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Gewerkschaftliche Aktionswochen vom 25.10. bis 13.11.

Kühler Herbst

Helga Müller, Neue Internationale 154, November 2010

Nach den fast alljährlichen Beschwörungen eines „heißen Herbstes“ haben sich nun der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften nach langem Hin und Her entschieden, gegen das Milliarden-Sparpaket der Bundesregierung eine „Aktions“woche zu organisieren. Auf einen gemeinsamen Termin konnten oder wollten sich ver.di- und IG-Metall-Verantwortliche nicht einigen.

Aktivitäten

In verschiedenen Regionen bzw. Branchen gab es oder gibt es noch verschiedene Aktionen, die zur Mobilisierung größerer, überregionaler Maßnahmen gut geeignet sind. So wird z.B. in München eine zentrale Kundgebung von ver.di stattfinden. KollegInnen aus den Münchner Postfilialen werden zum gleichen Zeitpunkt Betriebsversammlungen durchführen und vorher - während der Arbeitszeit - eine zentrale Kundgebung organisieren, zu der auch die Münchner Betriebe aus dem ver.di-Bereich aufgerufen sind.

Eine gemeinsame Aktion mit der IG-Metall Bayern wird es jedoch nicht geben, hier ist noch völlig unklar, welche betrieblichen Aktionen überhaupt durchgeführt werden. Es scheint geplant zu sein, die großen Autobetriebe zu einem betrieblichen Aktionstag zusammenzuführen. Genaues ist selbst den betrieblichen Funktionären anderer Betriebe nicht bekannt.

In Baden-Württemberg wiederum gab es am 25. Oktober eine gemeinsame Demonstration und Kundgebung während der Arbeitszeit von ver.di und IG-Metall im Bezirk Esslingen gegen das Sparpaket und gegen Lohndumping in den Betrieben.

In Salzgitter gab es schon am 29.9., dem europäischen Aktionstag (an dem in Spanien ein Generalstreik ausgerufen wurde), eine Demonstration während der Arbeitszeit zusammen mit Gegnern der Endlagerstelle Schacht Konrad mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen.

Kulminieren sollen die Aktionstage in drei dezentralen Demonstrationen in Stuttgart, Nürnberg und Dortmund am 13. November - einem Samstag! Der Aktionstag in Hannover wurde auf den 6. November vorgezogen - zeitgleich mit der Massendemonstration gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten in Danneberg und zum Beginn der Anti-Castor Blockaden. Ein Schelm, wer hier nicht an Spaltung denkt!

Doch schon die Aufzählung dieser einzelten Aktionen zeigt das Dilemma der Gesamtkonzeption. Vereinzelte zersplitterte Aktionen, Ausweichen vor verallgemeinerten betrieblichen Aktionen. Hinzu kommen unklare Forderungen. Der ver.di-Slogan „Gerecht geht anders“ oder die zentrale Kampagne der IG Metall „Kurswechsel für ein gutes Leben“, machen es schwer bis unmöglich, dem Sparpaket der Regierung und der Lohndumping-Politik der Unternehmen eine gemeinsame zentrale und wirkungsvolle Aktion der KollegInnen entgegenzusetzen.

Um das Sparprogramm, den Einstieg in die Kopfpauschale mit der Gesundheitsreform, Hartz IV, die Rente mit 67 etc. wirklich vom Tisch zu bekommen, reichen kleinere Aktionen und drei dezentrale Demonstrationen nicht aus! Stattdessen sind nötig:

Klare Forderungen gegen das gesamte Sparpaket;

eine massive Aufklärungskampagne darüber, in wessen Interesse das Sparpaket liegt;

eine zentrale, gleichzeitige Massenmobilisierung aller Betriebe, der Arbeitslosen, der AktivistInnen gegen Mammutprojekte wie S21 und gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeit etc. während der Arbeitszeit, bis das Sparpaket gekippt ist.

Vorbereitung eines politischen Massenstreiks gegen das Sparpaket; ein erster Schritt dazu müsste ein gemeinsamer bundesweiter Aktionstag vor den Werktoren und mit anschließenden Massendemonstrationen durch alle Gewerkschaften sein, also praktisch ein eintägiger Streiktag!

Auch in Deutschland gibt es den Willen, gegen die Regierung, die im Interesse der großen Konzerne handelt und dafür die arbeitende und  arbeitslose Bevölkerung zahlen lässt,  vorzugehen, dies zeigen die Massenmobilisierungen gegen Stuttgart 21 und gegen den Atomkompromiss. Dass in Deutschland - anders als in Frankreich, Griechenland oder Portugal - Massenmobilisierungen gerade um die „Umwelt“- und nicht auch um die sozialen Fragen aufbrechen, ist symptomatisch. Die Ursache dafür liegt v.a. an der Politik und Strategie der Gewerkschaftsbürokratie.

Ein Teil der Gewerkschaftsspitzen - v.a. in der IG-Metall - hoffen und setzen auf die Einsicht bei Teilen der Unternehmer, jetzt den Aufschwung für höhere Löhne und Gehälter zu nutzen, um für ihre Klientel - die FacharbeiterInnen, also die Kernsektoren der Arbeiteraristokratie - etwas herauszuholen. Die prekär Beschäftigten und die zunehmende Zahl von Beschäftigten mit Niedriglöhnen bleiben außen vor. Dabei ist der Tarifabschluss im Stahlbereich, mit dem LeiharbeiterInnen beim Lohn gleichgesetzt werden, eher eine Ausnahme. So wird der Sozialpartnerschafts- und Standortsicherungskurs im Interesse des Kapitals fortgesetzt.

