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Lage nach den Wahlen

Was tun gegen die Große Koalition?

Tobi Hansen, Neue Internationale 185, Dezember 2013/Januar 2014

Fast hätte sich das bürgerliche Spektrum verrechnet bei dieser Wahl. Nachdem die Union 41,5 Prozent holte und gar von einer absoluten Mehrheit träumen durfte, sind ihre potentiellen bürgerlichen Adjutanten nicht ins Parlament gekommen. Die FDP erlebte eine historische Niederlage und flog erstmals aus dem Bundestag. Die AfD profitierte zwar von dieser „Umgruppierung“, scheiterte aber auch knapp an den 5 Prozent.

Die CDU hatte ganz bewusst die Zweitstimmenkampagne der FDP boykottiert und war sich sicher, dass die SPD springen würde, wenn Plätze im Kabinett zu vergeben sind. Auch mit den Grünen gab es zwei Sondierungsrunden mit dem Ergebnis, dass auf Bundesebene noch nicht koaliert wird, dafür aber in Hessen.

So war Grünen-Chef Özdemir auch froh darüber, dass - wenn es auch auf Bundesebene  noch nicht klappt - diese Sondierungen doch dazu beigetragen hätten, künftige Koalitionen zu erleichtern. Somit hat die Union jetzt mehrere Koalitionsoptionen für die nächste Regierung.

Die SPD

Aufgeschreckt von den Sondierungen der Union mit den Grünen, gab die SPD sich größte Mühe, keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass sie mit der Union ins Regierungsbett steigen will. Dies wird dann als „Verantwortung für das Land“ bezeichnet. Mit nationalem Pathos die politische Unterwerfung zu begründen, ist ja nicht neu für die SPD.

Allerdings gibt es an der Basis ein spürbares Murren über die Verhandlungen, so dass Parteichef Gabriel eine Urabstimmung ankündigte. Bis zum 12. Dezember sollen die 470.000 SPD-Mitglieder über den Vertrag abstimmen. So lange wird auch die Kabinettsliste noch nicht bekannt gegeben.

Bislang haben die Jusos, die „Schwusos“ und die MigrationspolitikerInnen offen zur Ablehnung aufgerufen, auch bei den bisherigen Regionalkonferenzen gab es wenig Jubel, dafür aber durchaus einigen Widerspruch.

Die Hauptargumentationslinie von SPD-Chef Gabriel in diesen Konferenzen lautet: Stimmt ihr nicht zu, sind wir auf Jahre weg vom Fenster, dann verlieren wir unsere Regierungsfähigkeit.

In diesem Argument steckt natürlich die Wahrheit, dass die SPD wohl nur noch im Bündnis mit der CDU regierungsfähig ist. Doch um Teile der Basis zu beruhigen, wurde nebenbei noch angekündigt, dass künftig auch Koalitionen mit der Linkspartei möglich sind.

Bei dieser Abstimmung ist eine Mehrheit für den Vorstand zu erwarten, eine Ablehnung hätte dramatische Konsequenzen. Allerdings wird interessant sein, wie viele in der SPD jetzt dagegen stimmen und welche Konsequenzen sie ziehen.

Im Wahlkampf versuchte die SPD, sich als soziale Variante gegenüber Schwarz/ Gelb zu profilieren. Das „Wir entscheidet“ sollte Solidarität mit den „kleinen Leuten“ symbolisieren, ebenso die Themen Rente und Mindestlohn.

In der SPD ist es der Gewerkschaftsflügel, der sich für eine Große Koalition besonders stark macht. Die SPD-Spitze hat klar gemacht, dass nichts unterzeichnet wird, was von der IG Metall u.a. Gewerkschaften nicht auch unterschrieben werden könne.

