsch

Anfang Mai unternahm die Justiz die nächsten Schläge gegen die gewählte Regierung. Ministerpräsidentin Shinawatra und neun ihrer Minister wurden per Gerichtsurteil abgesetzt. Der Vorwurf wirkt konstruiert, dass die Regierung das Amt des Leiters des Nationalen Sicherheitsrats mit einem Vertrauten neu besetzen wolle. Zwar musste das Gericht zugeben, dass das eine Regierung tun darf - und weltweit in 99,9% der Fälle auch tut. Es rechtfertigte seine Entscheidung  daher damit, dass die Motivation der Regierung den „allgemeinen moralischen Prinzipien“ widersprochen hätte. So erklärte sich die Justiz auch gleich zur obersten Instanz bei der Bewertung moralischer Fragen.

Eine Regierung wurde also entmachtet, weil sie etwas tat, was sie sogar darf. Gleichzeitig startete die NACC (Nationale Anti-Korruptionsbehörde), die der Oppositionsbewegung sehr nahe steht, ein Verfahren gegen alle Abgeordneten der Pheu Thai-Partei. Diese sprachen sich nämlich für eine Veränderung des Wahlsystems für den Senat aus. Allein mit dieser Forderung, so schlussfolgerte die NACC, würden sie gegen geltendes Recht verstoßen! Bislang wird nämlich mehr als ein Drittel der SenatorInnen gar nicht direkt gewählt, sondern von der Monarchie, der Bürokratie und dem Militär ernannt. Allein die Idee, auch den Senat komplett wählen zu lassen, wurde zum Anlass für die Ermittlungen genommen.

Wer erwartet hatte, dass die Regierung zumindest dagegen entschlossen vorging, wurde jedoch erneut enttäuscht. Als „radikalste“ Protestform wurden Beschwerden beim Gericht gefordert und die UDD veranstaltete eine Großdemo gegen die Absetzung Shinawatras am 10. Mai. Das war es aber auch an „Mobilisierung“. Stattdessen waren führende Vertreter der Regierungspartei froh darüber, dass nicht die gesamte Regierung abgesetzt wurde. Der Vorsitzende der UDD, Jatuporn Prompan, sprach sogar davon, dass das Gericht einen „Mittelweg“ gewählt hätte. Der offenkundigen Vorbereitung eines Putsches gegen die Regierung versuchte diese durch Verschleierung der realen Gefahr zu begegnen, indem sie dem Militär und dem Staatsapparat die eigene Willfährigkeit zu beweisen suchte.

Während die Hauptfraktionen der thailändischen Bourgeoisie offiziell im Clinch liegen, ist ihnen natürlich dennoch bewusst, welche Kräfte beide kontrollieren müssen: die Arbeiterklasse und die Bauernschaft. Wenn diese sich unabhängig gegen Justiz, Militär und Bourgeoisie erheben, dann wäre die Herrschaft nicht nur einer Fraktion der Bourgeoisie, sondern der gesamten Klasse tatsächlich in Frage gestellt.

Stattdessen kam es so, wie es sich schon seit Monaten abgezeichnet hatte. Am 21. Mai wurde der Militärputsch offiziell. Der Oberbefehlshaber General Prayuth Chan-ocha verhängte das Kriegsrecht, die restliche Regierung und das Parlament wurden abgesetzt.

Nach 2006 und 2011 greift nun 2014 das Militär erneut direkt in die Politik Thailands ein - stets gegen die Regierung Shinawatra (2006 noch der Bruder Thaksim Shinawatra) und stets mit Unterstützung des Königs Bhumipol und der staatlichen Bürokratie.

Kaum Widerstand

Der Oberbefehlshaber Prayuth Chan-ocha wurde vom König inzwischen als „Übergangspremier“ vereidigt. Aber anders als bei früheren Putschen gab nur vereinzelte Proteste gegen das Kriegsrecht, die von Polizei und Militär auch schnell beendet wurden. Bemerkenswert ist dabei das Statement des Justizministers Chaikasem Nitisiri, eines der wenigen Minister der Regierung, die im Amt bleiben durften. Er meinte, es wäre gut, dass sich das Militär um die Sicherheit des Landes kümmere.

