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70. Jahrestag des Röhm-Putsches

Braun gegen Braun

Hannes Hohn, Neue Internationale 91, Juni 2004

Reichlich ein Jahr nach der Machtergreifung, am 30. Juni 1934, sorgte ein Ereignis für Schlagzeilen: der "Röhm-Putsch". Doch es handelte sich dabei keineswegs um einen Putsch von SA-Führer Ernst Röhm gegen Hitler, sondern um einen Putsch Hitlers gegen ihn und die SA-Führung.

Die Röhm-Putsch-Episode verrät sehr viel darüber, was das Besondere am Faschismus ist, wie und warum er zur Macht kam - und wie er deshalb bekämpft werden muss.

Röhm war einer der ersten Nazis. Unter ihm wurde die SA zur straff organisierten Kampforganisation der NSADP. 1933 hatte die SA etwa 250.000 Mitglieder. Sie organisierte vor allem viele durch die Krise frustrierte Kleinbürger, die in ihrer kostenlos gestellten braunen Uniform und mit ihren knallenden Nagelstiefeln in einer marschierenden Kolonne wieder "etwas darstellten". Die SA war eine Terror-Truppe, die Linke, Gewerkschafter, Juden u.a. überfiel und ermordete. Sogar die "auf dem rechten Auge blinde" Weimarer Justiz sah sich zeitweise gezwungen, die SA zu verbieten.

Was war die SA?

Die "Sturmabteilung", wie die SA richtig hieß, verbreitete Angst und "Respekt"; sie beeindruckte durch ihre Entschlossenheit und Organisiertheit - sie repräsentierte reale Macht. Die paramilitärische SA war nicht der einzige, aber ein wesentlicher Faktor, der den Nazis ermöglichte, zu einer Massenbewegung zu werden, die Macht zu ergreifen und sie zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der Demokratie zu nutzen.

In der SA verband sich eine reaktionäre, terroristische, kämpferische Bewegung mit einer scheinbar systemkritischen, antikapitalistischen Demagogie, die notwendig war, um das Kleinbürgertum zu gewinnen. Slogans wie "Gegen das raffende Kapital" waren geeignet, die Unzufriedenheit der sozial abgestürzten Kleinbürger mit dem System anzusprechen und ihre Wut statt gegen das Kapital als Klasse in dumpfen Rassismus gegen das vermeintlich jüdische "raffende Wucherkapital" umzuformen. Insofern war die SA der Kern des "sozialrevolutionären" Flügels der NSDAP.

Allein schon die Existenz dieses starken Flügels des Faschismus belegt, dass die stalinistische Faschismus-Definition Georgi Dimitroffs, nach welcher der Faschismus ausschließlich Ausdruck der reaktionärsten Teile des Finanzkapitals sei, viel zu kurz greift und die Besonderheit des Faschismus als militante Bewegung des radikalisierten Kleinbürgertums übersieht. Gerade wegen der kleinbürgerlichen militanten Massenbasis war es notwendig, dass die Arbeiterbewegung - also KPD, SPD und Gewerkschaften - eine antifaschistische Aktionseinheit herstellten, um die faschistische Bewegung überhaupt schlagen zu können.

Doch die linkssektiererische KPD-Politik des "Sozialfaschismus" und der "Einheitsfront von unten" boykottierte den Kampf der Klasse von "links" wie die SPD-Politik, die ein Bündnis mit den "demokratischen" Kapitalisten einem Block mit der KPD vorzug, von "rechts".

Nach der Machtergreifung, nachdem die Arbeiterbewegung zerschlagen war, ging Hitler daran, sein Programm der Weltherrschaft des deutschen Imperialismus in die Tat umzusetzen. Dazu musste abgesichert werden, dass auch die alte Führungselite des Staates und besonders der Armee Hitlers Projekt unterstützten. Vor allem brauchte er die volle Rückendeckung der deutschen Bourgeoisie, von der vor 1933 durchaus nicht alle Teile auf Hitler setzten - was freilich nicht hieß, dass der Rest gegen ihn gekämpft hätte! Nicht zuletzt musste klar sein, dass die eigene Bewegung - die NSDAP und ihre Unterorganisationen - vorbehaltlos und zuverlässig hinter Hitlers Strategie stand.