Gewerkschaftsbürokratie als Hauptstütze der Koalition

In den Mitgliederrundbriefen zur Urabstimmung wirbt die SPD mit ihren GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen für Zustimmung. DGB-Chef Sommer gibt sich positiv „überrascht“ darüber, was alles durchgesetzt worden wäre. Die IG-Metall-Spitze freut sich, wenn sie als „Partner“ der SPD fast schon mit in der Regierung sitzt.

Das zeigt natürlich die Unterwürfigkeit der Bürokratie unter die Interessen des Standorts, sprich der deutschen Kapitalisten. Wer jahrein jahraus „Wettbewerbspartnerschaft“ im Konzern betreibt, für den sind die Zusammenarbeit in der Regierung und die Sozialpartnerschaft nur die logische Fortsetzung dieser Unterordnung der Arbeiterinteressen unter jene des Kapitals.

Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass - gerade aufgrund der Erfahrungen der Rezession in Deutschland - die Sozialpartnerschaft auch vielen Beschäftigten (und hier v.a. den industriellen Kernschichten in der Exportindustrie) als „kleineres Übel“, als gewisser Schutz in schlechten Zeiten erscheint. Für sie haben Kurzarbeit usw. zwar Einkommensverluste gebracht, aber ihre Jobs und damit ihre Existenz wurden „gesichert“.

Natürlich ist die Vorstellung, immer so über die Runden zu kommen, eine Illusion, die noch dazu die Spaltung in der Klasse hierzulande und erst recht auf europäischer Ebene weiter befestigt. Aber es zeigt auch, dass RevolutionärInnen und GewerkschafterInnen aktiv gegen eine Große Koalition agitieren müssen und sich nicht mit der Ansicht vertrösten dürfen, dass eh schon alle wüssten, dass sie schlecht ist.

Der Koalitionsvertrag

Beim Mindestlohn haben CDU/CSU und SPD einen grausigen Kompromiss vereinbart.  2014 gibt es gar nichts. Ab 2015 soll der Mindestlohn von 8,50 Euro brutto gelten. Tarifverträge, die zuvor geschlossen werden und bis 2017 gültig sind und unter diesen  8,50 liegen, bleiben gültig. Allgemein verbindlich kommt der Mindestlohn erst 2017. Bis dahin ist der Mindestlohn von 8,50 Euro durch Inflation und Kaufkraftverluste ohnehin unter 8 Euro gerutscht - nach aktueller Lage wären das real nur noch 7,50. Der Mindestlohn läge damit weiterhin an oder gar unter der Armutsgrenze.

Beim Thema Rente sieht der „Kompromiss“ so aus, dass jetzt die Beschäftigten „schon“ nach 45 Beitragsjahren mit 63 in Rente gehen können. Vorausgesetzt wird dabei eine Erwerbsbiografie ab dem 18. Lebensjahr mit möglichst wenig Arbeitslosigkeit dazwischen. Wie die Realität wirklich aussieht, hatte die SPD im Wahlkampf mal erwähnt, aber über dem Verhandeln schnell wieder vergessen.

Es wird weiter keine doppelte Staatsbürgerschaft geben, keine höheren Steuern für die Reichen, die „Energiewende“ wird aufs Abstellgleis geschoben und die bisherige Regelung, dass Erhöhungen der Gesundheitsabgaben ausschließlich den Arbeit“nehmer“Innen aufgehalst werden, bleibt bestehen.

Dieser Vertrag ist ein Sieg für CDU/CSU auf ganzer Linie, auch wenn die SPD die Hälfte des Kabinetts stellen sollte, hat sie sich doch in keiner zentralen Frage durchsetzen können. So sieht die spezielle Arithmetik der Regierungsfähigkeit von Gabriel, Steinmeier und Co. aus!

Kommende Konflikte

Wie schon bei der Großen Koalition von 2005-09 wird auch diese Koalition die Folgen der Wirtschaftskrise und die Stellung des deutschen Kapitals sichern wollen. Gerade in der Europapolitik haben SPD und CDU aber mehr strategische Gemeinsamkeiten als CDU und FDP. Die Große Koalition erscheint daher auch wichtigen Kapitalfraktionen als die bessere Regierung.

