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Kinderbetreuung

Kitas und Reservearmee

Alice Berg, Neue Internationale 119, April 2007

Beifall aus der ganzen Republik für die zurzeit lt. Umfragen-populärste Ministerin: Ursula von der Leyen (CDU). Bis 2013 will sie das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren verdreifachen, durchschnittlich 35% aller Kleinkinder sollen dann versorgt sein. Dafür sollen 3 Mrd. Euro investiert werden. Nach Berechnung ihres eigenen Ministeriums wären es allerdings doppelt soviel.

Abgesehen vom damit verbunden Konflikt um die Finanzierung entfacht dieser Vorstoß aber eine „Wertedebatte.“ Wahlfreiheit soll Frau haben, sich ohne Druck und ohne große finanzielle Einbußen für Arbeit und Familie oder nur für die Familie entscheiden können.

Differenzen

An diesem Punkt scheiden sich die Geister innerhalb der CDU/CSU. Der konservative Flügel spricht von einer Benachteiligung derjenigen, die sich ausschließlich der Kinderbetreuung zuwenden wollen. Und "die Familienpolitik dürfe keine Unterabteilung der Arbeitsmarktpolitik werden." (Huber, CSU). Bischof Mixa verwendete gar den Begriff der "industriellen Reservearmee". Wie wahr die Herren, sie treffen - wenn auch unfreiwillig - den Nagel auf den Kopf.

Das Ziel des Vorstoßes von Frau von der Leyen ist nicht mehr Frauen- und Familienfreundlichkeit. Es geht darum, dem Kapital genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Von den Befürwortern des Projekts gibt das aber nur Ministerpräsident Böhmer aus Sachsen-Anhalt offen zu. Genügend heißt in diesem Fall natürlich nicht, dass es zu wenige Arbeitskräfte gäbe. Im Gegenteil: Der größte Haken an der Sache ist ja, dass von der Leyen suggeriert, dass die Arbeitsplatzchancen für Frauen mit Kindern größer würden. Doch bei schon jetzt real etwa 5 Millionen Erwerbslosen und einem ganzen Heer von Billigjobbern ist das ein Witz. Vergrößert wird das Arbeitskräfteangebot, nicht das Angebot an Jobs.

Auch künftig sollen genügend Arbeitssuchende um freie Stellen konkurrieren, Personalchefs sollen auch weiterhin viel Auswahl haben und zugleich die Möglichkeit, Löhne und Gehälter in der Konkurrenz zu drücken. Frauen, insbesondere junge Mütter, sind da in dieser Hinsicht ideale Bewerberinnen, denn ihr Gehalt wird noch immer als das des "Zweitverdieners" angesehen und noch immer liegen die Einkommen der Frauen für vergleichbare Jobs ein Drittel bis ein Viertel unter dem der Männer.

Hinter von der Leyen, Koch und Co. stehen also die Bedürfnisse des Kapitals nach einem gesteigerten Arbeitskräfteangebot. Die „Wertedebatte“, die vor allem von der CSU betrieben wird, deutet auf etwas anderes hin. CDU und CSU können nicht allein davon leben, die Interessen des Kapitals zu vertreten.

Sie müssen auch Teile des Kleinbürgertums und sogar der Arbeiterklasse in Wahlen für sich gewinnen. Diese WählerInnen haben aber durchaus andere Interessen als das Kapital und müssen deshalb entweder mit Brosamen vom Tisch der Kapitalisten oder mit ideologischem Plunder bei der Stange gehalten werden. Besonders nötig hat dies die CSU, der es in Bayern aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Lage lange möglich war, Bauern, Handwerker und Teile der Arbeiterschaft am "Wohlstand" teilhaben zu lassen.

Diese Möglichkeiten schwinden in der verschärften kapitalistischen Konkurrenz. Auch in Bayern fließen Milch und Honig nicht mehr wie gewohnt und die Stimmen für die CSU fallen. Fest steht jedenfalls, dass es beiden Seiten - den Unterstützern von der Leyens wie deren Kritikern - nicht um die Frauen geht. Beide Seiten vertreten nur unterschiedliche Standpunkte zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung und der Erhaltung seines Unterdrückungsapparates. Dies wird durch die Einseitigkeit der Debatte deutlich, die auch ignoriert, dass Frauen nach wie vor für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden.

Worum es aber auch geht, ist eine bessere Betreuung von Vorschulkindern, da z.B. die PISA-Studie offen gelegt hat, was eigentlich ohnehin jede(r) weiß: Lernfähigkeiten und Bildung hängen sehr direkt auch von einer guten Vorschulerziehung ab. Auch dem Kapital ist aber daran gelegen, dass der proletarische Nachwuchs, also die künftig Auszubeutenden, einigermaßen fit ist. Die konservative Wertedebatte widerspiegelt hier auch, dass es manchmal einen Widerspruch gibt zwischen den Anforderungen des Kapitals und den diversen ideologischen Schrullen der Parteipolitik.

Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit lässt das Zusammenleben immer mehr zu einem gestressten Management-Unterfangen mutieren. Auch Arbeitszeiten auf Abruf oder längere Ladenschlusszeiten sind alles andere als kinderfreundlich. Im Handel entstehen kaum neue Stellen für die Abendöffnungszeiten, es wird nur umgeschichtet.

Systemfrage

Überhaupt: Nur auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene wäre eine ernsthafte Familienpolitik sinnvoll zu diskutieren. Eine „familien- und frauenpolitische“ Flickschusterei, die die grundlegenden Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft nicht antasten will, mag medienwirksam sein - realitätstauglich ist sie nicht.

Frauen brauchen - ebenso wie Männer, die sich mit Kindererziehung befassen wollen - generell kürzere Arbeitszeiten, Flexibilität nach ihren Bedürfnissen, z.B. keine Arbeit auf Abruf. Für viele allein erziehende Mütter ist es ein Hohn, wenn die gleichen „modernen“ CDUler, die von „Wahlfreiheit“ sprechen, sich mit Händen und Füssen gegen Mindestlöhne wehren.

Gerade Frauen mit schlechterer Ausbildung und mit Kindern landen in den Branchen, die am wenigsten zahlen und geringste Rechte zugestehen.

Selbstverständlich müssen die Kindertagesstätten kostenlos und rund um die Uhr verfügbar sein. Statt Steuergeschenken für das Kapital - die Unternehmer sollen für Arbeitskräfte zahlen, auch für deren Nachwuchs!

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Nr. 119, April 2007
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