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Krise der IG Metall

Kranker Riese

Frederik Haber, Neue Internationale 82, Juli/August 2003

Die IG Metall ist in der Krise - das macht sie für die Medien besonders interessant. Alle, die zuvor die IGM wegen ihres Streiks im Osten verdammt hatten, rufen jetzt zu ihrer Rettung auf und wissen was ihr gut tut. "Modernisierung" statt "Tradition" lautet das Schlagwort. Die wichtigste Maßnahme dazu: Weg mit Peters.

Es sind nicht nur die Medien, die Unternehmerverbände und die Regierung, die sich dreist in die Debatte der IGM einmischen. Die IGM selbst ist gespalten. Prominente Funktionäre nutzen die Medien für ihre Manöver und sind zugleich auch die Benutzten. Auch sie haben das Ziel, die IGM zu verändern und Peters zu beseitigen.

Peters war gegen den Willen von Zwickel und des geschäftsführenden Hauptvorstandes vom gesamten Vorstand als neuer Vorsitzender der Gewerkschaft nominiert worden. Jetzt soll diese Entscheidung revidiert werden. Dazu ist jedes Mittel recht. Peters solle zurücktreten, der ganze Vorstand solle zurücktreten, Huber ist als Kandidat für den Stellvertreterposten bereits zurückgetreten - jetzt ist der Weg frei für eine neue Nominierung durch den Vorstand.

Betriebsratsfürsten

Einige Dinge werden offensichtlich. Die "Modernisierer" werden in der Wahl ihrer Mittel immer skrupelloser. Zwickel ist inzwischen offen auf ihre Seite geschwenkt. Die eigentliche Macht in der IGM sind aber die Betriebsratsfürsten der großen Konzerne, insbesondere der Autoindustrie und großer Unternehmen wie Siemens. Die jahrzehntelange Disziplin der IGM und ihre Geschlossenheit nach außen, die oft mit sehr bürokratischen Methoden durchgesetzt wurden, gehören der Vergangenheit an.

Der Konzernbetriebsrats- (KBR)-Vorsitzende von Siemens hatte schon früh für die Unterstützung von Schröders Agenda 2010 geworben. Bei Ford - aber nicht nur dort - wurde die Gegenmobilisierung boykottiert. Der Gesamt-BR-Chef von Opel, Franz, hatte noch während des Streiks im Osten in der Tagesschau und in der "Welt" zum Abbruch des Streiks aufgerufen. Auch Klemm, GBR-Chef von DaimlerChrysler, stellte sich generell gegen die Arbeitszeitverkürzung.

Zwickel galt lange als ein gemäßigter Traditionalist, vor allem in der Zeit, als Walter Riester zweiter Vorsitzender war und seinerseits mit Vorschlägen zu Flexibilisierung der Arbeitszeiten und zur Differenzierung der Tarifverträge vorpreschte. Riester hatte die Methode eingeführt, an der Beschlusslage der Gewerkschaft vorbei "moderne" und "reformorientierte" Projekte über die Medien zu streuen. Jetzt hat Zwickel seine Macht als Vorsitzender schamlos dazu ausgenutzt, um den Streik im Osten abzuwürgen und dieses Debakel für die IGM gleich zu einem Kurswechsel zu nutzen - wieder werden die Organe der Gewerkschaft dabei umgangen, bzw. vor vollendete Tatsachen gestellt.

Fast untergegangen ist die Tatsache, dass Zwickel kurz vor dem Streikende auch jeden Widerstand gegen die Agenda 2010 abgesagt hatte. Schon im letzten Jahr hatte er mit dem "Zukunftsmanifest", das anschließend in "Offensive 2010" umgetauft wurde, einen neuen Kurs für die IGM definiert: Abschied von der Arbeitszeitverkürzung, von Lohnforderungen, die auch umverteilen sollten und von Arbeitskämpfen als Mittel zu ihrer Durchsetzung.

Strukturen

Die Macht der BR-Fürsten in den Großunternehmen ist berüchtigt. Gerade dort erfüllen Betriebsräte und Gewerkschaft eine starke Ordnungsfunktion. Eine Revolte in einem Krankenhaus wäre politisch ärgerlich - in einem Automobilbetrieb würde ein Herzstück des Monopolkapitals getroffen und über die komplizierte Produktionsverkettung die gesamte Industrie. Deshalb werden den BR in den Megabetrieben auch problemlos Geld, Zeit und Zuarbeiter zugestanden. Jeder dieser Großfürsten hat einen Mitarbeiterstab, der sich nicht aus den anderen - immerhin gewählten - Betriebsräten rekrutiert, sondern aus ReferentInnen und SekretärInnen. Diese Leute haben oft mehr Informationen und Macht als normale BR.

