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Tarifrunde im Öffentlichen Dienst

Wenig mehr als Nichts

Peter Lenz, Neue Internationale 77, Februar 2003

2002 haben die Gewerkschaften 200.000 Mitglieder verloren, laut DGB wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. So manche(r) verließ seine Gewerkschaft, weil sie aus lauter Rücksicht auf die SPD-Regierung wieder nur einen sehr mäßigen Abschluss zustande gebracht hat. Diese unrühmliche Tradition hat ver.di nun fortgesetzt.

Die Tarifrunde war die erste große Bewährungsprobe für ver.di nach der Fusionierung ihrer Vorgängerorganisationen. Ein Erfolg hätte das Selbstvertrauen ihrer Mitglieder und den Respekt der Arbeit"geber" vor ihr wesentlich vergrößert.

Das mehr als bescheidene Ergebnis und die Art und Weise, wie es erreicht wurde - ohne ernsthafte Mobilisierung, ohne wirklichen Streik -, bestätigen leider unsere Einschätzung der ver.di-Gründung als bürokratische Installation einer Mega-Gewerkschaft. Ver.di hat mit ihrer Gründung die politischen Mängel ihrer Vorgängerorganisationen übernommen: bürokratische Führung und reformistische Politik.

Ernüchterndes Fazit

Vom unangemessen großspurig angekündigten "Die Drei muss stehen" blieb nur eine "Drei" hinter dem Komma übrig. Der Tarifvertrag ist bewusst kompliziert strukturiert, so dass das Desaster nicht so deutlich und der eigenen Basis ein besserer Eindruck vermittelt wird.

Die besonders lange Laufzeit von 27 Monaten wurde von den "Verhandlungsspezialisten" der ver.di-Führung akzeptiert, um über zwei Jahre lang einem erneuten Tarifkonflikt und damit auch einer Konfrontation mit den Forderungen der eigenen Basis aus dem Weg gehen zu können.

Die Tariferhöhung beträgt 2,4 % bis Januar 2004, danach steigt sie noch zweimal um je 1 %. Bezogen auf die gesamte Laufzeit ist das eine Durchschnittserhöhung von deutlich unter zwei Prozent! Daran ändert auch die mickrige Einmalzahlung von 50 Euro (im Osten 46,50 Euro) nichts. Geschmälert wird das Ergebnis noch dadurch, dass als "Kompensation" den Beschäftigten ein AZV-Tag gestrichen wird, was einen Tag Mehrarbeit bedeutet.

Bsirske war angetreten, die wesentlich höheren Forderungen der Basis auf drei Prozent zu schleifen. Sein Argument: diesmal werde die Forderung auch das Ergebnis sein. Das sei völlig "neu". "Alt" war hingegen das Verhalten der Arbeit"geber" von Bund, Ländern und Gemeinden: Drohungen mit Nullrunden, mit Entlassungen und Kürzungen im Sozialbereich.

Doch Bsirske hat die Kampfbereitschaft der GewerkschafterInnen, die in den Warnstreiks deutlich wurde, gar nicht in die Auseinandersetzung einbringen wollen.

In Berlin, das den Arbeit"geber"verband verlassen hat, sieht es nach dem nächsten Kniefall der ver.di-Führung aus - diesmal vor den "brutalstmöglichen" Sparschweinen von SPD und PDS. Die kämpferischen Töne der ver.di-Spitzenfunktionärin Stumpenhusen sollten nicht zu ernst genommen werden. Hat sie doch bei der "Verschlankung" der Berliner Krankenhäuser zur "sozialverträglichen und kritischen Begleitung" dieses Sozialabbaus beigetragen.

Nachdem noch Anfang Januar ver.di unter den Beschäftigten verkündete, dass die Übernahme des bundesweiten Tarifvertrag rasch erzwungen werden solle, sind nach etlichen Gesprächen mit den Partei"genossen" von SPD und PDS die Verhandlungen in den Februar verschoben worden. Ein Streik in Berlin wäre für die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen ungünstig gewesen. Gleichzeitig hat die Berliner Gewerkschaftsführung die Zeit genutzt, um die Kampfbereitschaft zu unterhöhlen.

Hier wird auch das ganze Defizit an innergewerkschaftlicher Demokratie deutlich. Es zeugt von der Schwäche der innergewerkschaftlichen Opposition, dass es Bsirske und Co. leicht hatten, die Tarifrundenbewegung in SPD- und regierungsfreundliche Bahnen zu lenken. Fehlende oppositionelle Strukturen führen dazu, dass sich der Frust der Mitglieder auch in Untätigkeit ausdrückt anstatt im Kampf gegen die Führung. Kritik am Vorgehen der ver.di-Führung gab es genügend, von Vertrauensleutekörpern, gewerkschaftlichen Betriebsgruppen und Personalräten; insgesamt fehlt aber die Perspektive, wie diesem Treiben der Führung Einhalt geboten werden kann.

Alternative

Die Tarifrunde zeigte, dass die Führung bei ihrer Ausverkaufspolitik wenig Gegenwind zu fürchten hat. Die linken, kämpferischeren Elemente in ver.di haben zu wenig betriebliche Organisationsstrukturen, um die entschlossenen Elemente der Gewerkschaft zu gruppieren, und damit auch wenig reale Druckmöglichkeiten gegen die gewerkschaftliche Bürokratie. Was fehlt, ist eine klassenkämpferische Basisbewegung in ver.di, die mit eben solchen Strukturen in anderen Gewerkschaften und Branchen bundesweit vernetzt und mit der antikapitalistischen Bewegung verbunden ist. Nur so ist es möglich, eine Alternative zum bürokratischen Gewerkschaftsapparat zu formieren, effektivere Kampfmethoden und letztlich eine andere, kämpferische Führung, die von der Basis direkt demokratisch kontrolliert wird, durchzusetzen.

Als politische Grundlage dafür ist ein gewerkschaftspolitisches Aktionsprogramm nötig, das Erfahrungen aufarbeitet und Ziele und Methoden des Kampfes systematisiert - gegen alle Angriffe auf die Lohnabhängen und die Arbeiterbewegung, gegen Hartz, gegen Verschlechterungen im Gesundheitswesen, gegen die von Kapital und Steuerpolitik verursachte Verarmung der Kommunen, gegen den Irakkrieg.

Schließung und Privatisierung öffentlicher Bereiche und Personalabbau treffen aber nicht nur die Beschäftigten. Die Transformation staatlicher Bereiche zu profitorientierten Gesellschaften verschlechtert auch die Versorgung für die gesamte Bevölkerung. Insofern hat ver.di die doppelte Aufgabe, der Verteidigung des Lebensstandards und der Arbeitsplätze der Beschäftigten und der Verteidigung der Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Leistungen. Deren Finanzierung muss über eine progressive Besteuerung des Großkapitals, der Banken und der Reichen erfolgen.

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Nr. 77, Februar 2003

*  Krieg den Kriegstreibern! Nieder mit dem Imperialismus!
*  Aufgaben der Anti-Kriegsbewegung: Verteidigt den Irak!
*  Friedensengel? Fünf Fragen zur UNO
*  Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit: Allheilmittel Grundeinkommen?
*  Tarifrunde im Öffentlichen Dienst: Wenig mehr als Nichts
*  Frauen in Afghanistan: Frieden ohne Freiheit
*  Venezuela: Ein reaktionärer Generalstreik
*  Resolution: Sozialforen und Neue Internationale
*  Antikapitalismus: Braucht die Bewegung eine Partei?
*  kanalB: Nie wieder herkömmliches Fernsehen