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Niederlage bei Norgren

Sozialplan vereinbart, Streik ausverkauft

Frederik Haber/Klaus-Kuno Benz, Infomail 717, 1. Dezember 2013

Betriebsrat und Geschäftsführung einigten sich am 27. November 2013 darauf, dass das Werk zum Jahresende geschlossen wird. Der Streik läuft noch formal weiter, er kann nur durch eine Urabstimmung beendet werden. Allerdings wird es schwer in dieser Situation, wo die Niederlage quasi beschlossene Sache ist, noch eine Wende zu schaffen.

Die Schließung ist eine bittere Niederlage für eine Belegschaft, die mutig und ausdauernd gekämpft hat. Als die Geschäftsführung ihre Absicht verkündet hatte, dass sie erneut die Schließung plane, wussten Betriebsrat und Belegschaft sofort, was die Stunde geschlagen hatte und dass Verhandlungen aussichtslos sein würden. Das Ziel des Kampfes sollte erneut die Verteidigung des Werkes und der Arbeitsplatze sein. Erst zwei Wochen Warnstreik, dann Urabstimmung und weitere 6 Wochen Streik.

Das Ziel, die Arbeitsplätze zu verteidigen wurde nicht erreicht und das lag in keiner Weise an der fehlenden Kampfbereitschaft und Entschlossenheit der Streikenden. Auch der Betriebsratsvorsitzenden und den Hauptamtlichen der IG Metall Esslingen, die vor Ort aktiv waren, kann fehlender Einsatzwille nicht vorgeworfen werden. Doch der beste Wille reicht nie aus, wenn er mit der Unterordnung unter eine falsche Strategie einhergeht.

Verantwortlich für die Niederlage ist natürlich nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie die Esslinger IG Metall, sondern die gesamte politische Ausrichtung der Führung der IG Metall, die sich geehrt fühlt, wenn auf dem zeitgleich stattfindenden Gewerkschaftstag die Kanzlerin die Sozialpartnerschaft lobt und die staatstragende Rolle der IG Metall. Die sich darin sonnt, „noch nie von der Politik so anerkannt gewesen zu sein wie heute“. Gegen diese Kumpanei mit dem Kapital und der erbärmlichen Anbiederung an die Regierung muss man mehr entgegensetzen als ein gutes persönliches Verhalten und Klassenkampf beschränkt auf ein Dorf.

Das Ergebnis

Garniert wird die Schließung mit einem Sozialplan, in dem Abfindungen in Höhe eines vollen Monatseinkommens pro Beschäftigungsjahr vereinbart wurden. Weiter wurde die Einrichtung einer Transfergesellschaft mit einer Laufzeit von bis zu 24 Monaten verabredet.

Die IG Metall Esslingen erklärt noch: „ein Großteil der Beschäftigten sind keine Fachkräfte und über 50 Jahre alt; deshalb war die Transfergesellschaft dem Betriebsrat ein großes Anliegen. Rentennahe Jahrgänge erhalten einen Ausgleich für eventuelle Abschläge bei der Rente. Befristet Beschäftigte können mit einer Abfindung als Einmalzahlung rechnen. Rund 20 Personen wird ein Arbeitsplatz in Fellbach mit einer finanziellen Unterstützung angeboten werden.“ (http://www.esslingen.igm.de/news/meldung.html?id=62183)

Letzteres hatte allerdings die Geschäftsführung schon vor zwei Monaten angeboten. Schon damals aus unserer Sicht als Mittel, um die Belegschaft zu spalten (http://www.arbeitermacht.de/infomail/711/norgren.htm). Eine Irreführung auch dahingehend, als ob die Arbeitsplätze in Fellbach sicher wären. Die dortige Belegschaft, weit schlechter organisiert und völlig unerfahren in Abwehrkämpfen, geführt von einem Betriebsrat, der höchst zögerlich nur ein Minimum an Solidarität demonstrierte, wird in naher Zukunft zur leichten Beute des Konzerns. Sie wird nach der Produktion auch noch weitere Bereiche nach Tschechien verlagern.

