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Fukushima

Katastrophe mit Ansage

Janosch Janglo, Neue Internationale 158, April 2011

Was zum Teufel ist hier los?“, rief Japans Ministerpräsident Naoto Kann, nachdem er erst aus den Medien von der Explosion im AKW Fukushima erfahren hatte. Mit dieser Frage war er gewiss nicht allein.

Fast genau 25 Jahre nach Tschernobyl steht die Welt erneut mit einem Bein in einem atomaren Super-GAU. Am 11. März traf eine 14 Meter hohe Tsunami-Welle, ausgelöst durch ein Erdbeben, das Atomkraftwerk in Fukushima. Diese Naturkatastrophe forderte bisher rund 10.000 Tote. Über 16.000 Menschen sind weiter vermisst, hunderttausende obdachlos geworden.

Diese verheerenden Auswirkungen treten nun fast schon in den Hintergrund, denn die Ereignisse um das AKW in Fukushima haben schon jetzt weitreichendere und nachhaltigere Folgen. Sofern die Aufbauarbeiten aufgrund der Verstrahlung denn überhaupt stattfinden können, ist die radioaktive Verstrahlung der Ostküste Japans, v.a. aber des Ballungsraumes Tokio mit 35 Millionen EinwohnerInnen die eigentliche Tragödie - weil sie verhinderbar gewesen wäre und eben keine Naturkatastrophe ist, sondern voll auf das Konto des Kapitalismus geht.

Die Verursacher

Der Betreiber Tepco (Tokyo Electric Power Company) von Fukushima und 16 anderen AKW ist der viertgrößte Elektrizitätsversorger der Welt. Das größte Energieunternehmen Asiens trägt rund ein Drittel zur Energieversorgung Japans bei.

Tepco steht nicht zum ersten Mal im Fokus der öffentlichen Kritik. Die kriminellen Machenschaften des Konzerns flogen bereits 2002 auf, als bekannt wurde, dass in 29 Fällen Wartungsdokumente von AKW gefälscht worden waren und in 13 AKW gar keine Wartungsarbeiten durchgeführt worden sind. Darunter waren auch die Reaktoren von Fukushima. Hier wurden Berichte über Risse in den Schutzhüllen von 5 Reaktorkernen seit 1993 systematisch gefälscht. Daraufhin musste Tepco seine 17 AKW abschalten und einen Teil der Führungsriege des Konzerns austauschen. Der Präsident von Tepco, Katsumata, kündigte daraufhin vollmundig eine „neue Unternehmenskultur“ an, in der ein „strikter Ethikkodex und kommunikative Offenheit“ herrschen sollten. Die Verantwortung für die systematischen Fälschungen schob er einer angeblich außer Kontrolle geratenen Nuklearabteilung zu, die es aufgrund von „Selbstüberschätzung“ für nicht nötig gehalten hätte, Sicherheitsmängel weiterzumelden, und zudem „eigenmächtig“ Daten gelöscht und Inspektionsberichte gefälscht hätte.

Dass dies alles aber nur die PR-Politur eines in die Kritik geratenen Stromkonzerns war, zeigte der Brand nach einem Erdbeben 2007 im AKW Kashiwazaki-Kariwa, bei dem acht Menschen starben. Aus dem Abklingbecken schwappte damals radioaktives Wasser, Rohre barsten und Feuer brach aus. Später stellte sich heraus, dass Tepco 117 (!) Inspektionen in Kashiwazaki nicht durchgeführt hatte. Ab diesem Zeitpunkt hätte eigentlich jedem klar sein müssen, besonders der japanischen Regierung, das Japans AKW nicht erdbebensicher sind und Tepco der Betrieb der AKW entzogen werden müsste.

Eine Woche vor der Havarie in Fukushima deckte Japans Atomaufsicht erneut, dass insgesamt 33 Teile des havarierten AKW Fukushima, darunter zentrale Elemente des Kühlsystems der sechs Reaktoren und der Abklingbecken, nicht wie vorgeschrieben überprüft worden waren. Die jahrzehntelange Vertuschung von Mängeln und das Fälschen von Daten und Protokollen waren der Regierung also bekannt. Dies führte aber nicht dazu, dass es unabhängige Kontrollen gab; im Gegenteil: man verließ sich weiter voll und ganz auf Tepco.

Die Atomaufsicht inspiziert die Kernkraftwerke nur alle dreizehn Monate und überließ die Inspektion der Reaktorhüllen und der Pumpen den Betreibern. Das hieß, einen Pyromanen zum Feuerwehrmann zu machen. Somit trägt die japanische Regierung neben Tepco die Hauptverantwortung für die Katastrophe.

