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Anti-Krisenbündnisse

Eine bittere Zwischenbilanz und ihre Lehren

Martin Suchanek, Neue Internationale 148, April 2010

Die Demonstrationen und Kundgebungen vom März 2010 in Nürnberg, Stuttgart und Essen waren ein Gradmesser für den Zustand der Mobilisierung gegen die Krise. Die Bilanz ist ernüchternd. Noch im März 2009 demonstrierten in Berlin und Frankfurt trotz offener Ablehnung durch die Führungen der DGB-Gewerkschaften rund 55.000 Menschen. Das bundesweite Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ hatte bei allen Schwächen einen beachtlichen Start hingelegt.

Im März 2010 - also ein Jahr später - beteiligten sich 6.500 an der Demonstration in Essen, 2.000 in Stuttgart und 600 in Nürnberg. Wahrlich bescheiden, verglichen mit den 55.000 vom März 2009.

Unruhe, Unmut, aber ...

Dabei ist die Merkel-Westerwelle-Regierung, auch wenn sie mit vielen Angriffen noch hinter dem Berg hält und bislang auch eine systematische Politik der Einbindung der Gewerkschaftsbürokratie in den Großbetrieben und im Staatssektor betrieben hat, alles andere als sattelfest. Sie ist unpopulär und ihre Politik wird von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Hinzu kommt, dass z.B. Westerwelle eine Politik der offenen Provokation der Erwerbslosen fährt, die eigentlich viel mehr Menschen auf die Straße treiben müsste.

Noch wichtiger ist die Tatsache, dass die Legitimationskrise bürgerlicher Politik im Allgemeinen anhält. Kaum ein/e ArbeiterIn oder „normaler“ Mensch traut der herrschenden Klasse eine Lösung der Krise zu, die darüber hinausgeht, dass die Reichen ihr Schäfchen ins Trockene bringen.

Auch der Klassenkampf kam unter Schwarz/Gelb nicht zur Ruhe. An Konflikten gab es nicht weniger als unter der Großen Koalition.

So fand eine große Besetzungsbewegung an 50-70 Unis statt. Im November 2009 demonstrierten 10.000e StudentInnen und SchülerInnen. Diese Massenbewegung im Bildungsbereich machte sich auch in Essen positiv bemerkbar - durch einen großen Anteil der Bildungsbewegung mit eigenen Fahnen und Transparenten.

Wichtiger ist aber, dass es auch in etlichen Betrieben zu mehr Unruhe und offen ausgetragenen Kämpfen und Aktionen kam. Die wichtigste, wenn auch keinesfalls einzige, waren die Kundgebungen und die zeitweilige Arbeitsniederlegung bei Daimler in Sindelfingen, die über mehrere Schichten ging und außerhalb der Kontrolle der Betriebsratsoberen stattfand. Bei den Betriebsratswahlen im Metall-Bereich traten deutlich mehr oppositionelle Listen an, die tw. auch recht erfolgreich waren.

Hinzu kommt, dass DIE LINKE gerade ihren Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen durchführt. Viele warfen ihr gar vor, die Demo in Essen „zu vereinnahmen“. Sicherlich war sie stärker vertreten als bei vielen bisherigen Demos. Für eine Partei, die mehr Mitglieder in NRW haben soll, als sich insgesamt an der Demo beteiligten, war ihre Mobilisierung jedoch enttäuschend. Ihr Kontingent war etwa so groß wie das der DKP!

Ganze „Spektren“ verabschiedeten sich außerdem von den Demos/Aktionen, so Attac oder ein Teil der Autonomen. Von den Gewerkschaften waren in Essen nur Gliederungen von ver.di und IG BAU in größerer Zahl präsent.

Diese Entwicklung muss die Alarmglocken läuten lassen! Seit einem Jahr verlieren die Bündnisse gegen die Krise an Mobilisierungskraft!

Sicher hängt eine Belebung des Klassenkampfes nicht allein, ja nicht primär von den Anti-Krisenbündnissen ab.

Es ist durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass der Widerstand in Unternehmen, Betrieben oder Branchen, die massiv von der Krise betroffen sind, früher oder später radikalere Formen wie Streiks und Besetzungen annehmen wird und ein solcher Kampf den Klassenkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital weit über ein Unternehmen/eine Branche hinaus anfachen wird. Er könnte zu einem Fanal für die gesamte Klasse werden - und müsste auch zu einer Neustrukturierung der Anti-Krisenbündnisse als Solidaritätsbündnisse führen.

Zweitens können und werden die Bündnisse nie die Arbeit von RevolutionärInnen, von militanten ArbeiterInnen in den Betrieben und Gewerkschaften ersetzen können.

