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Bildungsmisere

Gegen die bürgerliche Bildungsreform!

Rolf Rabe, Neue Internationale 134, November 2008

Kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein weiterer „Bildungsgipfel“ mit Kanzlerin, Kultusministern, Pädagogen, Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaftern und Rektoren Vorschläge präsentiert, wie der „Bildungsnotstand“ behoben werden soll. Schließlich hänge davon die Zukunft „Deutschlands“, also des hiesigen Imperialismus, ab. Auch die Mittel- und Unterschichten hätten mehr vom Leben, wenn sie besser ausgebildet würden.

Bei diesen Unternehmungen kommt in der Regel wenig bis nichts heraus, jedenfalls nichts Brauchbares. Ein Förderprogramm hier, eine Reformkommission da. Selbst bei der herrschenden Klasse hält sich die Begeisterung in Grenzen.

Dabei haben neoliberale Reformen (Privatisierung, Ausweitung der „Drittmittel“ und damit des direkten Kapitalzugriffs, Aushöhlung der beruflichen Bildung, Reduktion der Kosten für das Kapital und Abwälzung auf die Eltern) das Bildungssystem verändert und seine Krise verschärft.

Arbeitskraft

Eine wesentliche Aufgabe von Bildung im Kapitalismus liegt in der Qualifizierung der Ware Arbeitskraft. Diese ist durch die Entwicklung der Produktion und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung selbst einem stetigen Wandel unterworfen.

Dabei war und ist in der bürgerlichen Gesellschaft selbst eine allgemeine Grundlagenbildung (Lesen, Schreiben, Rechnen) für alle Klassen keine Selbstverständlichkeit. Bildung und Bildungsreformen - selbst wenn auch für das Gesamtkapital ab einer gewissen Entwicklungsstufe eine Notwendigkeit - mussten der herrschenden Klasse immer abgerungen werden. Während in den kapitalistischen Metropolen ist mit Beginn der imperialistischen Epoche eine allgemeine Schulpflicht und Grundlagenbildung auch für die Arbeiterkinder eingeführt wurde, so ist in vielen Halbkolonien, also für einen großen Teil der Menschheit selbst dieser Standard bis heute nicht erreicht.

Zugleich benötigt der sich ständig umwälzende Produktionsprozess immer mehr Menschen, die nicht nur lesen, schreiben und rechnen können, sondern höher qualifiziert sind. Um mit der Konkurrenz mithalten zu können, ist jeder Kapitalist darauf angewiesen, die Produktivität zu erhöhen. Dies geschieht vor allem durch Automatisierung und stärkere Verwissenschaftlichung. Zugleich benötigt man jedoch auch niedrig qualifizierte ArbeiterInnen.

Mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus geht daher eine Unterteilung und Spezialisierung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit einher, die nicht nur zwischen den Klassen, sondern auch innerhalb der Lohnarbeit zu einer Differenzierung von Bildung und Ausbildung führt. Die Veränderungen im Ausbildungs- und Bildungssystem spiegeln das wider.

Auf die Spitze getrieben wurde das mit dem Taylorismus. Die Arbeit wurde in kleinste Schritte unterteilt. Es wurde versucht, die Arbeit so sehr zu zergliedern, dass die einfachsten Arbeitsschritte übrig blieben, die auch von ungelernten Kräften geleistet werden konnten. Der Sinn dahinter ist die Möglichkeit, diese ungelernten Kräfte extrem schlecht bezahlen zu können.

Die wenigen Facharbeiter und Spezialisten werden dann oft verhältnismäßig gut bezahlt, weil sie an einer strategischen Position in der Produktion arbeiten. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn sie vom Produktionsablauf “um die Maschine herum” befreit sind und diese Arbeiten dann von schlechter bezahlten ArbeiterInnen verrichtet werden.

Bildung im Kapitalismus hat jedoch noch andere Aufgaben. Dazu gehört die Ideologievermittlung, die Reproduktion und Legitimation der Gesellschaftsstruktur. Der Fokus liegt auf der Heranziehung arbeitsfähiger unmündiger Leistungserbringer, wobei Noten als Disziplinierungsmittel dienen und das Verhältnis von Leistungserbringern (SchülerInnen - ArbeiterInnen) und Leistungsforderern (LehrerInnen - Kapitalisten) reproduzieren. Dazu bemerkte schon Wilhelm Liebknecht 1891 in „Wissen ist Macht, Macht ist Wissen“: „So wird die Schule zur Dressuranstalt statt zur Bildungsanstalt“.

Bildungssystem und Kapital

Ein zentrales Problem für das Kapital sind die Kosten für die Bildung. Zudem wird durch Bildungszeit zeitweilig Arbeitskraft dem Arbeitsprozess entzogen und kann nicht ausgebeutet werden.

