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Griechenland

Krise und Aufgaben der Arbeiterbewegung

Martin Suchanek, Neue Internationale 160, Juni 2011

Die “spanische Revolution” greift auf Griechenland über. Ende Mai besetzten Zehntausende zentrale Plätze des Landes.

“In Athen versammelten sich schätzungsweise 20.000 auf dem Syntagma Platz; in Thessaloniki schätzungsweise 5.000 vor dem Weißen Turm der Stadt. Viele Tausend versammelten sich in Patras, Volos, Chania, Ioannina, Larisa und anderen Städten.” (Indymedia Germany)

Die Verbundenheit und Inspiration dieser Proteste mit den Besetzungen in Spanien sind augenfällig. Die zentrale Losung der Bewegung - “Sie sollen alle gehen!” - ist in spanischer Sprache verfasst.

Doch warum greift jetzt auch die Protestbewegung in Griechenland zu dieser Aktionsform? Haben die griechischen ArbeiterInnen in der Vergangenheit nicht weit radikalere Aktionsformen entwickelt?

Streiks der letzten Jahre

Seit Beginn der Finanzkrise hat es in Griechenland neun Generalstreiks gegeben, zwei davon allein in diesem Jahr. Der letzte fand erst vor wenigen Wochen, am 10. Mai, statt. Wie die anderen legte er das öffentliche Leben des Landes lahm. Die Fährverbindungen, Eisenbahn und Flugzeuge standen still. Wieder einmal ging nichts mehr.

Arbeitsniederlegungen, Streiks, Protestaktionen sind in Griechenland zu einem permanenten Erscheinungsbild des täglichen Lebens geworden. Einzelne Sektoren streiken immer wieder über mehrere Tage - unlängst 2.400 Beschäftigte in der Raffineriegesellschaft Hellenic Petroleum, die vom 3.-19. April und dann noch einmal vom 19.-23. Mai in den Ausstand getreten waren. Und es wird wohl nicht der letzte sein.

Im öffentlichen Nahverkehr ist es mittlerweile üblich geworden, dass die NutzerInnen schwarz fahren, dass auch die Angestellten nicht mehr kontrollieren, weil sie ohnedies wissen, dass sie damit nur die endlosen Schulden beim IWF, bei der EZB oder anderen Banken mitbedienen sollen.

Und jeder im Land weiß, dass es weitere Sparprogramme geben wird, dass es nur so kracht.

Soziale Deklassierung

Dabei ist schon jetzt die soziale Deklassierung enorm fortgeschritten. Die offizielle Arbeitslosenrate ist mittlerweile auf 15 Prozent gestiegen.

Im Öffentlichen Dienst sollen die Bezüge aller Angestellten um 25 Prozent gekürzt, die Wochenarbeitszeit soll zugleich von 37,5 Stunden auf 40 Stunden erhöht werden. Zugleich steigt die Inflationsrate, die schon 2010 fast 5 Prozent betrug.

Darüber hinaus ist die griechische Wirtschaft weiter im freien Fall. Auch für 2011 ist ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts sicher - und das wird sich angesichts der drakonischen Spar- und Privatisierungsmaßnahmen weiter fortsetzen.

Dieser fortschreitende Niedergang führt notwendigerweise zu einer Verelendung immer größerer Bevölkerungsmassen, der Arbeiterklasse wie auch großer Teile des Kleinbürgertums und der Mittelschichten. Die Jugend ist besonders hart betroffen.

In der gegenwärtigen Situation haben die meisten jede Hoffnung auf die Regierung, auf Versprechungen, das Land zu „sanieren“, zu „retten“ und wieder nach vorn zu bringen, aufgegeben.

Aber - und darüber dürfen auch die jüngsten Generalstreiks nicht hinwegtäuschen - viele haben auch ihre Hoffnung verloren, dass die Arbeiterbewegung, dass die Gewerkschaften und die linken Parteien, eine Perspektive weisen.

Eine Teil der Bevölkerung ist demoralisiert oder droht, demoralisiert zu werden. Der Aufstieg rechtsradikaler und faschistischer Kräfte - die erste Anfang Mai pogromartige Hetzjagden auf MigrantInnen veranstalteten - ist ein Alarmsignal, dass sich eine reaktionäre Massenbewegung angesichts der Krise, der Deklassierung und der politischen Schwäche der Linken zunehmend formiert.

Die Schwäche der Arbeiterbewegung zeigt sich in mehrfacher Hinsicht:

a) In ihrer politischen Spaltung. Auch beim Generalstreik am 10. Mai demonstrierten die der Regierenden PASOK nahe stehenden Dachverbände ADEDY (Öffentlicher Dienst) und GSEE (Privatwirtschaft) getrennt von der PAME, die der stalinistischen KKE nahesteht.

b) Die Taktik des eintägigen Generalstreiks geht mehr und mehr ins Leere. Es ist klar, dass sich Regierung, EU und IWF von dieser Taktik, von der Beschränkung des Kampfes auf 24stündige Manifestationen nicht beeindrucken lassen. Ohne einen unbefristeten Generalstreik droht daher die Mobilisierung immer schwächer zu werden, was sich auch an den Zahlen der Demonstrationen ablesen lässt.