Angesichts solcher Aussagen erhebt sich die Frage, ob nicht überhaupt nur das Militär regieren sollte, wenn schon die gewählte Regierung keinen großen Sinn in ihrer eigenen Tätigkeit sieht. Aber solche Widersprüche blieben dem Herren Minister anscheinend verborgen. Sowieso stellten sich abgesehen vom Bildungsminister alle Minister und Verantwortlichen der Regierung Shinawatra freiwillig dem Militär und dem zu erwartenden Arrest. Der Vorsitzende der UDD, Jatuporn Prompan, stellte fest, „das Kriegsrecht sei in Ordnung“ und die Bevölkerung sollte mit dem Militär kooperieren. Diese Aussagen stammen von der Regierung, die gerade weggeputscht wurde und welche schon seit März nur noch eingeschränkt wirken konnte. Kein Wunder also, dass sich der Wille, die Regierung gegen den Putsch zu verteidigen, in engen Grenzen hielt.

Dementsprechend konnte auch der Oberbefehlshaber relativ gelassen auf den Pressekonferenzen nach dem Putsch die Aufgaben des Militärs darstellen. Da die amtierende Regierung ja nicht für Recht und Ordnung sorgen konnte, wäre es notwendig einzugreifen. Die Regierung wäre handlungsunfähig gewesen (wer dafür gesorgt hat, ist auch klar) und jetzt hätte das Land eben wieder eine handlungsfähige Regierung.

Ankündigungen des Militärs

Zunächst wurde auch die Verteilung von Almosen angekündigt. Immerhin hatte die alte Regierung den Reisbauern einen Zuschuss in Höhe von knapp 3 Mrd. US-Dollar versprochen. Dies will auch das Militär einhalten. Andererseits wurde von der Wiederherstellung der „Fiskal- und Ausgabendisziplin“ gesprochen - ein untrüglicher Hinweis auf kommende Sparmaßnahmen.

Ökonomisch ist Thailand nicht zuletzt aufgrund der inneren Krise in den letzten 9 Monaten in die Stagnation gerutscht. Es gab einen massiven Rückgang im Tourismus, einem wichtigen Zweig des thailändischen Binnenmarktes. Im 1. Quartal 2014 schrumpfte die Wirtschaft sogar um 2,4%. Angesichts dieser Entwicklung passten den Unternehmern und traditionellen Eliten auch die Wahlversprechen der Pheu Thai-Regierung nicht ins Bild, die neben den Reis-Subventionen auch einen höheren Mindestlohn in Aussicht gestellt hatte.

Jetzt hat das Militär alle Staatsunternehmen aufgefordert, einen Rechenschaftsbericht abzulegen, gleichzeitig wurde den Führungsetagen der Rücktritt nahe gelegt. In den Provinzen und bei der Polizei findet gleichzeitig eine Säuberung statt. Alle Mitglieder oder SympathisantInnen der Pheu Thai-Partei werden von ihren Posten entfernt.

Ökonomisch hat auch das Militär genaue Zielvorstellungen. 2015 soll ein Wachstum von 6,3% erreicht werden. Dieser Plan mag sich freilich als schwerer umsetzbar erweisen als der Sturz der Regierung. In jedem Fall wird er nicht ohne massive Angriffe auf die Lohnabhängigen und Armen umsetzbar sein.

Auch was die staatliche Verfasstheit angeht, hat das Militär genaue Vorstellungen. In den nächsten 15 Monaten wird nicht gewählt. In der Zeit soll sich die Pheu Thai-Partei den Vorstellungen der Demokratischen Partei annähern. Wenn das gelungen ist, könnten beide Parteien zusammen eine Übergangsregierung bilden. Dann dirigiert das Militär die beiden bürgerlichen Flügel und zwingt sie quasi zur gemeinsamen Regierung. In Thailand agiert das Militär also als „ideeller Gesamtkapitalist“, wenn die Bourgeoisie nicht selbst in der Lage ist, eine dementsprechende Staatsführung zu bilden.

Diese Übergangsregierung soll dann auch eine neue Verfassung erarbeiten, wahrscheinlich wird diese dann den Ideen des „Volksrates“ der PDRC sehr nahe kommen, der Senat wird weiter nicht komplett frei gewählt. Es bleibt nur zu regeln, wie beide bürgerlichen Parteien die Pfründe untereinander aufteilen. Gleichzeitig verbreitet das Militär in dem buddhistisch geprägten Land die Propagandalüge, dass so die „Harmonie“ zwischen Regierung und Volk wiederhergestellt werden würde, gemeint ist aber die Harmonie zwischen den bürgerlichen Lagern.

