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Polemik

Die Linkspartei und die Palästina

Hannes Hohn, Infomail 766, 4. August 2014

Obwohl es in der Linkspartei auch Mitglieder und FunktionärInnen gibt, die sich im Nahost-Konflikt auf die Seite der PalästinenserInnen stellen - vielleicht sogar die Mehrheit der Mitgliedschaft - wird die Politik der Partei von der Führung bestimmt, konkret heißt das: von der Fraktion. In dieser Hinsicht hat die LINKE das Modell der SPD, wo die Fraktion bzw. die Regierungsmitglieder auf Landes- oder Bundesebene die Politik der Partei bestimmen, nachvollzogen. Natürlich drückt sich darin auch der Umstand aus, dass die Mitarbeit im bürgerlichen Politik-System eindeutig Vorrang hat vor dem außerparlamentarischen Klassenkampf.

Daraus ergibt sich eine gewisse „Schieflage“ der Linkspartei. Einerseits die Mehrheit der Mitgliedschaft, die sich eher auf die Seite der PalästinenserInnen stellt, andererseits die Mehrheit der Führung - des Vorstands und der Fraktion - sowie des Apparats, die eine andere Haltung dazu hat.

Wie sieht diese Haltung aus? Natürlich bedauert man die Opfer unter den PalästinenserInnen, natürlich verurteilt man die Art und Weise des Vorgehens Israels, das „über die Stränge schlägt“; natürlich verurteilt man die  Isolation von Gaza usw. usf. Gleichzeitig betont man aber das „legitime“ Interesse Israels auf „Selbstverteidigung“, betont man die Ablehnung von Antisemitismus und die „Verantwortung“ Deutschlands nach den Erfahrungen des Holocaust.

Scheinbar wird diese „Mittelposition“ den Interessen beider Seiten, Israels wie Palästinas, gerecht. Schauen wir uns an, ob dem wirklich so ist.

Die Rolle von Gregor Gysi

Gregor Gysi, Fraktionschef (und immer noch die zentrale Figur der Linkspartei), hat bereits vor einigen Jahren klar gesagt, dass „das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehört“ und  auch von der LINKEN akzeptiert werden müsse. Diese Position hat er seitdem mehrfach bekräftigt.  Ergänzt wurde diese Ansicht durch seine wiederholte Aussage, dass der „traditionelle Anti-Imperialismus“ überholt sei.

Dem „Realpolitiker“ Gysi ist natürlich klar, dass es unmöglich ist, in einer Bundesregierung mit der SPD und/oder den Grünen mitzumachen, wenn die LINKE an einer Konzeption von Außen- und „Sicherheitspolitik“ festhielte, die mit zentralen außenpolitischen Interessen des deutschen bzw. europäischen (EU-)Kapitals kollidieren würde. Über einen Mindestlohn lässt sich notfalls diskutieren - über die Frage der globalen imperialistischen Ambitionen und ihrer Durchsetzung aber sicher nicht. Gysis Position ist also durchaus nicht etwa einer tiefen „Analyse“ geschuldet, sondern einfach der eigenen Strategie, per Mitregieren den Kapitalismus zu „transformieren“.

Die Akzeptanz der „deutschen“ Staatsräson ist an sich schon eine Position, die mit einer „linken Politik“ und einer sozialistischen Partei völlig unvereinbar ist. Erstens bedeutet diese Anerkennung der Staatsräson immer auch Anerkennung zentraler Ziele, Positionen und Methoden der Politik des deutschen Kapitals. Es beutet damit zweitens auch die Anerkennung des kapitalistischen Systems, in dessen Sinne schließlich (Außen)Politik gemacht wird. Drittens bedeutet es auch Unterordnung der Politik und der Interessen der Lohnabhängigen und der Arbeiterklasse unter die Interessen und die Politik des Kapitals. Gysis Position ist also einfach reaktionär im umfänglichen Sinne.

Bezüglich der Anerkennung des Existenzrechts Israels trifft diese Charakterisierung genauso zu. Denn Israel ist ein kapitalistischer Staat - ob jüdisch oder zionistisch. Und natürlich dürfte kein(e) SozialistIn einem bürgerlichen Staat eine pauschale Unterstützung oder gar einen Freibrief ausstellen. Allenfalls ist im Sinne der anti-imperialistischen Einheitsfront eine Verteidigung eines halbkolonialen Staates gegen den Imperialismus angesagt. Wenn Marx meinte, dass der bürgerliche Staat zerschlagen und durch einen Kommune-(Räte)-Staat ersetzt werden muss, dann verweist das allein schon darauf, welcher politische Graben zwischen dem Marxismus und Gysis Position liegen.

