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Wofür steht Oskar Lafontaine?

Gerald Waidhofer, Februar 2006

Die einen verehren Lafontaine als Medienstar, der die Wut der Massen ausdrückt und WählerInnen gewinnt, die anderen brandmarken ihn als populistischen Demagogen und Politprofi, der die sozialen Bewegungen verrät.

Jüngster Anlass für die verschiedenen Einschätzungen ist seine am 14. Januar 2006 im Rahmen der Luxemburg-Konferenz in Berlin gehaltene Rede. Darin bringt er nicht unerwartet zur Sprache, dass er der Deregulierung des Arbeitsmarktes und der internationalen Finanzmärkte eine Re-Regulierung entgegensetzen möchte. Anstelle der permanenten Lohndrückerei schlägt er Lohnsteigerungen vor.

Solche Rezepte von ihm sind nicht neu. Überraschend ist eher die - allerdings recht unverbindliche, d.h. keine praktischen Schritte fordernde oder gar den bewaffneten Widerstand unterstützende - Ablehnung der Besetzung des Balkans, Afghanistans und des Iraks.

Überraschend kam auch seine Kritik an der Gewerkschaftsbewegung, die sich vom Neoliberalismus infizieren ließ. So geißelt er etwa die Bündnisse für Arbeit als "Bündnisse gegen Arbeit" und stellte fest: "Es gibt keine einzige Volkswirtschaft der Welt, die ökonomisches Wachstum und mehr Beschäftigung erreichen konnte bei sinkenden Löhnen."

Für Aufsehen sorgte, dass er die Privatisierung von Wasser für "pervers" erklärt und die Privatisierung im Wohnbereich in Berlin ganz klar als Fehler bezeichnet: "Wer ernsthaft sagt, wir wollen die Gesellschaft sozial gestalten, der darf nicht Kernbereiche gesellschaftlicher Verantwortung in den Gemeinden und in den Ländern immer weiter privatisieren."

Für Erstaunen sorgte auch, dass er "sein Haupt in Scham senkt" wegen seiner Mitverantwortung für Verbrechen der rot-grünen Regierung. Er spricht ausdrücklich nicht als jemand, der nicht Fehler gemacht hat. "Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir nicht bestimmte Grundlinien einziehen, die wir bei unserem praktischen Handeln in den Parlamenten, in den Regierungen nicht opportunistisch zur Disposition stellen dürfen. Denn ohne Glaubwürdigkeit wird die Linke niemals Terrain gewinnen."

Doch was steckt hinter seiner Kritik? An den Gewerkschaften kritisiert er, dass sie eine Politik verfolgen, die er selbst maßgeblich vorgab; die Berliner PDS für eine Politik, die sich von seiner eigenen keineswegs qualitativ unterscheidet und ruft dann dazu auf, "glaubwürdig und nicht opportunistisch" zu sein.

Doch er selbst prägte in den 1980er Jahren ein Konzept des "Sozialismus in einer Klasse" und trat dafür ein, durch Lohnverzicht Arbeitsplätze zu sichern. Es war derselbe Lafontaine, der sich für Wochenendarbeit und eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich stark machte. 1997 beschwichtigte er die protestierenden Bergarbeiter, als diese auf ihren Gewerkschaftschef nicht mehr hörten.

Als Ministerpräsident im Saarland setzte er einen rigorosen Sozialabbau um. Als Bundesfinanzminister trat er 1998 für die Kürzung der Sozialhilfe im Falle der Nichtannahme einer angebotenen Arbeit ein. Dem Berliner Landesverband der WASG, der sich gegen eine Unterstützung der neoliberalen Politik des SPD-PDS-Senats aussprach, wirft er eine nicht hinnehmbare 'Totalverweigerung’ vor.

Wer die Funktion des sozialdemokratischen Reformismus als eines notwendigerweise widersprüchlichen Ausdrucks bürgerlicher Politik in einer Partei mit proletarischer Basis kennt, ist jedoch über Lafontaines populistische Schwenks nicht sonderlich verwundert.

Lafontaine machte sich bereits in den 1980ern einen Namen durch sein Engagement gegen die Stationierung der Pershing II und Cruise-Missiles und sprach sich in diesem Zusammenhang sogar für einen Generalstreik dagegen und den NATO-Austritt aus. In den 1990ern kündigt er an, die Beziehungen zur PDS normalisieren zu wollen und 2003 sprach er sich für die Vereinigung der Ost-SPD mit der PDS aus.

