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Landtagswahlen

Fiasko für schwarz-gelbe Atomlobby

Tobi Hansen, Neue Internationale 158, April 2011

Am 26. März gab es die größten zeitgleichen Massendemonstrationen gegen die Atomkonzerne in der Geschichte der BRD. 250.000 Menschen versammelten sich in Berlin, Hamburg, Köln und München unter dem Motto: „Fukushima mahnt - alle Atomkraftwerke abschalten“. Aufgerufen hatten Initiativen wie „campact“ und „ausgestrahlt“, die Grünen, die SPD, die LINKE und der DGB.

Die Katastrophe von Fukushima zeigte nach den Störfällen von Harrisburg 1979 und dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 erneut die Unbeherrschbarkeit der Kerntechnik. Weder kapitalistische Profitwirtschaft noch die bürokratisch-degenerierte Planwirtschaft konnten diese Technologie gefahrenfrei anwenden. Durch diese Ereignisse wurden Zehntausende in Deutschland neu politisiert und mobilisiert gegen die Interessen des Atomkapitals und seiner Lobby.

Täglich sehen wir per TV die Explosionen in den Reaktorblöcken von Fukushima, hören wir von zunehmender Strahlenbelastung in Trinkwasser und Lebensmitteln und sehen das Elend Hunderttausender nach der Naturkatastrophe in Japan. Der Wahnsinn kapitalistischer Wirtschaft drückt sich in Japan so aus, dass in einem Staat mit dem größten Erdbebenrisiko weltweit 54 (!) Atomreaktoren stehen.

Während der GAU weiter voran schreitet, sehen wir, wie Hunderttausende nach der Überschwemmung nicht ausreichend mit Nahrung, Medizin und Unterkünften versorgt werden können - und das in einem der reichsten Staaten der Welt. Natürlich würde jede Gesellschaft von einem solchen Ereignis schwer getroffen werden, aber das Versagen der kapitalistischen Ordnung im Katastrophenfall zeigt sich in Japan erneut in erschreckender Weise.

Im vergangenen Jahr mussten wir erleben, wie die der BP-Konzern und die USA sich wochenlang ausserstande zeigten, die Verseuchung des Meeres und der Küste durch Millionen Barrel Öl zu stoppen.

Auch die Reaktion der Bundesregierung auf die Katastrophe in Japan war bezeichnend. Erst im letzten Herbst setze Schwarz/Gelb eines der strategischen Projekte seiner Amtszeit um, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten und somit die Zuschanzung weiterer Milliardengewinne fürs Kapital von E.on, RWE, EnBW und Vattenfall. Doch schon ein halbes Jahr später wird dieses Vorhaben gekippt, jetzt stehen erstmal die ältesten 7 Meiler still, alles wegen angeblich „neuer“ Erkenntnisse nach Fukushima. Für diesen Hohn gibt es eigentlich keine Kategorie mehr. Passend vor den Landtagswahlen kippte Merkel ihre bisherige Politik.

Mappus abgeschaltet

Nachdem sich die Landesregierung von Baden-Württemberg in den letzten Monaten durch die S21-Schlichtung etwas stabilisieren konnte, gab die Atompolitik jetzt den entscheidenden Ausschlag gegen Schwarz/Gelb. Zum ersten Mal nach 58 Jahren stellt die CDU nicht mehr den Ministerpräsidenten, dies ist eine strategische Niederlage, vergleichbar mit der Niederlage von Rot/Grün 2005 in Nordrhein-Westfalen. Besonders abgestraft wurde der Koalitionspartner FDP. In Baden-Württemberg wurden ihre die Prozente halbiert (5,2%), in Rheinland Pfalz und Sachsen-Anhalt flogen sie sogar ganz aus dem Landtag. Die Partei von Vizekanzler Westerwelle steht vor dem Scherbenhaufen von 18 Monaten Bundesregierung. Nun können diese Verluste das Ende von Westerwelle bedeuten, möglicherweise auch von Bundeswirtschaftsminister Brüderle oder Fraktionschefin Homburger.

Für die CDU sind die kleinen Gewinne in Rheinland-Pfalz (+2,5% auf 35,3%) und die Weiterführung der großen Koalition mit der SPD in Sachsen-Anhalt die positiven Seiten der Wahlen, allerdings steht der Partei eine Auseinandersetzung über die Atompolitik bevor.

Grün gewinnt

Bei beiden Landtagswahlen gab es eine höhere Wahlbeteiligung, in Rheinland-Pfalz stieg diese um 4% auf über 62, in Baden-Württemberg sogar um 13% auf über 66. Neben der Katastrophe von Fukushima hat in Baden-Württemberg der Konflikt um S21 viele NeuwählerInnen zur Wahlurne geführt. Der große Sieger sind die Grünen.