Aber das Ausbleiben von zahlenmäßig relevanten Massendemonstrationen gegen die Krise seit März bzw. Mai 2009 - und daran hat Essen nichts geändert! - bedeutet, dass es keinen für die gesamte Gesellschaft sichtbaren, politischen Fokus des Protests und Widerstands gibt. Das ist ein enormes Problem für alle von der Krise Betroffenen und ein wirkliches Pfund der herrschenden Klasse!

Die Hauptverantwortung der Arbeiterbürokratie

Die Hauptverantwortung dafür wie für die Ruhigstellung ganzer Branchen und Belegschaften tragen zweifellos die Bürokraten in den Vorstandsbüros der Gewerkschaften und den Betriebsratsspitzen der Großbetriebe. Hinzu kommt natürlich die Politik von SPD und Linkspartei. So betreibt die SPD weiter eine „Oppositionspolitik“, die nur allzu deutlich zeigt, dass sie weiter eine Große Koalition fortsetzen will. Ihr Abrücken von Hartz-IV ist unglaubwürdig und halbherzig. Aber auch DIE LINKE geht nicht in die Offensive, ist keine Partei des Kampfes. Schon gar nicht kritisiert sie die sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitzen. Schließlich will die Linkspartei ja für diese attraktiv sein und bekämpft daher den Aufbau einer Opposition gegen den Apparat zugunsten von Kungelrunden mit linken und auch nicht so linken Bürokraten.

Aber das erklärt nicht alles. Auch mit den Kräften, die z.B. die Demos vom 28. März organisierten, wäre eine weitere Mobilisierung und die Ausweitung lokaler Aktionskomitees möglich gewesen.

Doch die Bewegung beging jedoch taktische Fehler, die fast zum Einschlafen der Bündnisse geführt haben. Nach den Demos im März gab sich erstens ein Teil der Bewegung der Illusion hin, dass im Mai ohnedies der DGB mobilisiere, daher eine eigenständige Mobilisierung für die DGB-Demo nicht oder nur von nachrangiger Bedeutung wäre. Konkrete Forderungen und Kampfschritte von den Gewerkschaftsführern einzufordern, wurde daher abgelehnt.

Zweitens setzte sich bundesweit die Linie durch, im September 2009, also vor der Bundestagswahl, nur dezentrale Aktionstage durchzuführen. Daran beteiligten sich zwar 30 Orte, aber in der Regel mit kleinen bis kleinsten Aktionen unter 500, oft sogar unter 100 TeilnehmerInnen. Das hatte einen entmutigenden Effekt und bestärkte die Tendenz zum Siechtum der Bündnisse vor Ort.

Drittens argumentierte eine Mehrheit der Krisenbündnisse - v.a. die VertreterInnen der großen, reformistischen Organisationen wie LINKE, attac und linke Gewerkschaftsgliederungen -, dass eine große Mobilisierung erst möglich wäre, wenn es „den“ großen Regierungsangriff gäbe. Vorher könnten die Menschen nicht auf die Straße gebracht werden. Damit wurde die nächste, koordinierte, bundesweite Aktion - eine Demo in einer Stadt oder in zwei, drei großen regionalen Zentren - ständig verschoben. Aktionsbündnisse ohne Aktion braucht aber niemand! Daher führte das ständige Verschieben von Mobilisierungen auch zum Niedergang der Bündnisse - und das Dahindümpeln zur weiteren Verschiebung. Ein Teufelskreis war entstanden, aus dem die Bündnisse ausbrechen müssen - oder sie werden absterben.

Die Bedeutung des 12. Juni

In dieser Situation erlangt die geplante bundesweite Demonstration in Berlin am 12. Juni  große Bedeutung für die weitere Zukunft des Kampfes gegen die Krise. Es ist sehr wichtig, dass sie zahlenmäßig ein großer Erfolg wird, dass es gelingt, neben den größeren und kleineren sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen, der kleinbürgerlichen radikalen Linken (Autonome), Migrantenorganisationen, VertreterInnen von Bündnissen und Mobilisierungen der SchülerInnen, Studierenden, Arbeitslosen auch Gewerkschaftsgliederungen zu gewinnen, die mehrere tausend Lohnabhängige mobilisieren können und wollen.

Zugleich ist es auch unbedingt notwendig, Forderungen an die Führungen aller DGB-Gewerkschaften zu stellen, diese Demo zu unterstützen, dafür zu mobilisieren die Stillhaltepolitik mit der Regierung zu beenden.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie bis zum Juni dazu gezwungen werden können. Realistisch ist aber, dass neben vielen anderen tausende GewerkschafterInnen und von der Krise betroffene Beschäftigte mobilisiert werden können - wenn die Bündnisse in der Lage sind, dafür möglichst viele „untere“ Gewerkschaftsgliederungen zu gewinnen und selbst systematisch vor den Betrieben für die Demo werben.

