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Sozialistische Alternative Voran (SAV)

Welche Alternative?

Hannes Hohn, Neue Internationale 134, November 2008

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise wird die Alternative zum Kapitalismus für immer mehr Menschen zu einer relevanten Frage. Mehr noch: die kommenden Angriffe werden weltweit ArbeiterInnen, Bauern, Arme und Jugendliche dazu zwingen, sich zu wehren.

Hierzulande sorgten vor Jahren schon Agenda 2010 und Hartz-Gesetze für eine erste Zuspitzungen im Klassenkampf: Hunderttausende demonstrierten, die SPD rutscht seitdem immer tiefer ab, Tausende suchten in der WASG nach einer Alternative zu ihr.

Dieser Aufbruch ist inzwischen abgeflaut und kommt politisch v.a. in Form von Wählerstimmen der LINKEN zu gute. Deren Politik bewegt sich zwischen oppositionellem, aber meist unverbindlichem, Populismus und offener Unterstützung der Maßnahmen von Regierung und Kapital. Ihre zum „Rettungspaket“ der Regierung im Bundesrat und mehr noch ihre Einschätzung, dass diese Maßnahmen richtig und alternativlos wären, zeigen das erneut.

Trotz dieser Politik trat die Sozialistische Alternative Voran (SAV) kürzlich auch im Osten in die LINKE ein, nachdem sie im Westen schon vorher deren Mitglied war. Wir wollen zeigen, warum der Entrismus der SAV, ja ihre gesamte Politik, ungeeignet sind, eine revolutionäre antikapitalistische Kraft aufzubauen.

Programmatik

Für MarxistInnen ist das Programm von zentraler Bedeutung, weil es ein System von Strategie und Taktiken darlegt und den Übergang vom alltäglichen Klassenkampf hin zur Machteroberung durch das Proletariat aufzeigt. Dieses Übergangsprogramm benennt, was objektiv notwendig ist, damit die Klasse siegen kann. Erfüllt das Programm  der SAV diesen Anspruch?

Neben vielen Positionen, die auch wir teilen, fehlen dem Programm der SAV jedoch wesentliche Elemente, die ein marxistisches Programm ausmachen. Das mit „Übergangsprogramm“ betitelte Schlusskapitel des SAV-Grundsatzprogramms enthält keine einzige Übergangslosung! So ist z.B. von einer auf Mobilisierungen, Räte und Milizen gestützten Arbeiterregierung keine Rede. Ganz zu schweigen davon, dass ein Übergangsprogramm seine revolutionäre Sprengkraft erst dann entfaltet, wenn es ein System von miteinander verbundenen Überhangsforderungen enthält. Ein Vergleich des „historischen“ Übergangsprogramms Trotzkis von 1938 (o.a. revolutionären Programmen) mit dem der SAV erweist den kompletten Verlust des revolutionären Gehalts im Papier der SAV.

Es fällt auch auf, dass das SAV-Programm zwar an anderer Stelle betont, dass der bürgerliche Staat für die Zwecke des Sozialismus unbrauchbar ist und dafür Räteorgane notwendig sind - doch darüber, wie die Arbeiterklasse ihre Macht errichten kann, findet sich kein Wort. Es wird verschwiegen, dass der bürgerliche Staat nicht einfach ersetzt werden kann, sondern gewaltsam zerschlagen werden muss. Insofern wundert es dann nicht, dass das Programm auch die Notwendigkeit der Bewaffnung der Klasse (z.B. Arbeitermilizen) nicht erwähnt. So wird die Arbeiterklasse und speziell deren Vorhut im Unklaren darüber gelassen, dass ein friedlicher Übergang zum Sozialismus nicht möglich ist.

Die Position der SAV in der Staatsfrage ist damit schlicht unmarxistisch.

Diese Position der SAV entspricht ganz der traditionellen Methode der Militant/CWI-Strömung. Sie ist einer falschen, mechanischen Einschätzung der Entwicklung von Klassenkampf und Klassenbewusstsein geschuldet. Inwiefern?

