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Energiepolitik

Die Wende nach der Wende

Janosch Janglo, Neue Internationale 187, März 2014

Die Energiewende braucht jetzt eine Gerechtigkeitswende!“, so tönte Siegmar Gabriel, als die SPD noch Opposition war. Als designierten Superminister für Wirtschaft und Energie in der frischgebackenen Großen Koalition ist von sozial gerechteren Strompreisen nun natürlich keine Rede mehr. Stattdessen werde er „niemandem sinkende Strompreise versprechen, aber wir können die Kostendynamik drastisch brechen".

An der vom Verbraucher zu ertragenden Umlagehöhe gemäß EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) ändert Gabriel überhaupt nichts. Gabriels angekündigte Kürzung der Einspeisevergütung für erneuerbare Energien, welche die Strompreise für die VerbraucherInnen entlastet hätte, bezieht sich nicht auf die Förderung der Stromproduktion in bereits bestehenden Anlagen, sondern nur auf die Einnahmen künftig geplanter Anlagen. Grund für sein zum Amtsantritt vorgelegtes Eckpunktepapier zur "Energiewende" ist eben nicht, die Lohnabhängigen bei den höchsten Strompreisen Europas zu entlasten, sondern die Profite der deutschen Konzerne zu schützen.

Die EU-Kommission hat nämlich ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet, das die unerlaubten staatlichen Beihilfen, sprich die Befreiung von Unternehmen von der EEG-Umlage, unter die Lupe nehmen will. Etwa die Hälfte des Industriestroms ist inzwischen von der Umlage zur Finanzierung der Ökostrom-Förderung weitgehend befreit. 2013 machte diese großzügige Entlastung satte 4,3 Mrd. Euro aus, die auf die Stromkunden abgewälzt wurden. Privathaushalte und Mittelstand müssen also kompensieren, was mittlerweile über 2.000 Großbetrieben geschenkt wird.

Während für die VerbraucherInnen 2014 die Umlage von netto 5,28 auf 6,24 Cent pro kW/h erhöht wird, zahlen diese Privilegierten nur 0,05 Cent pro kW/h. Gabriel will nun ab August 2014 die Vergütung für Windräder, Solar- und Biogasanlagen von derzeit durchschnittlich 17 Cent je Kilowattstunde bis 2015 für neue Anlagen auf im Schnitt „nur“ noch 12 Cent senken. Bei den Industrie-Subventionen bleibt das Papier aber vage. Statt klare Kriterien zu nennen, welche Unternehmen sich in Zukunft in welcher Höhe an den Kosten der Energiewende beteiligen müssen, beschränkt sich Gabriel darauf, Änderungsbereitschaft kundzutun und die Ausnahmeregelungen "europarechtskonform" auszugestalten. „Mr. Energiewende“ stellt auch gleich klar, dass er die Vergünstigungen für die Industriebetriebe gegenüber der EU verteidigen will: „Unsere Wirtschaftskraft darf nicht durch Fehlentscheidungen aus Brüssel gefährdet werden.“ Ausnahmen soll es künftig weiterhin für Unternehmen in 15 energieintensiven Branchen geben, u.a. in der Stahl-, Chemie- und Papierindustrie.

Comeback der Kohle

Der Begriff „Energiewende“ suggeriert die Abkehr von der bisherigen Form der Energieerzeugung. Aber bisher fand die 2011 beschlossene Energiewende, die angeblich das Profitsystem der Kohle- und Atomkonzernen in Frage stellt, bisher trotz des gesteigerten Anteils der erneuerbaren Energien an der Gesamtstromproduktion gar nicht statt. Zwar haben die "Erneuerbaren" einen Marktanteil von derzeitig 16% erreicht, aber mit 162 Mrd.  Kilowattstunden kletterte die Stromproduktion aus Braunkohle 2013 auf den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung. Auch die Stromproduktion in Steinkohlekraftwerken stieg um 8 Milliarden auf mehr als 124 Milliarden Kilowattstunden, während die Stromproduktion in Gaskraftwerken um 10 auf 66 Milliarden Kilowattstunden zurückging. Somit stammt nach wie vor weit mehr als die Hälfte der deutschen Stromproduktion aus der Kohleverstromung.

Damit fangen v.a. Kohlekraftwerke den Wegfall der 8 Atomkraftwerke auf, während CO2-ärmere und effizientere Gaskraftwerke stillgelegt werden. Paradoxerweise beschert uns das - obwohl wir im grünen Zeitalter der „Energiewende“ leben - seit zwei Jahren einen steigenden Kohlendioxidausstoß - trotz des massiven Ausbaus von Solar- und Windparks.

