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IG Metall-Tarifrunde

... und plötzlich ein Abgrund

Frederik Haber, Neue Internationale 134, November 2008

Die Finanzkrise hat nicht nur Investmentbanker und Börsenspekulanten überrascht. Auch die Führung der IG Metall hatte sich alles ganz anders vorgestellt. Die Tarifrunde sollte auf dem Höhepunkt der Konjunktur und vor dem Hintergrund hoher Gewinne ablaufen. Ungefähr fünf Prozent Ergebnis - bei einer Forderung von 8% - das hätte den Unternehmern nicht weh getan. Schon die Produktivitätssteigerungen in diesem Jahr liegen höher. Die Mannschaft um Berthold Huber hätte sich mit dem „besten Ergebnis des Jahrhunderts“ schmücken können.

Doch jetzt sind die Aufträge in der Auto-Industrie um ca. 20% zurückgegangen, im Maschinenbau um bis zu 80%. Allerdings arbeiten dort einige Firmen noch bis ins nächste Jahr alte Aufträge ab.

Schlagartig wurden Tausende LeiharbeiterInnen entlassen und Befristete nach Hause geschickt - ohne jeden Widerstand von Betriebsräten und IG Metall. Noch vor einem halben Jahr hatte sich die Gewerkschaft scheinbar sehr für die LeiharbeiterInnen eingesetzt. Aber ganz offensichtlich ging es bei der Kampagne „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, mit der in einigen Großunternehmen Lohnerhöhungen für LeiharbeiterInnen durchgesetzt worden waren, eher um einen Deal: Im Betrieb dürfen Leihkräfte nur gemäß einer Quote eingesetzt werden - als flexible Reserve, aber nicht als Lohndrücker. So sind die Arbeitsplätze der „Stammbelegschaft“ auch bei Arbeitsplatzabbau „sicher“ und die Firmen sparen Sozialplankosten. Der Preis, den die IG Metall dafür zahlt, ist die Spaltung der Belegschaften.

Auf jeden Fall ist die Planung der Tarif-Strategen der IG Metall gescheitert, bevor die Tarifrunde begonnen hat. Mit eintägigen Flexi-Streiks richtet man wenig aus, wenn Betriebe wochenweise die Produktion aussetzen. Doch das will der IGM-Hauptvorstand nicht wahr haben. Anstatt politisch auf die kapitalistische Krise zu reagieren, wurde deren Existenz monatelang geleugnet und versucht, sie wegzurechnen.

Erst wurden die Arbeit“geber“ der Panikmache beschuldigt, dann jene Konjunkturprognose zur Begründung der Lohnforderungen herangezogen, die am meisten Optimismus vermittelt. Schließlich wurde errechnet, dass die Auftragsbestände sogar noch etwas besser als der Durchschnitt der letzten fünf Jahre und der Umsatz noch immer auf dem Niveau des Vorjahres wäre.

Die Selbstsicherheit des Hauptvorstands der IG Metall erinnert an das Pfeifen im Walde.

Es geht um viel mehr als 8%!

Die Situation ist gefährlich. Wenn die IG Metall weitermacht, als wäre nichts geschehen, oder gar auf den Arbeit“geber“-Vorschlag eingeht, die Tarifrunde zu vertagen, droht ihr eine der größten Niederlagen ihrer Geschichte. Schuld daran wäre aber nicht die zu Ende gehende Konjunktur. Wenn der Kapitalismus seine größte Krise seit mehr als einem halben Jahrhundert erlebt, dann müsste das die Stunde der Arbeiterbewegung sein.

Das Kapital hat Milliarden verloren, Millionen haben das Vertrauen in dieses System verloren - und die Agenten des Kapitals, die ManagerInnen und die PolitikerInnen, ihr Selbstvertrauen. Aber die FührerInnen der Gewerkschaften haben sich vollkommen diesem System verschrieben und sehen ihre Rolle darin, der Bourgeoisie zu helfen. Sie haben immer dafür gesorgt, dass „die deutsche Wirtschaft“ konkurrenzfähig ist, gerade in der Metallindustrie, die hauptverantwortlich dafür ist, dass Deutschland „Exportweltmeister“ ist: sehr flexible Arbeitszeiten, über tausend Abweichungen vom Flächentarifvertrag und eine „Produktivitäts-Partnerschaft“ (Huber) mit den Kapitalisten.

Letztere beschrieb die Betriebsratsvorsitzende von Nokia Bochum im Fernsehen so: „Jede Woche saßen wir einmal mit dem Management zusammen und haben überlegt, wie wir noch effektiver arbeiten ...“. Dahinter steht der Glaube, dass es den Beschäftigten um so besser ginge, je besser es dem Kapital geht. Dieser Glaube hält die Kapitalisten aber nicht davon ab, selbst zu entscheiden, wie es ihnen am besten geht. Im Fall von Nokia hieß das Verlagerung nach Rumänien; im Fall der Tarifrunde heißt das, dass sie trotz Rekordgewinnen im letzten Jahr jetzt jeden Cent brauchen.

Ihr Konkurrenzkampf verschärft sich ungemein. Es geht in der Auto-Industrie immerhin um die Frage, ob einer der ganz Großen wie Ford oder GM pleite geht oder ob Daimler aufgekauft wird.