Auch wenn die Konzernführung sich 2007 und 2009 dilettantisch genug angestellt hatte und zweimal sich nicht gegen die Großbettlinger durchsetzen konnte, so hat sie jetzt mit offensichtlich professioneller Unterstützung diese geschlagen.

Strategie

Dazu baute sie ein Puffer-Lager auf und organisierte bereits eine Parallelfertigung in Fellbach und Tschechien. Sie stellte Securities ein, die den Betrieb bewachen sollten und organisierte einen effektiven Streikbruch, nicht nur in Fellbach und Tschechien, sondern auch in Großbettlingen selbst. Mit LeiharbeiterInnen, Befristeteten und Versetzungen aus Fellbach. Zusätzlich spielte sie weit geschickter mit Lügereien, kontrolliertem Gesetzesbruch und der Hilfe des bürgerlichen Staats in Form von Polizei, Bürokratie und Justiz.

Die IG Metall aber setzte ausschließlich auf die Mittel, die bislang zum Erfolg genügt hatten. Lediglich gegen den Abtransport einer Maschine wurde drei Tage eine Blockade durchgeführt, nach Intervention von Polizei und Justiz aber abgebrochen. Danach setzte die Gewerkschaft der neuen Aggressivität keine gleichwertigen Antworten mehr entgegen. Diese hätte es gegeben:

Eine Betriebsbesetzung verhindert auf jeden Fall Streikbruch in diesem Betrieb. Aber sie signalisiert auch, dass die Belegschaft einen Betrieb verteidigt, den die Unternehmer aufgeben, ja zerstören wollen.

Eine solche Besetzung ist machbar. Wenn die IG Metall ein paar Hundert Metaller und Metallerinnen vor Norgren mobilisiert, geht das. Wenn immer 50 davon im Werk anwesend sind und für den Fall einer Zuspitzung eine rasche Mobilisierung von UnterstützerInnen organisiert ist, sind die Securities die Ausgesperrten.

Die IG Metall hat überall in der Auto-Industrie Mitglieder, Betriebsräte und Vertrauensleute. Sie weiß sehr wohl, bei welchem Kunden die Teile verarbeitet werden. Statt zu hoffen, dass irgendwann Lieferschwierigkeiten entstehen, kann sie sofort Druck in genau diesen Betrieben machen. Sie kann landesweite Soli-aktionen und Arbeitsniederlegungen in den Betrieben bei Übergriffen der Polizei gegen eine Besetzung organisieren. Sie kann Kontakt mit den KollegInnen in Tschechien organisieren.

Die IG Metall kann es tun – aber sie will nicht!

Die streikenden NorgrenlerInnen konnten den künstlichen Beschränkungen durch die IG Metall nichts entgegensetzen. Die verbale Radikalität und hoher persönlicher Einsatz der Hauptamtlichen vor Ort und der Betriebsratsvorsitzenden ließen sie in deren Führungsfähigkeit vertrauen. So hat niemand ein alternatives Konzept zur IG Metall-Strategie entwickelt oder diese hinterfragt, als sich abzeichnete, dass sie nicht zum Sieg führen kann. Auch die mangelnde Unterstützung durch Betriebsräte und Gewerkschaften an anderen Standorten wurde zwar beklagt, aber nach einer Kundgebung vor dem Fellbacher Werk wurde nicht mehr offen für eine Kursänderung gekämpft. Dass die IG Metall Ludwigsburg/Rems-Murr de facto den Streikbruch aus Fellbach tolerierte und schönredete, wurde nicht bekämpft. Dazu hätten sie nämlich mit der Einheit des Apparats brechen müssen – und so weit wollten die Esslinger MetallerInnen keinesfalls gehen. Jegliche Initiative in Richtung Tschechien wurde von den Verantwortlichen abgetan, die Verlagerung sei ja in deren Interesse. Das heißt, es wurde den KollegInnen von vorneherein die bornierte Haltung unterstellt, die deutsche Betriebsräte überall pflegen.