Standen Röhm und die SA dem im Wege? Meinungsverschiedenheiten zwischen Röhm und Hitler gab es von Anfang an, was zeitweise zum Bruch führte. 1925 verließ Röhm sogar die Partei und ging ins Ausland. Doch für Hitler war Röhm als Führer der SA unverzichtbar - er holte ihn zurück.

Differenzen

Röhm hing der Vorstellung einer "permanenten faschistischen Revolution" an, welche die Gesellschaft ständig "umkrempeln" sollte - freilich, ohne die privatkapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Strukturell sah er die SA als eine wesentliche Säule des künftigen Regimes an. Sie sollte quasi der militärische Arm des Staates sein, dem auch die Reichswehr und ihre Führung untergeordnet sein sollten.

Diese Konzepte waren mit Hitlers Absichten und mit der Strategie des deutschen Imperialismus jedoch inkompatibel. Einerseits war das Kapital selbst von den vagen "antikapitalistischen" Schrullen der gestiefelten Kleinbürger beunruhigt. Um die Rüstungsproduktion anzukurbeln und den Krieg vorzubereiten, brauchte man eine Konzentration von Kapital und riesige Investitionen in die militärisch relevante Großindustrie und keine störenden Wünsche von frustrierten Gemüsehändlern.

Obwohl die Nazis ihren Kadern eine Unmenge an Posten und Privilegien - oft auf Kosten der Juden - verschafften, blieb bei Teilen der Basis doch ein Rest an Enttäuschung über die ihrer Meinung nach unvollendete "nationalsozialistische Revolution".

Am krassesten kollidierten Röhms Vorstellungen hinsichtlich der Militärstrukturen. Große Teile des Offizierskorps lehnten es strikt ab, unter dem Befehl der SA zu dienen; weniger aus politischen denn aus Karriere- und militärfachlichen Gründen. Doch der Um- und Ausbau der Reichswehr zur kriegsfähigen Aggressionsarmee war ohne die erfahrenen Weltkriegsoffiziere und Spezialisten unmöglich.

Nicht zuletzt war Röhm vor allem innerhalb der SA sehr beliebt und dort zeitweilig populärer als Hitler. Doch Hitler konnte und wollte sich nach der Machtübernahme keine möglichen innerparteilichen Gegenspieler mehr leisten.

Der Straßenterror der SA war nun weniger wichtig als der staatlich organisierte Terrorapparat der "Spezialisten" der Gestapo.

Auch für "Sonderaufgaben" wie die Massenvernichtung der Juden war die NS-Eliteformation SS besser geeignet als die "Massenorganisation" SA. Große Teile der Gestapo rekrutierten sich aus dem alten Polizeiapparat, die alte politische Polizei und der Kriminalapparat wurden fast komplett übernommen. Von einer Zerschlagung des alten bürgerlichen Staatsapparates kann also keine Rede sein!

Bonapartismus

Hitlers Einbindung des Staatsapparates und der alten Machteliten bedeutete, dass er quasi als Bonapart, als "Führer" darüber regierte. Insofern waren seine unumstrittene Führerrolle und der Führerkult wesentliche Teile dieses Herrschaftsmechanismus und keineswegs nur ein reaktionärer Spleen.

Leo Trotzki schrieb 1933: "Der deutsche und der italienische Faschismus stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und gegen die Einrichtungen der Demokratie zusammenpressten. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums. … die Mittelklassen sind nicht fähig zu selbständiger Politik." (Porträt des Nationalsozialismus).

Nachdem Konkurrenten Röhms v.a. aus den Reihen der SS Gerüchte über einen angeblichen Putschversuch Röhms lancierten, musste Hitler handeln. Am 30. Juni 1934 wurden Röhm und weitere "unbotmäßige" SA- und NSDAP-Funktionäre verhaftet und zum größten Teil umgebracht.

Bezeichnend ist dabei auch die Ermordung Gregor Strassers, des schon Monate vorher kaltgestellten Führers des "national-revolutionären" Flügels der NSDAP. Wie meist wurde die Gelegenheit auch zum Anlass genommen, wirkliche politische Gegner auszumerzen. Man geht von etwa 400 Opfern der Säuberungsaktion aus.