c) Die politische Perspektive der führenden Kräfte der Bewegung vermag keine Antwort auf die Politik der Regierung zu geben. Die großen Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE setzen auf Sozialpartnerschaft, auf einen „Kompromiss“ mit der Regierung, auch wenn ihnen der „Partner“ nur Kürzung und Elend bescheren willen. KKE und PAME erblicken die Lösung letztlich in der Illusion auf ein unabhängiges, kapitalistisches Griechenland, das zur Drachme und zu immaginären „goldenen Zeiten“ außerhalb der EU zurückkehren will. Ein solches Programm ist ebenso utopisch wie reaktionär und spielt letztlich den erz-reaktionären Nationalisten und Rassisten in die Hände, die sich allemal als die besseren, weil genuinen Patrioten erweisen werden als die „kommunistische“ KKE. Der reformistische Mehrheitsflügel von SYRIZA setzt auf einzelne Reformmaßnahmen wie die Streichung eines Teils der Staatsschuld und den Aufbau von „Komitees zur Schuldenkontrolle“.

Unzureichende Antwort

All diesen ist gemeinsam, dass sie keine Antwort gegen, die der objektiven Krise des Landes, die einer revolutionären Krisenperiode entspricht. In Griechenland, das ist klar,  kann letztlich auch die Regierung nicht so weiter wie bisher. Der Zerfall ist permanent. Eine neue Runde noch heftigerer Angriffe, darunter die Verscherbelung eines großen Teils das Staatsbesitzes an vorzugsweise imperialistische Kapitale, steht an. Die Verarmung und Verelendung der Bevölkerung geht weiter.

Die Angriffe der Regierung und der imperialistischen Finanzinstitutionen wie IWF und EZB können nur abgewehrt werden, wenn die Arbeiterklasse ihrerseits die Machtfrage stellt und beantwortet.

Die eintägigen Generalstreiks waren und sind noch immer imposante Manifestationen der Wut und des Hasses auf die Regierung sowie der Kampfbereitschaft. Der Zulauf zur Besetzung am Syntagma Platz zeigt das auch. Er zeigt, dass viele nach einer anderen, neuen Kampfmethode suchen.

Doch so, wie der eintägige Generalstreik über die Sammlung der Kräfte nicht hinausgeht, so vermag das auch eine mehrwöchige Blockade zentraler Plätze nicht. Vielmehr muss auch sie zur Sammlung für den unbefristeten politischen Generalstreik werden.

Ein solcher Generalstreik würde unwillkürlich die Machtfrage stellen - in Griechenland wohl noch akuter als sonstwo. Es würde die Notwendigkeit zur Schaffung organisierten Schutzes des Streiks vor Polizeiübergriffen und rechten und faschistischen Banden - die Schaffung bewaffneter Streikposten als Keimform einer zukünftigen Arbeitermiliz - aufwerfen.

Er müsste mit der Schaffung von Aktionsräten in den Betrieben, im Öffentlichen Dienst wie in den Stadtteilen und Dörfern verbunden wurden, also mit der Schaffung von Machtorganen, auf die sich eine Arbeiterregierung stützen könnte und müsste.

Nur so kann letztlich ein Sofortprogramm gegen die Krise verwirklicht werden, dass die Interessen der ArbeiterInnen, der Jugend, der Bauern und auch der Mittelschichten vertritt und deren Verelendung und Deklassierung stoppt.

Programm

Ein solches Programm müsste die Streichung der Staatsschulden beinhalten, die entschädigungslose Enteignung der Banken, des in- wie ausländischen Großkapitals, die Konfiskation der großen Privatvermögen und die Errichtung eines Notplans zur Reorganisation der griechischen Wirtschaft unter Arbeiterkontrolle. Es würde die Einführung eines Mindestlohns wie einer Mindesthöhe der Sozialleistungen (Rente, Arbeitslosengeld etc.) in einer von der Arbeiterbewegung festgesetzten Höhe umfassen sowie eine Programm gesellschaftlich nützlicher, öffentlicher Arbeiten.

Das sind nur einige der dringendsten Maßnahmen einer solchen anti-kapitalistischen Arbeiterregierung.

Eine solcher Kampf könnte zugleich zum Fanal werden für eine weite, über die Landesgrenzen hinaus gehende Antwort auf die Krise, für den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.

Doch dazu ist v.a. eines nötig. Die durchaus zahlreiche, „radikale“ Linke Griechenlands muss es sich zur Aufgabe machen, eine revolutionäre Arbeiterpartei zu schaffen, die für das oben skizzierte Aktionsprogramm kämpft.

Die Dringlichkeit dieser Aufgabe liegt auf der Hand. Denn, wenn in Griechenland eines gewiss ist, so dass der Rahmen, in dem die Kämpfe und eintätigen Generalstreiks der letzten Jahre stattfanden, nicht mehr lange so bleiben kann. Die PASOK-geführte Regierung wird in Zusammenarbeit mit EU und IWF ihre Angriffe weiter verschärfen. Sie wird dabei auf Widerstand stoßen. Aber wenn die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, eine grundlegende gesellschaftliche Alternative durchzusetzen und eine Arbeiterregierung zu errichten, so droht „bestenfalls“ eine weitere Zersetzung der griechischen Gesellschaft, die zu einer zweifachen Radikalisierung der Reaktion führen wird - zu mehr Repression und Brutalität des Staates und zum Wachsen einer reaktionären, (proto)faschistichen und rassistischen Massenbewegung. Es droht die Barbarisierung - und gegen diese gibt es nur eine Alternative: den Sozialismus!

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Nr. 160, Juni 2011
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