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Venezuela

Ein reaktionärer Generalstreik

Bruno Tesch, Neue Internationale 77, Februar 2003

Wenn bürgerliche Medien genüsslich über einen Generalstreik berichten, ist Vorsicht angebracht. Der Generalstreik gegen Venezuelas Präsidenten Chavez, der Anfang Dezember 2002 begann, wird angeblich von allen Schichten der Bevölkerung getragen und richte sich gegen "sozialistische" Maßnahmen der Regierung. Das sind zwei Lügen auf einmal!

Der Streik wurde von einheimischen Kapitalisten angezettelt, die ihren ArbeiterInnen für den Streik 'frei' gegeben haben. Politisch wird er von der buntscheckigen und korrupten bürgerlichen Opposition im Land angeführt. Auch die Gewerkschaftsspitzen der besser gestellten Beschäftigten in der Ölindustrie haben sich dazu hergegeben, für die Ziele 'ihrer' Kapitalisten in den Ausstand zu treten.

Natürlich, der 1998 gewählte Hugo Chavez ist alles andere als ein Sozialist; er ist ein populistischer kleinbürgerlicher Nationalist, der nicht im Traum daran denkt, den Sozialismus einzuführen. Sein Verbrechen gegen das Kapitals besteht lediglich darin, dass er im vergangenen Jahr ein Programm der '49 Erlasse' aufgelegt hat, das die Verteilung von Brachland an mittellose Bauern und städtische Armut vorsieht. Chavez wollte sich damit vor allem seine Popularität in seiner Anhängerschaft sichern. Der Präsident ist auch sonst ein skrupelloser Machtpolitiker, der durch die Besetzung wichtiger Ämter mit ergebenen Gefolgsleuten seine Position festigen will. So droht er in der gegenwärtigen Streiklage nicht etwa den Kapitalisten mit Sanktionen wie der Enteignung, sondern den Ölarbeitern mit Entlassung! Handelt so ein Sozialist?

Wie in ganz Lateinamerikas sind auch in Venezuela Armut und Hunger nach Land drückende Probleme. Etwa 17% der erwerbsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos. Eine Landreform gehört zu den dringlichsten Aufgaben, aber die Neuverteilung allein kann nicht die erfolgreiche Bebauung des Landes garantieren. Sie muss begleitet sein von günstigen Krediten, bestmöglichen Anbaumethoden und Anstößen zu genossenschaftlicher Bewirtschaftung.

Der schwelende Streit zwischen Chavez und den Kapitalisten hat auch industrielle Ursachen. Die Wirtschaftsdaten von 2002 weisen ein Minus von 6,4% auf, das vor allem durch eine konzertierte Investitionsverweigerung der Kapitalisten hervorgerufen wurde.

Kern des Streits zwischen Regierung und Wirtschaft sind die Reprivatisierungsbestrebungen der Ölindustrie, die als wichtigste Deviseneinnahmequelle seit 25 Jahren staatskapitalistisch geführt wird. 80% der Einkünfte Venezuelas kommen aus Rohölverkäufen. Über ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts wird durch die Ölwirtschaft erbracht. Den Industriedirektoren wäre eine Privatisierung lieb, weil sie ihnen mehr Spielraum für Privatprofite eröffnen würde, während das Chavez-Regime weiter die Kontrolle über diesen Wirtschaftszweig ausüben möchte, um damit Macht und Einfluß zu behalten.

Nach dem fehlgeschlagenen Putsch im vergangenen Jahr setzt die Opposition nun auf einen 'demokratischeren' Kurs. Sie baut auf wirtschaftliche Erpressung des Chavez-Regimes und mobilisiert dafür möglichst viele Bevölkerungsteile. Die Regimegegner bedienen sich dabei verschiedener Manöver wie der Aussicht auf Neuwahlen. Sie wollen Chavez den Schwarzen Peter des "undemokratischen Herrschaftsanspruchs" unterschieben, um ihn politisch zu isolieren. Seine Anhängerschaft, die großenteils aus städtischer und ländlicher Armut besteht, soll wankelmütig gemacht und Chavez abtrünnig werden. Und sie bröckelt auch schon angesichts der sich bedrohlich verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der scheinbar klassenübergreifenden Allianz gegen Chavez. Dennoch ist der Ausgang des Machtkampfes noch ungewiss, weil das Regime seinerseits versucht, Teile der Opposition durch Zugeständnisse zu befrieden, insbesondere die ArbeiterInnen der Ölindustrie.

Viel wird für Chavez davon abhängen, ob er die Armee neutralisieren kann. Allerdings droht auch Gefahr von ganz anderer Seite. Die USA haben ihre "Vermittlerdienste" angeboten. Dass ausgerechnet die imperialistische Supermacht in ihren angestammten Jagdgründen eine Rolle als unparteiische Kraft spielen will, nimmt ihr aber wohl kaum jemand ab.

Andererseits können sich die USA momentan neben dem Golfgebiet keinen zweiten Flammenherd leisten. Die angespannte Lage in Venezuela soll kein Dauerzustand werden, v.a. aber darf nicht Chavez triumphieren, denn das könnte das Selbstbewusstsein der Massen auch in den Nachbarländern nach Jahren der Bedrückung durch die Niederlage in Nikaragua wieder neu erwecken.

Genau das aber muss das Ziel der venezulanischen Massen sein. Die Arbeiterbewegung, die städtische Armut und die mittellosen Bauern müssen die Verteidigung des Chavez-Regimes gegen die innere und äußere Reaktion zum Anlass nehmen, sich unabhängig von Bossen, Gewerkschaftsführern und Chavez-Machtzirkeln in einer wirklichen Arbeiterpartei zu organisieren und bewaffnen. Sie müssen eigene Forderungen im Kampf aufstellen und die Regierung an deren Erfüllung messen.

Dann werden sie es sein, die einen Generalstreik gegen Chavez führen und ihn stürzen, wenn er wie zu erwarten, ihr Programm nicht umsetzt.

Als erster Schritt muss der Investitionsstreik gebrochen werden, indem das in Venezuela tätige inländische und ausländische Kapital unter Arbeiterkontrolle gestellt wird, besonders die Ölindustrie und die Banken.

Eine tödliche Gefahr würde dieser Bewegung aber drohen, wenn es ihr nicht gelänge, die Isolation des Landes zu durchbrechen.

Die Sozialforen wie zuletzt in Porto Alegre könnten Kristallisationen für internationale Brigaden aus ganz Lateinamerika bilden, die z.B. die frischen Erfahrungen und Kampfmethoden aus Argentinien einbringen, um aus der Verteidigung von Klasseninteressen eine nachhaltige Revolution werden zu lassen.

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Nr. 77, Februar 2003

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*  Resolution: Sozialforen und Neue Internationale
*  Antikapitalismus: Braucht die Bewegung eine Partei?
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