Zudem sichert die Einbindung der SPD in die Regierung auch besser ab, dass im Fall eines erneuten heftigen Kriseneinbruchs die Lohnabhängigen über die Gewerkschaftsapparate besser kontrolliert und befriedet werden können.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts steht im Mittelpunkt des Koalitionsvertrags, die Union vertritt dabei die Profitinteressen des Exportkapitals, die SPD inklusive der Gewerkschaften sorgen für die Einbindung der Industriebelegschaften.

Die Arbeiterklasse hat seit der Krise und der Agenda-Politik bereits einige Umstrukturierungen erfahren, die Lohnkürzungen und den Abbau von tariflichen Bindungen und Rechten zur Folge hatten. Die Koalition möchte z.B. den vielen 450-Euro-JobberInnen angeblich den Einstieg in die unbefristete Beschäftigung ermöglichen - ein Hohn, wenn wir bedenken, dass seit 10 Jahren alles dafür getan wurde, solche prekären Arbeitsverhältnisse auszuweiten.

Im Einzelhandel z.B. sind inzwischen Arbeitsverträge die Regel, in denen die Arbeitszeit von mindestens 5 Std./Monat bis mögliche 120 Std./Monat angegeben wird. Die Beschäftigten sind täglich abrufbare ZeitarbeiterInnen geworden. Die Zahl derjenigen, die heute mehrere schlecht bezahlte Jobs gleichzeitig ausüben, stieg 2013 auf über 2 Millionen, die „AufstockerInnen“ werden mit 1,3 Millionen gezählt. Etwa die Hälfte aller Beschäftigten in der BRD sind lt. EU-Statistik armutsgefährdet, verdienen also unter 1.500 brutto im Monat.

Die Prekarisierung großer Teile der Klasse führt fürs Kapital zur Rekordbeschäftigung von über 40 Millionen bei steigender Produktivität und sinkenden Lohn(neben)kosten. Im Ergebnis dessen konnte z.B. VW 2012 über 20 Mrd. Euro Gewinn einfahren.

Stellung des deutschen Kapitalismus

Das BRD-Kapital konnte während der Wirtschaftskrise und der EU-Krise seine imperiale Vormachtstellung in der EU ausbauen. Allerdings ist die EU insgesamt auch nach Jahren Rezession und Stagnation ökonomisch geschwächt, die südeuropäischen Volkswirtschaften sind komplett in der Rezession, die EU ist global gesehen zusammen mit Japan die lahme Ente des Kapitalismus.

Die aggressive Export-Ausrichtung des BRD-Kapitals kann in dieser Konkurrenzsituation auch zum Problem werden, wenn nämlich diese Abhängigkeit direkt umschlägt. War der September 2013 der Rekordmonat des Handelsbilanzüberschusses (mehr als 20 Mrd. Euro), so kann es beim nächsten Konjunkturcrash und möglichen Einbrüchen zentraler Märkte wieder Auftragseinbrüche von 25-40% wie 2009 geben.

Während in der EU die Überschüsse schrumpfen, expandiert das BRD-Kapital auf den globalen Märkten, dort in scharfer Konkurrenz zu China, den BRIC-Staaten, Japan, Südkorea u.a. verbliebenen Export-Kapitalen. Entsprechend läuft auch der Konkurrenzkampf.

Daraus ergibt sich auch für die Beschäftigten in der BRD die Perspektive weiteren Drucks auf die Lohn(neben)kosten und die Produktivität. Schon heute gibt es Tarifverträge, die jährliche Steigerungen von 7% der Produktivität zum Ziel haben - bei gleicher Beschäftigtenzahl. Dass dies fast automatisch Intensivierung der Arbeit, also steigende Ausbeutung bedeutet, wollen oder können die Gewerkschaftsbürokraten nicht recht begreifen. Und so sind in der BRD „Burn Out“, Stress und Depressionen inzwischen „Volkskrankheiten“.