In über 50 Jahren (1955 bis 2009) der Regentschaft der Liberaldemokratischen Partei (LDP) entstand in Japan - wie auch in Deutschland - ein mächtiger Filz, in der die Energiemultis praktisch freie Hand hatten, ihre profitträchtigen Projekte gegen den oft nur regionalen Widerstand von AnwohnerInnen, Gemeinden und Fischern durchzusetzen.

Dabei war die Erdbebengefahr bekannt. Schon 1992 ergab eine Umfrage in Japan, dass 62% der Bevölkerung die AKW auch aufgrund der Erdbebengefahr für nicht sicher halten. Doch nennenswerter Widerstand blieb aus, auch jetzt noch - nach der Katastrophe. Tepco zahlte in den vergangenen Jahren zig Millionen an renitente Gemeinden und Fischer, die danach ihren Widerstand gegen die AKW meist aufgaben.

Aus Mangel an neuen Standorten wurden Reaktoren wie in Fukushima dicht nebeneinander in „Energieparks“ gebaut. Entlang der Küste der Wakasa-Bucht, rund 160 Kilometer westlich von Tokio, stehen an einem Straßenabschnitt von knapp 60 Kilometern 15 Kernkraftwerke! Die Folge davon ist, dass jetzt in Fukushima nicht nur in einem Reaktor der Super-GAU droht, sondern in sechs!

Über sechs Jahrzehnte hat Tepco Japans Strommarkt dominiert. Die Katastrophe von Fukushima wird wahrscheinlich das Ende dieser Vormachtstellung bedeuten. Das Unternehmen ist hoch verschuldet, wie es die Folgen der Katastrophe bewältigen soll, ist unklar. Selbst im Angesicht der Katastrophe stand die Sicherung der Anlage und damit auch der Profit bei Tepco an erster Stelle - nicht der Katastrophenschutz in Form der Kühlung mit Meerwasser. So wurde mit der Einleitung von mit Borsäure versetztem Meerwasser, um die Kernschmelze zu verhindern, stundenlang gewartet, weil das Salzwasser den Weiterbetrieb des AKW gefährdet.

Auch die Informationspolitik stand unter der Prämisse, dem Ruf des Unternehmens nicht allzu sehr zu schaden. Die Firma unterrichtete die japanische Regierung und die Öffentlichkeit - wie in den Jahren zuvor - offensichtlich stets nur darüber, was sich ohnedies nicht mehr verheimlichen ließ.

Japans Wirtschaft vor dem Absturz

Allein die Schäden durch das Erdbebens und den Tsunami werden auf rund 220 Milliarden Euro geschätzt. Doch der weitaus größere Schaden droht durch die dauerhafte Verstrahlung und mögliche Unbewohnbarkeit großer Teile der japanischen Ostküste einschließlich des Ballungsraumes Tokyo, wo ein Viertel der Bevölkerung Japans lebt. Schon vor der Katastrophe dümpelte die Wirtschaft vor sich hin. In der Finanzkrise sank das Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent. Unklar ist, wie schwerwiegend die Auswirkungen der nuklearen Katastrophe auf die Wirtschaft sein werden. Aber schon jetzt wird deutlich, dass sie Japan in der ökonomischen Entwicklung weiter zurückwerfen und dem Land eine lang anhaltende Krise bescheren wird.

Nicht auszumalen, was passieren wird, wenn durch einen Super-GAU der Großraum Tokyo zeitweise oder dauerhaft evakuiert werden müsste. Dieser trägt 18% zur Wirtschaftsleistung Japans bei. Neben Fabriken und Konzernzentralen sind in Tokio auch die Börse und das Finanzzentrum beheimatet. Schätzungen zufolge könnte die Konjunktur um 20-30% einbrechen.

Ein noch größeres Problem wäre die Evakuierung der Menschen. Japan ist das am dichtesten bevölkerte Industrieland der Welt. Das Land stünde vor einer massiven Auswanderung. Es wird geschätzt, dass bis zu zehn Millionen das Land verlassen würden. Da es vor allem Hochqualifizierte wären, würde die Wirtschaftsleistung nachhaltig geschwächt. Eine Wirtschaftskrise solcher Dimension würde auch die gesamte Weltwirtschaft erschüttern.

Auf dem Rücken der Bevölkerung

Die Rechnung soll natürlich wieder die Bevölkerung bezahlen. Können Besserverdienende sich aus dem radioaktiven Staub machen, wird ein Großteil der Bevölkerung sich der gefährlichen Strahlung aussetzen müssen, weil sie nicht alle einfach fliehen können. Schon jetzt werden keine Strahlenopfer mehr in den Notunterkünften aufgenommen. Auch die Situation in Tokio spitzt sich zu.