Ein Beispiel für seine Sprungkraft nach rechts ist etwa seine rassistische Positionierung. Als er vergangenes Jahr verkündete, der Staat müsse verhindern, dass "Fremdarbeiter" zu Billiglöhnen den Familienvätern und Frauen die Arbeitsplätze wegnehmen, war das kein unvorhersehbarer Ausrutscher. Bereits in den 1980ern setzte er als Oberbürgermeister der Stadt Saarbrücken eine besonders rigide Asylpolitik um. 1989 forderte er die Abschaffung des Asylgrundrechts, 1993 kam es zur faktischen Abschaffung des Asylgrundrechtes unter seiner Federführung. 2002 kritisierte er den Empfang von Sozialleistungen "ohne deutsche Wurzeln" und Sprachkenntnisse und 2004 unterstützte er Schilys Vorschlag zur Errichtung von Asyllagern in Afrika.

Diese politische Sprunghaftigkeit war für die Überlebensfähigkeit des Reformismus schon immer entscheidend. Lafontaine ist ein Springer, der problemlos nach links und nach rechts springen kann. Wenn er nicht gerade selbst mit der Umsetzung jener Politik beschäftigt war, die er zu bekämpfen vorgibt, spielte er gern die Rolle eines linken Stürmers.

Nachdem er 1999 seine Schuldigkeit als Bundesvorsitzender der SPD getan hatte, musste er sich als Traditionalist gegenüber dem Modernisierer Schröder nach einem halben Jahr an der Regierung zurückziehen. Als letzterer dann wieder eine neue linke Flankendeckung benötigte, musste Müntefering den Oskar machen und zum Kapitalismuskritiker mutieren.

Wenn Lafontaine heute für Mindeststandards bei Löhnen, sozialen Leistungen, Steuern und Umwelt eintritt, dann wird deutlich, welche Schwierigkeit er bei der Einschätzung der aktuellen politischen und ökonomischen Gemengelage hat. Offenkundig hält er nämlich den Nachkriegsboom nicht für eine Ausnahme, sondern für die Regel und will den Klassenkompromiss der 1970er fortsetzen. Der bürgerliche Staat, der seine Forderungen umsetzen soll, ist für ihn ein prinzipiell neutrales Organ, nicht ein Machtinstrument zur Durchsetzung von Klassenherrschaft. Sein binnenwirtschaftlich orientierter Wunsch zur Steigerung der Nachfrage endet übrigens zwangsläufig in einer Unterordnung unter die nicht-exportorientierten Teile des Kapitals. Dieser Schutz des schwächeren Kapitals drückt vor allem den Standpunkt der kleineren Unternehmen aus, die für besonders aggressive Angriffe auf die Beschäftigten bekannt sind.

Die Einschätzung Lafontaines anhand von Spekulationen zu seiner Persönlichkeit mag die Spezialität bürgerlicher Presse sein. Aus marxistischer Sicht stellt sich aber die Frage, für welche sozialen Kräfte und politische Praxis er steht. Für seine klassenübergreifende Politik und sprunghafte Positionierung ist die Zeit vorbei. Lafontaine ist heute eine Symbolfigur keynesianischer Nostalgie, des Trends zurück zum traditionellen sozialdemokratischen Reformismus und damit ein Hoffnungsträger der reformistischen und vieler gewerkschaftlich organisierter ArbeiterInnen. Er bedient deren reformistische Illusionen. Objektiv dient Lafontaine damit dem Projekt, die WASG bzw. die neue Linkspartei zu einer Neuauflage der alten SPD zu machen - allerdings unter Bedingungen einer vertieften allgemeinen Krise des Kapitalismus und schwindender Spielräume des Reformismus.

Lafontaine ist nicht nur ein Reformist mit Verspätung, sondern auch einer mit dem Wunsch nach Umkehr. Er ist das manchmal noch einmal aufleuchtende Schlusslicht am Zug der deutschen Sozialdemokratie.

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Vorwort

Neue Arbeiterpartei oder Wahlverein?

Exkurs: Arbeiterparteitaktik

Alternative Keynes?

Wofür steht Oskar Lafontaine?

Ankommen über alles. Zur Politik der PDS

WASG-Berlin: Welche politische Alternative?

Anhang: Arme Polizei

Linksruck in der WASG: Rechts blinken, rechts abbiegen

SAV und Linkspartei

Anhang: Lehren von Liverpool

Für ein revolutionäres Programm!