An einem Wahlabend die beiden besten Ergebnisse (24,2% in Baden-Württemberg und 15,4% in Rheinland-Pfalz) bei Landtagswahlen ihrer Geschichte einzufahren ist sicher einmalig. Erstmals wird nun mit Kretschmann ein Grüner Ministerpräsident im „Ländle“. Nach dem Einzug in die Landesparlamente von Rheinland-Pfalz und Sachsen Anhalt sind die Grünen nun in 15 Bundesländern „drin“, bei diesen „Frühjahrswahlen“ gab es für sie überall Gewinne, einschließlich Hamburg nach dem Rückzug aus der ersten schwarz/grünen Landesregierung.

Innerhalb von eineinhalb Jahren haben die Grünen eine Renaissance erlebt. Noch 2009 als kleinste Partei mit gut 10% im Bundestag und damals in keiner Landesregierung vertreten, sidn es nunmehr  vier Landesregierungen: Nordrhein-Westfalen, Saarland, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz.

In Baden-Württemberg konnten die Grünen 20 % ihrer Zugewinne von der CDU holen, mehr als von den ehemaligen Nichtwählern. Spitzenkandidat Kretschmann überzeugte als bodenständiger und konservativer Landespolitiker, ein „Realo“, wie er im Buche steht. Dementsprechend werden auch die Parteioberen nicht müde zu betonen, dass sie sich der „Verantwortung“ bewusst sind, immerhin regieren jetzt Grüne in der Herzkammer des deutschen Industriekapitals und des Mittelstands.

Nils Schmidt (SPD) meinte, die neue Koalition „werde nicht alles anders, aber vieles besser machen können“. Solche Floskeln bereiten meist das Ende der Wahlversprechen vor. Die Anti-S21-Bewegung kann sich schon mal auf das nächste „Lügenpack“ vorbereiten.

Diese Landesregierung ist für die Grünen eine strategische Angelegenheit: Gelingt es im deutschen Musterländle, zufriedenstellend für das Kapital zu regieren, dann ergeben sich neue Möglichkeiten auf Bundesebene, dann sind die Grünen auch wieder eine Option fürs deutsche Kapital.

Aber um die Kapitalinteressen brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, schließlich wiederholt die SPD bis zum Umkippen, dass sie in der neuen Regierung für die Wirtschaft, die Innovation und den restlichen Blabla eintreten will - auch diese Regierung wird mit offenen Armen auf das Kapital zugehen.

Die WählerInnen der Grünen erhoffen sich von der grünen Landesregierung mehr „Transparenz“ und mehr „Bürgerbeteiligung“. Im Gegensatz zur Mappus-Regierung wünschen sich gerade viele kleinbürgerliche WählerInnen eine Regierung, die weniger prügelt und mehr vermittelt.

Die Grünen gewannen die Wahlen auch, weil das konservativ-kleinbürgerliche Spektrum in Baden-Württemberg einige Illusionen an die parlamentarische Demokratie verloren hatte. Das sollen nun Kretschmann und Schmidt wieder richten - die „nette“ Landesregierung, mit Volksabstimmung und „mehr“ Dialog.

Das Abschneiden der Linkspartei

Erschreckend sind die Ergebnisse der LINKEN. In beiden West-Bundesländern erreichten sie mit ca. 3% gerade das Ergebnis der WASG vor 5 Jahren. Sicher sind beide Bundesländer nicht gerade Hochburgen für linke Parteien und der erstmalige Antritt als Linkspartei ging auch schon in Bayern schief.

Aber dass die LINKE überhaupt nicht von der Krise der Bundesregierung profitieren konnte, ist schon bezeichnend. Sie war und ist bei der Atomdebatte kaum präsent, bei den Protesten gegen S21 in Stuttgart war sie eher ein Anhängsel von K21 und den Grünen. Die LINKE hatte kaum eigenes Profil.

Das liegt zum einen daran, dass eine „linkere“ reformistische Profilierung wie zuletzt in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen in diesen Landesverbänden nicht möglich war und es den Gewerkschaftsfunktionären speziell in Baden-Württemberg darauf ankam, in der Protestwelle mitzuschwimmen, aber ohne klare Abgrenzung gegenüber SPD und Grünen. In den Protesten gegen S21 und die Atomenergie zeigte sich zudem auch, dass die LINKE oft sehr wenig Mobilisierungskraft hat. Auch die Programmdiskussion ist fast nur eine Spielwiese für Funktionäre und taugt absolut nicht dazu, Menschen von aussen anzuziehen.

Vor allem aber liegt es an der grundlegenden strategischen Orientierung der Partei selbst, dass sie eine Wahlniederlage eingefahren hat. Die Linkspartei ist - wie die SPD - eine reformistische Partei, eine bürgerliche Arbeiterpartei, deren Kopf zwar manchmal (she. Kommunismus-Debatte) in einem linken Wolkenkuckucksheim steckt, aber mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes, also des Kapitalismus steht.

