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Der arabische Nationalismus

XVIII. Im Zentrum des panarabischen Nationalismus steht der Glaube daran, dass hinter der Zersplitterung des Nahen Ostens in viele verschiedene Nationalstaaten eine arabische Nation vorhanden ist, geeint durch eine gemeinsame Sprache und Kultur und fähig zur wirtschaftlichen Einheit und Integration. Heute sprechen über 100 Millionen Menschen in 15 Ländern, von Marokko bis zum Persischen Golf, vom Mittelmeer bis zum Oberen Nil, Arabisch.

Doch die arabische Welt ist ebenso augenscheinlich geteilt. Befragt, welcher Nation er angehöre, wird ein Araber "Ägypten", "Marokko", etc. zur Antwort geben. Ebenso wenig deckt sich die arabische Welt mit der des Islam, nämlich dem halbwüstenhaften Gebiet, das von Arabern, Türken, Persern und Indo-Afghanern besiedelt wird, Teilen des tropischen Asien und sogar Schwarzafrikas. Einige Teile der arabischen Welt sind nicht islamisch (z.B. Teile des Libanon und des Sudan), noch sind die Araber alle eines rassischen Ursprungs.

Nichtsdestotrotz heißt es, dass der Imperialismus und zuvor der Kolonialismus eine organisch entstehende Einheit der arabischen Nation unterbrochen hätten und dass deren Niederlage und Vertreibung die Vereinigung der arabischen Nation gestatten wird. Worin besteht die materielle Grundlage der arabischen Nation - und soll die arabische Arbeiterklasse sie in ihr Programm der permanenten Revolution im Nahen Osten aufnehmen?

Die ursprünglichen Araber waren ein antikes Volk der arabischen Halbinsel zwischen Rotem Meer und Persischem Golf. Von Anbeginn an schlug die Entwicklung in Nord- und Südarabien verschiedene Wege ein. Das letztere, der heutige Jemen, war eine sesshafte Zivilisation mit ausgedehnten Bewässerungssystemen und einer wichtigen Rolle beim Handel zwischen Ägypten, Afrika und Indien. Im Norden war die Wüste mit verstreuten Oasen und Karawanenrouten überzogen, die dem Fernhandel vom Persischen Golf dienten und Indien und China in Verbindung mit Syrien, Ägypten und Europa brachten.

Die Nomaden und Händler des nördlichen und westlichen Teils der Halbinsel verschmolzen das Gebiet zum ersten Mal unter dem (kaufmännischen) Herrscherpropheten Mohammed (571-632) zu einem Staatswesen. Die darauf folgenden arabischen Eroberungen führten zu einem gewaltigen arabischen Reich, dem Kalifat, das seine größte Ausdehnung um 732 n.Chr. erreichte. Dies schloss jedoch keine massenhafte Ansiedlung der Araber in diesen Ländern ein, sondern deren Eroberung durch eine kleine religiöse Militärelite.

In den meisten dieser Gebiete wurden sie von der christlichen und jüdischen Bevölkerung als Befreier von der byzantinischen Orthodoxie begrüßt. Sie bekehrten nicht mit "Feuer und Schwert", wie ihre westlichen Verleumder behaupteten; stattdessen erlegten sie allen Nicht-Mohammedanern eine Steuer auf, die schrittweise eine immer größere Anzahl zum Islam brachte.

Die Verbreitung der arabischen Sprache erfolgte durch die großen Handelsstädte, Damaskus und Bagdad. Hier ersetzte Arabisch nach und nach frühere, eng verwandte semitische Sprachen (Aramäisch in Syrien), indem es sie absorbierte oder verdrängte. Die vorhandene Bevölkerung wurde arabisiert und islamisiert, während sie natürlich die Reichtümer der persischen, syrischen, hellenistischen und ägyptischen Zivilisationen den ehemaligen Nomaden weitergab.

Die Vereinigung der Welt des südlichen Mittelmeeres, der Levante und des gesamten "Fruchtbaren Halbmondes" mit Persien förderte natürlich die Handelsaktivitäten sehr und damit auch die Luxusgüterproduktion in den großen Handelsstädten. In dieses System waren auch die Wasserbaugesellschaften Mesopotamiens und Ägyptens (der asiatischen Produktionsweise) einbezogen. Das Kalifat eignete sich rasch die grundlegenden Wesenszüge des asiatischen Despotismus an.