Daher hat jeder Einzelkapitalist immer Interesse daran, Bildungskosten und Dauer so gering wie möglich zu halten. Es wird teilweise sogar versucht, die konzerneigene (Aus)Bildung so zu strukturieren, dass sie noch Profite schafft, wie z.B. bei Volkswagen und VW Coaching zu sehen. So verdient VW sogar noch an den - schlechter bezahlten - Auszubildenden, indem diese schon in der Ausbildung produzieren.

Andererseits ist vom Standpunkt des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ein bestimmtes Bildungs- und Qualifizierungsniveau der Arbeitskraft notwendig, selbst wenn sie dem einzelnen Kapitalisten immer nur als unproduktive, überschüssige Kosten gegenübertreten. Daher wurden in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft oft genug eine Modernisierung der Bildung durch eine Kombination gesellschaftlichen Drucks (aus der Arbeiterklasse, aber auch aus den Mittelschichten) sowie staatlicher Intervention erreicht.

Da das staatlich organisierte Bildungssystem aus Sicht der Wirtschaft zu teuer ist und man ja mit diesem Sektor auch Profite erzielen könnte, wird über verschiedene Wege versucht, einerseits die staatlichen Bildungskosten zu senken, andererseits immer mehr Bereiche zu privatisieren, um sie profitabel vermarkten zu können.

So agiert beispielsweise die Bertelsmannstiftung im Bereich von Rankings für Hochschulen und Schulen, um eine Messbarkeit von Bildungs“leistung“ einführen zu können. Wenn man nämlich etwas in die Marktwirtschaft eingliedern will, muss man dessen Preis kennen. Vor allem muss Bildung als Ware erst einmal etabliert werden. Hier war die SPD sofort zu Stelle, als sie in Nordrhein-Westfalen erstmals Studienzeitkonten einführte. Außerdem setzt sich die Bertelsmannstiftung inklusive des CHE (Centrum für Hochschulforschung) offen für die Einführung von Studiengebühren ein.

Ein häufig benutztes Argument für die Privatisierung von Bildung sind die angeblich leeren Staatskassen. Wie man an vielseitigen Ausgaben für andere Dinge sieht, kann dies jedoch nicht das wahre Argument sein, für die Rettung der Banken gab es ja auch innerhalb einer Woche 500 Milliarden. Zudem ist die Zahlungsmisere von Staat und Kommunen einerseits durch den Schuldendienst an das Kapital verursacht, andererseits durch die permanente Steuerentlastung der Konzerne.

Obwohl sich Deutschland gern als „Land der Bildung“ darstellt, wird hier im Sinne kapitalistischer Notwendigkeit zwar mehr Geld für Elitebildung (z.B. Exzellenzinitiativen) ausgegeben, die Grundbildung jedoch oft runtergefahren. Einst erkämpfte Bereiche werden geopfert: sei es ein komplett gebührenfreies Studium (das durch die Initiative Hamburger Studenten erkämpft wurde), die Lehrmittelfreiheit oder die Abschaffung von Schulgeld. Diese fiskale „Unterbietungspolitik“ schürt die Notwendigkeit, immer mehr Bildungsbereiche zu rationalisieren, zu kürzen und kostengünstiger zu machen. So wird also gleichzeitig der Kostenfaktor Bildung minimiert und gleichzeitig dem Kapital neue Bereiche der Profitmacherei erschlossen.

Es gibt zwei Gruppen im Bildungsbereich, die unter diesem System besonders leiden: die SchülerInnen/Studierenden und die Lohnabhängigen.

Die SchülerInnen und Studierenden müssen in kürzerer Zeit immer straffere Inhalte, fern von den eigenen Interessen, spezialisiert auf die Arbeitsmarkterfordernisse aufnehmen. Das G8-Abitur, also die Verkürzung der Abiturzeit auf 8 statt 9 Jahre, sticht hier besonders hervor. Es dient dazu, den gleichen Inhalt in einem Jahr weniger zu lernen. Zugleich führt es zur „Verschulung“ des Lebens und ist nichts anderes als eine Einschränkung, ein Raub von Kindheit und Jugend. Die Selektion und der Stress, der hieraus für SchülerInnen und Eltern entstehen, werden bewusst ignoriert. Die Einführung von Bachelorstudiengängen an den Universitäten europaweit geht in die gleiche Richtung und befördert zugleich Halbwissen wie Fachidiotie.

Die Beschäftigten im Bildungswesen müssen bei privatisierten Sektoren auch einem verstärkten Leistungsdruck standhalten. Dies geschieht u.a. durch ständige Rankings und Ratings, aber auch durch immer prekärere Arbeitsverhältnisse. So wurde es nicht nur in Hessen immer mehr zur Normalität, dass LehrerInnen nach den Sommerferien eingestellt wurden und ihr Vertrag nur bis zum Anfang der nächsten Sommerferien galt. Dann waren sie 6 Wochen arbeitslos und mussten hoffen, kurzfristig wieder einen Einjahresvertrag zu erhalten. Etlichen LehrerInnen geht dies schon seit Jahren so.