Im Gefolge des Röhm-Putsches spielte die SA eine deutlich untergeordnete Rolle im faschistischen Machtgefüge. Die SS Himmlers, die bis dahin der SA unterstand, war von nun an eine selbstständige Organisation, die viel bedeutender als die SA war und immer mehr zu einem Staat im Staate wurde. Sie unterstand Hitler direkt und war in jeder Hinsicht und für jedes Verbrechen ein absolut zuverlässiges Instrument.

Bedeutung des Putsches

Der Röhm-Putsch war also mehr als nur eine innerparteiliche Säuberung oder eine Rivalität zwischen faschistischen Führern. Er markiert den Punkt, an dem die letzten Hürden oder Risiken auf dem Weg des deutschen Kapitals zur Weltmacht ausgeräumt worden sind. Die SA war unverzichtbar, um die Macht zu erobern und die Arbeiterbewegung zu zerschlagen; sie wurde "zur Räson gebracht", als man die Macht hatte. War die SA schon immer nur dem Anschein nach antikapitalistisch, war nach 1933 selbst schon dieser Anschein suspekt und ohne Funktion.

Die Ausschaltung Röhms und die Zurückstutzung der SA zum einem untergeordneten Glied der Machthierarchie verdeutlicht, dass der Kleinbürger im Braunhemd seine Schuldigkeit getan hatte - als nützlicher Idiot in Diensten des deutschen Kapitals.

Aktuell zeichnet sich die faschistische Szene dadurch aus, dass sie sich mit einem "linken", "antikapitalistischen" Image ausstaffiert. Parolen wie "Gegen Sozialabbau", "Gegen Bosse und Bonzen", "Weg mit der Agenda" usw. und das Verwenden linker Symbole sind dabei nicht nur Ausdruck von Demagogie. Sie spiegeln auch die tiefe Unzufriedenheit mit dem System, die soziale Frustration derer wider, deren Lebensperspektiven - v.a. im Osten- grau und trist sind. Sie sind Ausdruck eines Radikalismus, der völlig richtig davon ausgeht, dass Reformen - im positiven Sinne - unmöglich sind und parlamentarische Mittel keine Lösung bringen.

Andererseits verweist die wachsende Zahl militanter rechter Skinheads und Nazis aber auch darauf, dass sich die Linke und die "offizielle" reformistische Arbeiterbewegung viel zu wenig als attraktive und effektive Instrumente von Widerstand erweisen. Das ist die Kehrseite des zahnlosen Parlamentarismus und der Anpaßlerei der SPD, der PDS wie der Demobilisierungsstrategie der Gewerkschaftsführungen - viele Jugendlichen suchen sich ein radikaleres Milieu.

Rattenfänger heute

Wenn kein Weg zur Befreiung vom Kapitalismus in Sicht ist, installiert man eine "befreite Zone". Wenn die Arbeiterbewegung das Gefühl von Solidarität und Gemeinschaftlichkeit im Kampf nicht bietet, dann erscheint die Kumpanei rechter Kameradschaften und die gemeinschaftliche Jagd auf Ausländer als "Alternative". Kreist das politische Denken nicht um die Ideen von Internationalismus und Klasse, treten an deren Stelle Nation und Rasse.

Im Unterschied zu 1933 ist die faschistische Szene heute dramatisch schwächer und zersplitterter. Trotz verschiedener Anläufe - zuletzt der Versuch, die NPD zum Kern der extrem rechten Szene zu machen - ist es bisher nicht gelungen, eine organisatorische Vereinheitlichung zu erreichen und eine Führerfigur zu etablieren.

Die v.a. in Ostdeutschland stark "national-revolutionär" geprägte Fascho-Szene liegt momentan auch völlig quer zur Strategie des deutschen Kapitals, im Rahmen der EU den USA die Führungsrolle streitig zu machen. Doch die Krise, der soziale Abrutsch von Millionen und die Auswirkungen von Krise und Globalisierung können durchaus dazu führen, dass die faschistische Bewegung wieder mehr Zulauf bekommt als jetzt. Selbst Teile der Bourgeoisie könnten dann wie vor 1933 wieder auf die faschistische Karte setzen. Ein Röhm, ein Strasser oder Hitler finden sich allemal.

In jedem Fall ist die Lehre des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte aber die: nur eine kämpferische Arbeiterbewegung kann den Faschismus stoppen! Nur eine revolutionäre Partei, die ihre historische Lektion gelernt hat, ist eine Alternative - zu Kapitalismus und Faschismus!

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Nr. 91, Juni 2004

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