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Pakistan

Kampagne für die Verschwundenen in Belutschistan

Shahzad Arshad, Herausgeber der Zeitung "Revolutionary Socialist" und Aktivist der AWP, Neue Internationale 187, März 2014

Die „Stimme für die verschwundenen Personen in Belutschistan“ (VBMP = Voice of the Baloch Missing Persons) ist eine Kampagne, die Informationen sammelt und die Fälle von entführten Belutschen-AktivistInnen und außergerichtlichen Ermordungen von Menschen aus Belutschistan veröffentlicht. In diesem Zusammenhang veranstalten Verwandte der Vermissten und Ermordeten einen Marsch von Quetta durch die Berge von Belutschistan bis an die Küste nach Karatschi und überquert dann die große Provinz Sindh bis nach Punjab. Bis Mitte Februar haben bereits 2100 km zurückgelegt und sind in Lahore angekommen. 350 km liegen noch vor ihnen, bis sie ihr Ziel, die Hauptstadt Islamabad erreicht haben.

Dem Anführer diese Karawane wurde im November 2011 der verstümmelte Körper seines Sohnes, dem Sekretär der Republikanischen Partei Belutschistans Jaili Reiki übergeben. Die mutige Banuk Farsana Majid ist die Schwester von Sakir Majid, einem Studentenführer, der seit 2009 vermisst ist. Der Rest der kleinen Gruppe besteht aus anderen Frauen und Kindern, deren Brüder, Väter oder Ehemänner sich des Einsatzes für ihre Rechte und des Widerstands gegen den Staat ‚schuldig’ gemacht haben. Belutschen werden systematisch an den Rand gedrängt, um ihre Unterdrückung einfacher zu machen und die Ausbeutung ihrer Ressourcen gerechtfertigter erscheinen zu lassen.

Der Marsch wird angeführt von Mama Abdul Kadir Belutsch, einem älteren Mann jenseits der 70, von Banuk Farsana Majid und anderen tapferen jungen Frauen und Männern, die sich auf den längsten politischen Marsch in Pakistans Geschichte begeben haben. Die zentralen Forderungen des Marsches sind die Freilassung der 18400 verschwundenen Menschen bzw. die Herausgabe der Leichen der nach Entführung Ermordeten sowie eine Ende aller militärischen Operationen in Belutschistan.

Der lange Marsch hat den Staat erzürnt, weil es dieser kleinen Gruppe von BelutschInnen gelungen ist, das Problem Belutschistan dem ganzen Land und besonders jetzt im Pimkab, der Heimatprovinz der herrschende Elite Pakistans vor Augen zu führen. Sie wollen sich nicht mundtot machen lassen. Das hat die etablierte Herrscherschicht nervös gemacht. Sie droht den MarschteilnehmerInnen und versucht sie einzuschüchtern. Am 8.Februar wurden zwei davon, Schahschan Belutsch und Irfan Ali, ein Mitglied der Kommunistischen Masdur Kissan Partei, durch einen LKW angefahren und verletzt, angeblich wegen Bremsversagens.

Dieselbe Taktik wird gegen jene gefahren, die den Mut haben, den Marschierenden entlang ihrer Route Unterkunft zu gewähren oder sie auch nur zu begrüßen. In Lahore wurden Morddrohungen gegen Mitglieder der Awami Workers Party (AWP) ausgestoßen, die die Unterstützung für den langen Marsch bei seiner Ankunft organisiert hatten. Nun sind Mama die ‚schlimmsten Konsequenzen’ angedroht worden, falls der Marsch nach Islamabad fortgesetzt werden sollte.

Am Montag, den 17. Februar, wurde der Marsch in der Nähe Wazirabad (rund 100 km nördlich von) gestoppt und von der Polizei eingekreist worden. Die Behörden drohten damit, mehr als 20 AktivistInnen des “Langen Marsches” und lokale UnterstützerInnen festzunehmen. Der Protest von linken Partein in Pakistan, von Menschenrechtsorganisationen und internationalen UnterstützerInnen aus der Arbeiterbewegung führte dazu, dass der Protest fortgesetzt werden konnte.

Verschwundene Personen und Massengräber

Wie brennend der Kampf gegen die nationale Unterdrückung der BelutschInnen ist, zeigt aber nicht nur der Versuch, den Marsch mundtot zu machen und zu brechen.

Am 25. Januar entdeckte ein Schäfer in Tutak im Chusdar-Bezirk ein Massengrab, wonach die Behörden vor Ort zusammenkamen, um die Toten zu bergen. Nach Angaben der ‚progressiven und nationalistischen’ Regierungsvertreter wurden 13 Leichen gefunden, während die asiatische Menschenrechtskommission 103 Tote zählte. Einwohner sagten, dass es sogar 169 Leichname gewesen wären und glauben, dass es noch mehr Gräber in der Gegend gäbe, die Sicherheitskräfte hätten jedoch die Stellen abgesperrt und verwehrten den Zugang dorthin.

