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Anti-Atom-Bewegung

Ausstieg mit Hintertürchen

Janosch Janglo, Neue Internationale 160, Juni 2011

Niemand hatte der Merkel-Regierung ernsthaft einen Ausstieg aus der Kernenergie zugetraut, nachdem sie im letzten Jahr mit der Laufzeitenverlängerung gezeigt hatte, das man auf der Gehaltsliste der Energiemonopole steht.

So ist der jetzige Beschluss von Schwarz/Gelb natürlich auch kein Ausstieg, wie in den Medien kolportiert. Der Ausstieg führt lediglich zu dem 2000 unter Rot/Grün ausgehandelten faulen Kompromiss. Auch damals war ausgehandelt worden, bis 2021 das letzte AKW abzuschalten. Das war kein Ausstieg, sondern nur das bloße technische Auslaufen überalterter Meiler. Das sicherte damals wie heute den Konzernen die Profite und konnte überdies als „Ausstieg“ verkauft werden.

Ein Hintertürchen hat sich die Koalition natürlich offen gehalten: drei AKW sollen bei Bedarf bis 2022 Strom produzieren. Sie sollen eine Art Sicherheitspuffer sein, falls es mit der Energiewende nicht schnell genug vorangeht. Doch die Konzerne werden sich schon einiges einfallen lassen, damit die Energiewende nicht so schnell klappt.

Die sieben ältesten Meiler und das AKW Krümmel werden stillgelegt, doch auch hier gibt es wieder ein Hintertürchen, denn ein AKW soll als stille Reserve in einem „Stand By”-Modus gehalten werden. Verknappt man den Strom künstlich, gibt es irgendwann auch wieder gute Gründe von „Stand By“ auf „On“ zu fahren.

Auch ein Entwurf zum „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“ ist in Arbeit. Bürokratische Hürden sollen abgebaut und die Möglichkeiten des Widerstands der Bevölkerung z.B. gegen den Bau von krebserregenden Hochspannungsleitungen soll beschränkt werden. Im Gegenzug sollen renitente Gemeinden in Zukunft mit bis zu 40.000 Euro für jeden Kilometer Stromnetz bestochen werden.

Selbstbedienung am Verbraucher

Die sieben abgeschalteten Meiler sind sicher den eindrucksvollen Protesten der Anti-AKW-Bewegung zu verdanken. Den Konzernen und der Regierung war schnell klar, dass diese AKW geopfert werden müssen, will die schwarz/gelbe Koalition des Kapitals nicht weiter an Wählerstimmen verlieren.

Der GAU in Fukushima, obwohl sich an der dramatische Lage dort nichts geändert hat, ist etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerückt und die Proteste gegen die Kernenergie haben etwas nachgelassen. Die Protestdemo gegen die „Jahrestagung Kerntechnik“ des deutschen Atomforums mit gerade 800 TeilnehmerInnen oder die deutlich schwächere Beteiligung an den bundesweiten Protesten am 26. Mai zeigen, dass die AKW-Bewegung gegenwärtig an Mobilisierungskraft verloren hat. Warum dann mit dem Wiederanfahren der abgeschalteten Meiler dieser Bewegung wieder Auftrieb geben?!

Auf der anderen Seite wurde versucht, die anderen Meiler als Gelddruckmaschine für die Konzerne zu retten. So werden via BILD u.a. bürgerlichen Medien immer wieder versucht, Horrorszenarien zu malen: Deutschland drohten im Winter durch die abgeschalteten AKW Stromausfälle. Schon in der ersten Woche würden diese zu Todesopfern führen. Wie zufällig wurde im Bundestag eine Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung diskutiert, die dieses Szenario beschreibt. Nur ist diese Studie schon zwei Jahre alt und hat damals kaum jemand interessiert. Kalkül ist hier das bewusste Schüren von Angst. Dabei ist Deutschland auch ohne die abgeschalteten AKW Stromüberschussproduzent - auch im Winter, wenn die Solarzellen mal keinen Strom liefern.