Die Begründung für seine Unterstützung für Israel zieht Gysi nun daraus, dass „die Deutschen“  oder „Deutschland“ unerhörte Verbrechen an den Juden begangen hätten und daraus eine besondere Verantwortung für Deutschland gegenüber Israel erwachse. Davon abgesehen, dass Gysi in getreuem Nachbeten der stalinistischen Formel der „Kollektivschuld“ gleich gar keine Klassen mehr kennt und damit auch die Hauptverantwortung der deutschen Bourgeoisie an Krieg und Faschismus verkleistert, legt er die „Verantwortung“ auch auf eine sehr „spezielle“ Weise aus.

„Verantwortung“ müsste doch wohl zuerst bedeuten, eine Wiederholung von Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung der Juden zu verhindern. Wer aber war daran Schuld? Doch wohl der Faschismus, das Kapital - und nicht nur das deutsche, sondern auch das der „demokratischen“ Länder. Schließlich haben diese Hitler an die Macht kommen lassen und seine Kriegsvorbereitungen unterstützt oder toleriert. Schließlich waren es die „Demokratien“ der Schweiz, Schwedens oder der USA, welche vielen Juden und Jüdinnen die Einreise verwehrten oder erschwerten und sie somit zwangen, in Deutschland zu bleiben und der eigenen Vernichtung zu harren. Doch genau auf diese Kräfte, auf den Imperialismus, der Israel als Bastion in der Region aushält und ohne den es einen Staat Israel und die Vertreibung der PalästinenserInnen so nie gegeben hätte, setzt Gysi.

So fatal es war, dass viele Juden nach der Doktrin des Zionismus glaubten, nur mithilfe des Imperialismus ihre Befreiung erreichen zu können, so fatal ist, dass auch Gysis das glaubt.

Der zweite Grundirrtum Gysis ist, dass er die Interessen „der Juden“ (auch hier fehlt jede Klassendifferenzierung) in eins setzt mit den Interessen Israels. Das ist schon daher falsch, weil die Interessen von Menschen ohnehin nicht mit dem Interesse eines bürgerlichen Staates zusammenfallen können - schon gar nicht die des Proletariats. Doch Israel ist nicht einfach ein Staat „der Juden“. Er ist ein „besonderer“ jüdischer Staat, der vier grundsätzliche Merkmale aufweist, die allesamt in der Argumentation Gysis keine Rolle spielen:

Israel ist ein kapitalistischer Staat, der auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht (besonders der Nicht-Juden in Israel und Palästina);

Israel ist seiner Verfassung und seiner Staats- und Sozialstruktur nach ein zionistischer und rassistischer Staat;

Israel konnte nur durch die Unterstützung des Imperialismus gegründet werden und ist auch nur  durch dessen Unterstützung existenzfähig, Israel ist eine vom Imperialismus abhängige reaktionäre Bastion zur Beherrschung und Kontrolle des Nahen Ostens;

Israels Existenz beruht auf der Vertreibung und der Unterdrückung der PalästinenserInnen.

Der Zionismus

Das alles „vergisst“ Gregor Gysi, wenn er die Interessen Israels mit den Interessen der Juden in einen Topf wirft. Und auch hier vergisst er auch wieder die Klassenfrage. Im Unterschied zum Zionismus - der wohlgemerkt im (deutschen) Judentum selbst noch nach 1933 eine Minderheitsströmung war und ohne den „freundlichen Beistand“ des britischen  und US-Imperialismus nach 1945 bei der Schaffung Israels sicher auch immer ein solche geblieben wäre - gab es nämlich im Judentum nicht nur die verbreitete und dominante Ansicht, das sich die Juden in „ihren“ jeweiligen Nationalstaaten integrieren sollten. Es gab auch eine Strömung, die ihren Verbündeten im Kampf gegen die eigene Unterdrückung in der Arbeiterbewegung sah und sich sozialistischen Zielen verschrieb. Gerade auch gegen letztere wandte sich der Zionismus.

Nicht nur die Absage an Widerstand, Klassenkampf und Sozialismus prägte den Zionismus wesentlich (und zu großen Teilen selbst den „linken“ Zionismus), sondern auch das Ersuchen um Hilfe bei den großen kapitalistischen Mächten, um zu einem eigenen Staat zu kommen. Allen Richtungen des Zionismus aber - von ganz rechts bis links - war und ist eigen, dass sie sich nicht oder kaum daran gestört haben, dass die Installation eines eigenen Staates in Palästina mit der Vertreibung und Unterdrückung der dort ansässigen arabischen Bevölkerung verbunden sein musste. Ja, viele Zionisten vertraten ganz offen die Ansicht, dass die Juden den Arabern erst Kultur beibringen würden - eine offen rassistische Position, die sich in nichts von den Begründungen imperialistischer Kolonialpolitik unterschied.

Wer also wie Gysi Zionismus und Judentum, Interessen „der Juden“ und Israels in einen Topf wirft,  der ist entweder dumm oder verlogen - Gysi ist kein Dummkopf.

