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Hartz IV

Minilohn und Maxizwang

Richard Grün, Neue Internationale 93, September 2004

Das soziale Klima in Deutschland wird kälter. Im aktuellen Datenreport für Deutschland heißt es: "In der Summe zeichnet sich eine durch zunehmende Armut und Ungleichheit gekennzeichnete Gesellschaft ab."

Die Zuspitzung der sozialen Gegensätze mit Hartz IV gehört zum Kalkül von Kapital und Regierung. Verstärkte Lohnspreizung, Armutslöhne, Abbau der sozialen Sicherungssysteme auf das unterste Existenzminimum sind Schlagworte des arbeitsmarktpolitischen roll back. Hartz IV wirkt vor dem Hintergrund von Einkommenseinbußen. So arbeiten heute schon mehr als 8 Millionen im Niedriglohnsektor bei gleichzeitig höheren Belastungen durch die Privatisierung öffentlicher Bereiche und sozialer Leistungen sowie die zunehmende Entrechtlichung der Arbeitsverhältnisse. Diese Lasten werden den Lohnabhängigen und Arbeitslosen aufgebürdet, um die Umverteilung zugunsten der Reichen und des Kapitals weiter voran zu treiben.

Über 6 Millionen werden unmittelbar durch Hartz IV betroffen sein. Davon erhalten nur 16% höhere Leistungen als bisher. Durch den Wegfall des zeitlich begrenzten Kinderzuschusses und des Zuschusses zum Arbeitslosengeld (ALG) II werden die meisten aber nach zwei Jahren erhebliche finanzielle Einbußen haben.

Für 5 Millionen wird sich die finanzielle Situation schon mit Jahresbeginn 2005 deutlich verschlechtern. Von ihnen werden über 500.000 überhaupt kein ALG II erhalten. Schon durch Hartz II von Anfang 2003 wurden die Anrechnungsbestimmungen von Partnereinkommen und Vermögen verschärft, so dass über 180.000 Arbeitslosenanträge abgelehnt wurden. Es ist zynisch und verlogen, wenn die Regierung über die Medien verbreitet, dass durch Hartz IV "nur wenige schlechter gestellt" würden. Natürlich geht es bei der neoliberalen Umstrukturierung des Arbeitsmarktes auch und gerade um massive Einsparungen!

Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass durch das ALG II ca. 4 Milliarden Euro eingespart werden; dazu noch einmal bis zu 2 Milliarden durch die Kürzung des Arbeitslosengeldes auf ein Jahr. Das würde - welch Zufall! - in der Summe gerade der Größenordnung der Steuerreform 2005 entsprechen, die vor allem den Gutverdienern und Reichen zugute kommt.

Der Klassencharakter des Staates wird auch durch die unterschiedliche Behandlung seiner Klientel deutlich. Während den Kapitalsteuer-Flüchtlingen Amnestie gewährt wird, werden bei den ALG II-EmpfängerInnen jeder Cent und jedes "Vermögen" penibel überprüft. Was bisher schon bei SozialhilfeempfängerInnen gängige Praxis war, gilt nun auch für Millionen ALG II-BezieherInnen. Die Drohung lautet: "Es wird kontrolliert wie nie."

Denn: möglicherweise erweist sich eine WG doch als Bedarfsgemeinschaft oder das Erbstück von Oma hat einen höheren Wert als angegeben, so dass die Bedarfssätze reduziert werden können. Der Staat nimmt sich das Recht, die Lebensverhältnisse der ALG II-EmpfängerInnen zu durchschnüffeln - was gelten da noch Datenschutz oder Stasi-Erfahrungen?!

Auch die Wohnung steht mit Hartz IV zur Disposition. Die Miete wird künftig nur noch übernommen, wenn sie "angemessen" ist, d.h., wenn sie in der Regel nicht mehr kostet als 180 - 220 Euro und der Wohnraum nicht größer als 48 qm (für eine Person) oder 60 qm (für zwei) ist. Immerhin werden noch die Heizkosten übernommen, damit die Betroffenen nicht frieren, wenn sie ihren ALG II-Antrag ausfüllen.

