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Arbeitslosigkeit

Schwarze Bilanz von Rot/Grün

Hannes Hohn, Neue Internationale 99, April 2005

5,2 Millionen Arbeitslose! Wenn wir den Erfolg von Rot/Grün am Abbau der Arbeitslosigkeit messen, wie es Schröder 1998 selbst verkündete, dann bleibt nur ein Fazit übrig: Rot/Grün und der Reformismus der SPD sind komplett gescheitert!

Natürlich mangelt es nicht an Erklärungsversuchen, warum die Arbeitslosigkeit trotz aller Reformen weiter steigt. Wirtschaftsminister Clement verweist darauf, dass durch Hartz IV viele SozialhilfeempfängerInnen jetzt als Arbeitslose gezählt und damit "dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen" würden. Schade nur, dass es auf dem Arbeitsmarkt gar keine Stellen für sie gibt. Auch der unvermeidliche Hinweis darauf, dass ein Teil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit "witterungsbedingt" sei, ist eher lächerlich. Das "Witterungsproblem" zeigt in Wahrheit doch nur, dass die kapitalistische Marktwirtschaft offenbar nicht in der Lage ist, den BauarbeiterInnen auch bei Minusgraden eine bezahlte Arbeit zu ermöglichen.

Ursachen der Arbeitslosigkeit

Die Zahl von 5,2 Millionen beschreibt das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit nur unzureichend. Hunderttausende, die real arbeitslos, aber in keiner Statistik erfasst sind, sind darin nicht enthalten: Hausfrauen, SchülerInnen ohne Ausbildungsplatz, VorruheständlerInnen usw. Unberücksichtigt bleibt in der offiziellen Statistik auch, dass die Zahl derer, die nur befristet arbeiten, in den letzten Jahren exorbitant angestiegen ist.

Wenn man dann noch hinzurechnet, dass Millionen in unproduktiven Jobs "arbeiten", die kein einziges menschliches Bedürfnis befriedigen (Sicherheitsapparate, Bürokratie …) oder unnütze Produkte herstellen müssen (Rüstung, Werbung …), wird die eigentliche Dimension der Vergeudung und Nichtnutzung menschlicher Produktivkraft im Kapitalismus deutlich. Die Markwirtschaft, die sich immer gern als effizient und produktiv darstellt, ist in Wahrheit alles andere als das! Während die Arbeitslosenzahl immer weiter wächst, müssen zugleich immer mehr Beschäftigte immer länger und intensiver arbeiten! Während zigtausende Jugendliche keinen Job finden, fordern "Experten" eine längere Lebensarbeitszeit. Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode!

Die "Experten" aus Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft sehen als Hauptursache der Arbeitslosigkeit vor allem die noch zu inkonsequent durchgesetzten neoliberalen Reformen des Arbeitsmarktes, des Steuersystems usw. an. Das betont Bundespräsident Köhler, darauf verweisen Merkel und Stoiber, das wiederholen gebetsmühlenartig die Vertreter der Kapitalistenverbände.

Doch die Ergebnisse der bisherigen neoliberalen Reformen liegen vor. Die Senkung der Kapitalsteuern, die Lockerung tariflicher Regelungen, die Senkung der Reallöhne und die Verlängerung der Arbeitszeiten haben das Problem Arbeitslosigkeit nicht gelöst. Das ist kein Zufall - ist es doch naiv, anzunehmen, dass die Politik "ausbügeln" oder gar umkehren könnte, was die Krise des Kapitalismus ökonomisch anrichtet. Die neoliberale Politik mit ihrer Lockerung von Schutzbestimmungen und der Bereitstellung hunderttausender BilligjobberInnen hat im Gegenteil sogar dazu geführt, dass Entlassungen erleichtert und die Ersetzung von Vollerwerbsstellen durch schlecht bezahlte Ein-Euro-Jobs, Ich-AGs usw. voran getrieben wurden.