Mit seiner Unterstützung der deutschen Staatsräson in Gestalt der Verteidigung Israels verbindet Gysi stets auch die Behauptung, dass so gegen den Antisemitismus gekämpft werde und die Infragestellung des israelischen Staates und seiner „Selbstverteidigungsinteressen“ wäre eine Form von Antisemitismus. Das letzteres Unsinn ist, haben wir gerade gezeigt, doch auch das erste Argument Gysis ist nicht nur falsch - es wiederholt auch noch eine Denkfigur des Antisemitismus.

Für den Antisemitismus sind die Politik des israelischen Staates, die Ziele der Bourgeoisie und die Interessen der Jüdinnen und Juden aller Klassen, Weltanschauung, politische Ausrichtung wesensgleich. Die zionistische Staatsideologie geht, wenn auch mit einer gegenteiligen Bewertung, ebenfalls von einer solchen extrem nationalistischen Vorstellung aus. Für sie sind alle JüdInnen, die sich nicht mit dem israelischen Staat identifizieren, „SelbsthasserInnen“, VerräterInnen am eigenen Volk.

Gysi übernimmt letztlich diese Weltsicht - und übernimmt damit auch die Sicht von Anti-Semiten wie Zionisten, dass der israelische Staat und die jüdische Nation wesensgleich wären.

Diese politische „Vorarbeit“ von Gysi u.a. ist zudem noch eine Steilvorlage für den deutschen Staat, der dann genüsslich konstatieren kann, dass die PalästinenserInnen genau in jene anti-semitische Ecke getrieben werden.

Die Politik von Gysi und Co. führt zudem auch dazu, dass Menschen - und insbesondere Jugendliche (deutsche wie palästinensische) -, die sich zu recht über das Massaker Israels an den PalästinenserInnen erregen und sich darüber politisieren, als Anti-Semiten denunziert, verunsichert und zur politischen Inaktivität getrieben werden. Daran direkt und aktiv mitzuwirken, ist tatsächlich nicht nur ein Fehler oder eine Schwäche - es ist ein politisches Verbrechen! Wer solche Freunde wie Gysi und die Führung der Linkspartei hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr!

Opposition zu Gysi

Natürlich wissen wir, dass es in der LINKEN (auch in deren Führung) sehr wohl Leute gibt, die sich ehrlichen Herzens und engagiert auf die Seite Palästinas stellen und hier und da auch Kritik an der Gysi-Linie üben. Doch es ist eben auch unzureichend, nur eine andere Meinung zu haben, Kritik zu üben und auf die Debatte in der Partei zu verweisen. Notwendig wäre es, einen systematischen und organisierten wirklichen politischen Kampf gegen den Gysi-Flügel zu führen - und zwar nicht nur in der Palästina-Frage. Daran aber fehlt es.

Das hat u.a. zwei Gründe. Erstens sind die Positionen der Pro-Palästina-Linken selbst meist unklar und inkonsequent, weil sie ihre Position nicht vom Grundcharakter des Konflikts - der Krieg Israels gegen alle PalästinenserInnen - ableiten, sondern von „Nebenfragen“ wie etwa der Frage, welche  Taktiken die Hamas anwendet, abhängig macht.

Zweitens steht jede Kritik an der Partei, ihrer Politik oder ihrer Führung unter dem Verdikt, dass sie die Existenz der Partei insgesamt nicht in Frage stellen darf, weil diese ja unverzichtbar sei, weil sie - so argumentieren v.a. die Linken in der LINKEN - eine notwendige linksreformistische  „Durchgangsstufe“ zur Entwicklung von Bewusstsein und Widerstand der Massen sei. Um das nicht in Gefahr zu bringen, werden dann die Kritik und umso mehr jeder ernsthafte Widerstand in der LINKEN zurückgezogen und gebremst. Vor solchen Kritikern aber muss sich die Gysi-Führung aber wohl kaum fürchten - und macht einfach weiter.

Dass diese ganze Auffassung von der LINKEN als Durchlauferhitzer, als notwendige Zwischenstufe, als Multiplikator usw. aber falsch ist, zeigt die gesamte Entwicklung der PDS bzw. der LINKEN. In keinerlei Hinsicht hat sie diese ihr angedichtete Rolle auch nur ansatzweise erfüllt. Im Gegenteil: sie bremst und desorientiert Protest und Widerstand, oft spielt sie darin auch gar keine relevante Rolle. Von einem wirklichen Kampf gegen den dominierenden Reformismus  in der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften kann keine Rede sein.

Auch in der Palästina-Frage ist das nicht anders. Die LINKE hätte hier mit einer richtigen und engagierten Politik die Chance, hunderte, vielleicht tausende (junge) PalästinenserInnen anzuziehen und zu organisieren. Sie könnte damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Trennung der migrantischen Milieus von der „deutschen“ Linken zu mildern. Das Gegenteil ist der Fall. Für diesen Bärendienst, den Gysi, Lederer, Liebich und Co. der Arbeiterklasse und der Linken in Deutschland leisten, können sich das Kapital und das bürgerliche Establishment nur bedanken. Das Bundesverdienstkreuz für sie ist lange fällig!

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