Die Befürchtung vieler Arbeitsloser, dass sie künftig in kleinere Wohnungen "umgesetzt" werden, ist durchaus berechtigt. Hessens Ministerpräsident Koch (CDU) dazu: "Wir werden den Wohnraum zur Verfügung stellen, der die steigende Nachfrage nach niedrigen Mieten deckt." Was das bedeutet, zeigt ein Modellversuch in Kassel. Hier wurde die Miete für SozialhilfeempfängerInnen auf 235 Euro pauschaliert, wie es bei Hartz IV vorgesehen ist. Die Folge? Für 3000 Personen wurden die bisher angemessenen Unterkunftskosten gestrichen. Ein gewollter Nebeneffekt ist auch, dass sozial schlechter Gestellte aus attraktiveren Wohngegenden vertrieben werden.

Hartz IV bedeutet nicht nur, dass Millionen Betroffene gezwungen werden, am oder praktisch unter dem Existenzminimum zu "leben" - in einem der reichsten Länder der Welt! Sie müssen für ihre Hungerration auch noch arbeiten!

"Arbeit muss sich wieder lohnen", tönen Unternehmerverbände und Regierung. Lohnen soll es sich in Wahrheit fürs Kapital. Durch Hartz IV wird ein extremer Niedrigstlohnsektor geschaffen. Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von "bis zu 3 Millionen neuen Arbeitsplätzen im niedrigproduktiven Sektor". Er soll durch eine "beschäftigungsfreundliche Lohnstruktur, die man an die Bedingungen der Marktrealitäten anpasst", geschaffen werden. Aber bisher blieben die versprochenen Millionen neuer Billigjobs aus. Um das zu schaffen und zugleich die Arbeitslosenstatistik zu "verschönern", sollen nun etwa 600.000 Jobs für einen oder zwei Euro pro Stunde geschaffen werden. Vor allem im kommunalen Bereich wie dem Pflegedienst.

Aber selbst diese zwei Euro pro Stunde sind dem BDI noch zu viel! Er kritisierte heftig, dass das ALG II nicht auf diese Jobs angerechnet wird. So könnten manche ja Einkommen von um die 1000 Euro erzielen, was bekanntlich ein Leben in Saus und Braus ermöglicht. Das sei entschieden zu viel. Gebraucht würde laut BDI eine noch größere Lohnspreizung nach unten. Der BDI verlangt, uneingeschränkt an den neuen "Zuverdienstregeln" festzuhalten.

Wer künftig bis 400 Euro dazu verdient, kann davon nur 15% behalten, der Rest wird gegengerechnet (bei 400 bis 900 sind es 30%, bei über 900 Euro wieder 15%).

Das Ziel der Einführung der Billigst-Jobs ist aber weniger die Schaffung von Arbeitsplätzen, als die Erhöhung des Drucks auf die "Normal-Löhne" und die Verdrängung von Vollerwerbs-Stellen durch Tagelöhnerei.

So haben auch "Wohlfahrtsverbände" wie Caritas und Arbeiterwohlfahrt schon angekündigt, tausende solcher Stellen zu schaffen. Ihre Wohltätigkeit orientiert sich vor allem daran, die eigenen Kosten zu minimieren bzw. - im Fall der Caritas - etwas Geld für die Not leidende Kirche abzuzwacken. So werden die Pflegezeiten gekürzt, den Beschäftigten Weihnachts- und Urlaubsgeld gekürzt und die Feiertagszulage gestrichen. Da kommen ihnen die Billigjobs gerade recht.

In den USA gibt es dafür einen Begriff: working poor - arm trotz Arbeit.

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Nr. 93, September 2004

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