Die Hauptursache der Arbeitslosigkeit liegt nicht etwa darin, dass die Arbeitsvermittlung schlecht funktionieren würde oder die "Anreize" (sprich: der Zwang) zum Arbeiten zu gering wären. Die Hauptursache der Massenarbeitslosigkeit liegt darin, dass in der Wirtschaft immer mehr Arbeitsstellen durch Rationalisierung verschwinden, dass immer mehr lebendige Arbeit durch Maschinerie ersetzt wird. Anders gesagt: immer weniger ArbeiterInnen können immer mehr Produkte erzeugen.

Kapitalistische Krise

Dieser "Segen" ständig steigender Arbeitsproduktivität durch wissenschaftlich-technische Innovation schlägt im Kapitalismus aber notwendig in ein Übel um, indem immer mehr Arbeitskräfte "überflüssig" werden. Natürlich geht nicht die Arbeit an sich aus, sondern es mangelt an bezahlter Arbeit, d.h. an Arbeit, die Waren erzeugt, die verkauft werden und somit Profit erwirtschaften können. Dieser "normale" kapitalistische Verwertungskreislauf ist aber dadurch gestört, dass die Märkte überfüllt sind, d.h. massive Überkapazitäten bestehen.

Die vertiefte Krise des globalen Kapitalismus äußert sich u.a. darin, dass die konjunkturellen Aufschwünge immer flacher werden und Phasen von Nullwachstum oder niedrigem Wachstum normal sind.

Der immer härtere internationale Konkurrenzkampf um Marktanteile, die immer schnellere Jagd nach höchsten Renditen an den Börsen setzen die Kapitalisten mehrfach unter Druck. Zum einen führen sie immer schärfere Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen und soziale Errungenschaften der Arbeiterklasse, um ihre tendenziell fallenden Profitraten wieder in die Höhe zu treiben. Zum anderen gibt es kaum noch Erweiterungsinvestitionen, die Arbeitsplätze schaffen könnten, sondern fast nur noch Rationalisierungsinvestitionen. Die Kriegskassen der Unternehmen werden aus den Rationalisierungsgewinnen aufgefüllt, um Konkurrenten aus dem Feld schlagen oder aufkaufen zu können.

Historischer Wandel

Bis in die 1970er sank die Arbeitslosenzahl während der Konjunktur noch deutlich, ohne allerdings ganz zu verschwinden. Ab Ende der 1970er schließlich sinkt die Erwerbslosigkeit auch während des Aufschwungs kaum noch oder gar nicht, was sich in einer hohen "Sockelarbeitslosigkeit" widerspiegelt.

Im Unterschied zu früheren Jahrzehnten hat Arbeitslosigkeit heute wesentlich dramatischere Auswirkungen. Früher war der tariflich geregelte "Normalarbeitsplatz" die Regel. Wurde man arbeitslos, war man trotzdem einigermaßen sozial abgesichert und die Chance, nach kurzer Zeit wieder einen "Normaljob" zu finden, war relativ hoch.

Heute hingegen wird der Anteil "ungeregelter", schlechter bezahlter (Teilzeit)jobs immer höher. Zugleich werden die Möglichkeiten, sich einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu erarbeiten immer geringer. Arbeitslosigkeit führt deshalb heute viel schneller und direkter als früher in die Armut.

Immer stärker sind heute auch AkademikerInnen von Arbeitslosigkeit betroffen oder gezwungen, irgendeinen schlecht bezahlten Job fernab ihrer Qualifikation anzunehmen.

Besonders bedrückend ist die Situation für die Jugend. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen schneller als der Durchschnitt angestiegen ist. Bei Jugendlichen kommt hinzu, dass es schon sehr schwer ist, eine Ausbildung zu erhalten. Immer häufiger muss diese zudem ganz oder teilweise aus eigener Tasche bezahlt werden. Selbst wenn das gelungen ist, warten auf die "hoffnungsvolle" Jugend Arbeitslosigkeit, Probezeit oder befristete Jobs, die gerade ausreichen, die grundlegendsten Bedürfnisse zu sichern. Von einem selbstbestimmten Leben kann da nicht mehr die Rede sein, statt Mallorca wartet Pension Mama.