Der verstärkte Import an Strom im letzten Monat hat nichts damit zu tun, dass die Energiemonopole den Wegfall der Strommengen der sieben AKW über den nationalen Strommarkt nicht ausgleichen könnten, sondern ist einfach der Tatsache geschuldet, dass der importierte Strom einfach billiger war als der in Deutschland produzierte. Zudem könnten die Energiekonzerne immer noch die „kalte Reserve“ nutzen - alte Kraftwerke, die aktuell vom Netz genommen sind, da sie Strom relativ teuer und damit nicht konkurrenzfähig produzieren.

Die Konzerne zahlen nicht

Fest stand nicht nur der Nichtausstieg sondern auch, dass die „Energiewende“, an der gebastelt wird, nicht zu Lasten der Energiekonzerne geht und sie nicht Profit einbüßen. Dafür sollen die Lohnabhängigen über höhere Strompreise bluten. Unsere Mutter Theresa der Energiewende, Angela Merkel, meint, dass wir das ja für eine Energiewende alle gern tun würden.

Neben Ökosteuer, Stromsteuer, EEG-Umlage, Umsatzsteuer, geschenkte CO2-Zertifikate sollen nun die Investitionen in die Netze den VerbraucherInnen auch noch aufgedrückt werden. Der Ausbau der Netze sowie die Modernisierung der Kraftwerke werden eins zu eins an die Verbraucher weiter gegeben, was zu einer Strompreiserhöhung von 4-5 Cent pro Kilowattstunde führen könnte. Damit würden die Stromkosten für private Haushalte um rund 20 Prozent steigen - eine asoziale Schweinerei, von Frau Merkel „Bürgerbeteiligung“ genannt.

Ein schöner Nebeneffekt für die Konzerne ist dabei, dass deren Kontrolle über die Netze - und damit die daraus gezogenen Gewinne - erhalten bleiben.

Quo vadis Anti-AKW-Bewegung?

Höhere Strompreise finden indes durchaus auch Zustimmung bei den Umweltorganisationen, die für einen Ausstieg aus der Kernenergie kämpfen und aus denen sich auch ein wichtiger Teil der Bewegung speist. Sie vertreten die Auffassung, jeder könnte für sich selbst den Ausstieg durch einen Wechsel zum „Öko“-Stromanbieter quasi herbei kaufen.

So müsste man nur für den Branchensaubermann „Greenpeace Energy“ (der der Ökologischste unter den Ökos sein soll) locker seine Strompreisrechnung verdoppeln. In Zeiten von Hartz IV, Zeitarbeit, Minijobs etc. ist für viele Haushalte finanziell diese Forderung nicht nur eine Illusion, sondern sie zeigt, dass sie aus einem kleinbürgerlichen Milieu entstammt, für das soziale Not bisher gar nicht vorstellbar war. Sie zeigt aber auch, dass es die Umweltverbände nicht für nötig ansehen, den Kampf um einen Ausweg aus der ökologischen Krise mit dem Kampf um soziale Befreiung und den Sturz des Kapitalismus zu verbinden.

Das erklärt z.T. auch, dass die Anti-Atom-Bewegung bisher in den Kämpfen z.B. gegen die Krise, gegen Sozial- und Bildungsabbau oder bei Streiks oft nicht  beteiligt war. So wird auch die Möglichkeit, größere Teile der Arbeiterklasse für „grüne“ Themen zu gewinnen, verbaut und zugleich auch versäumt, die refomistischen Führungen der Arbeiterbewegung, v.a. den DGB, unter Druck zu setzen.

Beispiel IL

Auch um die Linken in der Anti-Atom-Bewegung steht es politisch nicht viel besser. Davon abgesehen, dass die Leistung des Großteils der Linken bei Anti-Atom-Protesten in der Vergangenheit darin bestand, sich an diesen Protesten nicht zu beteiligen, warten die, die heute in der Bewegung eine nicht unbedeutende Rolle spielen, teils mit nicht minder reaktionären Forderungen auf. Die „Interventionistische Linke“ (IL) hatte im letzten Jahr bei den Protesten gegen den Castor eine wichtige Rolle gespielt und durchaus den radikaleren Teil der Bewegung verkörpert.

