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Arbeitskämpfe in Frankreich

Eine neue Einheit

Mathieux Roux, Neue Internationale 99, April 2005

Am 10. März wurde Frankreich von einem massenhaften Aktionstag erschüttert. In weiten Teilen des privaten und öffentlichen Sektors wurde gestreikt, in allen größeren Städten gab es machtvolle Demonstrationen.

In Paris marschierten 150.000 vom Place d’Italie zum Place de la Nation hinter einem Riesentransparent mit der Aufschrift "Höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit, gegen Deregulierung und Arbeitslosigkeit!".

Die Demonstrationen in ganz Frankreich waren doppelt so groß wie jene am vorangegangenen Aktionstag vom 5. Februar. 100.000 gingen in Marseille auf die Straße, 40.000 waren es in Bordeaux, 30.000 in Toulouse, Nantes, Rennes und Lyon, 25.000 in Clermont-Ferrand, 15.000 kamen in Rouen zusammen.

Dieses massive Aufgebot war das Ergebnis eines gemeinsamen Aufrufs der großen Gewerkschaftsverbände CGT, CFDT, FO, l’UNSA, G10 Solidaires und SUD.

Hintergrund

Der Grund für diese massive Beteiligung liegt auf der Hand. Frankreichs Arbeitslosenquote stieg im Januar auf über 10% - den höchsten Stand seit 5 Jahren. Die Reallöhne stagnierten, während die Profite im letzten Jahr um 10% anschwollen. Im gesamten privaten Sektor haben die Unternehmer Druck gemacht, um mehr Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Ausdehnung der Arbeitswoche auf 40 Stunden zu erreichen.

Der öffentliche Dienst ist wie im übrigen Europa von drastischen Kürzungen und Privatisierung betroffen. Das Bildungswesen sah sich durch das Fillon-Gesetz einem heftigen Angriff ausgesetzt. Jüngste Börsenmeldungen über Rekordprofite der Spitzenunternehmen empörten die ArbeiterInnen noch zusätzlich.

Am 8. März veranstalteten bis zu 200.000 SchülerInnen und StudentInnen Kundgebungen gegen die Reformen der Lehrpläne an Universitäten und Oberschulen. In Paris ging die Polizei mit Tränengas gegen die StudentInnen vor. Doch die Radikalität der Jugend beschränkt sich nicht auf die Studierenden. Am 3. März hat ein Dutzend junger Arbeiter des Citroen-Autowerkes Aulnay über Handy eine Arbeitsniederlegung gegen die Verlängerung der Arbeitswoche und die Lohndrückerei organisiert.

Aus all diesen Gründen stellte der Aktionstag am 10. März entgegen früheren Erfahrungen eine wirkliche Einheit von ArbeiterInnen im privaten und öffentlichen Bereich mit den SchülerInnen und LehrerInnen her. In Limoges skandierten die DemonstrantInnen "Y en ras le bol ces guignols qui ferment les usines, qui ferment les ecoles" (Wir finden die Typen beschissen, die Schulen und Fabriken schließen).

Laut CGT fanden Streiks in einer ganzen Reihe von Privatfirmen wie Coca Cola, Exxon, L’Oréal, LU, Lustucru, Michelin, Nestlé, Renault, Rhodia, Rhone-Poulenc, Sanofi-Aventis, Total und Yoplait statt.

In Valenciennes streikten 5.000 MetallerInnen. Einer von ihnen wird mit folgender Aussage zitiert: "Alle sind empört. Eine ungeheure Wut hat sich aufgestaut. Die Metaller haben hart gearbeitet. Der Lärm und der Qualm können einen Menschen umbringen… Aber die Bosse erkennen dich nicht an. Sie kümmert das gar nicht."

Laut CGT befanden sich bis zu 40.000 MetallarbeiterInnen im Bezirk Nord Pas de Calais im Ausstand. In Lille, der größten Stadt im Norden, demonstrierten 25.000 ArbeiterInnen des öffentlichen und privaten Sektors zusammen mit LehrerInnen und SchülerInnen.

Die Regierung Raffarin hat geschworen, nicht nachzugeben und behauptet, "Mut gehöre zur Reform". Sie versprach, Verhandlungen im privaten Sektor zu ermuntern und selbst solche im öffentlichen Dienst zu führen.