Es geht den Kapitalisten und ihrer Regierung aber auch darum, ob sie es schaffen, die gigantischen Folgen der Krise des Systems auf die Massen abzuwälzen. Werden die Millionen, die jetzt das Vertrauen verloren haben, trotzdem geduldig für die Krise bluten? Werden sie nach den Preiserhöhungen bei Energie und Lebensmitteln, auch die Inflation, die durch die Milliarden für die Banken noch angeheizt wird, und die Einkommen, Altersvorsorge und Sparguthaben auffrisst, hinnehmen?

Die hohen Lohnforderungen aus den Betrieben zeigen, dass viele MetallerInnen das nicht wollen. Die IG Metall musste dem nachgeben, indem sie die Forderung auf 8% erhöhte, zugleich aber auch die viel weitergehenden Forderungen unterdrückte. Jetzt kommen noch die Steuererhöhungen und Sozialkürzungen, mit denen die Hilfen für die Banken finanziert werden sollen. Es drohen Entlassungen und massiver Arbeitsplatzabbau. Wie werden die Massen reagieren - und wie ihre Führung?

Ein erster Erfolg für die Regierung war, dass DGB und IG Metall das Banken-Rettungspaket als „alternativlos“ anerkannt haben. Anschließend hat Huber den Unternehmern noch signalisiert, dass er sich eine Laufzeit von 20 Monaten vorstellen könne, damit diese „verlässlich kalkulieren“ könnten. Nachdem sich die Creme des deutschen wie des internationalen Finanzkapitals total verkalkuliert hat, klingt dieser Satz wie Hohn in den Ohren der Mitglieder, die kalkulieren können, wie sie wollen, aber mit dem Geld nicht mehr hinkommen.

Aber dieses Angebot von Huber ist auch bei seinen treuesten Parteigängern im Apparat auf Unmut gestoßen. Die Verhandlungen haben gerade begonnen, es liegt noch kein Angebot auf dem Tisch und der Chef, der selbst nicht verhandelt, gibt die Karte aus der Hand, die zuletzt gespielt wird.

Anstatt also die Krise der Kapitalisten zu nutzen, macht die Führung der IG Metall diese zu ihrer eigenen - damit zu einer der gesamten Klasse. Nötig wäre es stattdessen , ein „Rettungspaket“ für alle MetallerInnen, ja für die Arbeiterklasse zu fordern und mit allen Mitteln durchzusetzen. Denn jetzt geht es nicht nur um einen „fairen Anteil“ an den Gewinnen, jetzt geht es darum, die massiven Angriffe abzuwehren, welche die MetallerInnen und alle anderen Beschäftigten und di Erwerblosen treffen.

Die IG Metall ist die größte Gewerkschaft Europas, die MetallerInnen die kampffähigste Schicht in Deutschland. Die Tarifrunde muss der Anlass sein, sich an die Spitze der Klasse zu stellen und den Kampf mit den Unternehmern aufzunehmen!

Keine einzige Entlassung, Wiedereinstellung und Übernahme aller Befristeten und LeiharbeiterInnen!

Gleitende Skala der Löhne und der Arbeitszeiten, d.h. Löhne, Renten u.a. Sozialeinkommen werden automatisch entsprechend der Inflation erhöht, die Arbeitszeit bei Lohnausgleich verkürzt, wenn die Produktion sinkt!

Offenlegung der Bücher über Produktionszahlen und Finanzgeschäfte für Arbeiterinspektionen!

Entschädigungslose Enteignung aller Betriebe, die entlassen, und Fortführung unter Arbeiterkontrolle!

Entschädigungslose Enteignung aller Banken, Versicherungen und Fonds-Gesellschaften und deren Zusammenlegung zu einem Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!

Dazu ist ein massiver Streik nötig, der alle Bereiche mit einbezieht. In den Betrieben müssen Aktionsausschüsse gebildet werden, die den Widerstand organisieren, in den Stadtvierteln müssen dies Widerstandskomitees tun, die Erwerbslose, RentnerInnen, Hausarbeitende und Jugendliche organisieren.

Basisbewegung

Gegen die Politik der Gewerkschaftsführung muss sich eine Basisbewegung organisieren - aus Vertrauensleuten, Basis-Aktivisten und den Linken in den Gewerkschaften. Die Verzichts- und Unterwerfungspolitik der Gewerkschaftsführung muss offen bekämpft werden!

In diesem Zusammenhang ist die Verschiebung der Konferenz der Gewerkschaftslinken äußerst problematisch. Sie zeigt, dass offensichtlich auch vielen Linken in den Gewerkschaften der Ernst der Lage nicht bewusst ist oder dass sie sich von der Politik der Gewerkschaftsführung einlullen lassen.

Deshalb ruft die Gruppe Arbeitermacht die Gewerkschaftslinke, die Erwerbslosenbewegung, SchülerInnen und StudentInnen auf, gemeinsam eine Konferenz der Sozialen Bewegungen zu organisieren und - neben der Unterstützung aller Streiks und Arbeitskämpfe - eine bundesweite politische Großdemonstration für Anfang 2009 vorzubereiten. Auf dass 2009 nicht nur das Jahr der tiefsten Krise des Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch ein Jahr des erfolgreichen Widerstandes wird.

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Nr. 134, Nov. 2008
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