Ein einheitliches Kalifat überdauerte kaum ein Jahrhundert, ehe die spanischen und nordafrikanischen Provinzen sich abspalteten. Der orientalische Despotismus, der auf dem Tribut der Bauern Ägyptens und Mesopotamiens basierte, ersetzte die arabische Händlerklasse. Die relative Schwächung der merkantilen Grundlage des Reiches führte zu seiner Aufteilung. Dennoch breitete sich Arabisch als Sprache und Kultur weiterhin aus. Tatsächlich wurde es erst im 12. Jahrhundert die mehrheitliche Sprache in Ländern wie Ägypten. Obwohl eine wunderbare arabische Kultur - Dichtkunst, Philosophie, Musik, Kunst, Architektur und Mathematik - existierte, die wesentlich weiter entwickelt war als die des mittelalterlichen Europa, bedeutete dies nicht, dass eine arabische Nation mit Nationalbewusstsein entstanden wäre. Dies erklärt, warum die Unterwerfung des Kalifats, seine wiederholte Aufsplitterung und die in ihm von Türken, Kurden, Berbern, Mongolen und Tscherkessen ausgeübte Herrschaft in keinem einzigen Fall einen nationalen, arabischen Aufstand hervorriefen.

Im 16. Jahrhundert ging das feudale Europa mit dem Kapitalismus schwanger. Ein Handelskapital entwickelte sich gleichermaßen in Italien, Portugal, Holland, England und Spanien. Darauf folgende Entwicklungen in der Schifffahrt ersetzten die Überlandrouten der Karawanen und das Mittelmeer durch die Umschiffung Afrikas. Der arabische Osten, seiner merkantilen Blüte beraubt, versank in Rückständigkeit und wirtschaftlichem Verfall. Auch das Osmanische Reich verfiel nach zwei Jahrhunderten des Ruhms und zerbrach unter diesem Druck. Ab dem frühen 19. Jahrhundert hatten die beiden neuen kapitalistischen Staaten England und Frankreich in die arabische Welt einzudringen begonnen, um die Kontrolle der HandeIsrouten für ihre kapitalistischen Waren Richtung Osten anzustreben und Gebiete für koloniale Niederlassungen zu suchen.

Man ersieht, dass es seit Mitte des 7. Jahrhunderts ein arabischsprachiges Kalifat gab; seit Mitte des 10. Jahrhunderts herrschte ein persischer Kalif, und hundert Jahre später regierte ein türkischer Sultan die arabische Welt, die jedenfalls in ihre Einzelteile zerfiel. Die fast drei Jahrhunderte eines vereinigten arabischen Staatswesens besitzen klarer Weise für den modernen arabischen Nationalismus des 20. Jahrhunderts eine gewaltige historische Bedeutung, aber daraus folgt nicht, dass es tatsächlich einen arabischen Nationalstaat gab, der dann in der Folge durch fremde Unterdrücker oder westliche Imperialisten geteilt worden wäre.

XIX. Es war in der Tat der Aufbruch der Kräfte des französischen und britischen Kapitalismus, als deren Speerspitze Napoleons Armeen und Nelsons Flotte zu Beginn des 19. Jahrhunderts fungierten, die eine neue Entwicklungsphase für den Nahen Osten ankündigten. Die britische Herrschaft im Ägypten des 19. Jahrhunderts zielte auf eine Beschränkung seiner Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich (das als Bollwerk gegen Russland erhalten bleiben musste) und auf eine Durchdringung seiner Wirtschaft ab; die Kontrolle über den Suez-Kanal, die die Regierung in Schulden stürzte, führte zum Widerstand. Dieser wurde jedoch in den 80er Jahren zerschlagen, und Ägypten wurde zu einer versteckten Kolonie Englands, die wesentlich für seine Verbindung mit Indien und Ostafrika war. Obwohl die "Erhebung von 1919" die Briten zur Erklärung der "Unabhängigkeit" Ägyptens veranlasste, schloss dies eine Truppenstationierung Großbritanniens in Ägypten, das Verbleiben des Sudan in englischer Hand und die extraterritorialen Rechte für Europäer ein. Kurz, Ägypten war nur dem Namen nach unabhängig.

Wirtschaftlich diente Ägypten als Markt für britische Fabrikwaren und als Baumwollplantage für die Textilfabriken von Lancashire. Eine koloniale Bourgeoisie entwickelte sich, die allerdings eng an die Großgrundbesitzer, die selbst Produkt früherer Landreform gewesen waren, gebunden war. Die "Wafd"-Partei wurde die Partei dieser Bourgeoisie. Saad Zaghloul hatte die Wafd-Partei Ende des I. Weltkriegs gegründet. Ideologisch stellte sie die moderne nationalistische Antwort dieses entwickeltsten arabischen Landes dar. Sie versuchte mit verfassungstreuen Mitteln, die Briten und den König davon zu überzeugen, sie an die Regierung zu lassen und ihnen einige politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen.

Die wirtschaftliche Prosperität während des Krieges hatte das Heranwachsen einer städtischen Mittelschicht - Rechtsanwälte, Ärzte, Akademiker, Journalisten und Staatsbedienstete - gefördert, die die Basis einer radikalen Opposition gegenüber den Briten darstellte.