Krise der Gewerkschaft

Ein anderer Teil der Bürokratie - v.a. in großen Teilen von ver.di - sieht sich damit konfrontiert, dass die Bindungsfähigkeit der Gewerkschaften bei den KollegInnen und selbst bei den Mitgliedern mehr und mehr schwindet. Das wiederum ist Ausdruck der allgemeinen Krise der Gewerkschaften: Während der größten Wirtschaftskrise im Nachkriegsdeutschland waren sie nicht in der Lage und willens, aufzuzeigen, wer verantwortlich für die Krise ist, in wessen Interesse die Rettungspläne für Banken und Konzerne gemacht werden und wer das letztlich bezahlen soll. Stattdessen haben sie bei den Lohnabhängigen Verzicht gepredigt, auf Streiks - selbst um rein ökonomische Forderungen - verzichtet, um ihrem „eigenen“ Unternehmen über die Krise hinweg zu helfen.

Mit dieser Konzeption wird jede effektive Aktion erschwert, mehr noch: sie wird dadurch bewusst verhindert. So kann der Generalangriff von Politik und Unternehmen nicht zurückgeschlagen werden! Es reduziert sich wieder einmal darauf, Druck auszuüben. Diese Strategie des reformistischen Apparats beugt sich einerseits den zentralen Interessen von Staat und Kapital und versucht andererseits, durch eher symbolische Proteste und bescheidene Forderungen, mit denen das Kapital leicht leben kann, die eigene unzufriedene Basis bei der Stange zu halten.

Trotzdem ist es notwendig, die Aktionswochen und die Demonstration zu nutzen, um

die KollegInnen in den Betrieben über den Charakter des Sparprogramms aufzuklären und Zusammenhänge auch mit betrieblichen Maßnahmen zur Kostensenkung aufzuzeigen;

die KollegInnen gegen die Maßnahmen der Regierung zu mobilisieren, möglichst zu Aktionen währen der Arbeitszeit mit der klaren Stoßrichtung: Das Sparpaket und alle anderen Angriffe wie Kopfpauschale, Rente mit 67 müssen weg!

in gewerkschaftlichen Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörpern über die Forderungen zu diskutieren und zu entschieden.

Als zentrale Losungen schlagen wir vor:

Weg mit dem Sparprogramm! Weg mit „Gesundheitsreform“ und Rente mit 67!

Verbot der Leitarbeit! Gleichstellung und Übernahme aller LeiharbeiterInnen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu gleichen, tariflichen Bedingungen der Branche!

Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Abschaffung von Hartz IV! Mindestlohn von 11 Euro netto/Stunde! Mindesteinkommen von 1600 Euro/Monat für alle Arbeitslosen, RentnerInnen, Studierende und SchülerInnen über 16!

Programm gesellschaftlich sinnvoller, öffentlicher Arbeiten für Bildung, Gesundheit, Umwelt unter Arbeiterkontrolle!

Die Reichen und Kapitalbesitzer sollen zahlen! Für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine progressive Besteuerung der Kapitalertragssteuer!

Entschädigungslose Enteignung der Unternehmen, die Massenentlassungen durchführen bzw. planen!

Mobilisierung der KollegInnen zu einem zentralen Kundgebungs-/Streiktag vor Ort - lokal oder regional!

In dieser Auseinandersetzung müssen die Gewerkschaftsverantwortlichen damit konfrontiert werden, dass mehr als dezentrale Aktionen nötig sind, sondern Massenmobilisierungen aller Betroffenen zum gleichen Zeitpunkt bis hin zum Generalstreik. Letztlich kann nur eine solche geschlossene und machtvolle Mobilisierung der gesamten Klasse bzw. zentraler Sektoren der Klasse genügend Kraft entwickeln, um den weiter laufenden Generalangriff des Klassengegners zu stoppen.

Unter dem Druck der globalen Krise - die längst noch nicht ausgestanden ist - und angesichts der Weltmacht-Ambitionen des deutschen Imperialismus resp. der EU unter seiner Führung ist der DGB-Kurs der halbherzigen Mobilisierung nichts anderes als ein vollständiger Verrat!

Wenn wir daran etwas ändern und nicht nur davon abhängen wollen, ob Sommer, Bsirske und Co. mobilisieren oder nicht, dann brauchen wir v.a. eine bundesweite (und letztlich internationale) Oppositionsstruktur in Betrieb und Gewerkschaft, die politisch wie organisatorisch eine Alternative zur Bürokratie darstellt: eine klassenkämpferische Basisbewegung.

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Nr. 154, Nov. 2010
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*  Heile Welt
*  Massenbewegung am Scheideweg: Verhandeln oder Besetzen?
*  Stuttgart 21: Wie kann die Bewegung siegen?
*  Stuttgart 21: Bullen knüppeln, Regierung lügt
*  Gewerkschaftliche Aktionswochen: Kühler Herbst
*  Behr Werk 8: Der Kampf geht weiter
*  Aktionstag Esslingen: Weg mit der Agenda!
*  Autoindustrie: Kapitalistische Wunder?
*  Die Grünen: Bald stärkste Opposition?
*  Integrationsdebatte: Christdemokratische Hassprediger
*  Frankreich: Bewegung am Scheideweg
*  Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Zwischen Boom und Massenelend
*  Venezuela: Opposition gewinnt an Boden
*  Pakistan: Widerstand gegen Privatisierung
*  Anti-Atom-Bewegung: Castor blockieren, Regierung atomisieren!