Dort hat die radioaktive Strahlung im Trinkwasser ebenfalls die Gefahrengrenze überschritten: Babys und Kleinkinder sollen deshalb kein Leitungswasser mehr trinken. Unvorstellbar, wenn die Grenzwerte für die gesamte Bevölkerung überschritten werden würden! Inzwischen wurde auch in Gemüse und Milch, die aus der Gegend um Fukushima stammen, tw. drastisch erhöhte Radioaktivität festgestellt. Hier wurden kurzerhand die erlaubten Grenzwerte erhöht, um die Produktionsbetriebe und ihre Profite zu schützen.

In Fukushima kämpfen nicht nur Nukleartechniker gegen den Super-GAU. Für diesen extremen Gefahrenbereich werden auch nicht speziell Ausgebildete, ja sogar Zeitarbeiter eingesetzt, die offenbar überhaupt nicht auf die Situation vorbereitet wurden. Ebenso werden ArbeiterInnen von Zulieferfirmen und Feuerwehrleute über Drohungen, dass sie sonst ihre Jobs verlieren, gezwungen, sich der Gefahr der Verstrahlung auszusetzen.

Bundesregierung unter Druck

Einen GAU könnte es im politischen Sinne auch für die Bundesregierung geben, denn die Ereignisse in Japan haben natürlich auch den Anti-AKW-Widerstand in Deutschland befeuert. Hundertausende gehen wöchentlich in Deutschland auf die Straße, um gegen die Atompolitik von Schwarz/Gelb zu protestieren. Auch die Grünen dürfen sich jetzt wieder als Widerständler neu entdecken, obwohl auch in 8 Jahren rot/grüner Bundesregierung kein einziges AKW abgeschaltet wurde.

Mittlerweile sind 60% der Deutschen für einen schnellstmöglichen Atomausstieg. 80% Prozent fordern, die geplante Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke von durchschnittlich 12 Jahren vollständig zurückzunehmen. So war Schwarz/Gelb im Angesicht der bevorstehenden Landtagswahlen und Traumumfragewerten für die Grünen gezwungen, so zu tun, als würden sie jetzt auch für den Atom-Ausstieg sein. Doch die Ankündigung ihres Moratoriums, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten für 3 Monate auszusetzen und 7 AKW abzuschalten, die einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden sollen, war selbst für Blinde zu durchsichtig. Die Katze aus dem Sack ließ dann ungewollt FDP-Wirtschaftsminister Brüderle, als er sich vor seinen Freunden vom BDI verquatschte und zugab, dass alles nur Wahlkampftheater ist.

Merkel und Westerwelle versuchten, Betroffenheit vorzutäuschen und jammerten, die Ereignisse in Japan seien eine „Zäsur“, bei der man „innehalten“ muss. Deutschland gehört nicht gerade zu den stark erdbebengefährdeten Gebieten, und wenn die Bundesregierung vor Fukushima erklärt hat, die deutschen AKW seien sicher, müssten sie es eigentlich auch nach Fukushima sein.

Klar ist auch, dass für jedes abgeschaltete AKW den Lohnabhängigen über höhere Strompreise in die Tasche gegriffen werden soll. Die Konzerne werden sich ihre atomaren Gelddruckmaschinen nicht einfach so wegnehmen lassen. Da die Regierung ihr Energiegesetz bis jetzt noch nicht zurückgenommen hat, können die Konzerne gegen die Abschaltungen auch vor Gericht ziehen. Schon jetzt verzeichnen AKW-Betreiber wie RWE und E.on ein Minus an der Börse. Prompt verkündete Merkel, dass stärkere Sicherheitsauflagen für Atomkraftwerke bedeuten, „dass da auch der Strom teurer wird”. Sicherheit habe eben ihren Preis.

Sozialismus oder ökologische Katastrophe

Die Ereignisse um Fukushima zeigen, dass die Atomkraft ein nicht beherrschbares Risiko darstellt. Die Endlagerung ist komplett ungelöst und zudem gehen die Rohstoffe an spaltbarem Material zur Neige. Die Jagd nach Profit, die hinter dem Betrieb von AKW steht, vergrößert die Sicherheitsrisiken noch mehr. Grüne, SPD und die LINKE treten für erneuerbare Energien ein. Doch auch deren - sicher notwendige - Einführung erfolgt im Kapitalismus unter den Prämissen Gewinn und Konkurrenz. „Rein“ ökologische oder gar soziale Aspekte werden unter diesen Bedingungen nie Maßstab der Energieproduktion sein.

Fukushima macht erneut auf dramatische Weise klar, dass Kapitalismus und die Lebensinteressen der Menschheit in einem Widerspruch stehen, der immer größer wird. Fukushima zeigt, dass die modernen Produktivkräfte, dass die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt der Menschheit nur dann dienen können, wenn die Herrschaft des Kapitals und seines Staates zerbrochen wird. Die Alternative zur Atomwirtschaft sind nicht nur Wind und  Sonne, sondern der SoziaIismus!

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Nr. 158, April 2011
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