Für die SAV bedeutet „Sozialistisches Bewusstsein (...) die Vorstellung von einer Systemalternative zum Kapitalismus.” (Grundsatzprogramm der SAV)

Schon das ist verkürzt. Sozialistisches Bewusstsein bedeutet auch und vor allem, eine präzise Vorstellung davon zu haben, wie der Klassenkampf erfolgreich geführt und der Kapitalismus gestürzt werden kann. Die Vorstellung der SAV ähnelt da mehr dem Sozialismus als “Vision” oder “Ideal”, wie man es von linken Reformisten hört.

Unterhält man sich mit SAV-Mitgliedern, so hört man oft: „Ihr habt ja recht mit Eurer Kritik in der Staats-Frage. Wir wissen schon, dass die Arbeiterklasse auch bewaffnet kämpfen muss, doch das kann man heute nicht sagen, weil das die Leute verschreckt.“ Nebenbei bemerkt: Die Befürchtung, mit der Wahrheit zu „verschrecken“, träfe auch auf viele anderen Positionen und Forderungen (Sozialismus, Planwirtschaft usw.) zu.

Diese „Rücksichtnahme“ auf das mangelhaft entwickelte Klassenbewusstsein ist allerdings in mehrfacher Hinsicht falsch. Erstens wird das Bewusstsein durch das Verschweigen der Wahrheit nicht verändert; zweitens richtet sich marxistische Propaganda und auch Agitation nie einfach an „die Klasse“, so wie sie ist, sondern so, wie sie werden muss. Dabei zielt sie auch und v.a. auf die fortgeschrittensten Elemente. Um diese aber zu gewinnen - und zwar auf Basis eines marxistisch-revolutionären, nicht aber eines „linken“  Programms -, ist es unverzichtbar, zu sagen „was ist“. Nicht zufällig legten alle großen RevolutionärInnen so viel Wert auf das Programm und lehnten es stets ab, auf nichtrevolutionäre Ideologien Rücksicht zu nehmen. Wenn dies die SAV in der Frage des Programms dennoch tut, dann hat das mit einer weiteren Eigenheit ihrer politischen Methode zu tun.

Klassenbewusstsein

Die SAV (und die Militant-Tradition) gehen davon aus, dass sich das Klassenbewusstsein im Klassenkampf entwickelt. Zugleich - und hier unterscheidet sich die SAV von anderen Linken - bedarf es aber einer sozialistischen Partei. Der methodische Fehler der SAV liegt nun darin, dass sie davon ausgeht, dass das Klassenbewusstsein notwendigerweise eine linksreformistische Phase durchlaufen müsse. Dem ist dann auch die Programmatik der SAV angepasst; aus dem erklärt sich auch, warum die SAV immer wieder zur Entrismustaktik greift, obwohl wenn die Bedingungen dafür nicht gegeben sind.

Die SAV unterschätzt in ihrem Parteiaufbaukonzept zwei wichtige Aspekte: Zum einen gewinnt man für die revolutionäre Organisation nie „die Klasse“, sondern zuerst deren Vorhut oder sogar nur eine extreme Minderheit von ihr; zum anderen unterschätzt sie, dass das Bewusstsein - v.a. der Vorhut - auch jähe Wendungen und Sprünge vollzieht und sich weder ideologisch noch organisatorisch immer am linken Reformismus orientiert.

Auch die jahrzehntelangen Erfahrungen des revolutionären Klassenkampfes belegen, dass das „evolutionäre“ Konzept der SAV - und vieler anderer Linker - falsch ist. Die Methode, das Programm „abzumildern“, um „die Massen“ schneller zu gewinnen, wurde und wird in der Linken fast inflationär gebraucht. Einen Erfolg, d.h. die Schaffung einer revolutionären Massenpartei hatte sie nie.

Erfolge dabei gab es aber gerade dann, wenn MarxistInnen mit einem wirklich revolutionären Programm in den Klassenkampf eingegriffen haben und alle (!) nichtrevolutionären Ideologien scharf kritisiert haben. Das war die Methode Lenins, das ist nicht die Methode der SAV.