Ministerpräsident Chirac und Raffarin sind höchst alarmiert durch die deutlichen Zeichen, die von einem Bündnis der ArbeiterInnen im privaten und öffentlichen Dienst ausgehen. Sie werden alles daran setzen, dieses Bündnis zu zerstören, denn die Spaltung beider Bereiche war bislang die Achillesferse aller großen sozialen Unruhen, die Frankreich in den vergangenen Jahren erschüttert haben.

Die Regierung ist auch darüber erschrocken, dass der wachsende Unmut der ArbeiterInnen negative Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis am 19. Mai zur neoliberalen Verfassung der Europäischen Union haben könnte.

Eine Frage bleibt: werden die Gewerkschaftsführer erneut den Sieg der Arbeiterklasse verhindern? Sie sind eifrig um Verhandlungen bemüht. Werden sie Raffarin gestatten, dass sich die Bewegung tot läuft und am Ende wieder einmal demobilisiert werden kann? Zweifellos werden sie das tun, wenn ihnen die Arbeiterbasis dies gestattet!

Die Gewerkschaft G10 Solidaires hat korrekt dazu aufgerufen, die Bewegung in Gang zu halten durch Koordinierung der Kämpfe auf betrieblicher und örtlicher Ebene.

Überall müssen die französischen ArbeiterInnen gewerkschaftsübergreifend Koordinationen bilden und auch die noch nicht organisierten, aber aktionsbereiten ArbeiterInnen sowie SchülerInnen und StudentInnen organisieren. Vor allem muss der Einheit des öffentlichen und privaten Bereichs vor Ort und landesweit eine organisierte Form gegeben werden. Die Gewerkschaftsführung muss unter die Kontrolle der Basis gestellt und notfalls ersetzt werden, damit sie nicht abermals die Klasseninteressen ausverkaufen kann.

Die Kämpfe müssen über einzelne Aktionstage hinaus ausgeweitet werden. Es muss für einen unbegrenzten Generalstreik agitiert werden, der die Rücknahme der Angriffe auf die 35-Stunden-Woche erzwingt, den Öffentlichen Dienst verteidigt, für eine umfassende und von den ArbeiterInnen gewünschte Lohnerhöhung, für ein Programm gesellschaftlich sinnvoller tariflich bezahlter Arbeiten eintritt, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Am 19. März sind große Abteilungen französischer ArbeiterInnen nach Brüssel gereist. Um sich mit ArbeiterInnen aus ganz Europa in einer Kundgebung gegen die Angriffe auf unsere sozialen Errungenschaften zusammen zu schließen. Die Militanz der französischen ArbeiterInnen ist eine Ermunterung für ArbeiterInnen jener Länder, in denen die Kämpfe noch zersplittert sind und sich auf niedrigem Niveau befinden.

Aber überall stehen wir vor demselben Problem: die kapitulantenhaften Führungen der Gewerkschaftsbürokratie und der reformistischen Parteien, gleich ob sie sich "sozialistisch" oder "kommunistisch" nennen. Wir brauchen die Einheit der militanten und revolutionären Vorhut zur Lösung dieser Führungskrise. Wir brauchen eine ständige demokratische Kampfkoordination für ganz Europa. Wir brauchen schließlich eine neue politische Partei, die grenzüberschreitend handelt, um unseren Widerstand zu vereinen und den Kampf für die einzige Sache führt, die die Kapitalisten davon abhalten kann, unsere sozialen Errungenschaften immer wieder anzutasten: den Sturz des Profitsystems und die Errichtung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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Nr. 99, April 2005

*  Arbeitslosigkeit: Schwarze Bilanz von Rot/Grün
*  Erster Mai: Klassenkämpferische Opposition sichtbar machen!
*  Tarifabschluss Öffentlicher Dienst: Zahnloser Tiger Ver.di
*  Heile Welt
*  Wahlalternative: Aktiv - gegen Linke
*  NRW-Wahlen: Schröder am Ende?
*  China: Boom und Billigjobs
*  100 Jahre Relativitätstheorie: Relativ revolutionär
*  Libanon: Nein zur imperialistischen Intervention!
*  Arbeitskämpfe in Frankreich: Eine neue Einheit