Die IL geißelt zwar im Unterschied zu den meisten Umweltverbänden den Kapitalismus als Hauptursache für die derzeitige ökologische Krise, ihre Forderungen aber sind ein politisches Wischiwaschi, die jeder Grüne sofort unterschreiben könnte. Zwar wird korrekt gefordert, dass die Konzerne enteignet werden müssen, doch die Frage, wer diese Enteignung durchführen soll, bleibt offen?

Die Forderung nach Kontrolle durch ArbeiterInnen und VerbraucherInnen sucht man vergebens. Stattdessen werden Illusionen in die bürgerliche Gesetzgebung geschürt: „Enteignungen sind sogar im Grundgesetz vorgesehen (GG, Art. 14). Diese Möglichkeit wird nicht selten genutzt - bisher allerdings nur bei Erweiterungen von Großflughäfen oder dem Wegbaggern ganzer Dörfer zugunsten von Braunkohlekonzernen.“ Dass dieses Grundgesetz nur Buchstaben auf dem Papier sind und immer so ausgelegt und modelliert wird, wie es der Bourgeoise nützt, und vom Proletariat für seine Ziele gar nicht einfach so „benutzt“ werden kann, verschweigt man.

Diese Erkenntnis würde nämlich bedeuten, dass man die Herrschaft des Kapitals und seinen bürgerlichen Staat angreifen muss, um eine wirklich grundlegende ökologische und soziale Wende einzuleiten.

Natürlich darf bei der IL auch nicht die Heilsformel nach der dezentralen Energieversorgung fehlen (was ja auch SPD, Grüne und Greenpeace fordern) und zwar durch „Selbstversorgung, demokratisch gelenkte Stadtwerke und Genossenschaften“. Was bedeutet demokratisch gelenkt? Ist damit die Stadt, die Gemeinde gemeint? Es gibt noch Stadtwerke, die in den Händen der Kommunen sind, aber sie unterstehen genauso wie ein Großkonzern den Gesetzen des Strommarktes und der Konkurrenz.

Auch sie sind dazu verdammt, soviel Strom wie möglich zu verkaufen, d.h. möglichst Stromüberschüsse zu produzieren. Auch sie sind dazu verdammt, profitorientiert zu arbeiten und Kosten, die Profite schmälern würden, an den Verbraucher weiterzugeben oder billigeren Strom aus dem Ausland zu kaufen. Auch sie sind gezwungen, kleinere, schwächere Unternehmen vom Markt zu verdrängen, sie zu schlucken. Ein Modell vieler kleiner Stromproduzenten wäre gegenüber dem Modell großer Energiekonzerne also nicht unbedingt vorteilhafter. Die Energieproduktion wäre noch chaotischer und würde auch ökologisch kaum Vorzüge bieten.

Demokratische Planung

Für die Reorganisation der Energiewirtschaft, der Produktion wie des Verbrauchs, bedarf es einer zentralen Planung, die sich auf Räte stützt. Wie soll ein Ausstieg aus der Energieproduktion aus atomaren und fossilen Brennstoffen, die gegenwärtig ja 86% der  Energieversorgung ausmacht, möglich sein, wenn dafür kein gesamtgesellschaftlicher Plan entwickelt wird, wenn viele Kleinunternehmen wieder nur für sich auf betriebswirtschaftlicher Ebene planen?

Die Allerweltsformeln der IL gehen letztlich aber nicht über die Forderungen der Reformisten hinaus ignorieren und die Bedürfnissen der Lohnabhängigen u.a. ausgebeuteter Schichten. Sie verschweigt, welche gesellschaftliche Kraft diese Energiewende bewerkstelligen soll und kann. Es ist eben einzig die Arbeiterklasse, die dazu in der Lage ist, und deshalb für diesen Kampf gewonnen werden muss!

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Nr. 160, Juni 2011
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