Internationale Perspektiven

Das thailändische Militär ist ein enger Verbündeter der USA. Im Afghanistan-Krieg dienten schon Flughäfen den USA, wie auch heute Teile der Logistik und der Spionage für Südostasien in Thailand stationiert sind. Das „Einfrieren“ von 3,6 Mrd. US-Dollar Militärhilfe der USA kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Militär in Thailand nur mit Genehmigung der USA handelt. Diese Region ist unter der Obama-Administration in den Fokus der US-Außenpolitik gerückt, hier ist ein Epizentrum der aktuellen imperialistischen Konkurrenz, hier treffen neben den imperialistischen Mächten USA, China, Russland, Japan auch Indien und Südkorea aufeinander.

In Myanmar regiert seit langer Zeit das Militär mit zahlreichen Investitionen der imperialistischen Staaten. Thailand ist - wie Bangladesch, Kambodscha, Vietnam und Laos - ein umkämpfter Markt, wie auch der aktuelle militärische Zwischenfall zwischen China und Vietnam zeigt. Für die USA nimmt Thailand in dieser Region eine Schlüsselrolle ein, es soll ein Gendarm des US-Imperialismus sein, aber dafür brauchen die USA zumindest eine funktionierende Marionettenregierung.

Welche Perspektive gegen die Diktatur?

Einige Sprecher der UDD bezeichneten den Zustand der „Rothemden“ als „orientierungslos“. Sie würden auf die Vorgaben der Pheu Thai-Partei warten, doch es kommen keine. Es muss auch äußerst desorientierend und paralysierend auf die Massen wirken, wenn sich eine zweimal gewählte Regierung widerstandslos wegputschen lässt, ja sogar dafür sorgt, dass es keinen Widerstand gibt.

Dies deutet darauf hin, dass etwas faul ist in der UDD und erst recht in der Pheu Thai-Partei. Wenn die derzeitige Führung der UDD sich nicht gegen einen Militärputsch wehrt, wie die UDD es noch 2010/11 eindrucksvoll getan hat, dann muss diese Führung als das benannt werden was sie ist - ein Helfershelfer des Militärs und damit auch der PDRC.

In dieser zugespitzten Situation des Klassenkampfes tritt der Charakter von Organisationen am deutlichsten hervor. Weder Pheu Thai noch die UDD haben Widerstand geleistet oder auch nur zu leisten versucht. Das spiegelt die bürgerliche Führung diese Kräfte wider. Die Masse der ArbeiterInnen und Bauern, die sie gewählt haben und die in der UDD organisiert sind, stehen letztlich unter Kontrolle der bürgerlichen Kräfte dieser Partei bzw. Bewegung. Angesichts des Putsches wird deutlich, dass diese Führungen von der Masse der AnhängerInnen unterschiedliche Klasseninteressen trennen. Die Führung von Pheu Thai und UDD gewährt den ArbeiterInnen und Bauern zwar soziale und demokratische Reformen, sie ist aber keinesfalls bereit, diese gegen die herrschende Klasse, gegen Militär, Monarchie und die traditionelle Elite zu verteidigen, geschweige denn auch nur deren undemokratische Institutionen ernsthaft in Frage zu stellen.

Um ihre eigene Paralyse und Desorientierung zu überwinden und sich für zukünftige soziale und politische Angriffe der Regierung und des Militärs zu wappnen, müssen die ArbeiterInnen und Bauern daher verstehen, warum Pheu Thai und UDD sie wieder einmal verraten hat. Sie müssen erkennen, dass ihre Interessen nicht nur der „traditionellen“ Elite feindlich gegenüber stehen, sondern dass sie auch grundlegend andere Klasseninteressen als die bürgerliche Clique um Shinawatra u.a. Teile der „Reformer“ haben.

Es ist dieser Gegensatz der Klasseninteressen, der auch dazu führt, dass sich die FührerInnen der Pheu Thai und der UDD nicht nur den Kapitalismus nicht in Frage stellen, sondern im Kampf um demokratische Reformen immer wieder kapitulieren.

Die AktivistInnen der UDD dürfen nicht darauf warten, dass auf ihre Führung warten, sondern müssen selbst daran gehen, den Kampf gegen die Militärdiktatur zu organisieren. Daher ist es notwendig, dass die Arbeiterklasse mit den Bürgerlichen politisch bricht, dass sie eigene unabhängige Gewerkschaften und Massenorganisation aufbaut. Dazu braucht die Arbeiterklasse v.a. ihre eigene politische Partei, eine Arbeiterpartei, die in der Lage ist, die Masse der Bevölkerung, v.a. die Bauernschaft, zu führen, indem sie den Kampf für bürgerliche demokratischer Rechte, den Kampf für eine Verfassunggebende Versammlung mit dem Kampf für die sozialen Interessen der ArbeiterInnen und Bauern verbindet.

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