Anlässlich des Jobgipfels meinte Stoiber zur Bilanz von Rot/Grün, dass Schröders Agenda-Reformen "ein großer Schritt für die SPD, aber ein zu kleiner für Deutschland" seien. Daran ist etwas Wahres.

Von den Angriffen "ihrer" Partei maßlos enttäuscht, wandten sich hunderttausende Lohnabhängige als Mitglieder oder WählerInnen von der SPD ab. Weiter konnte Schröder seinen neoliberalen Kurs (bisher) nicht treiben, ohne Gefahr zu laufen, die SPD und in ihrem Fahrwasser den Gewerkschaftsapparat in den Augen der Massen vollends zu ruinieren und deren politisch-organisatorischen Zugriff auf die Arbeiterklasse zu unterminieren.

CDU/CDU, FDP und die Unternehmerverbände attestieren der SPD zwar, "in die richtige Richtung zu gehen" - aber viel zu langsam und zu inkonsequent. Ihnen ist klar, dass das strategische Ziel des deutschen Kapitals - an der Spitze einer imperialistischen EU den USA die Führungsposition in der Welt streitig zu machen - nur erreicht werden kann, wenn die neoliberalen Angriffe weiter forciert werden. Merkel, Stoiber und Westerwelle haben die nächsten Ziel schon anvisiert: Mitbestimmung und Kündigungsschutz. Dahinter steckt die erstaunliche Logik, die Arbeitslosigkeit dadurch zu bekämpfen, dass man Entlassungen erleichtert ...

Kapitalisten und bürgerliche Opposition treiben Schröders Regierung immer energischer vor sich her in Richtung Neoliberalismus. Der demagogische Verweis auf andere Länder, die durch konsequentere Reformen auch die Arbeitslosigkeit gesenkt hätten (was z.T. stimmt), verschweigt, dass in Ländern wie Österreich, Holland oder Schweden ebenfalls die sozialen Systeme angegriffen und Billiglohnsektoren massiv ausgeweitet wurden.

Reformistische Logik

Auch die reformistische Logik "Geht’s der Wirtschaft gut, geht´s auch den Beschäftigten gut" erweist sich immer mehr als Trugschluss. Das ständige Einknicken der Gewerkschaftsspitzen und der Betriebsratsfürsten gegenüber dem Kapital zur "Standortsicherung" und zum "Erhalt der Arbeitsplätze" geht immer nur nach hinten los.

Statt der Zahl der Arbeitsplätze steigt die Zahl der Arbeits- und Überstunden, statt die Arbeitslosigkeit zu senken, sinken die Löhne. Zum Erstaunen der reformistischen Realpolitiker entlassen selbst Betriebe, die schwarze Zahlen schreiben; Unternehmen, die Gewinne machen, werden geschlossen oder verhökert.

Dabei handeln die Kapitalisten durchaus rational, weil für sie der "normale" Gewinn nicht mehr ausreicht, weil sie unter dem Druck der globalen Konkurrenz im Wettbewerb mit den höchsten Renditen stehen und auf Gedeih und Verderb diese maximalen Gewinnmargen erreichen müssen. Die reformistische Strategie der Sommer und Bsirske, die sich immer nur im Rahmen des Kapitalismus bewegt, hat sie auch daran gehindert, den durchaus vorhandenen Widerstandswillen der ArbeiterInnen wie der Arbeitslosen entschlossen voranzubringen.

Im Gegenteil: die betrieblichen Kämpfe wurden ausverkauft (Streik für 35 Stunden im Osten, Daimler, Opel), die Massenproteste gegen die Agenda wurde demobilisiert und die Montagsdemos ihrem Schicksal überlassen.

Ihre unselige Standortpolitik führt dazu, die Klasse in rivalisierende Belegschaften zu spalten, anstatt sie im Kampf zu vereinen. Zugleich fördert sie rassistische Ressentiments gegenüber ausländischen "Billig"arbeiterInnen, anstatt einen internationalen Abwehrkampf zur Angleichung von Löhnen und Arbeitsbedingungen auf höchstmöglichem Standard zu initiieren.