Auch wenn wir genau verstehen, wie schwer es für eine betriebliche Führung ist, gegen die Ansagen aus dem Apparat zu handeln, hätte Nevin Aker es in der Hand gehabt, Treffen mit MetallerInnen zu organisieren oder zu unterstützen, die ihre Erfahrungen mit dem Ausverkauf von Kämpfen schon gemacht haben und Alternativen zu debattieren. Jetzt hat sie ihre Unterschrift unter einen Sozialplan gesetzt, von dem sie noch vor 8 Wochen erklärt hatte, dass sie ihn nicht wolle.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser! Streikende, die sich nicht verkaufen lassen wollen, müssen von Anfang an versuchen, selbst die Streikleitung zu wählen und die Streikstrategie auf Vollversammlungen zu debattieren und zu entscheiden. Dieses Mittel der Arbeiterdemokratie muss dem Mechanismus von bürokratischen Entscheidungen aus dem Apparat entgegengesetzt werden.

Alle Metallerinnen und Metaller, die eine Gewerkschaft wollen, mit der solche Kämpfe gewonnen werden können, müssen sich zusammenschließen und gemeinsam für einen Kurswechsel in der IG Metall kämpfen. Selbst in einer außerordentlichen Situation wie einem Streik kann keine einzelne Person, ob im Betriebsrat oder hauptamtlich bei der IG Metall, eine andere Strategie durchsetzen. Einerseits wegen der heftigen Disziplin des Apparats, andererseits weil ja genau die wirkliche Einbeziehung der gesamten Organisation nötig wäre.

Die Führung, deren Politik vom gesamten Apparat so mitgetragen wird, lässt Streiks, die sich gegen wichtige Unternehmen wie OPEL richten, schon gar nicht mehr zu. In Tarifrunden werden zwar Hundertausende zu Warnstreiks aufgerufen, aber anschließend mit einem Ergebnis abgespeist, das dem der Chemie-Industrie vergleichbar ist, das aber ohne eine einzige Minute „Streik“ erreicht wurde. Die Kumpanei mit dem Kapital im Namen des Standorts Deutschland reduziert den Kampf auf Tarifrituale und isolierte Kämpfe in Kleinbetrieben. So zeigt sich dann Jörg Hofmann, jetzt zweiter Vorsitzender der IG Metall, als Grußwort-Onkel vor Norgren und lässt danach die Streikenden wieder alleine, statt von sich aus die Kampftruppen der IG Metall zu solidarischen Aktionen aufzurufen.

Diese Politik muss durch eine organisierte oppositionelle Basisbewegung bekämpft werden. Jede weitere Niederlage, die von der real existierenden Führung der IG Metall organisiert wird, schwächt die Gewerkschaft weiter. Jede kämpferische Belegschaft, die liquidiert wird, macht eine Wende schwerer. Die Wut über die ausverkauften Kämpfe und die schlechten Erfahrungen und Niederlagen der letzten 10 Jahre müssen zu einer Kraft werden, die eine Wende in der Gewerkschaft durchsetzen kann.

Wir rufen auf, bei der Urabstimmung mit Nein zu stimmen!

Wir rufen alle, die diese unnötige Niederlage schmerzt, auf, mit uns für eine oppositionelle Basisbewegung zu kämpfen!

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Nr. 185, Dez. 13/Jan. 14
*  Lage nach den Wahlen: Was tun gegen die Große Koalition?
*  Koalitionsvertrag: Neuer Vorstoß zur "Tarifeinheit"
*  Konferenz der Gewerkschaftslinken: Mühsame Schritte
*  Niederlage bei Norgren: Sozialplan vereinbart, Streik ausverkauft
*  Einzelhandelsabschluss in Baden-Württemberg: ver.di rettet den Weihnachtsprofit
*  Blockupy 2014: Blockade und Selbstblockade
*  Neue Anti-kapitalistische Organisation: Jahr der Bewährung
*  China: Reform und Repression
*  Krise in Thailand: Pseudodemokraten greifen nach der Macht
*  Massenproteste in der Bretagne: Vorbote neuer Kämpfe
*  Luxemburg/Liebknecht-Ehrung: In wessen Spuren?



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