Das heißt aber auch, dass dem die politische Stoßrichtung des Aufrufs und das Motto einer solchen Demo Rechnung tragen müssen. Als Gruppe Arbeitermacht haben wir im Berliner Bündnis folgende Forderungen vorgeschlagen, die unserer Meinung nach die wichtigsten Angriffe aufgreifen und eine Antwort darauf geben, auf deren Grundlage breite Aktionseinheiten von allen Strömungen, Parteien, Organisationen der Arbeiterbewegung, der Linken, der Unterdrückten gebildet werden können:

Kampf gegen alle Entlassungen!

30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Gesetzlicher Mindestlohn von 10 €!

Hartz IV abschaffen - übergangsweise 500 Euro Eckregelsatz!

Unbefristete Übernahme aller LeiharbeiterInnen und Befristeten zu gleichen Tariflöhnen!

Rente ab 60 statt „Rente mit 67“!

Nein zur Kopfpauschale! Gesundheitsvorsorge für alle!

Kostenloser und freier Zugang zur Bildung für Alle! Eine Schule für Alle - mit kleineren Klassen und mehr LehrerInnen! Studiengebühren abschaffen!

Ausbildungsplätze für Alle! Übernahme aller Auszubildenden im erlernten Beruf!

Entschädigungslose Enteignung aller Banken und Großkonzern unter Kontrolle der Beschäftigten!

Abzug aller deutschen Truppen aus dem Ausland!

Diese Forderungen bringen auch zum Ausdruck, wer für die Krise zahlen soll: Die Kapitalisten, die Spekulanten, die Krisengewinnler! Sie müssen zur Kasse gebeten werden!

Eine erfolgreiche bundesweite Massenmobilisierung für den 12. Juni wäre ein enormer Schritt vorwärts und könnte die Grundlage für eine starke Bewegung, für den Wiederaufbau von Anti-Krisenbündnissen in den Städten und Kommunen führen.

Es sollten regelmäßig Kundgebungen, Infostände oder Aktionen auf zentralen Plätzen, vor Betrieben oder Arbeitsagenturen stattfinden, um die ArbeiterInnen, Angestellten, Arbeitslosen, Jugendlichen und RentnerInnen zu informieren und zu mobilisieren. Es sollten Anti-Krisenbündnisse aufgebaut werden, die nicht nur alle unterstützenden Organisationen, Gruppierungen und Bündnisse umfassen. Sie sollten auch für alle offen stehen, die über Straßen-, Betriebs oder sonstige Aktionen angesprochen werden. D.h. es muss dazu vor Ort Anti-Krisen-Bündnisse geben, an denen ArbeiterInnen, Jugendliche, MigrantInnen problemlos teilnehmen können und die diese aktiv in ihre Arbeit einbeziehen.

Ebenso ist es von großer Bedeutung, dass in den Betrieben und Unternehmen von den Vertrauensleuten, aktiven GewerkschafterInnen und ArbeiterInnen die Initiative zur Mobilisierung ergriffen wird, indem Abteilungsveranstaltungen und Belegschaftsversammlungen auf die Bedeutung der Demo hinweisen und aktiv die Werbung in die Hand nehmen. Fordert von den Gewerkschaften, von den Betriebs- und Personalräten die politische und finanzielle Unterstützung diese Aktivitäten!

Für eine kämpferische Anti-Krisenbewegung! Macht den 12. Juni zu einem Erfolg und Neubeginn!

Aufbau von Anti-Krisenbündnissen und Mobilisierungsbündnissen für den 12. Juni in den Stadtteilen!

Für eine bundesweite Konferenz der Bewegung nach dem 12. Juni, um die weitere Kampfstrategie zu beraten und beschließen!

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Nr. 148, April 2010
*  Anti-Krisenbündnisse: Eine bittere Zwischenbilanz und ihre Lehren
*  IG Metall: Nach den Betriebsratswahlen
*  Unabhängige Betriebsgruppe Klinikum Bremen Mitte: Opposition ist möglich
*  Gegengipfel zum Treffen der EU-Bildungsminister: Bildung statt Bologna!
*  Bundeswehr an Schulen: Militarismus bekämpfen!
*  Honduras: Protestiert gegen den feigen Mord an Gewerkschaftsaktivist!
*  Volksbegehren in Thüringen: Gegen Kitaabbau und Herdprämie
*  Kirchenskandal: Vergewaltigung mit Heiligenschein
*  Heile Welt
*  Linksradikale in Antikrisenbewegung: Keine Forderung ist keine Lösung
*  Interview zu Südasien: Klassenkampf und revolutionäre Perspektiven
*  Cochabamba: Weltklimagipfel der sozialen Bewegungen
*  Griechenland: Im Würgegriff des deutschen Imperialismus