Stattdessen schwadroniert man vom "sozialen Europa" und beschwört den angeblichen, real aber überhaupt nicht vorhandenen, "sozialen Gehalt" der EU-Verfassung!

Kampfperspektive

Die Massendemos gegen die Agenda und die Montagsdemos haben gezeigt, dass es Ansätze von gemeinsamem Widerstand der Beschäftigten und der Arbeitslosen gibt. Das Problem dieser Bewegungen war aber, dass sie keine entschlossene Kampfführung und keine klare politische Perspektive hatten.

Die Massenarbeitslosigkeit ist Ergebnis der Krise des Systems, ist Resultat eines Generalangriffs von Regierung und Kapital auf die Lohnabhängigen und die Masse der Bevölkerung.

Insofern reichen einzelne Proteste oder isolierte betriebliche Aktionen - so notwenig sie sind - nicht aus. Ohne politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik wird weder die Offensive des Klassengegners gestoppt, noch wird die Arbeitslosigkeit bekämpft werden können!

Aus den vorhandenen Bündnissen und Organisationsansätzen - Sozialbündnisse und -foren, Anti-Hartz-Komitees, Erwerbslosenausschüsse, Vertrauensleutekörper, Gewerkschaftslinke - muss eine Bewegung formiert werden, die den Widerstand in Betrieb und Gewerkschaft, in Schulen und Unis und in den Wohngebieten organisiert und führt. Allgemeines Ziel: Kampf gegen Massenlassungen, Rücknahme von Agenda und Hartz-Reformen!

Eine solche Bewegung braucht zugleich Strukturen und Organisationsformen, welche die Beschäftigten, die Erwerbslosen, die Jugendlichen, die RentnerInnen, die Frauen und ImmigrantInnen in die Kämpfe einbeziehen - eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Betrieben, Aktionskomitees in den Stadtteilen und Kommunen.

Gegen alle Entlassungen! Für die entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Entlassungen durchführen wollen!

Gegen alle Privatisierungen und "Teil"privatisierungen! Für die Fortführung der Unternehmen unter Kontrolle der Beschäftigten und KonsumentInnen!

Nein zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung: Für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Rücknahme der Hartz- und Agenda-Gesetze! Nein zu Billigjobs und Leiharbeit! Für die Überführung aller Billigjobs und ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse in tariflich gesicherte Arbeitsverhältnisse!

Für ein Mindesteinkommen von 1000 Euro ohne Zwangsprüfungen usw.! Für einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde!

Für freien und kostenlosen Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle! Umlagefinanzierung zur Sicherung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes für alle Jugendlichen!

Wir machen uns keine Illusionen: auch der energischste Kampf kann die Arbeitslosigkeit nicht vollständig überwinden. Sie gehört nun mal zum Kapitalismus wie der Pferdefuß zum Teufel.

Ohne einen bewussten politischen Kampf gegen den Einfluss der Sozialdemokratie, der Gewerkschaftsbürokratie, aber auch das "natürlichen" Reformismus der ArbeiterInnen werden auch die besten und entschlossensten Aktionen nicht über den Rahmen des Kapitalismus hinaus führen.

Partei

Um die Widerstandsansätze zu bündeln und aus der politisch-strategischen Krise herauszukommen, müssen die Vorschläge für demokratische, der Basis verantwortliche Strukturen mit dem Aufbau einer politischen Alternative - einer neuen Arbeiterpartei - verbunden werden.

Notwendig ist eine politische Kraft, welche die heterogene Bewegung, die verschiedenen Teilkämpfe, die verschiedene Auseinandersetzungen auf Grundlage einer politischen Gesamtstrategie, eines Programms verbinden kann.

Ein solches Programm darf sich nicht auf einen mehr oder weniger kämpferischen Katalog von Abwehrforderungen beschränken - es muss vielmehr eine Brücke darstellen von den aktuellen Abwehrkämpfen zum Kampf um die sozialistische Revolution.

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Nr. 99, April 2005

*  Arbeitslosigkeit: Schwarze Bilanz von Rot/Grün
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*  Wahlalternative: Aktiv - gegen Linke
*  NRW-Wahlen: Schröder am Ende?
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