Die andere Kraft mit Masseneinfluss war die 1928 von Hassan al-Banna gegründete "Moslembrüderschaft". Sie forderte die Vertreibung der Briten durch Massenaktionen und individuellen Terrorismus. Sie wünschte eine rein islamische Gesellschaft und war rabiat antikommunistisch. Auf ihrem Höhepunkt besaß sie fast eine halbe Million Mitglieder. So blieb Ägypten bis in die 50er Jahre ein Land, das entweder vom ägyptischen Nationalismus oder vom islamischen Fundamentalismus dominiert wurde.

Trotz wertloser Versprechungen Großbritanniens an die arabischen Führer nach dem 1. Weltkrieg zerstückelten die Imperialisten Großbritanniens und Frankreichs die Region unter dem heuchlerischen Deckmantel der Völkerbundsmandate. Die Familie der AI-Husseins trat in britische Dienste: Feisal wurde zum König des Irak gemacht, Abdullah zum Emir von Transjordanien, und Hussein als König des Hedschas anerkannt. So bewiesen die feudalen Beduinenhäuptlinge ihre völlige Unfähigkeit, eine arabische Nationalbewegung anzuführen oder auch nur einen arabischen Staat im Mashreq zu schaffen. Sie erwiesen sich in den kommenden Jahrzehnten als willige Werkzeuge des britischen Imperialismus. Die Dialektik der Entwicklung war derart, dass diese vorimperialistische Vorherrschaft nicht das politische Bindemittel für die Nationwerdung erzeugen konnte, obwohl sie die arabische Welt in die Weltwirtschaft zum Preis ihrer Balkanisierung und Aufsplitterung einbezog.

XX. Die imperialistische Zerstückelung der arabischen Welt war jetzt vollständig. Die Balkanisierung des Nahen Osten nach dem 1. Weltkrieg als Resultat der Niederlage und des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches schuf künstliche Nationalstaaten als politische Einheiten; die erzwungene Entwicklung eines untergeordneten kolonialen und halbkolonialen Imperialismus verlieh diesen Nationalstaaten jedoch einen ökonomischen Inhalt und schuf schließlich schwache nationale Bourgeoisien. Der Imperialismus fügte diese einzelnen Nationalstaaten in das Weltwirtschaftssytem auf verschiedenartige und gesonderte Weise ein, wobei er ihre Verbindungen untereinander noch weiter zerriss.

Die Geschwindigkeit, Brutalität und Heimtücke dieses Prozesses und die Auswirkung der schroffen und arroganten Besatzung zusammen mit dem Projekt des Zionismus in Palästina heizten den antiimperiallstischen Kampf und dementsprechende Gefühle an. Die Ursprünge des weltlichen arabischen Nationalismus liegen in Syrien. Desillusionierung mit der türkischen Revolution von 1908 und die Zurückweisung seitens des bewusst türkischen Nationalismus inspirierten die ersten Gruppen arabischer Nationalisten in Syrien. 1913 wurde in, Paris ein arabischer Nationalkongress abgehalten. Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges begann Großbritannien eine "arabische Revolte" gegen die Osmanen, die Verbündete des Deutschen Reiches waren, anzuleiten. Dies schloss auch eine Förderung des arabischen Nationalismus mit ein; es beinhaltete ebenso jedoch den Betrug an den arabischen Kräften gemäß den anglo-französischen (und russischen) Plänen hinsichtlich des Nahen Osten.

Der arabische Nationalismus als Ideologie des städtischen Kleinbürgertums, das mit diesen Kämpfen verbunden war, entwickelte sich jedoch erst in den 20er und 30er Jahren wirklich. Seine wichtigsten Vertreter waren Amin al-Rihani, Edmond Rabbath, Sami Shawkat und Sati al-Husri. Aufständische Kämpfe erschütterten Syrien von 1925 bis 1927 und Palästina von 1936 bis 1938. Frühere vage Gefühle einer auf Sprache und religiöser Kultur basierenden Identität entwickelten sich zu einer allgemein geteilten Erfahrung von Ausbeutung, Herrschaft und der Revolte dagegen. Die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung eines modernen Staatsapparats brachten eine neue und gebildete Mittelschicht hervor. Die Rolle des Radios, der Zeitungen und Bücher half bei der Aktivierung des gemeinsamen Bandes der arabischen Sprache und der Verbreitung moderner Ideen - des weltlichen Nationalismus, Sozialismus, Kommunismus und Faschismus in diesen Klassen.

Vor der Gründung des Zionistenstaates blieb der panarabische Nationalismus daher eine klar minoritäre Strömung, die vom islamischen Fundamentalismus/Panislamismus auf der Rechten und von Regionalnationalismus (der Ägypter oder eines "Groß-Syrien"') und Stalinismus überflügelt worden war. Es war die Katastrophe des ersten arabisch-israelischen Krieges und die damit verbundene Erniedrigung aller umliegende Araberstaaten, die den arabischen Nationalismus zu einer Massenkraft werden ließen; eine Kraft, die die arabische Welt von den frühen 50er bis in die späten 60er Jahre beherrschen sollte.