Eine Gegenkraft zu diesen Fürsten kann aus der gewerkschaftlichen Struktur kommen - dem Vertrauensleutekörper (VLK). Ohne sie kommen die BR, geschweige denn die Großfürsten, nicht wirklich an die Basis heran. In den Großbetrieben haben BR oft mehrere hundert, bis zu tausend Leute in ihrem Betreuungsbereich. Die VL sind es auch, die formal die IGM-Listen für die BR-Wahl aufstellen. In der Praxis ist der Spielraum allerdings stark beschnitten. Die Leitung der VLK liegt meist in der Hand von freigestellten BR.

Probleme

Bei der Kandidatenaufstellung zur BR-Wahl legen die Vertrauenskörperleitungen Vorschlagslisten vor. Aber es ist schon so fast unmöglich gegen die Chefs anzutreten. Wer traut sich schon, gegen den bisherigen Vorsitzenden zu kandidieren? Wer es tut und verliert, braucht gar nicht mehr anzutreten.

Ein Gegenkandidat müsste sich bei hunderten Vertrauensleuten bekannt machen. Er müsste zugleich eine neue Mehrheit im BR durchzusetzen, damit die BR-Fraktion sich nach der Wahl nicht doch wieder für den alten Vorsitzenden entscheidet. Die Belegschaft selbst hat nur die Wahl zwischen den Listen. Die gesetzlich vorgesehene Variante der Personenwahl findet in den Großbetrieben nicht statt. So bleibt nur noch die Möglichkeit, eine zweite IGM-Liste aufzumachen. Was in vielen Betrieben toleriert wird, wird bei den Großkonzernen schnell mit Ausschlüssen verfolgt.

So herrschen also diese Fürsten - meist von ihren Vorgängern ausgewählt - bis zum Ende ihres Arbeitslebens.

Aber die BR-Fürsten spielen auch in der IGM ihre Rolle. So gibt es das Treffen der BR-Vorsitzenden der Automobilindustrie. Dieser erlauchte Kreis war es, der am Montag der letzten Woche des Streiks das Signal zum Abwürgen aussandte. Während Franz (Opel) seine Kritik gleich an die Medien weitergab, wurde von anderen erst mal kolportiert. Dieser Arbeitskreis der Auto-BR ist die Kerntruppe derer, die Peters schlachten wollen. Sie sind kein gewähltes Organ der Gewerkschaft, aber der Gewerkschaftstag soll tun, was sie wollen.

Der Konflikt liegt offen zu Tage. Die "Traditionalisten" sind stärker, als Presseerklärungen das ausdrücken. Noch halten viele untere und mittlere FunktionärInnen am gewohnten fest und erkennen, wo die Modernisierer hin wollen. So sehr sie das ganze Schauspiel anwidert, die Taktik der Modernisierer, einen Streik zu brechen und die ganze Organisation an die Wand zu fahren, sehen viele als das Schlimmste an, was jetzt passiert. Die Streikbrecher unter den Betriebsratsfürsten müssen aus der IG Metall ausgeschlossen werden!

Die vereinte Front von Kannegiesser, Zwickel, Auto-Fürsten und Schily, Bild und Handelsblatt macht viele stutzig. Selbst ein Gewerkschaftstag könnte hier zum Stolperstein auf dem Weg werden, die IGM nach dem Vorbild der IG BCE zu modeln, wie der Kanzler gefordert hat. Dort wurde dieser Kurs schon vor Jahrzehnten nach einem verlorenen Streik eingeschlagen.

Heute geht die IG BCE ohne Forderung in Tarifverhandlungen und unterschreibt Tarifverträge, die laut ihrer Einleitung dem "Wohl der deutschen chemischen Industrie" dienen.

Lösung in Sicht?

Der nun auf den 30. August vorgezogene IGM-Gewerkschaftstag wird - egal, wie der neue Vorsitzende heißt - die Krise der IG Metall nicht lösen. Die "Erneuerer" werden versuchen, ihre Linie durchzudrücken, die IGM noch weiter vom Klassenkampf abzubringen und sie auf einen noch schamloseren Kollaborationskurs festzulegen. Deshalb müssen RevolutionärInnen und alle klassenbewussten ArbeiterInnen, die eine IG Metall als kämpfende Interessenorganisation wollen, in diesem Konflikt Peters und Düvel kritisch unterstützen.

Vor dem Gewerkschaftstag müssen auf betrieblichen und Basistreffen Resolutionen verabschiedet werden, die klar Position gegen die "Rechten" beziehen, die politische Verurteilung und den Ausschluss der Streikbrecher Zwickel, Franz usw. fordern. Darüber hinaus muss in der gesamten IG Metall eine breite politische Diskussion über ihre zukünftige Politik initiiert werden.

Die Unterstützung von Peters auf dem Gewerkschaftstag muss mit klaren Forderungen verbunden werden:

o Keine Kompromisse gegen den Flächentarifvertrag!
o Mobilisierung gegen die Agenda, gegen Hartz und alle Angriffe auf Sozialleistungen bis zum Massenstreik!
o Kampf gegen die Massenerwerbslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn!
o Demokratisierung der IGM und Stärkung des Einflusses der betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen, Zerschlagung der Macht der Betriebsratsfürsten!