“Durch Serien von verallgemeinerten Klassenkämpfen wird sich wieder sozialistisches Bewusstsein entwickeln.” (ebenda) Falsch! Aus diesen Entwicklungen ergibt sich spontan eben kein revolutionäres Bewusststein. Dieses muss und kann nur “von außen” (Lenin) in die Klasse getragen werden - auch deshalb, weil bürgerliche Verhältnisse eben spontan und massenhaft auch nur bürgerliches Bewusstsein erzeugen können.

Aktionsprogramm?

Angesichts solch grundlegender ökonomistischer Abweichungen vom Marxismus und vom Leninismus verwundert es auch nicht, dass sich das SAV-Programm als wenig tauglich für den aktuellen Klassenkampf erweist.

Was die SAV in ihrem Grundsatzprogramm konkret vorschlägt, geht im Kern nie über das hinaus, was auch linke ReformistInnen oder linke GewerkschafterInnen vertreten. Das zeigt sich z.B. im Passus zu Gewerkschaften. Dort heißt es u.a.: “Sie (die SAV, d.A.) unterstützt und initiiert von unten gebildete Streik- und Aktionskomitees, wilde Streiks, Betriebsbesetzungen, oppositionelle Betriebsratslisten als ein Mittel, um die Blockade der Gewerkschaftsbürokratie zu brechen.”

All das ist richtig - doch all das reicht eben nicht aus, um die Blockade der Bürokratie zu brechen. Dazu bedarf es auch einer organisierten Basisopposition in Betrieben und Gewerkschaften, unter Arbeitslosen usw., die systematisch gegen die Bürokratie kämpft und eine organisatorische und politische Alternative zum Apparat darstellt. In letzter Instanz ist der Aufbau einer kommunistischen Fraktion in den Gewerkschaften notwendig, die um die Führung kämpft. Auch davon bei der SAV kein Wort! Was sie programmatisch vertritt, ist im Grunde das, was auch der linkere Teil des Apparats vertritt.

Was ist gegenwärtig der “Knackpunkt” im Klassenkampf? Im Grunde geht es - zunächst - einmal darum, eine Kraft zu formieren, die stark und entschlossen genug ist, die Angriffe von Staat und Kapital zurückzuschlagen und den Auswirkungen der Krise zu begegnen. Das ist mit den bisher zu beobachtenden, von einander isolierten betrieblichen oder sektoralen Kämpfen nicht möglich - auch deshalb, weil sie in dem von den Reformisten “vorgegebenen” Rahmen ökonomischer Forderungen verbleiben. Daraus kann es nur einen Schluss geben: Notwendig sind politische Massenstreiks!

Die SAV stellt diese Forderung nicht auf! Nicht nur das: Die Plattform zur Aktionseinheit zur Massendemo gegen die “Deckelung” im Gesundheitswesen, der diese Forderung enthielt, lehnet das SAV-dominierte “ver.di-Netzwerk” ab, weil - Wer hätte es gedacht? - diese Forderung “abschrecken” würde.

Entrismus

Auch der vollständige Eintritt der SAV in die LINKE ist ein Beleg dafür, dass der Politik der SAV nicht die Methode des revolutionären Trotzkismus zugrunde liegt und sie objektiv dem linken Reformismus zuarbeitet.

Trotzki sah den Entrismus (Eintritt)in reformistischen/zentristischen Organisationen als Taktik an, die unter bestimmten Bedingungen für KommunistInnen sinnvoll sein kann. Diese Bedingungen sind:

tiefe Krise der Partei, die Kontrolle der Bürokratie über die Organisation ist vakant;

es existiert ein relevanter kämpferischer linker/nach links gehender Flügel;

eine offene Arbeit - d.h. das Vertreten eines revolutionären (!) Programms - und Kampf gegen die Führung in dieser Partei sind nicht nur möglich, sondern auch am günstigsten, um die Avantgarde der Klasse für ein revolutionäres Programm, einen Bruch mit dem Reformismus und den Aufbau einer kommunistischen Partei zu gewinnen.