Der lange Marsch hat durch die Entdeckung der Massengräber noch an Gewicht gewonnen. Die Entschlossenheit der TeilnehmerInnen wurde dadurch noch bestärkt. Ihr Marsch ist ein neues Kapitel im Kampf des Belutschenvolks und anderer unterdrückter Schichten und der Arbeiterklasse für ihre Rechte und gegen das Unrecht des Kapitalismus und des Staates. Das neue Gesetz, der Schutz der pakistanischen Ordnung (PPO), zeigt und legalisiert die Politik der verstärkten Unterdrückung. Das PPO legalisiert auch weitere Verschleppungen und Ermordungen, indem es nicht mehr notwendig ist, Verhaftete binnen 48 Stunden einem Gericht vorzuführen, sondern dehnt diese Frist nun auf 90 Tage aus.

Der Krieg gegen den Terror und Belutschistan

Der ‚Krieg gegen den Terror’ wird vorgeschoben, um Zerstörung und staatliches Vorgehen in Belutschistan zu rechtfertigen. Präsident Muscharraf begann 2005 militärische Operationen, die die Regierungen der  Pakistanischen Volkspartei und von Nawas fortsetzten. Ihre gegenwärtigen Offensiven in den Belutschistan-Bezirken von Panjgur, Chusdar und Mastung starteten nach dem Überfall auf Hasara Schia in Mastung, deren Verantwortung durch die islamistische Laschkar-e-Schangwi (LEJ) übernommen wurde. Doch die militärischen Operationen richten sich gegen die Hochburgen der nationalen Bewegung der Belutschen, aber nicht gegen die LeJ-Netzwerke. Männer, Frauen und Kinder in Belutschistan wurden verhaftet, gefoltert und ermordet während dieser Operationen gegen jeden, der verdächtigt wurde, mit der nationalen Sache Belutschistans zu sympathisieren. Der Staat nutzt die Atmosphäre der Angst, um seine Operationen im Kaiber Paschtun-Gebiet und Belutschistan durchzuführen und bringt nichts als Hass, Rassismus, Kriegstreiberei und die Vertreibung der Bevölkerung und ermutigt so letzten Endes den Terrorismus.

Nationale Selbstbestimmung und Sozialismus

Die entscheidende Frage ist nun, welche Haltung sollen revolutionäre SozialistInnen in dieser Situation einnehmen. Die nationale Belutschen-Bewegung ist ein wichtiger Faktor im Klassenkampf in Pakistan. Wir sollten auf jeden Fall den langen Marsch und die Forderungen nach Freilassung der vermissten Personen sowie nach Beendigung der Militäroperationen unterstützen und sie in der Arbeiterklasse und Jugend  ganz Pakistans verbreiten. Wir müssen uns gegen das PPO-Gesetz stellen und eine Bewegung dagegen aufbauen. Dieses Gesetz wird nicht nur gegen die Belutschen eingesetzt, sondern gegen alles, was mit dem ‚Krieg gegen den Terror’ zusammenhängt und richtet sich auch gegen die Arbeiterklasse, die in Pakistan stark unter Druck steht.

Wir unterstützen bedingungslos, aber kritisch das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Lenin schrieb, dass die Unterstützung für die Selbstbestimmung unterdrückter Völker durch die Arbeiterklasse der unterdrückenden Nation bessere Bedingungen für den eigenen Klassenkampf schafft. Statt dass sich die Arbeiter der verschiedenen Nationen bekämpfen können sie sich im Kampf gegen den Kapitalismus zusammenschließen.

Wir treten für eine freiwillige Föderation von Nationen ein, keine erzwungene. Wir wollen Grenzen abschaffen statt sie zu ziehen. Nationale Selbstbestimmung einschließlich des Rechts unterdrückter Nationen auf Bildung eines eigenen Staats, wenn sie dies wünschen, ist als Schritt zu dieser Einheit zu verstehen. Es steigert die Kräfte der sozialistischen Revolution, weil die Arbeiter und alle fortschrittlichen Kräfte der unterdrückenden Nation und Staates nur das Vertrauen der Unterdrückten gewinnen können, wenn sie deren Rechte ohne Zögern verteidigen. Die Erringung der Selbstbestimmung mit Unterstützung der Arbeiter und Bauern der zuvor unterdrückenden Nation ist der beste Weg zur Schwächung der reaktionären Kräfte in beiden Nationen. Sobald das Klassenausbeutungssystem überwunden ist, ist auch der Ausbeutung einer Nation durch eine andere die Grundlage entzogen.

Unter diesen Umständen sollten revolutionäre SozialistInnen die nationale Belutschen-Bewegung unterstützen. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Klassenunterschiede in der nationalen Befreiungsbewegung und die gefährliche falsche Führung durch die bürgerlichen Kräfte hervorheben. Wir setzen uns für die Führung der nationalen Befreiungsbewegung durch die Arbeiterklasse und die sozialistischen Kräfte ein. Die Arbeiterklasse muss ihre eigenen Kampforgane aufbauen, die diesen Kampf mit jenen der gesamten pakistanischen Arbeiterklasse, ja mit denen der ganzen Welt, verbinden. Die Arbeiterbewegung muss die Methoden des Klassenkampfs. Streiks, Besetzungen, Generalstreik, der in einem politischen Massenaufstand mündet, einsetzen. Auf die Weise kann die nationale Befreiung von Belutschistan und der Kampf für den Sozialismus voranschreiten.

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Nr. 187, März 14
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