Auch die "Traditionalisten" werden die IGM nicht aus der Krise führen. Sie selbst haben diese mit herbeigeführt. Peters, der den VW-Tarifvertrag 5000 x 5000 aus der Taufe gehoben hat, war z.B. im Krieg gegen Afghanistan voll auf der Linie der Bundesregierung. Er und Düvel haben bei der Streikführung natürlich auch Fehler gemacht. Zur Auftaktveranstaltung in Berlin am 30. April wurden Westberliner MetallerInnen gar nicht eingeladen. Im Konflikt um die Beendigung des Streiks scheuten sie davor zurück, eine Urabstimmung zu fordern.

Falsche Alternativen

Bei der Arbeitszeitverkürzung geht es schon lange um mehr als nur bessere Arbeitsbedingungen. Es geht um den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, gegen neoliberale Konzepte, gegen die Ideologie des Standort Deutschland. Peters/Düvel wollten einen solchen politischen Kampf nicht führen. Eine Fortführung des Streiks hätte dies aber - und zwar bundesweit - nötig gemacht. Deshalb haben sie auch bei der Beendigung des Streiks schneller nachgegeben als beim Kampf um ihre Posten.

Weder "Traditionalisten" noch "Erneuerer" sind in der Lage, die der Krise geschuldete neue Kapitalstrategie mit einer politischen Gegenoffensive im Sinne der Arbeiterklasse zu beantworten. Angesichts der sich zuspitzenden Gesamtsituation wird die IGM daher sogar immer unfähiger, auch nur "einfache" Tarifauseinandersetzungen zu führen. In dieser Lage ist es für die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen von elementarem Interesse, um eine Führung zu kämpfen, die dies noch kann - eine entschieden klassenkämpferische Führung, die letztlich auch der Konfrontation mit dem kapitalistischen Gesamtsystem nicht ausweicht.

Gerade nach dieser bedeutenden Niederlage brauchen wir schnellstens eine klassenkämpferische Basisbewegung im DGB. Sie ist ein zentrales Mittel, die Krise der IGM und der Gewerkschaften allgemein zu lösen. Sie muss und kann eine Alternative zur reformistischen Führung und ihren Konzepten sein und selbst für eine neue Führung kämpfen. Sie muss nicht nur eine massive Kampagne für gewerkschaftliche Organisierung führen, sie muss zugleich konsequent für die Demokratisierung der Gewerkschaften kämpfen. Die reformistische Gewerkschaftsbürokratie ist tausendfach vernetzt und strukturiert. Wenn wir dem begegnen wollen, brauchen wir eine eigene organisierte Struktur, nicht nur eine lose "Vernetzung" oder einen "Diskussionszusammenhang". Nur so ist es möglich, aus den Gewerkschaften wieder lebendige und kampfkräftige Interessenvertretungen der Lohnabhängigen zu machen.

Was tun?

Letztlich geht es darum, der herrschenden Bürokratenkaste der Zwickels, Hubers und Peters die politische und organisatorische Kontrolle über die Gewerkschaften, ihre Entscheidungsprozesse und ihre Kämpfe zu entreißen und sicherzustellen, dass die Basis direkt demokratisch kontrolliert und entscheidet, was in der Gewerkschaft passiert. Nur so können weitere Desaster wie der jüngste Streikabbruch oder die gravierenden Mitgliederverluste verhindert werden.

Ansonsten werden wir mit diesen Gewerkschaften untergehen und auf Jahre nur noch kampfunfähige Co-Management-Organisationen als "unsere Vertretung" besitzen.

Für den Aufbau einer solchen klassenkämpferischen Basisbewegung als einem "dritten Flügel" in der IG Metall sind die Bedingungen trotz allem nicht schlecht. Der offene Verrat und die "Entzauberung" der großen Führer sowie das Ende der monolithischen Disziplin sind für ein solches Projekt durchaus vorteilhaft - auch wenn die Sieger momentan erst einmal die Kapitalisten sind.

Natürlich kann diese Wende in den Gewerkschaften nur durch einen radikalen Bruch mit der Sozialdemokratie gelingen. Um zur gesellschaftspolitischen Opposition auch durch die Gewerkschaften zu kommen, braucht es eine politische Partei der Arbeiterklasse, die eine weitergehende Perspektive mit den Tageskämpfen der Arbeiterklasse verbinden kann. Unserer Meinung nach kann eine solche Partei nur eine revolutionär-kommunistische sein. Allen ArbeiterInnen, die bereit sind, mit dem sozialdemokratischen Führungsanspruch und der daraus folgenden verheerenden Gewerkschaftspolitik zu brechen, rufen wir auf, mit uns über die Ziele und den Aufbau einer solchen neuen Arbeiterpartei und einer klassenkämpferischen Basisbewegung in der Gewerkschaft zu diskutieren.

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Nr. 82, Juli/August 2003

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