In der LINKEN sind diese Bedingungen aktuell nicht gegeben! Die richtige Einschätzung, dass die Politik der LINKEN in wichtigen Fragen falsch ist und sie keine aktive, klassenkämpferische Partei ist, koppelt die SAV aber mit der Ansicht, dass sie durch die Hinwendung der Massen (die v.a. eine elektorale ist) von außen verändert würde. Doch diese Hinwendung erfolgt auf Basis reformistischer Illusionen und nicht auf Grund der Einsicht, dass die LINKE für die Zwecke des Kampfes ein untaugliches Instrument ist.

Welcher Flügel?

"Die SAV tritt für den Aufbau eines marxistischen Flügels ein (...)". So kennzeichnet die SAV das Ziel ihres Entrismus. Gemäß ihrer Methode nimmt sie an, dass die Massen unter dem Druck des Klassenkampfes in die LINKE strömen. Daher müssten RevolutionärInnen darin arbeiten und die Massen quasi dort "abholen", wo sie sind. Das heißt für die SAV, sie mit einem links-reformistischen Programm abzuholen.

Deshalb vermeidet es die SAV auch hier, offen zu sagen, was objektiv nötig ist, um den Kapitalismus zu überwinden und im Klassenkampf zu siegen. Das würde u.a. bedeuten, den politischen Schulterschluss zwischen (linkem) DGB-Apparat und der LINKEN zu attackieren. Das gerade tut die SAV aber nicht. Diese zentralen Fragen zu “umgehen” bedeutet aber, den reformistischen Ideologen Gysi, Lafontaine usw. das Feld zu überlassen. Es bedeutet, die Massen - und insbesondere deren Vorhut - und nicht zuletzt die eigene Mitgliedschaft zu irritieren, sie politisch im Unklaren zu lassen über die Aufgaben und Herausforderungen des Klassenkampfes.

Dazu kommt, dass es in der LINKEN kein relevantes oppositionelles Milieu, geschweige denn einen Flügel oder gar eine Fraktion gibt. Aber es ist eine alte Übung von Zentristen, einen real nicht vorhandenen "linken Flügel" dadurch zu kreieren, indem sie selbst diesen Flügel darstellen. Doch selbst wenn es ihn geben würde, erweist sich das Programm der SAV als völlig ungeeignet dafür, aus diesem Milieu einen marxistischen Flügel zu schaffen.

Die SAV “fordert:

- Ablehnung jeder Form von Sozialkürzungen, Stellenstreichungen und Privatisierungen

- Nein zu Regierungsbeteiligungen mit Sozialabbau-Parteien - egal ob über Koalitionen oder Tolerierung. Stattdessen Einzelfallentscheidungen bei jeder Abstimmung im Parlament, immer abhängig von den Interessen der arbeitenden Bevölkerung

- Austritt der LINKEN aus dem rot-roten Senat in Berlin

- Aktive Teilnahme an Kämpfen auf der Straße und in Betrieben. Für Massenmobilisierungen und Widerstand, um die Angriffe der Herrschenden zu stoppen

- Gegen Krieg und Imperialismus: Stopp aller Auslandseinsätze der Bundeswehr - auch unter UN-Mandat

- Sozialismus nicht als Fernziel: Der Kampf für Verbesserungen muss mit dem Kampf für eine sozialistische Demokratie verbunden werden. Wir wollen weder die Diktatur der Banken und Konzerne noch die Herrschaft einer abgehobenen, privilegierten Bürokratie wie in der DDR

- Für innerparteiliche Demokratie: Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionären. Für einen durchschnittlichen Tariflohn für alle Mandatsträger und Hauptamtlichen" (SAV-homepage)

Hier können wir den "Marxismus" der SAV gut sehen: ein Marxismus, der die Enteignung der Klasse der Bourgeoisie nicht kennt; ein Marxismus, der Machtorgane der Klasse nicht kennt; ein Marxismus, der keine Aussage zum Staat trifft!

Nein, die Politik der SAV führt nicht Kräfte im Kampf gegen den Reformismus zusammen - sie ordnet diese dem (linken) Reformismus unter.

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