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Burkaverbot in Frankreich und Belgien

Rassisten machen ernst

Irene Zelano, Neue Internationale 160, Juni 2011

Seit Mai 2011 wird in Belgien das Burkaverbot strafrechtlich verfolgt, nachdem es schon 2010 eingeführt worden war. In Frankreich gilt das Verbot seit 2010 und wird dort seit April 2011 auch repressiv umgesetzt. In anderen Ländern wie Spanien oder den Niederlanden werden solche Verbote diskutiert.

Gegenüber früheren Verboten des Tragens einer Burka oder des Schleiers stellen diese Gesetze in zweifacher Hinsicht eine Verschärfung dar. Erstens gilt das Verbot für die gesamte Öffentlichkeit, während frühere Verbote oft auf bestimmte Bereiche, z.B. auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst beschränkt waren.

Zweitens werden jetzt auch saftige Strafen verhängt. In Frankreich muss eine Frau, die sich dem Verbot widersetzt, eine Geldstrafe um die 150 Euro zahlen und einen „Kurs in Staatsbürgerkunde“ belegen.

Was sich vordergründig als Verteidigung der Rechte der Frauen gibt, ist in Wirklichkeit nur ein rasch voranschreitender, anti-islamischer Rassismus. Kein Wunder, dass die rassistischen und faschistischen Rechten jubeln. Einen „ersten Schritt gegen die Islamisierung Belgiens“ nennt z.B. die rechtsextreme belgische Partei Vlaams Belang das Verbot.

Es wäre aber auch blauäugig, „nur“ die extreme Rechte, Reaktionäre wie Sarkozy oder Rassisten wie Sarrazin als Antreiber solcher reaktionärer Gesetze zu betrachten. Vielmehr kommen diese Forderungen auch aus der „liberalen“ Mitte der Gesellschaft oder von bürgerlichen FeministInnen wie Alice Schwarzer, die sich gern vor den Karren des reaktionären Anti-Islamismus spannen.

Verlogenheit

Dabei bedienen sie sich eines demagogischen Argumentationsmusters, das die Ursachen für die Unterdrückung - nicht nur der muslimischen - Frauen praktisch auf den Kopf stellt.

So richtig, ja notwendig es ist, den Zwang zur Verschleierung von Frauen als unterdrückerisch und frauenfeindlich zu kritisieren und auch zu bekämpfen, so falsch ist es aber zu glauben, dass ausgerechnet jene Staatsgewalt, die MigrantInnen die elementare rechtliche Gleichstellung verwehrt, plötzlich zum selbstlosen Vorkämpfer der Frauenrechte mutiert sein soll.

Während die EU-Außengrenzen für Flüchtlinge abgeschottet werden, während MigrantInnen seit Jahr und Tag das Wahlrecht verweigert wird, während sie am Arbeitsmarkt systematisch diskriminiert werden, sollen sie nun durch rassistische Gesetze emanzipiert werden?

Hinzu kommt, dass das Burka- oder Nikab-Tragen für viele Frauen auch bewusster Ausdruck von kulturellem Stolz, von nationaler Identität, ja in gewissem Sinn von Protest und Widerstand gegen die verschiedenen Versuche der imperialistischen Staaten, MuslimInnen und ,muslimische“ Länder als „Terroristen“ abzustempeln. Die Verhüllung ist tw. auch ein - verständliches - Symbol der Ablehnung des Sexismus im „westlichen“ Alltag.

Ursachen von Unterdrückung

Natürlich trifft es zu, dass muslimische Frauen vom gesellschaftlichen Leben oft abgeschnitten sind. Das hat aber kaum mit dem Tragen der Burka zu tun, sondern vielmehr damit, dass diese Frauen - wie die Mehrzahl aller Frauen - patriarchalischen Familienstrukturen unterworfen sind, dass ihre Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben u.a. dadurch eingeschränkt ist, dass es zu wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gibt oder die Entlohnung für Frauen oft schlechter ist als die von Männern. Nicht die Burka oder der Islam an sich sind also die Ursache, sondern der Kapitalismus bzw. die Bewahrung patriarchalisch-reaktionärer Strukturen, wie sie auch im Islam zum Ausdruck kommen.

Schließlich wird das Verbot der Burka - anders als von ihren liberalen BefürworterInnen gern proklamiert - überhaupt nicht zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Frauen von den Männern führen, ja auch nicht führen können. Im Gegenteil: die staatliche Hetze, die gerade für arme Familien heftigen Geldstrafen und erniedrigenden Indoktrinierungskurse in Sachen „Staatsbürgerschaft“ und „westliche Werte“ werden notwendigerweise dazu führen, dass mehr muslimische Frauen in der Burka einen Ausdruck des Widerstandes gegen „westliche“ Bevormundung sehen werden. Die Repression könnte auch dazu führen, dass die Frauen statt ohne Burka ihre Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen wollen - oder dürfen - weil der Mann es nicht erlaubt. Die „Befreiung“ der muslimischen Frau erweist sich also in der Praxis eher als Bumerang.

Dieser Effekt stört die meisten BefürworterInnen des Verbots nicht wirklich, denn für sie sind die gern beschworenen Rechte der Frauen oder die „Kritik der Religion“ - natürlich nur des Islam - nur ein Vorwand, sind eine politisch „korrekte“ Begründung einer durch und durch rassistischen Maßnahme.

Eine religiöse Frage?

Die Debatte um die Verschleierung ist im Kern gar keine religiöse Frage. Es geht nur vordergründig um die Rechte von Frauen. Vielmehr ist diese ganze Frage Teil der Diskussion um den „Islamismus“, einer gezielten rassistischen Hetze gegen Muslime, die v.a. zur Spaltung entlang religiöser Linien dient und zur Rechtfertigung und rassistischen Mobilisierung der „Mehrheitsgesellschaft“ im Interesse der eigenen herrschenden Klasse.

Daher muss die Arbeiterbewegung die Burka-Verbote wie alle anderen Gesetze, die sich gegen die  muslimische Bevölkerung (oder irgendeine andere religiöse oder nationale Minderheit) richten, entschieden bekämpfen und ablehnen! Nur so ist es möglich, eine gemeinsame Kampffront von ArbeiterInnen und Jugendlichen, von Männern und Frauen unabhängig von religiösen Überzeugungen zu schaffen, die sich gegen die rassistische Hetze wendet und zugleich Voraussetzungen dafür schafft, dass auch muslimische Frauen in den Kampf um Befreiung integriert werden können: als aktiven KämpferInnen gegen Unterdrückung, die schlussendlich weder vor religiöser Doppelmoral, noch vor patriarchalen Familienstrukturen und kapitalistische Überausbeutung halt machen.

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Nr. 160, Juni 2011
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