Weder SPD noch Gewerkschaftsführungen haben in der letzten Legislatur irgendwelche Anstalten gemacht, real die Interessen der Beschäftigten inkl. der Arbeitslosen zu vertreten, die soziale Karte wurde nur zu Wahlzwecken ausgespielt. Umgekehrt gelang es der Linkspartei nicht, sich in der Klasse als „echte“ sozialdemokratische Alternative zur SPD zu profilieren, weil ihre Politik wesentlich nur  parlamentarisch ausgerichtet war und ist und weil sie bei Mobilisierungen zu inaktiv war und nur mitschwamm.

SPD und Gewerkschaftsspitzen werden in der Großen Koalition alles dafür tun, Kämpfe zu verhindern und bestehende Auseinandersetzungen zu blockieren - allerdings entsteht dabei auch ein Widerspruch. Während die SPD die Regierungspolitik umsetzen muss, kann die Linkspartei sich als parlamentarische und gesellschaftliche Opposition der „kleinen Leute“ aufstellen, dies kann zu Konflikten in den DGB-Gewerkschaften führen. Entscheidend hängt diese Fähigkeit zur „Bewahrung des sozialen Friedens“ jedoch von der objektiven Entwicklung ab: der globalen Ökonomie, der Krise in Europa und damit der Konjunktur in Deutschland selbst.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökonomischen Entwicklung werden zweifellos wichtige soziale Kämpfe und Abwehraktionen in einzelnen Betrieben ausbrechen. Die große Schwierigkeit besteht dabei darin, diese Kämpfe zusammenzuführen und über die unmittelbar kämpfenden und politisch bewussteren Teile der Arbeiterklasse hinaus Solidarität zu organisieren. Das ist doppelt schwierig, solange ausreichend Spielraum besteht, um den sozialpartnerschaftlichen „Ausgleich“ zwischen den Klassen, genauer zwischen Kapital und den besser organisierten, relativ privilegierten, arbeiteraristokratischen Teilen der Lohnabhängigen zu sichern.

Alternative

Um aus dieser Lage herauszukommen, müssen alle größeren Bewegungs- und Mobilisierungsansätze wie z.B. Blockupy 2014 unterstützt werden. Aber selbst das bleibt aktuell in der Zusammenfassung der schon Aktiven stecken und wird im schlimmsten Fall zur reinen Bewegungsmacherei, wenn es nicht mit einem politischen Aufbauprojekt - der ernsthaften politischen Zusammenfassung der revolutionären und anti-kapitalistischen Kräfte auf Grundlage eines Aktionsprogramms - verbunden wird. Der Aufbau der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO) ist ein Ansatz dazu. Nur so wird es möglich, dass die Linke in Deutschland überhaupt in die Lage kommt, der Politik von SPD, Gewerkschaftsführungen und Linkspartei real etwas entgegenzusetzen und einen Schritt  zur Schaffung einer revolutionären Arbeiterpartei zu gehen.

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Nr. 185, Dez. 13/Jan. 14
*  Lage nach den Wahlen: Was tun gegen die Große Koalition?
*  Koalitionsvertrag: Neuer Vorstoß zur "Tarifeinheit"
*  Konferenz der Gewerkschaftslinken: Mühsame Schritte
*  Niederlage bei Norgren: Sozialplan vereinbart, Streik ausverkauft
*  Einzelhandelsabschluss in Baden-Württemberg: ver.di rettet den Weihnachtsprofit
*  Blockupy 2014: Blockade und Selbstblockade
*  Neue Anti-kapitalistische Organisation: Jahr der Bewährung
*  China: Reform und Repression
*  Krise in Thailand: Pseudodemokraten greifen nach der Macht
*  Massenproteste in der Bretagne: Vorbote neuer Kämpfe
*  Luxemburg/Liebknecht-Ehrung: In wessen Spuren?