Eine gute Bildung kann so gar nicht funktionieren. Auch für die Beschäftigten heißt das, ein Leben in Unsicherheit und ständiger Anbiederung an die Schule führen zu müssen. Und wenn dann doch Arbeitslosigkeit eintritt, werden einige ausgebildete PädagogInnen zum 1 Euro-Job verdonnert, was wiederum Druck auf die normal Beschäftigten ausübt. Und das, obwohl die LehrerInnen oftmals schon unter solchem Druck arbeiten, dass viele von ihnen dauerhaft krank werden und stressbedingt früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden - bei bis zu 35 SchülerInnen pro Klasse kein Wunder!

Wie kämpfen?

Die praktischen Erfahrungen in Bildungskämpfen zeigen immer wieder: Isolierte Proteste sind wirkungslos. Vor allem isolierte Proteste von Studierenden oder SchülerInnen allein setzen nicht da an, wo es dem Kapital weh tut oder die Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt - in Verbindung mit streikenden ArbeiterInnen jedoch sieht das Ganze schnell anders aus. So zeigten die CPE-Proteste in Frankreich, wie effektiv und dynamisch eine Protestbewegung werden kann - und wie erfolgreich, wenn es in der Aktion einen Schulterschluss von Gewerkschaften, von ArbeiterInnen und der Jugend gibt.

Dazu ist auch hierzulande eine organisierte, klassenkämpferisch ausgerichtete SchülerInnen- und Studierendenbewegung nötig. Sonst verpuffen Bildungsproteste wie die Studiengebührenproteste in Hessen und viele engagierte und motivierte junge Leute werden enttäuscht. Die ReformistInnen von attac, Jusos u.a. spielten bei den Uni-Protesten stets eine demobilisierende Rolle, weil sie a) die überregionale/nationale Koordinierung der Aktionen und die Schaffung entsprechender Strukturen ablehnten und b) die Bildungsproteste als „eigenständige“ Bewegung ansahen und nicht als besonderen Sektor des Klassenkampfes.

Nur eine organisierte Studierenden- und SchülerInnenbewegung kann die Verhältnisse in Frage stellen, nur zusammen mit der organisierten Arbeiterklasse können sie die Verhältnisse verändern!

12. November: Bundesweiter Bildungsstreik!

Am 12. November werden bundesweit tausende SchülerInnen, aber auch LehrerInnen und Studierende auf die Straße gehen, um gegen die Misere zu protestieren. Die kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION tritt dabei für folgende Forderungen ein:

Kostenlose Bildung für alle! Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit! Klassenfahrtsoli für alle - und zwar umsonst!

Nein zur selektiven Bildung! Weg mit dem mehrgliedrigen Schulsystem!

Abschaffung aller Studien- und Schulgebühren! Studien -und Ausbildungsplätze für alle!

Mindesteinkommen für alle SchülerInnen, StudentInnen und Azubis von 1000 Euro!

Rücknahme aller Kürzungen und Arbeitszeitverlängerungen im Bildungsbereich, Neueinstellung von LehrerInnen - voller Personal -und Kostenausgleich in den Bildungsetats!

Für kleine Klassengrößen, bessere Ausstattung und sofortige Rücknahme des Turbo-Abiturs!

Für freie und selbstverwaltete SchülerInnenräume, volle Organisierungs- und Propagandafreiheit aller SchülerInnen an Schulen!

Für volles Aktions- und Streikrecht aller SchülerInnen, LehrerInnen und der Beschäftigten!

Aber diese Aktionen, diese Forderungen sind nur ein erster Schritt, um unsere Lebensbedingungen zu verbessern. Am kapitalistischen System, an der Ursache der Misere ändern sie nichts Grundlegendes.

Genau das wollen wir aber. Das heißt erstens, dass wir nicht nur als SchülerInnen, sondern gemeinsam mit den Beschäftigten an den Schulen (von den LehrerInnen bis zum Reinigungspersonal) und Unis kämpfen müssen; dass wir den Kampf gegen die Angriffe an der Schule mit den Gewerkschaften und ArbeiterInnen gegen Lohnraub, Entlassung und Inflation verbinden wollen.

Das heißt aber auch, dass wir unsere Aktionsformen radikalisieren müssen: Nicht nur ein Streik jedes halbe Jahr, sondern Besetzungen! Vor allem aber müssen den Kampf um die Kontrolle über das Bildungssystem und die gesamte Gesellschaft aufnehmen und diese Kapital und Staat entreißen.

Mehr Infos: www.onesolutionrevolution.de

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Nr. 134, Nov. 2008
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*  IG Metall-Tarifrunde: ... und plötzlich ein Abgrund
*  Heile Welt
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*  SAV: Welche Alternative?
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