Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Soziale Lage

Zehn Jahre Kaufkraftverlust

Tobi Hansen, Neue Internationale 162, September 2011

In seinem Online-Portal berichtete der Spiegel im Juli über eine Forschung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zur Kaufkraftentwicklung der Beschäftigten in der BRD.

Im Artikel wird zunächst auf die sinkenden Arbeitslosenzahlen der letzten Jahre hingewiesen, allerdings auch mit dem Hinweis darauf, wie das denn bewerkstelligt wurde. In den letzten Jahren gab es einen starken Anstieg von Zeit -und LeiharbeiterInnen sowie von prekär Beschäftigten.

Auch die Frauen-Erwerbsquote stieg an. Der Spiegel und das DIW nennen diese Entwicklung „Strukturwandel“ und haben damit doch nur halb Recht. Denn dieser Strukturwandel ist keinen unsichtbaren Marktgesetzen geschuldet, sondern gezielten Angriffen des deutschen Kapitals.

Prekärer Sektor

2010 waren 57% aller geschaffenen Arbeitsplätze in der Leiharbeit zu finden (182.000 von 322.000). Zusammen mit den vielen anderen Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnbereich wie Teilzeit, 400 Euro-Job oder saisonale Beschäftigung umfasst der Niedriglohnsektor inzwischen 7,84 Mill. Beschäftigte. Dies war und ist Teil der „deutschen“ Krisenlösung, welche bislang ohne massive Entlassungen ausgekommen ist und stattdessen die Beschäftigungsverhältnisse im großen Stil umstrukturiert hat - inklusive niedrigerer Löhne und befristeter Dauer.

Daher ist auch die Entwicklung der Kaufkraft der Beschäftigten vielleicht nur für die bürgerlichen Medien überraschend. Das DIW jedenfalls stellt fest, dass alle 5 unteren Einkommensgruppen seit 2000 Reallohnverluste und somit Kaufkraftverluste hinnehmen mussten. Bei diesen Lohngruppen fallen Verluste von 5-22% an. Sie umfassen Gehälter bis zu 1.300 Euro im Jahr 2000, bei den ersten 4 Lohngruppen (bis 1.050 Euro) gibt es Verluste von 10-20%.

Während die Zunahme der Leiharbeit u.a. prekärer Beschäftigungsverhältnisse richtigerweise als Grund für die Reallohnverluste genannt wird, scheinen die Autoren aber noch Probleme damit zu haben, wen sie denn nun in den Niedriglohnbereich einordnen. So werden die Lohnverluste bei VerkäuferInnen oder Sicherheitsbeschäftigten der „unteren Mittelschicht“ zugeordnet - was soll dann aber der Niedriglohnbereich sein?

Bei diesen Beschäftigten gab es im Jahr 2000 noch ein durchschnittliches Nettoeinkommen von ca. 834 Euro, im Jahr 2010 lag es nur noch nur noch bei 705 Euro netto - was daran „Mittelschicht“ sein soll, bleibt unbekannt. Viele von ihnen haben Anspruch auf Hartz IV-Ergänzung, das „Aufstocken“,  sobald sie Kinder haben.

Einfacher Zusammenhang

An einigen Stellen wird auch erwähnt, dass die BRD in den letzten Jahren wettbewerbsfähiger geworden ist, und dass dies wahrscheinlich auch etwas mit den niedrigeren Löhnen zu tun haben könnte.

Der einfache Zusammenhang zwischen steigender Produktivität, sinkenden Löhnen und dadurch höherer Profitabilität wird ausgeklammert, dies könnte ja die Frage aufkommen lassen, auf wessen Kosten der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt und der Exportboom erreicht wurde.

Allerdings wird richtigerweise die Rolle der Frauen und der Jugend in der Arbeitswelt erwähnt. Wenn mehr Frauen beschäftigt sind, verdienen meist weniger als die männlichen Kollegen (ca.23%). Die heutigen Berufseinsteiger sind davon auch betroffen, auch diese verdienen weniger als im Jahr 2000, unabhängig von ihrer Qualifikation. Auch Top-Ausbildung schützt nicht vor Niedriglohn.

Auch die Rolle der Gewerkschaften wurde erwähnt, schließlich waren diese in den letzten Jahren ja sehr „zurückhaltend“. Es muss schon weit gekommen sein, wenn der Spiegel Reallohnverluste für die unteren Lohngruppen feststellt und die Frage von Frauenarbeit und deren Löhnen, wie auch den Berufseinsteigern thematisiert.

Diese Studie zeigt v.a. auf, wessen Politik in den letzten 10 Jahre gescheitert ist: die Politik der Gewerkschaftsbürokratie. Selbst die oberen Lohngruppen (von 1.600-2.300 Euro) haben leichte Verluste erleiden müssen, die Bürokratie konnte noch nicht einmal für ihre Kernschichten Reallohnsteigerungen rausholen.

Reformistischer Ausverkauf

Im Namen der Sozialpartnerschaft wurde während der SPD-Regierungsbeteiligung Burgfrieden praktiziert und während der Wirtschaftskrise Standortpolitik gegen die Interessen der Beschäftigten. Anstelle der Banken und der Aktionäre müssen die Beschäftigten für die Krise zahlen. 2009 gingen IGM und ver.di sogar ohne direkte Lohnforderungen in die Tarifverhandlungen, diese Politik wird bis jetzt weiter praktiziert.

Ob konjunktureller Aufschwung oder Rezession - die reformistischen Gewerkschaftsführungen, die gesamte Bürokratenkaste hat längst ihren Frieden mit dem Kapital gemacht. Der Kampf um eine klassenkämpferische Politik in den Gewerkschaften, um eine klassenkämpferische Basisbewegung ist daher eine Schlüsselfrage für die Arbeiterklasse wie für RevolutionärInnen. Ein solche Opposition aufzubauen ist notwendig - sowohl, um überhaupt die „ureigenen“ Gewerkschaftsaufgaben, den Kampf um Gehälter und Arbeitsbedingungen erfolgreich zu führen; als auch, um in einer sich verschärfenden krisenhaften Entwicklung den betrieblichen und gewerkschaftlichen Widerstand zu politisieren und zu internationalisieren, um eine gemeinsame Kampf- und Abwehrfront aller Lohnabhängigen aufzubauen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

*  Weltwirtschaft vor einem neuen Crash?
*  Soziale Lage: 10 Jahre Kaufkraftverlust
*  Ver.di-Krankenhauskampagne: Der Druck muss raus!
*  Berliner S-Bahn-Volksbegehren: Jetzt unterstützen!
*  Ratzinger-Besuch: Päpstliche Heimsuchung
*  Stuttgart 21: Nach dem Stresstest
*  Antifaschismus: Welches Konzept gegen rechts?
*  Aktionen im September: Gegen Nazis - in Kassel und überall!
*  Berliner Wahl: LINKE wählen - den Widerstand organisieren!
*  Britannien: Die Riots und der Kampf gegen die Verelendung
*  Jugend in Britannien: Stoppt die Repression!
*  Gaddafi am Ende: Wie kann die Revolution permanent werden?
*  Heile Welt
*  Palästina: Anerkennung durch die UN?