Hieran sieht man bestens, wie unfähig bürgerliche Regierungen sind, ja sein müssen, eine wirklich ökologische Energiewende zu organisieren. Wie soll ihr das auch gelingen in einer Gesellschaft, deren Produktionsmittel zur Erzeugung der Energie sich in privater Hand befinden?! Ökologisch wie auch sozial kann dies allenfalls nur in einem Desaster enden.

Aktuell herrscht so auch das blanke Chaos in der Energieproduktion Deutschlands. Da mittlerweile jedes Bundesland für sich "plant" und immer mehr Stromüberschüsse produziert werden, die sie natürlich irgendwo loswerden müssen, ist man mittlerweile gezwungen, die Landschaft verschandelnde teure Überlandleitungen zu bauen, um Stromüberschüsse in den Süden zu bringen, anstatt die Stromproduktion vor Ort zu organisieren.

Und nicht nur ökologisch ist die „Energiewende“ eine Katastrophe, auch sozial ist sie allenfalls für Kapital- und Immobilienbesitzer eine Erfolgsgeschichte, für Millionen von Lohnabhängigen und Arbeitslosen bedeuten die immer weiter steigenden Energiekosten mehr Armut, wenn sie die höheren Preise überhaupt noch bezahlen können. Inzwischen hat Deutschland neben Dänemark die höchsten Strompreise in Europa. In Folge dessen wurde 2013 rund 322.000 Haushalten der Strom abgedreht und ganze 5,7 Millionen standen kurz davor. Gerade für Hartz IV-EmpfängerInnen ist die Lage prekär, weil die Regelsätze nicht an die steigenden Strompreise angepasst wurden. Allein von 2008-11 ist der Anteil „energiearmer Haushalte“ in der BRD von 13,8 auf 17% gestiegen, d.h. 6,9 Millionen Haushalte müssen inzwischen mehr als 10% des Nettoeinkommens für Wohnenergie ausgeben.

Sozialdemokratie liefert zuverlässig

Derweil kaufen sich RWE, E.ON und Co. fleißig in Windkraftprojekte ein, denn hier winkt  ihnen Maximalprofit mit Staatsgarantie. Auf 20 Jahre verbürgt können so hübsche Gewinne aus den Lohntüten der VerbraucherInnen gezogen werden. So bedient auch die Sozialdemokratie unter Gabriel das Kartell der Profiteure und deren Lobby. 2014 wandern rund 24 Mrd. Euro an Förderung für erneuerbare Energien über die Strompreise auf die Konten der Energiekonzerne. Klar, dass Gabriel diese Einnahmequellen für das Kapital auch weiterhin sprudeln lassen will. Die von den großen Stromkonzernen oder Kapitalfonds errichteten Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee bleiben von Kürzungen unangetastet. Bis 2019 gibt es hier eine Aufwandsvergütung von 19 Cent je Kilowattstunde. Weiter ist vorgesehen, dass „Ökostrom“-Produzenten ihre Kilowattstunden zukünftig direkt vermarkten sollen. Bisher erhielten diese Erzeuger feste Einspeisetarife. Die geplante Direktvermarktung würde den Einspeisevorrang für „erneuerbare“ Energien aushebeln, da bei einem Überangebot an Strom zuerst die flexiblen Photovoltaik- und Windkraftanlagen abgeschaltet werden.

Dies würde automatisch die Stromproduktion aus Kohle und Atom begünstigen. Garantiert ist somit die Auslastung von Uralt-Kraftwerken der Stromkonzerne. Zudem hätten es kleinere Erzeuger wie Stadtwerke oder private Haushalte schwerer, ihren Strom künftig zu vermarkten, da die nur wenigen großen Direktvermarkter die Marktbedingungen zu ihren Gunsten diktieren würden. Somit liegt Gabriel ganz nah bei den Wünschen der Großkonzerne.

Er beantwortet auch klar die Frage, wer von dieser Energiewende profitiert, wenn sie weder ökologisch, geschweige denn sozial ist. Das jetzige Chaos der „Energiewende“ zeigt vor allem, dass eine konsequent ökologische Energieproduktion im Kapitalismus nicht stattfinden kann, da dies nur auf Basis vergesellschafteter Produktionsmittel und eines gesamtgesellschaftlichen Plans möglich ist, der unsinnige Überkapazitäten vermeidet und eine Ressourcen schonende Produktion plant. Die „Realität der „Energiewende“ offenbart so auch die Hoffnungen auf einen „grünen Kapitalismus“ als bloße Phantastereien!

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Nr. 187, März 14
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