Die LINKE will eine „sozialere“ und „ausgewogenere“ Politik - das  versprechen aber SPD und Grüne. Zur Umsetzung ihrer Versprechen schlägt letztlich auch die Linkspartei nichts anderes vor als andere parlamentarische Mehrheiten, die sich auf „andere gesellschaftliche Mehrheiten“ stützen soll. Wozu also, so fragen sich dann viele WählerInnen bei den Landtagswahlen, sollen sie die LINKE wählen, wenn sie SPD und Grüne gleich direkt in die Regierung hieven können.

Bundespolitische Auswirkungen

Die Bundesregierung von Merkel und Westerwelle steht jetzt ungefähr da, wo die rot/grüne Bundesregierung nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl 2005 stand. Heute ist es die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, die Massenproteste provozierte. Im Bundesrat gibt es jetzt für Schwarz/Gelb gar nichts mehr zu holen, die FDP steht vor der Zerreißprobe.

Es ist zu erwarten, dass das Moratorium in den nächsten drei Monaten von Massenprotesten begleitet wird; diese Regierung wird keinen Weg finden, die alten Meiler wieder ans Netz zu lassen. Atomlobby und FDP sind geschwächt. In den nächsten Monaten werden schärfere Konflikte die Bundesregierung erschüttern. Der Wirtschaftsflügel hat seinerseits auch schon die ersten Angriffe auf Merkel gestartet. Auch die Enthaltung zur UN-Libyen-Resolution wird von Teilen der Fraktion und der Union abgelehnt. Ein Stühlerücken ist bei der FDP zu erwarten, dort steht quasi ein Großteil der Führungsriege zur Disposition.

Für die AKW-, wie auch die S21-Bewegung wird es entscheidend sein, weiterhin Druck aufzubauen und sich nicht auf Grüne und SPD zu verlassen. Weder der Ausstieg von Rot/Grün in der Bundesregierung, noch das Verhalten bei den S21-Protesten lässt darauf schließen, dass SPD und Grün eine tatsächliche Kehrtwende in der Politik betreiben werden. Diese Parteien werden nur eine andere Variante von bürgerlich-kapitalistischer Ordnung durchsetzen, am Wesen der Politik wird sich in Baden-Württemberg deswegen nichts ändern. Natürlich wird auch Grün/Rot alles für die Profite des Kapitals tun, wird sogar einige Bereiche der Energiebranche besonders fördern (regenerative Energieerzeugung) und Kretschmann wird versuchen, den Landesvater für alle zu mimen.

Wie Schwarz/Gelb kippen?

Längerfristig geht es für das Kapital aber darum, eine neue Regierungskoalition vorzubereiten, nachdem sich v.a. die FDP als Rohrkrepierer erwies; es geht für die herrschende Klasse darum, einen Wechsel zu Schwarz/Grün oder zu einer Großen Koalition vorzubereiten, wobei der Bundesrat als Test-Fall für solch eine Kooperation herhalten muss. SPD und Grüne wiederum werden versuchen, in enger Partnerschaft zu beweisen, den Kapitalismus besser „modernisieren“, also verwalten können.

SPD und Grüne werden alles dafür tun, eine möglichst sich über Bundesrat und Vermittlungsausschuss zu profilieren.

Für die AKW-Bewegung kann das Ziel jedoch nicht sein, auf etwaige Vermittlungsausschusssitzungen zu vertrauen, wir müssen uns direkt der Atomlobby entgegen stellen. Im Juni planen die größeren NGOs, die alten Meiler zu blockieren. Dies darf aber nicht zu Menschenketten und Gottesdiensten gegen die Atomkraft führen, sondern Massenblockaden und Streiks gegen die Atomlobby müssen das Ziel der Proteste sein!

Dazu brauchen wir mehr als die warmen Worte von DGB-Chef Sommer bei der Großdemo in Berlin, dafür brauchen wir auch die Mobilisierung der Beschäftigten in der Atomindustrie. Diese sehen derzeit, was ihnen bei der Arbeit passieren kann. Bei einem Unfall sind sie die ersten, die verstrahlt werden, sind sie diejenigen, die vom Kapital in den Strahlentod geschickt werden.

Wir müssen den Kampf gegen die Atomenergie ohne Illusionen in Grüne und SPD führen. Diese haben schon bei den Castortransporten und der Endlagerfrage gezeigt, welche Politik sie umsetzen, wenn sie selbst regieren. Die vielen neuen AktivistInnen haben Illusionen in die „Demokratie“ verloren, wir müssen dafür sorgen, dass sie für den antikapitalistischen Widerstand gewonnen werden!

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Nr. 158, April 2011
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